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Untergetaucht im Spinnwebwald


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Räuber Hotzenplotz und die Katzenfuttermaschine


The Corpse Grinders (Ted V. Mikels, USA 1971)

Dass in meinem Geburtsjahr schöne Filme entstanden sind, wußte ich. Dass dabei aber auch solch seelenberuhigende, entspannend mantrische Wundertüten geschaffen wurden, war mir bislang nur aus anderen Filmtagebüchern bekannt:

Ein böser Lump, der aussieht wie Räuber Hotzenplotz in echt, gräbt nächtens Leichen aus, was kein Problem ist, da der Friedhof direkt hinter seinem Haus liegt. Diese Leichen verkauft er dann an ein kapitalistisches Schwein, das in seinem Keller einen "Corpse Grinder" (einen Pappkarton mit Lämpchen dran) stehen hat, der aus den Leichen lecker Katzenfutter macht. Das Böse kehrt aber zurück, denn das Katzenfutter macht die kleinen Schoßlieblinge süchtig nach Menschenfleisch, sie werden aggressiv und zu sowas wie Zombiekatzen. Als mehrere Hausfrauen von den Tierchen angefallen werden, kümmert sich ein Kommissar (?) um Aufklärung.

Hossa, wie wunderbar ist diese Trashgranate. Auch wenn das Bild schlecht ist und der Ton kaum verständlich, kann man doch der Handlung ausreichend folgen, denn pseudoverzwickte Schwurbeleien eines INCEPTION wird man hier nicht finden. THE CORPSE GRINDERS bleibt man ganz auf dem Boden der Tatsachen.

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Dieser Film (imdb-Wertung 2.5), den ich im Gedenken an molotto geschaut habe, ist bereits der zweite in einer kleinen Andenken-Reihe. VICE SQUAD war übrigens für Aussi.

Pappkartondosenfleischmaschine Katzenmenschenwurst


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Neonlicht und Nachtratten


Vice Squad (Gary Sherman, USA 1982)

Wenn es Nacht wird auf dem Sunset Strip, dann kommen sie heraus: die Nachtratten. Drogendealer, Nutten, Junkies, Gangmitglieder, Puffgänger und Vergnügungssüchtige. Und auch ein mieses, frauenverachtendes und killendes Schwein namens Ramrod (Wings Hauser) geht seinen Gelüsten nach. Die Männer des Sittendezernats haben alle Hände voll zu tun...
Obwohl der Streifen ziemlich überzeichnet, ist er ein recht ernstzunehmendes Brett. Hier wird nicht auf den schnelle Lacher gesetzt oder locker distanzierbare Exploitation serviert, nein, hier gibt es wirklich auf die Fresse. Das wirkt dann doch alles sehr echt. Ein Abtauchen in ein Hellhole mit durchaus sympathischen Figuren, denen man die Rollen abnimmt. Der spröde Charme der 80er tut sein übriges, um zwischen Faszination und Abgestoßensein den Zuschauer zu irritieren. Ein sehr geradliniger Plot läßt einen dann auch nicht aus dem Griff: hier muß man durch. Durch den Hass, die Gewalt, das Neonlicht, die kaputten Typen am Wegesrand. Man muß durch... durch die Nacht.

Dealer Junkie Ramrod Sunset Strip


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Laß' den Fesselballon steigen, Geliebter!


An Empress and the Warriors (Ching Siu-Tung, China 2008)

Sehr einfältiges Historienepos, das in lächerlichem Kitsch erstickt. Selbst die Kampfszenen sind wirklich scheiße und machen nur auf Bombast. Ein paar Sequenzen im nächtlichen Wald, die an A CHINESE GHOST STORY erinnern, können den Film bei weitem nicht retten. Donnie Yen spielt gewohnt hölzern, Kelly Chen grinst ab und an einfältig wenn sie verschamte Gefühligkeit dazustellen versucht, und beim Auftritt des fiesen Mordkommandos mit Gruselmaske ertönt urplötzlich orientalische Musik. Die Abschlußszene auf der ultradilettantisch computergenerierten Festungsbrüstung gibt einem den Rest: Madame schaut entschlossen in den Sonnenuntegang und hält einen peinlichen Aufbruchsmonolog. Das war ja mal gar nix.

Fesselballon Leon Lai Bombastkitsch


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Your Dream is my Reality


Dream / Bi-mong (Kim Ki-duk, Südkorea 2008)

Das Kino des Kim Ki-duk läßt sich in Konstanten lesen; eine prominente ist das schicksalhafte Verknüpftsein der Protagonisten. Eine Beziehung, die in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen schillert, und zumeist gewaltvoll ausgelebt wird: nicht nur auf so offensichtgliche Weise wie in SEOM, sondern auch als Beziehung der Abhängigkeit wie in BIRDCAGE INN, der Schicksalgemeinschaft in ADDRESS UNKNOWN, der Ausbeutung wie in BAD GUY, der Erkenntnis wie in BOM, YEORM, GAEUL, GYEOWOOL… GEURIGO BOM, der Einsamkeit wie in BIN-JIP, des Egoismus wie in HWAL, oder des Verlassenwerdens wie in TIME.
In DREAM findet sich erneut eine durch Schmerzen ausgelöste Verbindung: bei einem Autounfall lernen sich die Protagonisten kennen: er hat ihn geträumt, sie ihn schlafwandelnd ausgeführt. Eine unheilige Verbindung, die die Protagonisten nicht nur dazu zwingt, ihr ganzes Leben einem möglichen Wahn und Irrsinn unterzuordnen, sondern auch einer, der von Gewalt gesäumt ist. Um nicht mehr einzuschlafen, wird bald zu drastischen Mitteln gegriffen.
Eine weitere Konstante in Kims Werk ist hier durchbrochen: die Sprachlosigkeit. In DREAM befinden sich die Anti-Helden in permanenter Kommunikation - oder zumindest im Versuch der Überwindung der Barrieren: wenn nicht in Worten, so doch mit den Körpern, oder in der geäußerten, ausgesprochenen Sorge um den anderen.
Dass hinter den Oberflächen der Körper die Psyche lauert, ist das zu bändigende Ungewisse. Visualisiert wird diese Grenze in beinah allen Bildern des Films: Blicke durch Scheiben, Figuren hinter Jalousien, schwach ausgeleuchtete Settings und die permanente Nachtsituation. Unter der Oberfläche der Figuren liegt das Geheimnis, das an die Oberfläche will. Erst in der Nüchternheit der ausgeleuchteten Zelle kann es gelüftet und zugleich befriedet werden. Oder auf der kalten Nüchternheit des gefrorenen Packeises. Das drastische Finale erinnert sehr an SEOM, in der der Tod als Erlösung eine Rückkehr in den Schoß der Natur bedeutet. Zumindest für einen der beiden.

Einsamkeit Traum Gewalt Tod Selbstmord


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the swarm thing


Infestation (Kyle Rankin, USA 2009)

Dieser low-budget Tierhorrorfilm ist eine kleine Perle. Ohne sich im puren schulterklopfenden Genrezitat zu verlieren, punktet er mit gut geschriebenen, auch manchmal albernen aber vor allem lustigen Dialogen, mit feinem Humor und einem Score, der auf sehr dezente Weise das Geschehen punktgenau zu unterstützen weiß. Die episodisch angelegte Brachialität und bisweilen Selbstzweckhaftigkeit eines ZOMBIELAND geht ihm ab, und das ist gut so. Hier wird nicht gekreischt - sondern geschmunzelt. Sehr fein.

Käferhorror Ray Wise


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Wenn Wrestler Brille tragen...


Sie leben! / They live! (John Carpenter, USA 1988)

Mit diesem dann leider doch als action-Film bezeichenbaren Werk Carpenters konnte ich nicht so viel anfangen. Seine diesmal blueslastige Musik passt nicht richtig zum Film, bzw. gibt sie allem einen merkwürdig komödiantischen Unterton. Die Schauspieler sind keine Schauspieler, und in der zweiten Hälfte ist dann Prügelei und Shoot-Out angesagt. Beinah wähnt man sich in ASSAULT ON PRECINCT 13, aber zum Glück kann man hier einfach aus der Hintertür verschwinden, wenn man in einer Bank gerade paar Menschen umgenietet hat. Aber halt! Das waren ja Außerirdische! Die sind böse, denn für sie sei die Erde eine Dritte Welt. Das ist natürlich nix für einen Muskelmann: kolonialisieren möchte man sich nicht lassen. Deshalb geht man nun auf Alienjagd und räumt im Viertel auf. Wie weitsichtig. Aber auch gegen alle anderen Widrigkeiten des bösen Kapitalismus lehnt man sich auf - hinter einem Werbeplakat erscheint tatsächlich das Wort CONSUME! Dann dort: WATCH TV, DON'T THINK, NO FEELINGS usw. Ob diese Bösartigkeiten jetzt von den Aliens stammen oder von unserer eigenen mißratenen Gesellschaft* wird erstmal nicht ganz klar, zumal die Fieslinge auch die politischen Eliten unterwandert haben. Hier ist halt alles irgendwie schlecht, und wir ballern uns den Weg zurück ins Paradies. Dieser Film ist schon ein wenig grotesk.

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*Ach ja, ich vergaß das Wort Reagan-Ära zu verwenden.

Alieninvasion Schlägerei Holzfällerhemd


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Amour Fou im Mondlicht


Les Amants / Die Liebenden (Louis Malle, Frankreich 1958)

Als die gelangweilte Verlegersgattin Jeanne (Jeanne Moreau) immer häufiger zu ihrer Freundin Marry nach Paris entschwindet - auch um sich ihrer Liebelei mit dem Polospieler Raoul hinzugeben - und so Tochter und Ehemann in der Provinz alleine zurückläßt, da wird es dem Gatten irgendwann zuviel und er lädt die Gesellschaft kurzerhand zu sich nach Dijon zu einem Diner. Da man nicht absagen kann macht man sich auf den Weg, doch Jeanne hat unterwegs ein Panne. Hilfe bekommt sie vom vorbeifahrenden Studenten Bernard, der dann ebenfalls eingeladen wird, den Abend mit ihnen zu verbringen.

Die Frage ist: was interessiert einen der bourgeoise Ennui einer gelangweilten Provinzlerin? Ganz klar: Malle findet sehr schön die Brüche in der Existenz, durch die das Leid das Leben nach und nach vergiftet. Er inszeniert Jeannes Amour Fou eben nicht nur als dandystische Eskapade, sondern auch als sehnsuchtsvollen Ausbruch aus einer großbürgerlichen Familienhölle, in der sich die Frau vom Mann nicht mehr geliebt fühlt, da sich dieser einzig und allein um seinen Beruf kümmert. Die durchaus selbstbewußte Jeanne stemmt sich gegen die Autorität des Gatten und ist bereit, sich verführen zu lassen - nicht als naives Dummchen, sondern als selbstbewußte Träumerin, die bereit ist zum Abenteuer.

Der Film ist eine Glanzleistung, wundervoll gespielt, tolle bebildert (Henri Decae), enorm flüssig inszeniert und von traumwandlerischer Schönheit, die ihren Höhepunkt im nächtlichen Reißaus am Fluß findet. Malle hat auch überhaupt keine Probleme, Elemante des britischen Schauerromans oder Spannungsmomente des Mystery Thrillers einzubinden, etwa aus Wilkie Collins Woman in White.

Der Film war 1958 ein Skandal, der sich so unverblümt den Ehebruch der Frau zuwandte, diese auch noch als Sympathiefigur installierte und im Verkrampfen der Hände den weiblichen Orgasmus darzustellen wagte. Interessanterweise wurden in der deutschen Kinofassung die Szenen Jeannes mit ihrer Tochter herausgeschnitten. Die Ehebrecherin als liebende Mutter darzustellen war wohl zuviel für die Moralwächter.
Dass der Film seinen Höhepunkt in der Feier eines Moments, eines erotischen Impulses findet, und diesen wunderbar zärtlich darzustellen weiß, macht den Twist am Ende zu einer zwar nicht von Zweifeln befreite, aber dennoch skandalös betörenden Vision der individuellen Freiheit.

Jeanne Moreau Paris Orgasmus Student Dijon


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Der Verlust ist der Wahnsinn: Bangkok Nachtmahr


Vinyan (Fabrice Du Welz, Belgien/Frankreich 2008)

Nach dem überragenden CALVAIRE präsentiert du Welz erneut einen Film, der durch seinen Plot wenig, dafür mit seiner Bildsprache umso stärker punkten kann. Bereits das Anfangsbild, das wir erst in Retrospekt verstehen werden und welches sich zudem als match-cut getarnt ins Jetzt der Erzählung beamt, weist den Weg. Extreme Poesie und extreme Nähe kommunizieren zunächst keine Inhalte, sondern fordern zur Assoziation auf, welche erst im Verlauf des rigoros beibehaltenen, manchmal rücksichtslos künstlerischen Weges unter Zuhilfenahme enorm abstrakter Musiken eine Tür zum Verständnis öffnen. Dadurch wird der Film zu einer Einladung des Sehens; das Verstehen scheint an zweiter Stelle zu kommen. So ist der Plot, der sich irgendwo zwischen HERR DER FLIEGEN, WHO CAN KILL A CHILD? und HEART OF DARKNESS mit einer ordentlichen Portion Videokunst verbindend verortet, nur am Rande wichtig. Zugleich ist dieser dann aber so unaufgeregt und ersichtlich, dass das Hauptthema, der zunehmende Verlust des realen Bildes und der Eintritt in das Reich des Wahnbildes, nicht gestört wird. Störend fällt allenfalls nur auf, dass immer klar ist, wer hier die Nerven verliert (die Frau), und wer im Besitz der Deutungshoheit der Realität ist (der Mann). What you see is what you are become.

Bangkok Geister Traumatisierung


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Schöön Gassi geehn!


Import / Export (Ulrich Seidl, Österreich 2007)

Ulrich Seidl hat einen Auftrag, und der nennt sich Verstörung. Aufrütteln will er den Zuschauer, zum Nachdenken bringen. Und er schafft das ganz hervorragend, da er den moralischen Zeigefinger weg läßt. Da kommt das Schwein im Menschen raus, und man will das alles wirklich NICHT SEHEN. Den Sex nicht, die Traurigkeit nicht, das Saufen nicht, die Romasiedlung in Rumänien nicht. Und irgendwie - - - doch. Genau das will man sehen, die Stellen wo das Leben aufplatzt in die Katastrophe hinein, die sich sonst so sauber verdrängen läßt hinter dem Girokonto, dem Ärger mit den Kollegen, die alles anders falsch machen als man selbst, den zwei gestapelten Kisten Jever zum Grillgut dann am Wochenende beim Schwager im Gärtchen draußen vor der Stadt. Das einzige Problem: Montag wieder Arbeit, son Scheiß. Naja.

Plattenbau Rumänien Kaugummiautomatenaufsteller


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Tatütataa, die Feuerwehr ist da!


Fahrenheit 451 (Francois Truffaut, UK 1966)

Ungemein abstrakter Science-Fiction-Film, der einen Großteil seiner Faszination gerade daraus bezieht, dass er nicht in ferne Welten flüchten muss, um die eigene als fremde zu entlarven.
Auch ein wunderbarer Anstupser sowohl in Richtung Mediendiskurse als auch zum Faschismus vor der formalen Experimentierfolie der Nouvelle Vague; am deutlichsten wird diese vielleicht in den Anfangscredits, den Schnitten und vereinzelten Szenen, in denen formale Gestaltungsmittel direkt in das Filmbild ein-, bzw- "übergreifen". Ein Beispiel: als Montag vom Captain verhört wird, saust auf den rechts im Bild stehenden Montag der linke Bildrahmen zu, als ob sich ein Splitscreen "auftue" oder eine Wischblende käme. Dabei wird aber das Bild formal eingefroren und verdeutlicht die Bedrängnis des Protagonisten.
Ganz rund ist die Chose aber nicht. Truffaut unterlaufen einige Überdeutlichkeiten, die etwas nerven. Etwa wenn das Kind samt Mama auf der Brücke steht und auf die davonfahrenden Feuerwehrautos zeigt und meint, dass es gleich wieder brennen würde. Auch der eindeutige Zuschnitt des Films auf das Bildungsbürgertum ist leicht debil, etwa wenn man schöne Ausgaben von Genet und Cocteau in Flammen aufgehen sieht. Kalle, wer isn ditte? Naja, das sind aber Kleinigkeiten. Man darf nicht gestorben sein, ohne diesen Film gesehen zu haben.

Feuerwehrauto Buchmenschen