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bekays Filmtagebuch




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Dralles KZ-Püppchen sucht historische Einmaligkeit



DIE MÖRDER SIND UNTER UNS ist - darüber sollte die Überschrift nicht hinwegtäuschen - ein historisch einmaliger, wichtiger Spielfilm. Er ist nicht nur der erste deutsche Nachkriegsfilm nach 1945, er ist auch die allererste DEFA-Produktion. Die Dreharbeiten begannen 1946 sogar fast zwei Wochen vor der offiziellen Gründung der Deutsche Film Aktiengesellschaft, zu dieser Zeit noch ein Projekt unter der Führung der sowjetischen Militäradministration. Drei Jahre später, mit der Gründung der DDR, wird die DEFA ein volkseigener Betrieb und einzige Filmproduktionsfirma im sozialistischen Teil Deutschlands.


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1945: Künsterlin Susanne Wallner (Hildegard Knef) kehrt aus dem KZ nach Berlin zurück. Aber eigentlich sieht sie wie frisch aus der Modelagentur aus. Von einem Trauma keine Spur. Ganz im Gegensatz zu dem Mann, der sich in ihrer ehemaligen Wohnung breit gemacht hat: Dr. Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert) stakst entgeistert und alkoholisiert durch die surreale Trümmerwelt Berlins. Ehemals Chirurg und Soldat im Krieg, hat sich ihm etwas so in die Seele gebrannt, dass er sich nicht mehr in der Lage sieht, seiner Berufung als Mediziner nachzukommen. Die Zwangs-WG wird, trotz Tuscheleien der Nachbarn, aufrechterhalten und entwickelt sich schließlich zu einer ernsten Beziehung. Als Mertens auf einen totgeglaubten Vorgesetzten aus dem Krieg trifft, wird seine Traumatisierung forciert. Dieser Ferdinand Brückner (Arno Paulsen) ist nun erfolgreicher Unternehmer und führt mit seiner Familie ein üppiges Leben in der zerstörten Stadt. Mertens beschließt, ihn am Weihnachtsabend zu erschießen, nachdem er in sein Tagebuch notiert: "Die Mörder sind unter uns!" ...


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Dieser Film eröffnet also den kurzen Reigen der Trümmerfilme: Die Ruinen bilden den Schauplatz für seine Handlung. Jegliche Außenaufnahme, welche in den wirklichen Trümmern Berlins entstanden, raubt einem schlichtweg den Atem. Das Ausmaß der Zerstörung hier quasidokumentatrisch, wenn auch nur als Setting für eine fiktive Geschichte, präsentiert zu bekommen, ist ein "Geschenk" der Filmgeschichte; ein fragwürdiges natürlich, aber nichtsdestotrotz ein ebensolches. An diesen Bildern fällt auch sofort auf, dass sie meistens leicht geneigt gefilmt wurden. Überhaupt besticht der Film durch eine oft unkonventionelle, schiefe und sehr expressionistische Bildführung. Im Grunde genommen werden hier bereits all die formalen Eigenheiten eines THE THIRD MAN (1949) drei Jahre zuvor durchgespielt - samt der Kontrastierung der Trümmerbilder mit einer fröhlich-flotten Musik. Es ist meist die Figur Mertens, welche durch die Überreste zerstörter Gebäude wandert, seine eigene seelische Zerklüpftetheit symbolisierend. Ernst Wilhelm Borchert spielt ganz klar die Hauptrolle - er hat die Verantwortung, die Zuschauer moralisch zu erziehen: Seine markanten Gesichtszüge mit den eingefallenen Augen und seine manischen Ausbrüche berichten deutlich genug vom Grauen des Krieges. Die Knef hingegen spielt solide das Liebchen mit Rehaugen, welche daheim auf ihren Liebsten wartet. Überhaupt: Die Liebe der Beiden wird in der Mitte des Films plötzlich und ohne vorherige Anzeichen zu einem Fakt gemacht. Das Ganze wirkt dann doch sehr unmotiviert und hat einen starken Hang ins Schnulzenhafte.


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Aber zwischen der melodramatischen Schnulze luken immer wieder starke moralische Botschaften hervor, die der Film - das ist leider sein Problem - viel zu direkt formuliert. Ob es wirklich notwendig gewesen wäre, den Grund für Mertens Trauma - Brückners Kriegsverbrechen: er hat die Erschießung aller Einwohner eines polnischen Dorfes angeordnet - in einem Flashback gegen Ende des Films zu zeigen? Der Mut zur Leerstelle und das Verlassen auf die Signalwirkung der Trümmer und auf das leere Gesicht Mertens wären vielleicht angebrachter gewesen. An solch rohe, sperrige und enigmatische Vertreter des Trümmerfilms, wie es beispielsweise Roberto Rossellinis DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL (1948) ist, wird hier nicht herangereicht. Dafür ist der Film dann doch zu konventionell geraten. Und trotzdem: Seine klare Schilderung der Nachkriegssituation - die unbehelligte Kontinuität der Kriegsverbrecher im Alltag, gar ihr Opportunismus - und seine eindeutige Position - keine Selbstjustiz, sondern Bestrafung durch den Staat - sind schlichtweg beeindruckend und vorbildlich. Sogar der Holocaust wird mit einem kurzen Blick auf eine Zeitungsschlagzeile ("Zwei Millionen Menschen vergast") in den Film eingearbeitet, wenn auch reichlich plakativ dazu ein seelenruhig frühstückender Brückner gezeigt wird. Das Antikriegerische wird jedenfalls von jeder Einstellung geatmet. Apropos Einstellung: Der Film ist handwerklich wirklich spitze gemacht. Besonders seine expressionistischen Schwarz-Weiß-Kontraste führen manchmal zu Bildern ausgewählter Schönheit, welche aber zugleich von der tiefen Einsamkeit und Erschütterung Mertens künden. Oder die gewitzte Idee, Röntgenaufnahmen als Ersatz für die kaputten Fensterscheiben zu verwenden. Nicht nur ist das ein visueller Blickfang, gleichzeitig spiegelt es Mertens gesundendes Verhältnis zu seinem Mediziner-Beruf wider. Der Film lohnt also allemal, auch wenn er hier und da viel zu samtig für sein Sujet ist.


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Sehr schöner Text! :love:
In Sachen Trümmerfilm möchte ich noch jedermann BERLIN EXPRESS von Jacques Tourneur ans Herz legen.
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Da schließe ich mich an! Und werfe gleich noch Zinnemanns "The Search" mit in den Reigen.
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Schöne Tipps! Werde mich mal umschauen, scheinen ja beide in den USA in der Warner Archive Collection erschienen zu sein (Bäh! :( ) ...

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS habe ich übrigens gar nicht als Start einer Trümmerfilm-Retrospektive geschaut, sondern mache eigentliche eine kleine DEFA-Schau. Mal sehen, ob ich durchhalte!
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bekay

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