Zum Inhalt wechseln


"All is full of Love..."

bekays Filmtagebuch

Foto

Zweimal erwachsen geworden: Harry & May


HARRY POTTER AND THE DEATHLY HALLOWS - PART 2

Es wird vielerorts von einem "würdigen Abschluss" geredet. Ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll. Besonders für eine so inhomogene Reihe, welche mit viel Geld und wenig Willen zur gelungenen Verschmelzung von Buchverfilmung und eigenständigem Film entstand. Aber das sollte nicht missverstanden werden, der Film hat mir gefallen. Ich war im Kinositz gefesselt. Und doch kam ich nicht umhin, mich ständig zu fragen, ob er nicht antiklimatisch ist. Nach der gelungenen, ruhigen Partisanen-Atmosphäre von DEATHLY HALLOWS - PART 1 (eine perfekte Umsetzung des ersten Hälfte des Buches), wird hier von Höhepunkt, Enthüllung und Actionpiece zu Höhepunkt, Enthüllung und Actionpiece gehetzt. Das Ganze fühlte sich wie ein einziger Höhepunkt an. Als Buchleser kann ich leider auch nicht mehr klar zwischen dem Wissen, welches ich in die Verfilmung mithineinnehme, und dem Wissen, welches allein der Film vermittelt, unterscheiden. So weiß ich nicht, ob diese eigenartige Struktur, so ganz ohne Leerlauf, nicht eigenartig distanzierend wirken könnte. Ich hatte manchmal jedenfalls diesen entfernten Eindruck. Aber trotzdem: Ich habe den Film genossen. Außer ein paar Dazudichtungen von Action-Szenen wurde sich wie schon bei PART 1 detailgetrau an die Vorlage gehalten. Und das, was von ihr verfilmt wurde, wurde reich, dicht und mit enormen Anspielungsreichtum (an vorherige Filme, an Genres, an menschliche Konzepte) inszeniert. Ich hätte z.B. nie geglaubt, dass man Harrys Reise in Snapes Erinnerungs- unf Gefühlswelt annährend zu gut hinkriegt. Obwohl sie als zentrale klärende als auch emotionale Szene des Buchs und des Films ruhig noch etwas länger und ausführlicher, eben mit mehr Leerstellen und Erholungspausen, hätte ausfallen können. Gut, sklavische Buchtreue hätte spätestens vor dem Epilog halt machen sollen. Aber sei es drum. Gewiss schmunzelt man über die unüberzeugenden Altersprozesse der Figuren, aber: Man schnallt auch, worum es geht, bei diesem Blick in eine heile Zukunft.

Eines ist aber ganz sicher außerordentlich gelungen: Das ganze Gefühl des Erwachsen-Werdens hat sowohl das Schauspieltrio bestehend aus Radcliffe, Grint und Watson als auch der Film selbst in seiner sperrigen Art herübergerbacht.

Wo bei diesen ganzen Aspekten nun genau die Würde steckt, scheint mir doch stark von der Perspektive, die man auf die Filme wählt, abzuhängen.

8/10

MAY

May (Angela Bettis) ist ebenfalls erwachsen. Aber ihr merkt man es nicht an. Sie scheint noch tief im pubertären Unsicherheitssumpf versunken. Ihr träges Auge steht sinnbildlich für den jugendlichen Zweifel am eigenen Körper. Der hat sich bei May nun schon psychologisch manisfestiert in extremer Schüchternheit und Zurückgezogenheit. Eigentlich ist schon früh im Film klar, dass man es hier mit einer Psychopathin zu tun hat. Sie meint zu ihrem Augenarzt, sie hätte ein Date mit einem Typen, der allerdings noch gar nichts von seinem Glück weiß. Die Annäherungsversuche an diesen Adam (Jeremy Sisto), von dessen Händen May schon fast sexuell entzückt ist, haben demnach auch eher Stalking-Charakter. Aber schließlich wird er doch auf sie aufmerksam und da er, Argento-Aficionado und Amateur-Splatter-Regisseur, auf alles Seltsame steht, steht er auch auf May. Nur diese wiederum hat gar kein Konzept von menschlicher Nähe: Als sie klein war, hat ihre Mutter ihr eine alte, selbstgemachte Puppe aufgrund von akutem Freundemangel geschenkt. Diese "Vertreterin" echter menschlicher Bekanntschaften durfte allerdings nicht aus ihrer Glasvitrine, womit May sogar die Nähe zu ihrer Schein-Freundin versagt wurde. Die einzige Nähe, die sie kennt, ist eine extreme körperliche, der sie als chirurgische Assistentin in einer Tierklinik intensiv frönt. Als Adam bemerkt, dass sie da ganz offenbar etwas durcheinander bringt mit diesen beiden Formen von Nähe, bricht er den Kontakt zu May ab. Trost versucht sie bei ihrer lesbischen Kollegin Polly (Anna Faris) zu finden, aber auch ihre Avancen stellen sich als oberflächliches Spiel heraus.

Die tiefe Enttäuschung darüber, dass ihr Sehnen nach Nähe unerfüllt bleibt, lässt May endgültig in ihre eigene, verschlossene Welt abdriften. Sie entscheidet sich, ihren Partner einfach selbst zu machen: eine menschliche Puppe aus den besten und schönsten Körperteilen, die sie sich aus ihren Bekanntschaft besorgt. Die neue May ist resolut. Sie weiß, was sie will und von wem sie es will. Angela Bettis spielt diese Veränderung ganz herausragend. Das Erwachsen-Werden, dieses Finden der eigenen Selbstständigkeit, gelingt May allerdings nur unter vollständigem Verlust ihrer Empathiefähigkeit. Die psychopathischen Spuren, die sich in der ersten Stunde des Film immer nur drohend in einer scheinbar quirligen Coming-of-Age-Geschichte andeuteten, brechen nun hervor. Das letzte Drittel des Films beeindruckt weniger wegen seiner Gewaltspitzen, welche zwar auch unter die Haut gehen, sondern vielmehr aufgrund seiner ästhetischen Assoziationsmontagen, welche Mays krankhaften Geisteszustand widerspiegeln. Zudem gibt es eine wahnsinnige und wahnsinnig tolle Schlussszene, welche dieses erwachsene Teenie-Horror-Kunst-Drama absolut stimmig abrundet.

9/10


Foto

Transformierte Lebenszeit


Es schaue sich bitte TRANSFORMERS - DARK OF THE MOON an, wer seine Lebenszeit in folgendes transformiert wissen will:

- einen architektonischen Traum von sterilen Räumen, in denen selbst die aufgetragene Dreckschicht wie Lebensmittelfarbe aussieht, die zum Ablecken einlädt.

- ein apokalyptisches Szenario, das so überzeugend wirkt, dass man dort gerne Urlaub machen will.

- eine Geschichte, in der Figuren ständig etwas für jemanden aus einem bestimmten Grund tun, man aber nie genau weiß, was für wen aus welchem Grund.

Bay verinszeniert auch den dritten Teil der TRANSFORMERS-Reihe als Plot-Ersatzteillager, welches den Film zu einem zweieinhalbstündigen Monstrum aufblustert. Klar, sogleich kommt jemand um die Ecke und sagt: Aber die Handlung ist doch egal. Leider ändert das nichts daran, dass sie einem ständig erzählt wird, diese egale Handlung - und mit was für einem inbrünstigen Ernst sie vorgetragen wird. Ich fand diese Egalität von Figuren, ihren Handlungen und Beweggründen sowas von aufdringlich diesmal, dass mich der Film noch mehr als der zweite Teil gelangweilt hat. Ich wünschte mir, dass Bay endlich einen reinen Film machen würde, einen, in der die ungelogen bahnbrechenden Effekte auch endlich ihre Wirkung entfalten könnten. Innerhalb dieser lächerlichen und viel zu langen Entschuldigung von Plot funktioniert das leider nicht. Weg mit den Figuren! Weg mit all jenen traurigen Versuchen, Identifikation, Emotion, Bedeutung und Humor zu schaffen! Weg mit irgendwelchen Plottwists, die wohl überraschend sein sollen, obwohl ihre Nebensächlichkeit in einem so ungleichen Verhätlnis zu dem Fakt steht, dass sie erzählt werden! Wer transformiert meine Lebenszeit endlich einmal in eine eineinhalbstündige Grafikdemo, in der alle Protagonisten ihre verdammte Fresse halten? Bay bestimmt nicht, der hat schließlich keine Eier in der Hose und prostituiert sich immer wieder für eine Erzählkunst, deren Unterirdischkeit nicht mal das Niveau eines Erstklässlers erreicht, dessen Hausaufgabe es ist, sich eine Märchengeschichte auszudenken.


Foto

Menschelnder Serienmörder sucht Partner für gemeinsame Nächte


Ich habe DEXTER immer vor mir hergeschoben. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht hatte ich ein bisschen Angst vor der überall behaupteten Originaltät, der angeblich verrückten Neuheit des Konzeptes: "Ein Serienmörder als Protagonist und Serienheld! WTF?" etc. Nach der ersten Staffel kann ich beruhigt feststellen, dass DEXTER das Rad auch nicht neu erfindet. Klar, die Figur Dexter ist ein Serienmörder, die uns in seinen Voice-Overs, die jede Episode begleiten, in einige typische psychopathische Merkmale dieses Menschentyps einführt: Dunkle Mordtriebe samt dem Drang zu einer eigenen Signatur, oberflächliche Scheinbeziehungen, Unfähigkeit zur Empathie und sozialem Verständnis. Gleichzeitig menschelt es zutiefst in ihm: Er hat ein strenges Moralsystem, welches ihm von seinen Vater, der um seine Impulse wusste, auferlegt wurde und ihm nur erlaubt, Mörder zu ermorden. Moral ist schließlich bei jedem Menschen ein individuell vom sozialen Umfeld geprägtes Gebilde. Dexter macht da keine Ausnahme. Auch sehnt er sich nach echter menschlicher Nähe: Dazu aber müsste er jemanden finden, der für seine wahre Natur Verständnis - inkl. seiner ausgefallenen Freizeitgestaltung als Serienmörderrächer - aufbringen könnte. Also eigentlich ist DEXTER nichts anderes als eine Coming-Out-Geschichte, nur mit extremeren Mitteln. Ob es jemals zu einem Coming-Out kommen wird, bin ich mir nicht sicher: Wie auch? Seine Morde sind monströs, sie sind unmenschlich, sie sind unmoralisch. Zwei Dinge kann man der Serie also vorwerfen: Das Problem, dass sie ihre Grundprämisse schwerlich weiterentwickeln kann. (Da bin ich gespannt, was die zweite Staffel leistet.) Zum anderen, dass die Serie durch die vorbehaltlose Perspektivierung auf Dexter den Zuschauer einem Serienmörder wünscht, nicht gefasst zu werden. Denn genau dann habe ich immer gezaudert, wenn Dexters soziales Kartenhaus, hinter dem er seine Natur zu verschanzen versucht, zusammenzubrechen droht. Was ich eigentlich ziemlich perfide finde...

Insgesamt könnte man der Serie ihre hohe Konstruiertheit vorwerfen: Ein nicht gefasster Serienmörder, der von seinem Adoptiv-Vater gelehrt wurde, seine Triebe nur gegenüber anderen Mördern zu entladen? Diese vollkommen verrückte Erziehungsgeschichte wird in regelmäßigen Flashbacks in verschiedene Altersstufen Dexters erzählt. Nicht nur die Leberflecken, die bei den verschiedenen Kinderdarstellern ständig ihren Ort im Gesicht wechseln, kann dabei verwirren, sondern auch die schlichtweg vollkommene Unglaubwürdigkeit dieser Erzählung. Aber seit LOST hat diese Form des Erzählens Konjunktur und bei Dexter durchaus ihren Zweck. Es geht einzig und allein um die Erhöhung des emotionalen Eindrucks: Dexters inneren Kampf mit seiner Menschlichkeit. Als extremes Symbol steht er für uns alle: Für verschiedenste Verpflichtungen, die an uns zerren, besonders natürlich für die Diskrepanz zwischen den, die aus unserem Inneren kommen, und jenen, die von außen, von der Gesellschaft an uns herangetragen werden. Für die Angst, sich tatsächlich seinen Mitmenschen zu öffnen, sich wirklich an sich heranzulassen. Der rote Faden der ersten Staffel forciert diese Problematik zum Ende ins Extreme: Dexter, der als forensischer Spezialist für Blutspritzer bei der Polizei arbeitet, sucht als Teil der Mordkommission einen anderen Serienmörder. Für dessen Signatur hegt Dexter insgeheim größte Bewunderung. Die Verbindung der Beiden wird sich schließlich als familiäre herausstellen und als große Chance des Serienhelden, sich endlich einer anderen Person voll und ganz anzuvertrauen. Es oder Über-Ich? Was soll es sein?

Dass dieses ganze Konstruktion funktioniert, liegt aber auch an einem wunderbaren Ensemble, in dem auch viele Nebenrollen ganz eigene dramatische Geschichten spendiert bekommen. Sie bilden ein Gegengewicht zu den manchmal sehr ins Antisoziale abgleitenden Grübeleien Dexters und helfen ihm, seine sich langsam abzeichnende Menschwerdung (insofern sie möglich ist?) foranzutreiben. Und natürlich ist Schauspieler Michael C. Hall gesondert zu erwähnen, der die Serie nun einmal trägt: Schon allein diesem eigentlich attraktiven Mann dabei zuzusehen, wie er vollkommen verunsichert und unbeholfen mit seiner sexuellen Ausstrahlung umgeht, ist ein Genuss. Solche Nuancen sind es, die Dexters Konflikt eben sicht- und beinahe greifbar machen.


Foto

Fragend kommen wir auf die Welt...


...und fragend werden wir sie verlassen. Dessen jedenfalls ist sich Terrence Malick vollkommen sicher, der seinen fünften Spielfilm THE TREE OF LIFE einmal mehr als Drehbuchautor und Regisseur vollendet hat. Damit trifft er sich ganz trefflich mit mir, denn die einzige menschliche Konstante ist das Fragen. Fragen verbinden auch all seine Filme. Das Stilmittel des Voice-Overs kommt denn auch hier wieder stark zum Tragen. Man kann jenen über die Bilder gehauchten Sprachfetzen immer viel vorwerfen - und vielerorts wird dies gemacht: Sie seien naiv, prätentiös, unverständlich. Ich verstehe sie eigentlich stets als Ausdruck tiefer Verwirrung: Nicht entschlüsseln soll man sie - verstehen aber, dass jene Gedanken der Figuren kaum in der Lage sind, etwas zu verstehen. Es wird also viel gefragt in THE TREE OF LIFE. Insofern sollte man sich wohl damit abfinden, dass Malicks Kino kein Kino der Antworten, sondern eben der Fragen ist. Wer Antworten erwartet - auch nach dem tieferen Sinn des Films selbst - ist fehl am Platz.

Religion

Viele Fragen im Film richten sich an Gott - jede Frage an Gott ist natürlich gleichzeitig Frage nach Gott. Denn eine Antwort bleibt wohl immer aus, womit gleichzeitig die Möglichkeit des Zweifels gegeben ist. Das ist hier nicht anders. Dass Malick christlichen Kitsch produzieren würde, ist ein oft vorgebrachter Vorwurf. Ich finde, nichts könnte Malicks Filmen ferner sein. Zuerst einmal sollte man sich klarmachen, dass die im Film geäußerten Rufe an eine höhere Macht Gedanken von Figuren sind. In diesem Film eben einer christlichen Familie aus den USA der 1950er Jahre: Die Mutter (Jessica Chastain) in einem Nonnenkloster aufgewachsen und eine elfengleiche Gestalt, selbstlos, naturverbunden, zärtlich. Der Vater (Brad Pitt) ein latent gewalttätiger, chauvinistischer Schildbürger, der die menschliche Gesellschaft für ein Haifischbecken hält. Und drei Söhne, wobei der Älteste (Hunter McCracken/Sean Penn) im Mittelpunkt steht: Pubertät und die zwei extremen Elternfiguren zerren an seinem Selbstbild. Alles, was die so denken, für die Mitteilung des Films zu halten, ist reichlich naiv.
Zum anderen kommentieren sich Voice-Over und Bilder ja immer wechselseitig. Womit wird denn die erste extreme Frage-Salve nach Gott beantwortet? Mit Bildern von purer Materialität: Der Entstehung von Sternen und Planeten, Molekülen und Einzellern, DNA und Dinos. Es sind keine Antworten auf diese Fragen. Vielmehr stellen sie neue Fragen: Wie bitte kann der Mensch anhand einer solchen Natur, anhand seines physikalischen Weltbildes tatsächlich an eine gerechte Weltordnung, an eine ordnende Macht glauben? Genau diese Parallelität ist es, für die Malick sich seit THE THIN RED LINE besonders interessiert: Glauben und Materialität.

Der Baum des Lebens

Denn der Mensch, der aus dieser gnadenlosen Natur heraus als Krone des Lebens entstanden ist, hat nun einmal die Fähigkeit zu glauben bzw. zu fragen. In Malicks Filmen ist dies dasselbe. Das Wundern, das Staunen, das Innehalten, das Projezieren von Schönheit und Ordnung nach Außen - dies ist nicht etwa eine Option für den Menschen; es ist die conditio humana. Deswegen ist Brad Pitts Figur auch eine teils überzeichnete Witzfigur: Sein Sozialdarwinismus ist unmenschlich und wird mit jedem wunderschönen Bild des Films Lügen gestraft. THE TREE OF LIFE verteilt seine Sympathien deutlich und lässt den Vater zum Schluss sogar seinen verfehlten Weg einsehen. Malick feiert ganz klar den Glauben - und m.E. nicht den christlichen, sondern die menschliche Fähigkeit per se. (Siehe auch den atemberaubenden Schluss von THE NEW WORLD, in der die Häuptlingstochter Pocahontas befreit feststellt: "Mother, now I know where you live.") Als ausgebildeter Philosoph hat Malick natürlich auch seinen Feuerbach gelesen - und will diesen auch visuell umsetzen: "Gott ist nichts anderes als die Intelligenz, die sich der Mensch wünscht und von der er nicht weiß, dass er sie selber hat."
Wir können da draußen sonst etwas vermuten: Das Draußen interessiert sich nicht für unsere Gedankenakrobatik. Die Natur mahlt teilnahmslos weiter. Aus diesem verschlungenen und choatischen Wurzelwerk des Lebensbaumes ist der Mensch entstanden und dies darf nie vergessen werden. Der Mensch hat es immer mitzudenken. So werden gleich zwei Schlüsse kredenzt: Einmal das Ende unseres Sonnensystems mit einer sich ausbreitenden und die Erde verschlingenden Sonne, die schließlich zu einem weißen Zwerg verkümmert. Die Menschen wird es dann schon lange nicht mehr geben - genausowenig wie Gott. Nur: Solange es sie noch gibt, wird weiter gehofft. Klar, das zweite, andere Ende mit einer Art salbungsvollen, symbolischen Jenseits, in dem sich alle Figuren des Films an einem Strand noch einmal treffen, ist des pastoralen Tons auch für meinen Geschmack ein klein wenig zu viel. Allein, für jedes kitschige Glaubensbekenntnis gibt es in diesem Film ein Gegengewicht: Die kreisende Kamera ist nur peripher am Menschen interessiert. Jeder Schnitt und jede Kamerafahrt schreien einen an: "Da, schau, was jenseits des Menschen liegt! Die Erde, der Baum, der Himmel, der Planet. All das existiert auch ohne dich. Mit dir mag es Schönheit haben, aber ohne dich noch immer Existenz..."

Also: THE TREE OF LIFE ist ein unendlich reicher Film. Meine assoziativen Gedanken kreisten ja nun allein um Malick, den Materialisten. Es gibt noch soviele andere: Den Berührungsfetischisten, den, der Erinnerung und subjektive Erfahrung filmisch erfahrbar machen will, den Erzähler eines großen Familiendramas, den präzisen Chronisten pubertärer Regungen, denjenigen, der pure Poesie im Banalen und Alltäglichen aufspürt und und und ...


Foto

Erste Klasse: X-Men


X-MEN: FIRST CLASS ist nicht etwa erstklassig, obwohl die Vorschusslorbeeren dies anzudeuten schienen. Nein, es ist eher wie in der ersten Klasse. Und das meine ich nicht im positiven Sinne, die der Titel nahelegt: eine epische Grundlegung und Hinführung zu den ersten beiden, formidablen Verfilmungen von Bryan Singer. Hier geht es eher infantil, ungeordnet und chaotisch zu. Schade, dass KICK-ASS-Regisseur Matthew Vaughn hier so einen unaugegorenen Brei abliefert. Vom Grundkonzept will ja alles passen: Die Vorgeschichte von Prof. X und Magneto zu erzählen, zu zeigen, wie ihre Freundschaft in Feindschaft umschlägt, das hat doch Potential. Der Film verfängt sich aber in der ersten Hälfte in ein Schauplatz-Hopping, welche das klare Grundkonzept weniger erzählt als zerzählt. Und in der zweiten Hälfte wird klar, dass Superhelden-Action gekonnt inszeniert sein muss, um nicht in die Lächerlichkeit abzudriften. Aber wenn Banshee per aus seinem Mund kommenden Schallwellen fliegt, dann wirkt das hier: einfach nur ulkig. Zudem werden auch jene für diese Filme so wichtigen Aufstellungsszenen verhunzt. Damit meine ich Szenen, in denen sich mehrere Superhelden in heldischer oder mehrere Böswichte in bösartiger Absicht in einer Reihe oder auch anderen Formation aufstellen. Das wirkt hier alles wie Ringelpiez mit Anfassen oder scheues Aufreihen im Sportunterricht (erste Klasse natürlich). Ich habe mir zeitweise gewünscht, KICK-ASS 2 vor mir zu haben, dann wäre mir vom Kontext her erlaubt gewesen, über diese herrlich satirischen Einlagen zu lachen.

Ich will ja nicht so viel giften. Klar, Fassbender (Magneto) und McAvoy (Prof. X) machen ihre Sache gut, einige der Actionsequenzen sind mitreißend und übersichtlich choreographiert. Doch dann könnte ich auch schon wieder meckern bezüglich der Darsteller: So jemand Tolles wie Rose Byrne wird mit einer Figur verheizt, die - theoretisch kann der Film dies andeuten - wichtig für die Handlung ist, aber keinerlei Charaktersierung erfährt und mir bis zum Schluss total fremd blieb. Und ja, klar, der Film macht überall Andeutungen und Augenzwinkern in Richtung Comic-Fans und andere Filme der Franchise: Amüsant der kurze Auftritt Hugh Jackmans als Logan, der einen Rekrutierungsversuch für die noch-nicht-X-Men abwürgt, bevor er überhaupt wissen kann, dass es sich um einen solchen handelt. Doch auch hier wieder zeigt sich die Schwäche des Films: All die Gimmicks und Snippts machen eben noch keinen guten Eintopf. Der geschmacklose Höhepunkt dieser Ideenklauberei ohne Konzept war für mich die Vorstellung des Filmemblems - ein großes X auf einer runden metallischen Platte, welches sich dem Zuschauer durch die Drehung einer Nazi-Münze zeigt. Der tiefere Zusammenhang zwischen diesen beiden Symbolen liegt wohl im schwachbrüstigen Subtext von X-MEN: FIRST CLASS begraben, welcher sich mit verschiedensten Hinweisen auf braune Rassenideologie und totalitäres Brimborium den Anstrich von Ernsthaftigkeit geben will. Das sind allerdings noch keine Themen für die Grundschule...


Foto

Voll auf die östliche Neun!


IP MAN - Ein ganz wunderbarer Film! Die präzisen, weniger artistischen als vielmehr intensiv-konzentrierten Kampfsequenzen sind atemraubend (Sammo Hung kann halt auch erstklassig choreographieren, der olle Haudegen); die Geschichte ist ungewöhnlich zurückhaltend präsentiert und rührend. Abgesehen vom Anfang, der noch ein bisschen am vielleicht kulturell bedingten Overacting chinesischer Art leidet, spielen die Darsteller ihre Rollen sehr bedeckt und stoisch, allen voran der großartige Donnie Yen. Ich hab' beim Schauen wieder richtig Lust auf Wuxia-Filme bekommen und erinnerte mich zurück an die seeligen 1990er, in denen ich Jet Li begeistert über die Mattscheibe fliegen sah ... Regisseur Wilson Yip sollte wohl einmal genauer von mir begutachtet werden! :)

SHAOLIN - Aus dem Geiste eines Genre-Films mit klarer Gut-Böse-Trennung wird am Ende ein grausames, historisierendes Abmetzeln von Shoalin-Mönchen. Verwirrend und in gewisser Weise auch vor den Kopf stoßend! Überhaupt ist der Film ungewöhnlich erbarmungslos und tieftraurig - da wird auch schon mal ein Kind von Pferden erfasst oder zentrale Figuren ins nächste Leben wiederbefördert. Aber es besteht ein ernsthafteres Interesse am Buddhismus als in vergleichbaren Rachegeschichten, denn der Film ist gar keine Rachegeschichte, obwohl er alle Zutaten dazu in sich trägt: Ein skrupelloser Kriegsheer (Andy Lau) wird von seinem noch skrupelloseren Protégé hintergangen, verliert dabei seine Tochter und wird von seiner Frau verlassen. Statt Rache aber sucht er Erbarmen und Gnade im Shaolin-Tempel. Es wird also sehr ernst mit der buddhistischen Philosophie und Lebenseinstellung gemacht. Dies und das Zusammenspiel von Andy Lau und Jackie Chan, der in den Grenzen seiner Schauspielkunst den ansehnlich melancholischen Tempel-Koch gibt, entschädigen für einiges. Besonders für die gruseligen Pferdestunts, die ständig gezeigt werden und den Charakter von - Hongkong-Wortspiel! - Knochenbrechern haben. (Hoffentlich haben das die armen Tiere überstanden...) Die rar gesäten Hand- und Fußgemenge sind zwar nicht spektakulär choreographiert, aber trotzdem sehr ordentlich anzuschauen. Ein stilvoll fotografiertes Action-Drama kriegt man hier allemal geboten, auch wenn es manchmal unentschieden zwischen den Genres tingelt.


Foto

Schwarzes Party-Schwänchen


Ja, Herr Aronofsky, man kann ein formales System steigern. Diesmal kann ihre typische, sich langsam aufbauende Überwältigungsästhetik aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie uns eigentlich nichts zu sagen haben. Jedenfalls nichts, dem man wirklich Beachtung schenken könnte. In diesem Sinne:




Foto

Anfang - Alltag - Ende


Sofia Coppolas SOMEWHERE ist fast jeder Dramaturgie beraubt. Was man als Sinnlosigkeit bezeichnen kann, sollte wohl zuerst und ganz formal als Handlungs- und Sukzessionslosigkeit anerkannt werden. Aber so ganz stimmt das nicht, denn der Film wird von einer auffälligen symbolischen Klammer gerahmt:

Er beginnt mit einem statischen Bild, durch das alle 5 oder 10 Sekunden ein schwarzer Ferrari fährt. Er dreht sich im Kreis. Nach ein paar Runden bleibt er im Bild stehen. Ein Mann steigt aus, geht ein paar Schritte, stoppt. Stillstand.

SOMEWHERE endet mit einer Verfolgungsfahrt, welche denselben Wagen aus einer erhöhten, ja erhebenden Position zeigt, wie er über die Autobahnen L.A.s rauscht und irgendwo auf dem Land anhält. Wieder steigt dieser Mann aus, aber diesmal bleibt er nicht stehen. Diesmal läugt er einfach weiter die Straße entlang. Bewegung.

Diese etwas platten Sinnbilder am Anfang und am Ende dürfen wohl als Indiz dafür erhalten, dass sich dieser Mann - es handelt sich um einen zweitklassigen, halb-abgehalfterter, herumhurenden Hollywood-Schauspieler (Stephen Dorff) - grundlegend verändert hat. Ihm und mit ihm dem Zuschauer ist der Alltag begegnet. Statt sich durch die weiblichen Gäste seines Hotels, in welches er sich dauer-einquartiert hat, zu bohren, ist er durch Armbruch und Besuch seiner Tochter Cleo (Elle Fanning) dazu gezwungen, die einfachen und unwichtigen Begebenheiten des Lebens ohne Betäubung und Orgasmus zu erfahren... und würdigen zu lernen. Veränderung tritt bei Sofia Coppola paradoxerweise durch ihr Gegenteil ein: Alltäglichkeit. Sie arbeitet ja nun schon seit LOST IN TRANSLATION an diesem Projekt, aber mir scheint es hier noch einmal eine Ecke kantiger und sperriger - und deswegen auch präziser - rüberzukommen. Die Figuren hier (und gleichfalls in ihren sonstigen Filmen) tun größtenteil nichts, was dreierlei bedeuten kann:
(1) Sie tun im wörtlichen Sinne nichts - dazu zählen "Tätigkeiten" wie Rumsitzen, Rumliegen, Rumlungern, Rumlaufen etc.
(2) Sie tun nichts, das von einer hochgradig kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Relevanz wäre. Was gehört zu diesem Nichts? Z. B. Guitar Hero und Wii spielen, sich vollkommen unaufgeregt(!) über die Handlung von Stephenie Meyers TWILIGHT-Buchreihe unterhalten oder Spaghetti in den Mund stecken und den noch heraushängenden Teil einfach abbeißen und somit wieder auf den Teller fallen lassen.
(3) Und die Figuren tun nichts, was eine sonderlich strikte Handlung, also eine Girlande von Ereignissen, die sich gegenseitig auslösen, etabliert.

Für alle drei Fälle von Nichts kann man wohl sagen, dass sie den Großteil des menschlichen Seins und Handelns bestimmen. Der Film benutzt die Erzeugung von Alltäglichkeit hier als wirkungsvollen Effekt, der jedenfalls in mir durchaus eine beachtliche Resonanz fand. Denn Coppola weiß die Schönheit und den Genuß, welche man solchen Situationen abgewinnen kann, in spröden und distanzierten Bildern einzufangen. SOMEWHERE steht noch stiller als die vorherigen Filme der Regisseurin. Und außerdem ist ihr mit JACKASS-Darsteller Chris Pontius ein besonderer Besetzungscoup gelungen - er gibt in seinem unaufhörlichen Redeschwall und derb-scherzenden Duktus dem Dialog jene Unwichtigkeit zurück, den er eben manchmal benötigt, damit das Leben erträglicher wird.

Ein großartiger Film über die Kraft des Nichts - und darüber, dass man Langeweile nicht mit Alltag verwechseln sollte.


Foto

PUNCH-DRUNK LOVE


Das beste, ja BESTE, was ich seit langem, ja LANGEM, gesehen habe. Auf jeden Fall ein schöner Jahresabschluss. Bin hin und weg! :love: Wer wissen will, wie dieser Film nicht ist, lese diese Kritik von ihm. Der Autor litt offenbar an Wahrnehmungsstörungen... "Rolle des reinen Toren, des arglosen Naivlings, der nicht weiß, wie ihm geschieht, und der gerade dadurch am Ende all die schlauen Besserwisser abhängt. Nun ist Adam Sandler an der Reihe, [...] der einsame Simpel auf der Suche [...] sympathisch-dämliche Figur" :blink: Sandler spielt hier eine psychotische Figur, nichts anderes! Solch eine streckenweise verängstigende und absolut verunsichernde Figur in das Korsett einer romantischen Liebeskomödie zu zwängen - und dabei die Figur und seine pathologischen Züge nicht zu verharmlosen und zu entschärfen, das ist wohl das größte Verdienst des Films. Hier wird den zahllosen Romcoms mit ihren leicht schrägen Charakteren endlich einmal die Fresse poliert und ein radikalerer Entwurf ihrer schwachbrüstig umgesetzten Grundidee entgegengesetzt, der nicht nur erfrischend, sondern anstrengend und fordernd anders ist. Dabei wird in künstlich-experimentellen und höchst selbstbezüglichen Bildkompositionen geschwelgt, deren Charakter vollkommen unromantisch ist. Dass es die Liebe trotzalledem gibt, lässt somit nur umso mehr aufatmen!


Foto

A Nightmare on Porn Street


Das NIGHTMARE ON ELM STREET Remake ist ein ganz merkwürdiger Film. Sein antizyklischer Rhythmus und seine wirre Dramaturgie lassen einen ratlos und enttäuscht zurück. Media in res geht es los und bleibt auch so - ein Traumszenario jagt das nächste und ständig gehen irgendwelche Figuren drauf, die man nicht kennt. Ja, der Film entwickelt ein fast beängstigendes Desinteresse an seinen Figuren. Die interagieren nicht miteinander, sind vollkommen unverknüpft, haben keine Beziehung zu ihrer Umwelt. So kann kein Eindruck von Alltäglichkeit entstehen - und somit auch kein Horror. Denn Horror ist die Störung von etwas Ungestörten. Hier werden hingegen von der ersten Minute Störfall an Störfall gereiht, womit die Struktur der Handlung in etwa der eines ordinären Bumsfilms gleicht. Richtige Spannung mag nicht aufkommen, wenn man kaum weiß, was diese Figur jetzt eigentlich mit jener anderen zu tun hat - ständig geht einem durch den Kopf: Inwiefern kennen die sich? Ja, so etwas Simples wie Freundschaft kann dieser Film nicht darstellen. Und das ist sehr schade, nimmt es doch den toll komponierten Traumsequenzen und der ganz hervorragenden Neuinterpretation Kruegers durch Jackie Earle Haley die Schärfe. In dieser Aneinanderreihung von Verfolgungen peripherer Figuren (komischerweise alle) gehen leider auch die Subtexte flöten, die ein solch interessantes Thema (Realität - Traum - Unbewusstsein etc.) birgt. Fazit: ein Update, welches ohne Originalversion kaum zu funktionieren in der Lage ist. Die Pädosexualität Freddy Kruegers ist der einzig wirkliche frische Aspekt hier. Er lässt die selbstjustizielle Tat der Eltern noch einmal in einem anderen Licht erstrahlen, welches durchaus als Problematisierung zu verstehen ist...





Filmtagebuch von...

bekay

    will in die High Society

  • Administrator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 5.231 Beiträge

Neuste Kommentare

Neuste Einträge

Aktuelle Besucher

Mitglieder: 0, Gäste: 2, unsichtbare Mitglieder: 0

Filmtagebuch durchsuchen