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Untergetaucht im Spinnwebwald


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All die irren Anderen - warum läuft Bill Amok?


Rampage (Uwe Boll, Kanada/D 2009)

Offenkundig ist die Welt im Verfall und der junge Automechaniker Bill hat so ziemlich die Schnauze voll - auch von dem hohlen Gelaber seines Freundes Evan, seines Zeichens Verschwörungstheoretiker im Hauptberuf. Bill also bastelt sich eine Kevlarpanzerrüstung und rockt das Provinznest. Stilsicher beginnt er mit der Polizeistation, danach kommen die Kollateralschäden und die eitlen Friseusen dran.

Die immer wieder eingespielten Nachrichtensequenzen nerven auf Dauer ganz schön, sei es im Fernsehen oder im Autoradio - wir haben es ja verstanden. Dass aus dem ziemlich umsichtigen Bill dabei ein Amokmann wird, wirkt nicht wirklich glaubhaft. Denn dafür ist alles zu überlegt inszeniert und durchoranisiert. Der Amoklauf wirkt also eher wie ein zynisch-ironischer Kommentar auf die Hysterie der modernen Mediengesellschaft, womit sich der Film unfreiwillig ein anderes Thema zum Fundament macht als die Prämisse, derer er zunächst nachging. Inszeniert ist das alles mit Handkamera, schnell geschnittene Jumpcuts die keine Zeit verlieren und Heavy-Metalsoundcollagen im Background über ambienten Subfrequenzwabereinlagen. Das ist spannend, pseudo-authentisch und anstrengend. Aber dann in den Ego-Shooter-Passagen auch recht redundant, da man nicht so recht weiß, worauf der Amokläufer hinauswill. Am Ende überrascht der Film mit einem netten Twist und einem angeklebten, aufgezwungenen Finale, das in Ergänzung zum Film doch einiges über "unsere Gesellschaft" verrät, über diese ganze verlogene Scheiße in der wir leben :)) .

Amoklauf Hühnchenimbiss


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Proper Replica, Man!


Four Lions (Christopher Morris, Großbritannien 2010)

Eine Komödie über islamistische Attentäter in England, die sich als absolute Dilettanten herausstellen, hätte arg in die Hose gehen können. Doch überzeugt der Film nicht nur durch eine gesunde Mischung origineller Szenen mit saublöden, albernen Schenkelklopfern (die dadurch etwas kindlich Naives bekommen), sondern auch durch fein eingeschleuste Gesellschaftskritik. Natürlich kommentiert der Film die in England vorherrschende Terrorismushysterie und entlarvt diese als mediales und politisches Konstrukt. Außerdem punktet er noch mit schönen Aufnahmen aus Sheffield.

Die Familienszenen des Protagonisten gehören, obwohl sie im Film am wenigsten "lustig" sind, zu den beißendsten visualisierten Verballhornungen paranoider (Fremden-)Ängste der Ungläubigen, die mir bekannt sind. Ich denke, der Film ist Pflicht.

Kuffar Terrorismusblödelei


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In einer kleinen Stadt...


The Accused (William Dieterle, USA 1949)

Loretta Young spielt eine etwas biedere Psychologieprofessorin, die von einem erotisierten Studenten bedrängt wird und schließlich in einem Akt der Notwehr den Date-Raper die Klippe hinab stürzt. Den ganzen Rest des Filmes verbringt sie damit, ihre Tat zu verschleiern. Denn ein hartnäckiger Polizist glaubt nicht an Selbstmord oder einen verunglückten Klippensprung.
Der Film ist schön anzusehen, man bekommt hier routiniertes Hollywood-Qualitätskino geboten, das von guten Schauspielern getragen wird, die eindimensionale Figuren darstellen. Eine Romanze darf natürlich nicht fehlen. Leider ist der Film nie so richtig spannend, da ein tatsächlich zwingendes Moment zur großen Tragödie fehlt: Miss Wilma Tuttle ( :)) ) ist ja schließlich unschuldig, ihr wird schon nichts passieren. Die Qualität des Films liegt aber mit Sicherheit darin, das Thema der Vergewaltigung so offen zu thematisieren, und eine mutige Frau darzustellen, die sich zu wehren weiß und nicht zum Opfer degradiert wird. Klar, am Ende muss wieder der starke Arm des Mannes der Bedrängten aus der Bredouille helfen. Damit muss man wohl leben.

Notwehr Klippenspringer


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Stummfilmfestival Pt. 3


L'angoissante Aventure (Jakov Protazanov, Frankreich 1920)

[35mm, s/w, 1744 Meter, 83 min bei 18 B/s, Französische ZwT mit dt Übersetzung, Musik: Stephen Horne]

Ein russischer Dandy verliebt sich in eine Varietée-Tänzerin, heiratet diese gegen den Willen seines Vaters und muss fortan auf eigenen Beinen stehen. Dies gelingt überraschenderweise: eine kleine Filmrolle weckt das Interesse eines Produzenten und dieser baut ihn zum Star auf. Seiner Frau gefällt dies überhaupt nicht; sie wird spiel- und trunksüchtig.

Nach den leichten Tönen der Gesellschaftskomödie wechselt der Film seine Kolloratur und wird ein wirklich bissiges, später erschütterndes Drama, das seine Darsteller in der Gosse enden läßt. Der am Ende eingefügte, schließende Rahmen verschafft dem an solch harte Kost nicht gewohnten Publikum ein Aufatmen, doch hat man genug gesehen, um zu erahnen, um was es dem Regisseur wohl ging. Der stilistisch disparate Film kann trotz seiner Unhomogenität überzeugen, auch wenn ihm die herumschlingernde, manchmal ziellos scheinende Handlung schadet. Interessant aber ist die Entstehungsgeschichte dieses von Exilrussen hauptsächlich in Paris gedrehten Gesellschaftsstücks, die aus ihrer Ortlosigkeit einen Film zu machen wußten.

Stummfilm


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Stummfilmfestival Pt. 2


Modern Horror 100.000.000 Yen (Torajiro Saito, Japan 1929)

[35mm, s/w, 275 Meter, 15 min bei 16 Bilder/s, japanische Zwischentitel mit deutscher Übersetzung, Musik: Stephen Horne (Piano, Flöte, Akkordeon)]

Ein junges Pärchen ist vor dem bösen Schwiegervater auf das Land geflüchtet und trifft dort auf eine Ansammlung Goldgräber, die einen Schatz suchen, dessen Existenz auf einer überlieferten Geiserlegende eines Samuraischicksals beruht. In einem verfallenen Tempel kommt es dann tatsächlich zum Kontakt mit den yurei...

Völlig irre und bekloppte, um keinen dummen Scherz verlegene Komödie, die in den Geisterpassagen mit tollen Überblendungen arbeitet und in ihrer Ausgestaltung der Geisterwelt tatsächlich Potential zum Gruseln hat. Am Ende bringt das Gold alles ins rechte Lot, ein wenig Kritik wird also auch geäußert. Sehr nett, ein recht grotesker Spaß.
Der lange verschollene Film wurde in einem Privatarchiv aufgetrieben (9,5mm-Kopie), ist unvollständig und teilweise schwer beschädigt. Die tokyoter Film Preservation Society ist für die aufwändige Umkopierung aufgekommen und scheut angeblich keine Mühen, die fehlenden 20 Minuten aufzutreiben.

Stummfilm


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Stummfilmfestival Pt. 1


Der Geisterzug (Géza von Bolváry, Deutschland/Großbritannien 1927)*

[35mm, s/w, 1675 Meter, 67 min (22 fps), mit deutschen Zwischentiteln, Musik: Joachim Bärenz (piano)]

Durch ein unglückliches Mißgeschick muß eine zusammengewürfelte Gesellschaft eine Nacht in einem kalten und unheimlichen Bahnhof auf dem Lande verbringen. Dort erzählt man sich die Schauergeschichte des Geisterzugs, was natürlich nichts für die empfindsameren Seelen ist...

Dieser äußerst unterhaltsame Film speist sich aus der Kriminalkomödie und der Spukgeschichte. Denn weit aufgerissens Augen sind hier öfter zu bestaunen: entweder die der Furcht, oder die der stummfilmtypischen, (über-)deutlichen Mimik. Das Besondere des Films liegt aber im Formalen, denn mir ist kein Stummfilm bekannt, der so expressiv mit seinen Zwischentiteln arbeiten würde, wie dieser. Diese sind in besonders kreativer Weise quer, schräg, hoch, gebrochen angeordnet wie in einem postmodernen Gedicht; von verschiedener Schrifttype und sogar losgelöst aus der Einsamkeit der Zwischentafel. Einmal fliegen die Worte als Verbildlichung der Assoziationen einer Figur durch das Filmbild auf den Schauspieler zu, wie in einem Sog oder Strudel in seinen Kopf hinein. Ganz phantastisch.
Am Ende wird natürlich alles Übernatürliche getilgt durch den Kriminalplot, was zu erwarten war. Joachim Bärenz hat mit seiner Interpretation einen Glanzpunkt der Vertonung gesetzt, welche mich zwischendurch völlig in ihren Bann gezogen hatte. Einfühlsam interpretierend und dennoch abstrakt war das mit das Beste, was ich bisher gehört habe. Es wäre zu wünschen, wenn die bei der edition filmmuseum erscheinende DVD mit dieser Musik bespielt werden würde.

--

*A Tramp gewidmet.

Stummfilm Geisterzug


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The Fifth Cord


Ein schwarzer Tag für den Widder / Giornata nera per l'Ariete (Luigi Bazzoni, Italien 1971)

Ein versoffener Zeitungsreporter wird in eine undurchsichtige Mordserie hineingezogen. Da er immer recht fix am Tatort ist und die Opfer merkwürdigerweise aus seinem Bekanntenkreis stammen, gerät er selbst als möglicher Täter ins Visier der Polizei.

GIORNATA ist ein Giallo, der weniger durch seine kryptische Handlung, denn durch seine tollen Bilder begeistert. Was hier an fantastischen Aufnahmen aufgefahren wird - zu der oft verstörenden Musik Ennio Morricones - sind interessante Perspektiven, raumgreifende Stadtarchitektur, Winkel, das Bild horizontal zerschneidende Linien, und fantastisch gestaltete Innenräume. Die auch urplötzlich in große Tristesse umschlagen können, etwa wenn ein bedrohtes Kind vor dem Mörder durch einen engen Flur davonhetzt. Hier läuft es einem eiskalt den Rücken hinab. Wie übrigens öfter im Film, der sich durchaus auch dem Brachland entlang des Flusses annimmt. Da kann man beinah schon depressiv werden.

Lederhandschuh Franco Nero Giallo


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auf der Plattform, außerhalb der Zeit...


Das geheime Leben der Worte (Isabel Coixet, Spanien 2005)

Die äußerst zurückgezogen lebende Hanna malocht seit Jahren in einer Fabrik. Sie hat ihr Leben völlig nüchtern durchstrukturiert und funktioniert wie ein Uhrwerk. Erst als ihr Boss sie dazu zwingt, nimmt sie ein paar Wochen Urlaub. Da bekommt sie das Angebot auf einer Bohrinsel ein Unfallopfer zu pflegen. In den Gesprächen mit dem aufgrund seiner Verletzungen blinden Mannes beginnt die beinah gehörlose Frau nach und nach, ihre eigene Geschichte zu erzählen. So begginen sie sich einander anzunähern...

Nach MEIN LEBEN OHNE MICH legt das Team Coixet/Polley einen weiteren Film allererster Güte vor. Es ist schon erstaunlich, wie hier erneut eine zarte Geschichte völlig glaubhaft auf einen Alptraum prallt, und der Film dennoch in seiner Tonlage bleibt und nicht in eine der Fallen, z.B. die der Sentimentalität oder der stumpfen Psychologie tappt. Optisch ist auch dieser Film hübsch geraten, wenngleich mich nicht jede Einstellung überzeugt hat. Im Vorgänger war narrativ auch etwas mehr Zug drin, eine bessere Spannungserhaltung. Das Wechselspiel zwischen Polley und Robbins ist allerdings ausgezeichnet. Auch wenn ich die Polley für den Darsteller mit dem größeren Potential halte.

Sarah Polley Bohrinsel


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Film "von Scheiß Leben"*


Mein Leben ohne mich (Isabel Coixet, Spanien/Kanada 2003)

Eine junge Mutter zweier kleiner Mädchen bekommt die Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung und entscheidet sich dazu, in den letzten zwei bis drei Wochen die Sachen noch zu tun, zu denen sie nie gekommen war, immer die Zeit gefehlt hat, die sie glaubt, noch tun zu müssen. Ihren Mann und ihre Angehörigen weiht sie nicht ein, sondern nimmt jedem einzelnen Abschiedstapes auf, die der behandelnde Arzt derjenigen Person zum entsprechenden Zeitpunkt übergeben soll.

Der Film hätte sehr viel Potential gehabt, zum absoluten Kitschfest zu werden. Und vermutlich ist es nicht nur der Schauspielkunst Sarah Polleys zu verdanken (sondern allen Beteiligten), daß dem nicht so geworden ist. Aber sie ist der Dreh und Angelpunkt dieses Dramas, das Gesicht dieses Films. Und dabei ist hier kein heiliger Ernst zu spüren, kein steifer Respekt vor dem großen Thema; vielmehr erlaubt sich der Film neben aller Furchtbarkeit und Angst Momente der Begeisterung, des Schönen, des Friedlichen, der Lebensfreude. Umso berührender wird dieser Abschied bei dem man sich seiner Tränen nicht zu schämen braucht. Die Welt braucht mehr solcher Filme!

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*moodswing gewidmet.

Sarah Polley Kanada


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Manila on the Edge of Realism


Astig / Mga batang kalye / Squalor (G. B. Sampedro, Philippinen 2009)

In vier erschütternden Kurzgeschichten portraitiert Sampedro die dunkle Seite Manilas: das der Kleingauner, Prostituierten, der Mißbrauchten. Die Charaktere dieses Films sind Tagediebe und Heckenpenner, Verzweifelte und verzweifelt Liebende. Auf DV gedreht, sieht das sehr erdig, körnig, chaotisch aus. Und zugleich wunderbar magisch, satt und unheimlich zugleich in diesem architektonischen Supergau. Besonders schön ist, dass das Drehbuch auch trotz der knappen Zeiteinheiten, die den einzelnen Kapiteln zukommen, genug Raum läßt, um in Nebensächlichkeiten abzudriften und Parallelhandlungen einzubauen, sich auf Abwege zu begeben. Für diese schöne Regie gab es dann auch den Preis des Best Director beim Cinemalaya Philippine Independent Film Festival. Einzig der Score kann nicht gänzlich überzeugen und wirkt (zum Glück nur in der ersten Episode) mit seiner Nähe zum Hiphop für meine Ohren etwas unpassend.

Manila Strichjunge Pornokino Dokumentenfälscher