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Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen

Cjamangos neues Filmtagebuch




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Satans Atem



Antichrist (DVD)

Ein Mann und eine Frau haben Sex. Dabei vernachlässigen sie ihr Kind, das aus dem Fenster fällt. In den darauffolgenden Monaten entwickelt die Frau eine Angstpsychose, die an eine idyllische Waldlandschaft gekoppelt ist, in der sie mit ihrem Kind Urlaub gemacht hatte. Ihr Mann – ein Psychologe – fährt mit ihr dorthin, um dem Kern des Problems auf die Spur zu kommen. Doch je tiefer er vordringt, umso tiefer dringt er auch in sich selbst...

Da habe ich ja doch noch einen richtigen Karfreitagsfilm gesehen! Lars von Triers ANTICHRIST wurde mir angekündigt als eine Art generischer Horrorfilm, was ich überhaupt nicht so sehe. Tatsächlich ist der Film furchterregend, wirkt so, als habe man die unangenehmsten Stellen aller Bergman-Filme zusammengehäkelt. Das übernatürliche Grauen aus DIE STUNDE DES WOLFES ist drinnen, das schreckliche Leiden aus SCHREIE UND FLÜSTERN... Wenn überhaupt, so kann man ANTICHRIST als eine medizinische Sektion des Horrorgenres betrachten, in der alle einzelnen Angstsymbole in Schulmanier mit dem realen Leben in Beziehung gesetzt werden. Der von Willem Dafoe gespielte Ehemann ist völliger Rationalist, der meint, alles erklären zu können und – in der Folge – alles heilen zu können. Es kommt sehr darauf an, aus welchem Blickwinkel man diesen sensiblen und großartigen Film betrachtet. Jeder wird ihn aus seiner privaten Empfindungswelt heraus deuten. Für die einen wird der Dafoe-Mann ein ungemein mutiger und geduldiger Mann sein, der sich mit einer völlig gestörten Frau herumschlägt, die ihm nicht viel Dank zollt. Für die anderen mag seine Hilfsbereitschaft in Wirklichkeit nur als eine Form von Dominanz erscheinen, von selbstgefälliger Behauptungswut. Seine Frau wirft ihm gelegentlich Arroganz vor, moniert seine Distanzierung von der eigenen Familie. Könnte es sein, daß sie damit irgendwo auch recht hat? Ist die Gainsbourg-Frau eine egoistische, leidende Frau, die – ob bewußt oder unbewußt – ihren Lebenspartner mit in den Abgrund zieht, oder ist sie nicht vielmehr dichter an der Natur, an der Natur außen und der Natur innen? Vor beiden Naturen fürchtet sie sich entsetzlich, und ihr Leiden ging mir mehr an die Nieren als die drastischen Schockeffekte, die der Film vor allem in der zweiten Hälfte auffährt. Zu der vielzitierten Schockstrategie, die von Trier verwendet, kann ich nur sagen, daß ich sie an keiner Stelle selbstzweckhaft fand. Mir ist sehr bewußt, daß sensible Naturen, die sich in diesen Film verirren, einiges durchzustehen haben. Der Film handelt aber von Kummer, von Schmerz und von Verzweiflung, davon, wie die Menschen damit umgehen, von den Dingen, die schließlich zurückbleiben. Es geht um Satan, um Sexualität, um Gut und Böse, um die einfachen Lösungen und die Angst vor der Niederlage. Man merkt dem Regisseur an, daß er sich grundsätzlich an psychologischen Deutungsmustern orientiert, aber gleichzeitig mißtraut er ihnen auch. In gewisser Weise beugt sich der Dafoe-Mann schließlich dem irrationalen Wahn der Frau. Teilweise kommt es im Film auch zu vorankündigenden Spiegelungen. Wer von beiden die richtige Route reitet, läßt sich kaum herausfinden. Es geht halt so aus, wie es eben ausgeht. Während gestörte Frauen im traditionellen Horrorkino aber meistens sexistisch konnotiert sind, als „femme castratrice“ die Angstfantasien von Männern bedienen, sieht die Geschichte hier deutlich komplizierter aus, denn mit Kastrationen ist das so eine Sache, sowohl mit buchstäblichen wie mit ideellen... Die gesichtslosen Frauen am Schluß, die den Berg erklimmen, haben mir den Rest gegeben. Großes Kino, enorm beeindruckt. Nur sollte man wissen, daß man sich auf einen immens fordernden und furchterregenden Film einläßt. Und ob er tröstlich ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Wie sagt Meister Reinecke doch so schön? „Chaos regiert.“




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