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"All is full of Love..."

bekays Filmtagebuch




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Brechreizend



Der Tag war schon anstrengend und reizüberflutet. Müde und wie gerädert aufgewacht. Kopfschmerzen und eine verschnupfte Nase. Der erste richtige Frühlingstag - zwar schön, aber eine Umstellung. Die Sonne brannte mir schon wieder fast zu intensiv ( - könnte es so nicht den ganzen Sommer über bleiben?)... Die Austellung Farbwelten ("Von Monet bis Yves Klein") besucht und mich von der klassischen Moderne zudröhnen lassen. Dann ins Restaurant, Geburtstag meines Bruders begießen. Die ganze Zeit gegähnt: Fressen und Saufen macht den Müden noch müder. Und mir für den Abend vorgenommen, Rob Zombies HALLOWEEN II (DC) zu schauen. 22:00 Uhr kam ich dann endlich dazu, meinem geschundenen Wahrnehmungsapparat den Todesstoß zu versetzen. Schnell wurde mir klar, dass mich dieser Film an meine derzeit etwas dünnen Grenzen bringen würde. Das Gefühl, mich übergeben zu müssen, stellte sich bei Zombies perfiden Mordsequenzen sofort ein. Die verspürte Intensivität würde ich auf eine Gewalt-Dreifaltigkeit zurückführen: (1) Die subtil eingestreute Explizität der blutigen Details. (2) Die pure körperliche Brachialität von Myers Angriffen. (3) Die absolut hingebungsvollen und bis ins Unerträgliche leidenden Opfer. Beim letzten Punkt ist besonders die Laurie Strode spielende Scout Taylor-Compton herauszuheben, die ihre Opferrolle weniger spielt als vielmehr lebt. Scream-Queen war gestern, Martyr-Queen ist heute. Zombie fickt dabei nicht nur den Zuschauer, sondern gleichfalls die Regeln der Horror-Fortsetzung. Was Laurie in Zombies ersten Teil erlebt hat, weicht nicht etwa einer Idylle, die dann im zweiten Teil wiederum zerstört werden kann. Nein, die Figuren sind von Anfang an - auch ohne Myers erneutes Auftauchen - psychisch und körperlich gezeichnet. Das schöne Teenie-Gesicht schon vor dem Slash, dem Höhepunkt des Slashers, durch Narben: entstellt & kaputt. Selten jedenfalls gelang es einem Film, sich so sehr meines körperlichen Zustandes zu bemächtigen und mich zu vergewaltigen. Danke, Rob Zombie - ich verehre Sie nun!

Was mögliche Kritikpunkte angeht, bin ich nicht imstande, mich zu äußern. Ich kenne von der alten Reihe nur den heiß geliebten Einser von Carpenter selbst und habe hier und da TV-seitig in einige Fortsetzungen reingeschaut. Ob Zombie der Figur Michael Myers (Wie wäre die überhaupt zu beschreiben?) treu geblieben ist, weiß ich nicht so genau. Was sich jedoch sofort bemerkbar macht, ist, das HALLOWEEN II unerschütterlich seinen inhaltlichen und visuellen Prämissen folgt - mir jedenfalls verlangt das Respekt ab. Besonders angenehm dabei anzuschauen ist, wie Zombie sich von seiner ästhetisch zirkushaften und musikalisch verspielten Seite hinfortbewegt zu trüben, minimalistischen und damit eher unironischen, bitteren Tönen - einen emotionalen Ausweg gibt es nicht mehr! Weder für mich, noch die Figuren...




Zitat

Selten jedenfalls gelang es einem Film, sich so sehr meines körperlichen Zustandes zu bemächtigen und mich zu vergewaltigen. Danke, Rob Zombie - ich verehre Sie nun!

Hört sich mehr nach Stockholm-Syndrom als nach Verehrung an.
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Warum? Weil ich Film ab und zu auch gerne als körperliche Erfahrung betrachte?
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Dickes :cheers: Lass den Critic ruhig unken.
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Erinnert mich an die South Park-Episode, in der alle Welt beim Lesen eines Buches kotzen musste, weil es so ekelig ist, aber trotzdem beharrlich weiter liest ... und weiter kotzt, bis sie alle fast schon in der eigenen Kotze schwimmen können.

:)
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Kotze scheint in deinem Leben eine beträchtliche Rolle zu spielen :)
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@Kotze: Ich finde das Horror-Genre ist ein perfektes Beispiel dafür, dass man seine Gefühle während und nach des Films eben nicht mit dem Film verwechseln oder in diesen projezieren sollte. (Ich kenne die SOUTH PARK Folge zwar nicht, aber das wird sie gewiss auch thematisieren.) Solche Verstehensweise von Film sollte man ruhig auch auf andere Genres und auf andere Gefühle (als Ekel, Angst und Schrecken) übertragen. Vielleicht auch auf Langeweile, Unverständnis und Wut. Das sind ja die Haupt-KO-Punkte gegenüber Filmen. Im Horror-Genre hingegen will man unangenehme Gefühle...
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Nun, es kommt wohl primär darauf an, was man als 'unangenehm' interpretiert oder wahrnimmt. Sich Horrorfilme anzuschauen, kann rein psychologisch betrachtet bekanntlich auch durchaus angenehme Seiten aufweisen: Affektabfuhr beispielsweise, Aggressionssublimierung, eine Art legitimierten Sadismus' und damit gekoppelt das wohlige Bewusstsein, sich im Gegensatz zum Leinwandopfer in einer weithin ungefährlichen Situation zu wähnen...
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Funxton sagte am 31. March 2010, 12:09:

Kotze scheint in deinem Leben eine beträchtliche Rolle zu spielen :)

Weil bekays Eintrag mich an eine South Park Folge erinnert, in der Kunst trotz ihrer Übelkeit verursachenden Wirkung munter weiter konsumiert wurde? Weil ich als Avatar das Bild eines kotzendes Mannes verwende? Sehr dürftig. Nun weiß ich nicht, ob Du mich nur aufziehen willst, oder ob Du wirklich annimmst, Kotze spiele eine große Rolle in meinem Leben. Letzteres würde kein gutes Licht auf Dich werfen. Aber weil ich an das Gute im Menschen glaube, denke ich, Du meintest Ersteres.


Bekay,

nein, in der South Park Folge geht es eigentlich um was anders. Aber prinzipiell stimme ich Dir zu, dass ein Film für den Zuschauer unangenehm sein darf, und wenn er das ist, trotzdem ein guter Film sein kann. Wobei alles irgendwo seine Grenzen hat.
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Funxton sagte am 31. März 2010, 13:51:

Nun, es kommt wohl primär darauf an, was man als 'unangenehm' interpretiert oder wahrnimmt. Sich Horrorfilme anzuschauen, kann rein psychologisch betrachtet bekanntlich auch durchaus angenehme Seiten aufweisen: Affektabfuhr beispielsweise, Aggressionssublimierung, eine Art legitimierten Sadismus' und damit gekoppelt das wohlige Bewusstsein, sich im Gegensatz zum Leinwandopfer in einer weithin ungefährlichen Situation zu wähnen...
Das spielt sich aber doch alles unbewusst ab und sind kaum nachvollziehbare/spürbare Vorgänge. Niemand geht in einen Horror-Film mit dem bewussten Ziel, seinen Agressionstrieb mal wieder abzuschleifen. Oder? (Ich jedenfalls nicht.) Es geht um die unmittelbare Gefühlslage und die ist ja meist doch eher als "bedroht" zu beschreiben. Ich wollte ja auch nur sagen: im Horror-Genre ist es in Ordnung, mit Gefühlen, die gemeinhin als negativ angesehen werden, konfrontiert zu werden, bei anderen Genres wird es den Filmen oft angelastet. Ich wünschte mir ein bisschen mehr, dass Film nicht nur unter dem Joch des Unterhaltungszwecks (=positive Gefühle hervorufen) betrachtet wird. Das ist mir eben gestern besonders beim Unterdrücken des Brechreizes während HALLOWEEN II aufgefallen :D
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bekay sagte:

Funxton sagte am 31. März 2010, 13:51:

Nun, es kommt wohl primär darauf an, was man als 'unangenehm' interpretiert oder wahrnimmt. Sich Horrorfilme anzuschauen, kann rein psychologisch betrachtet bekanntlich auch durchaus angenehme Seiten aufweisen: Affektabfuhr beispielsweise, Aggressionssublimierung, eine Art legitimierten Sadismus' und damit gekoppelt das wohlige Bewusstsein, sich im Gegensatz zum Leinwandopfer in einer weithin ungefährlichen Situation zu wähnen...
Das spielt sich aber doch alles unbewusst ab und sind kaum nachvollziehbare/spürbare Vorgänge. Niemand geht in einen Horror-Film mit dem bewussten Ziel, seinen Agressionstrieb mal wieder abzuschleifen. Oder? (Ich jedenfalls nicht.) Es geht um die unmittelbare Gefühlslage und die ist ja meist doch eher als "bedroht" zu beschreiben. Ich wollte ja auch nur sagen: im Horror-Genre ist es in Ordnung, mit Gefühlen, die gemeinhin als negativ angesehen werden, konfrontiert zu werden, bei anderen Genres wird es den Filmen oft angelastet. Ich wünschte mir ein bisschen mehr, dass Film nicht nur unter dem Joch des Unterhaltungszwecks (=positive Gefühle hervorufen) betrachtet wird. Das ist mir eben gestern besonders beim Unterdrücken des Brechreizes während HALLOWEEN II aufgefallen :D

Gewissermaßen hast du schon recht, den meisten Menschen dürfte auf psychologischer Ebene nicht klar sein, warum sie sich eigentlich der "Belastung" eines Horrorfilms aussetzen - sieht man vielleicht von dem etwas überstrapazierten Katharsismodell ab. Andererseits glaube ich keineswegs an deine These der negativen Gefühlswallungen. Das Horrorfandom wird natürlich - im Gegensatz zu anderen Menschen, die grund- und vorsätzlich darauf verzichten - eine spezielle Lust bei der Beschau seiner Leibobjekte empfinden. Natürlich geht es stets auch darum, die eigenen Belastungsgrenzen austesten und abstecken zu können. Warum sollte das Genrekino sonst auch eine so immense Anhängerschaft genießen? Weil all diese Leute emotionale Masochisten sind und gern negative Empfindungen ausleben? Das scheint mir doch etwas weit hergeholt. Ich habe übrigens noch nie einen Film gesehen, der bei mir auch nur entfernt Brechreize ausgelöst hat und halte das daher nach wie vor für einen Mythos :D
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Ich seit gestern nicht mehr. Obwohl, das stimmt nicht: Bei CLOVERFIELD musst ich im Kino auch öfter mal die Augen schließen, um nicht in den Genuss meines eigenen Magensafts zu kommen...
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bekay sagte am 31. März 2010, 15:24:

Bei CLOVERFIELD musst ich im Kino auch öfter mal die Augen schließen, um nicht in den Genuss meines eigenen Magensafts zu kommen...

Gut, da kann ich nicht mitreden - kann sein und ist sogar wahrscheinlich, dass es mir ähnlich ergangen wäre.
Ich meinte das natürlich eher bezogen auf die Zurschaustellung ästhetischer Unangepasstheiten.
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bekay, was hat die somatische Qualität eines Filmes mit dem Stockholm-Syndrom zu tun?

Funxton, was ist an dem Hinterfragen des psychologischen Mechanismus' jetzt genau negativ?
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The Critic sagte am 31. März 2010, 20:33:

bekay, was hat die somatische Qualität eines Filmes mit dem Stockholm-Syndrom zu tun?
Ähm, die Frage müsste ich dir stellen, schließlich hast du das Syndrom mit meiner Verehrung von Zombies somatischer Kunst in Verbindung gebracht... :kork:
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The Critic sagte am 31. März 2010, 20:33:

Funxton, was ist an dem Hinterfragen des psychologischen Mechanismus' jetzt genau negativ?

Nichts - wo hätte ich dergleichen behauptet? :unsure:
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Funxton, das Wort unken ist imho in keiner seiner Bedeutungen positiv besetzt.

bekay: Also eine Vergewaltigung mit der Verehrung des Vergewaltigers zu beantworten, würde ich nicht unbedingt als normale Reaktion bezeichnen. Die somatische Qualität des Filmes hast Du erst später ins Spiel gebracht.
Bin mir zum Beispiel immer noch nicht sicher, ob ich Noes Irreversible wirklich großartig finde oder nicht ebenso als Bewältigungsstrategie mir den Film zurechtrationalisiert habe. Nur deshalb bin ich gleich auf diesen offensichtlichen Widerspruch angesprungen.
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The Critic sagte am 01. April 2010, 02:47:

Funxton, das Wort unken ist imho in keiner seiner Bedeutungen positiv besetzt.

Jetzt habe ich erst verstanden, was du meintest. Na ja, wenn du witzeln darfst ("Stockholm-Syndrom") musst du mir selbiges ("unken"), wenn meinethalben auch auf etwas plumperer Ebene, aber auch gestatten.
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