Secrets Behind Walls (JP-DVD)
Kôji Wakamatsu gehört zu den bemerkenswertesten Regisseuren, die der japanische Underground der Nachkriegsjahre hervorgebracht hat. Anders als „junge Wilde“ wie Nagisa Oshima blieb Wakamatsu auch später weitgehend dem Underground treu, weshalb sein Werk relativ schwer aufzutreiben ist, von einigen der kommerzielleren Filme mal abgesehen. Nachdem er eine ganze Zeit lang Gangster- und Halbstarkenfilme produziert hatte, schaffte er mit seinem 18. Film (nach 3 Jahren!), SECRETS BEHIND WALLS, zwar nicht den Durchbruch, aber immerhin einen handfesten Skandal: Die japanische Regierung war wenig begeistert davon, daß ausgerechnet dieser Film ihr Land bei den Filmfestspielen von Berlin vertreten sollte. Der Botschafter intervenierte, und das Ganze wuchs sich fast zu einem diplomatischen Zwischenfall aus. Wakamatsu verdroß das kaum, zumal er von jetzt ab in gewissen Zirkeln „chic“ war. Nicht unähnlich seinem jüngeren Kollegen Takashi Miike, drosch er Film um Film hervor, manche in einer oder zwei Wochen Drehzeit, und äußerte sich gerne auch amüsiert, wenn man seinen Filmen großen künstlerischen Anspruch unterstellte. Diese ironische Distanz zum eigenen Werk kann man aus SECRETS BEHIND WALLS noch nicht herauslesen. Nach einer kurzen Bildfolge, die die Fassade eines Wohnblocks und die daran angebrachten Hausnummern beleuchtet, werden die Schicksale einiger Familien und Einzelpersonen geschildert, die in ihren Mietwohnungen eingesperrt sind. Die Geschichten handeln vom Alltag, von ehelicher Untreue, von Frustration und von Sex. In der Regel ist der Sex kompliziert, da die ihn Ausübenden entweder zu viele Probleme am Start haben oder sogar vereinsamt sind. Es gibt zwei Freiheitskämpfer, die sich gegen den Vietnamkrieg engagiert haben. Der Mann – vernarbt von einer Wunde aus Hiroshima – redet während des Sexes viel Revolutionäres (vor einem Stalinplakat!), hat aber tatsächlich mit der Friedensbewegung bereits abgeschlossen, da er sich verraten fühlt. Schon bald betreibt er Aktiengeschäfte mit Firmen, die aus dem Krieg Profit schlagen. Seine Geliebte ist die Ehefrau eines Gewerkschaftsbosses, der über dem Arbeitskampf seine Frau vernachlässigt. Ein Sohn, der von seinen Eltern zum Studium gezwungen wird, wird von starken Minderwertigkeitskomplexen gebeutelt, vergewaltigt schließlich seine Schwester und begeht einen Mord. Eine andere Frau hält die Einsamkeit nicht mehr aus und bereitet ihrem Leben selber ein Ende.
Man merkt Wakamatsu an, daß er ein sehr großes Interesse an der Abbildung von Sex hat, was zu diesem frühen Zeitpunkt (1965) aber noch nicht möglich war. Nacktheit wird nur äußerst dezent eingesetzt. Stattdessen werden die Körper – an denen die Kamera fast zwanghaft klebt – in ihre Bestandteile aufgelöst, auf Fetischzonen reduziert, damit ja nicht zuviel zu sehen ist. (Dies allein sagt schon viel aus über das damalige Verhältnis der Gesellschaft zum Sex!) Sex erscheint als natürlich, was aber den Figuren des Filmes fremd zu sein scheint. Stattdessen gewinnt die Sexualität durch ihre Unterdrückung revolutionäres Potential, was Wakamatsu fortwährend durch Einblendungen von Kriegsnachrichten, Sport etc. unterstreicht. Die Botschaft des Filmes ist überdeutlich: Unterdrückter, abgebogener Sex ist verantwortlich für die Greueltaten, zu denen die Menschen fähig sind. Am deutlichsten wird das an dem inzestuösen Bruder, der vor Selbstzweifeln förmlich brummt, diese dann auf weibliche Lustobjekte projiziert – er schiebt ihnen seine Selbstanklagen förmlich unter – und zur Gewalt greift. Um Sexualität geht es dabei – wie bei Vergewaltigungen üblich – nicht mehr, sondern um die Gewalt des Frustrierten, der sich rächen will. Der sehr präzise fotografierte Schwarzweißfilm erreicht trotz seiner formalen Kargheit eine große Spannung, die sich auch aus den begrenzten Schauplätzen ergibt. Wie es eine Figur des Filmes ausdrückt: Alle Menschen leben eingepfercht in Schachteln, aus denen sie ausbrechen wollen, und das ist überall so in Japan. Wohin soll man also abhauen?
Dem Zusammenhang zwischen Sexualität, gesellschaftlicher Repression und Gewalt ging Wakamatsu in etwa 100 Filmen nach. SECRETS BEHIND WALLS steht am Anfang dieser Entwicklung. Ich habe die angenehme Aufgabe, dem in den nächsten Monaten mal nachzuspüren...
Kôji Wakamatsu gehört zu den bemerkenswertesten Regisseuren, die der japanische Underground der Nachkriegsjahre hervorgebracht hat. Anders als „junge Wilde“ wie Nagisa Oshima blieb Wakamatsu auch später weitgehend dem Underground treu, weshalb sein Werk relativ schwer aufzutreiben ist, von einigen der kommerzielleren Filme mal abgesehen. Nachdem er eine ganze Zeit lang Gangster- und Halbstarkenfilme produziert hatte, schaffte er mit seinem 18. Film (nach 3 Jahren!), SECRETS BEHIND WALLS, zwar nicht den Durchbruch, aber immerhin einen handfesten Skandal: Die japanische Regierung war wenig begeistert davon, daß ausgerechnet dieser Film ihr Land bei den Filmfestspielen von Berlin vertreten sollte. Der Botschafter intervenierte, und das Ganze wuchs sich fast zu einem diplomatischen Zwischenfall aus. Wakamatsu verdroß das kaum, zumal er von jetzt ab in gewissen Zirkeln „chic“ war. Nicht unähnlich seinem jüngeren Kollegen Takashi Miike, drosch er Film um Film hervor, manche in einer oder zwei Wochen Drehzeit, und äußerte sich gerne auch amüsiert, wenn man seinen Filmen großen künstlerischen Anspruch unterstellte. Diese ironische Distanz zum eigenen Werk kann man aus SECRETS BEHIND WALLS noch nicht herauslesen. Nach einer kurzen Bildfolge, die die Fassade eines Wohnblocks und die daran angebrachten Hausnummern beleuchtet, werden die Schicksale einiger Familien und Einzelpersonen geschildert, die in ihren Mietwohnungen eingesperrt sind. Die Geschichten handeln vom Alltag, von ehelicher Untreue, von Frustration und von Sex. In der Regel ist der Sex kompliziert, da die ihn Ausübenden entweder zu viele Probleme am Start haben oder sogar vereinsamt sind. Es gibt zwei Freiheitskämpfer, die sich gegen den Vietnamkrieg engagiert haben. Der Mann – vernarbt von einer Wunde aus Hiroshima – redet während des Sexes viel Revolutionäres (vor einem Stalinplakat!), hat aber tatsächlich mit der Friedensbewegung bereits abgeschlossen, da er sich verraten fühlt. Schon bald betreibt er Aktiengeschäfte mit Firmen, die aus dem Krieg Profit schlagen. Seine Geliebte ist die Ehefrau eines Gewerkschaftsbosses, der über dem Arbeitskampf seine Frau vernachlässigt. Ein Sohn, der von seinen Eltern zum Studium gezwungen wird, wird von starken Minderwertigkeitskomplexen gebeutelt, vergewaltigt schließlich seine Schwester und begeht einen Mord. Eine andere Frau hält die Einsamkeit nicht mehr aus und bereitet ihrem Leben selber ein Ende.
Man merkt Wakamatsu an, daß er ein sehr großes Interesse an der Abbildung von Sex hat, was zu diesem frühen Zeitpunkt (1965) aber noch nicht möglich war. Nacktheit wird nur äußerst dezent eingesetzt. Stattdessen werden die Körper – an denen die Kamera fast zwanghaft klebt – in ihre Bestandteile aufgelöst, auf Fetischzonen reduziert, damit ja nicht zuviel zu sehen ist. (Dies allein sagt schon viel aus über das damalige Verhältnis der Gesellschaft zum Sex!) Sex erscheint als natürlich, was aber den Figuren des Filmes fremd zu sein scheint. Stattdessen gewinnt die Sexualität durch ihre Unterdrückung revolutionäres Potential, was Wakamatsu fortwährend durch Einblendungen von Kriegsnachrichten, Sport etc. unterstreicht. Die Botschaft des Filmes ist überdeutlich: Unterdrückter, abgebogener Sex ist verantwortlich für die Greueltaten, zu denen die Menschen fähig sind. Am deutlichsten wird das an dem inzestuösen Bruder, der vor Selbstzweifeln förmlich brummt, diese dann auf weibliche Lustobjekte projiziert – er schiebt ihnen seine Selbstanklagen förmlich unter – und zur Gewalt greift. Um Sexualität geht es dabei – wie bei Vergewaltigungen üblich – nicht mehr, sondern um die Gewalt des Frustrierten, der sich rächen will. Der sehr präzise fotografierte Schwarzweißfilm erreicht trotz seiner formalen Kargheit eine große Spannung, die sich auch aus den begrenzten Schauplätzen ergibt. Wie es eine Figur des Filmes ausdrückt: Alle Menschen leben eingepfercht in Schachteln, aus denen sie ausbrechen wollen, und das ist überall so in Japan. Wohin soll man also abhauen?
Dem Zusammenhang zwischen Sexualität, gesellschaftlicher Repression und Gewalt ging Wakamatsu in etwa 100 Filmen nach. SECRETS BEHIND WALLS steht am Anfang dieser Entwicklung. Ich habe die angenehme Aufgabe, dem in den nächsten Monaten mal nachzuspüren...
Zitat
Ausgezeichnet. Ich hoffe inbrünstig auf einen Eintrag zu SERIAL RAPIST (1978).