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Untergetaucht im Spinnwebwald


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Fiese Killer en France


La chambre des morts (Alfred Lot, Frankreich 2007)

Immens spannender Thriller um zwei Polizisten, die einem Mädchen(serien)killer auf die Spur kommen. Leider bündelt der Film eine Vielzahl von unterschiedlichen Handlungssträngen - was nicht per se schlecht wäre -, aber er versucht zugleich in einem Rundumschlag jedes, wirklich jedes inhaltliche Thema, das dieses Genre der letzten Jahre auszeichnete, zu verbraten. Dadurch entsteht der Eindruck der Hypertrophie, der Hochstapelei, des Unwillens beim Zuschauer da noch mitzugehen. Diese thematische Überfülle führt auch zu einer aufgeblasenen Lauflänge von knapp zwei Stunden, die trotz der Spannung etwas Verdruß erzeugt. Hervorheben muss man aber mindestens die tollen Schauspieler, insbesondere das Ermittlungsduo Eric Caravaca, und Mélanie Laurent, die im Film eine nicht völlig selbstzweckhafte, aber immerhin unnötig deutliche Masturbationsszene spielen muss. Aua.

Mélanie Laurent Mädchenkiller


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Banlieue Zombie


La Horde (Yannick Dahan/Benjamin Rocher, Frankreich 2009)

Als vier Polizisten zu einer nächtlichen Selbstjustizsause aufbrechen, da ihnen ein Kollege von einem Drogenboss weggemeuchelt wurde, geraten sie arg in die Bredouille, als sich die Gangster professioneller und rücksichtsloser aufführen, als sie selbst. Ruckzuck ist man überrumpelt.
Doch Paris brennt am Horizont, und Menschen taumeln komisch vor der Pforte herum. Oder rasen wie irr. Denn sie haben Hunger - und dort im Hochhaus gibt es Frischfleisch...

Um es kurz zu machen: der Film geht okay für einen anspruchslosen Horrorabend. Er zeigt nichts Neues, und macht sogar deutlich zuwenig aus seinem Setting. Die Tiefgaragenszene mit dem Autodach bleibt im Gedächtnis, und die verbitterte Selbstjustizaktion der Protagnistin. Das negative Ende juckt eigentlich keinen, da einem alle Personen fremd bleiben. An den Score kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern. Eine Fortsetzung ist nicht nötig, vielen Dank.

Zombie Drogenboss Hochhaus


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Topologie einer Liebe


L'année dernière à Marienbad (Alain Resnais, Frankreich 1961)

In einem barocken Nobelhotel versucht ein Mann ohne Namen eine Frau ohne Namen davon zu überzeugen, dass sie bereits vor einem Jahr ein Liebespaar gewesen seien, und sie nun hier und heute diese Beziehung fortzuführen hätten. Die Frau allerdings erinnert sich an nichts.
Ob der Mann das alles nur erfindet (zumal die Frau mit Gatten anwesend ist) um seinem erotischen Werben mit kreativer Originalität mehr Überzeugungskraft zu verleihen, ist nicht klar. Die Frau jedenfalls nähert sich ihm an.

MARIENBAD ist ein Film, der zunächst einmal durch seine formale Struktur auffällt: das Hotel wird in seinem labyrinthischen Verwinkeltsein dargestellt, ein Voice-over-Narrator wiederholt immer wieder gravitätisch die gleichen gewichtigen Sätze. Alles ist Wiederholung, Schleife. Die Personen sind wie die Statuen im Garten leblose Gestalten, die nur für kurze Momente zum Leben erwachen und ihre Rolle spielen - bleiben dabei aber völlig ohne Kontur, ohne Individualität. Es findet ein Glücksspiel statt, bei dem aber immer nur der Ehemann der Frau gewinnt, da er ein geheimes System zu kennen scheint, das ihn zum Sieger macht.

In MARIENBAD ist alles Form, so wie die Gartenkunstanlage, die man von unzähligen Bildern her kennt. Form auch besonders deswegen, da dies auch ein Film Alain Robbe-Grillets ist. Dem Aushängeschild des Noueveau Roman, einer literarischen Bewegung der 50er Jahre in Frankreich, die ein neues Erzählen einforderten, den alten anachronistischen Realismus verwarfen. Robbe-Grillets Romane, die sich durch ein Vorantasten an Architekturen auszeichnen, durch eine reduzierte Handlung, die elliptisch wiederkehrt und mit Details ausgefüllt wird, formen sich zumeist zu einer Art Kriminalroman; so steht häufig ein Verbrechen im Kern der Erzählung. Als Text aber tritt eine kreisende, scheinbar nüchterne, quasi-objektive Erzählstimme auf, die eher konstatiert als erzählt. Wie eine Kamera bewegt sich der Blick durch die Räume und zählt mit penibelster Genauigkeit Details auf (z.B. La Jalousie), die je nach Zustand des Lesenden zu extremer Spannung oder katatonischer Starre führen. Dieser Kamerablick ist auch hier vorzufinden, wie er schwebend durch die Räume gleitet, und später in einem möglichen Finale, eines möglichen Verbrechens ansichtig wird. Diese Option kann aber auch verworfen werden, und zu einem anderen Ende führen. Wer weiß schon ob das, was die Kamera zeigt, Realität oder Fiktion ist (vgl. Der Augenzeuge)!

Die Zeitschleifentechnik ermöglicht immer wieder neu anzusetzen, neue Verschiebungen aufzuzeigen, die aber als Variation nicht zwingend "real" sein müssen (hier auch eine große Nähe zu Kubricks Hotelfilm SHINING). Damit entsteht die Möglichkeit, verschiedene Blickwinkel darzustellen, Perspektiven aufzumachen. Die Ellipse als Stilmittel (vgl. Die blaue Villa in Hongkong) bewirkt so neben der Verunsicherung des Rezipienten eine Intensivierung des Gezeigten, ähnlich dem Kamerablick auf einen Gegenstand, der dadurch per se hervorgehoben wird und an Bedeutung gewinnt.
Letztlich ist MARIENBAD ein autoritärer KUNSTFILM reinsten Wassers. Er ist die Umsetzung eines Programms, und der Rezipient, der sich an den edlen Bildern delektiert, versucht diesem auf die Schliche zu kommen. Das kann man mögen, muss man aber nicht.

Zeitschleife nouveau roman


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Montmartre im Zwielicht


Bob le Flambeur (Jean-Pierre Melville, Frankreich 1956)

Wie man es von Melville kennt, hat man es hier eher mit Stimmungen und Atmosphäre zu tun, denn mit einer rasanten Plotentwicklung. Dieser Gangsterfilm läßt sich ungemein viel Zeit in der Einführung seiner Figuren, der Halbwelt und in der Darstellung des Vergnügungsviertels Montmartre in Paris. Besonders gelungen ist außerdem die stimmungsvolle Photographie von Henri Decae (der dann auch für Malle, Truffaut und Chabrol tätig war), da sich die Handlung zumeist zwischen später Nacht und frühem Morgengrauen abspielt.

Der eigentliche Einbruch vergeht dann gerade mal an-zitiert in einer regelrechten Anti-Inszenierung: noch deutlicher kann man es nicht machen, daß es diesem Film eben nicht um den Heist geht, sondern um das Milieu außenrum. Das ist ein bißchen schockierend, befremdlich, und letztlich unglaublich konsequent, mutig, beeindruckend. Das ist gegen die Konvention, und man ist froh, wenn man die letzten Filmminuten wieder den Figuren beim Leben zusehen darf, und nicht mit diesen irgendwie immergleichen Einbruchsgeschichten genervt wird. Toller Film.

Zwielicht Halbwelt Milieu


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Paris, wie es nie war...


Paris erwacht / Paris s'éveille (Olivier Assayas, Frankreich 1991)

Der etwa 50jährige Clément (Jean-Pierre Léaud) hat ein Verhältnis Louise (Judith Godrèche), einer 18jährigen Ex-Fixerin - doch da kehrt der verlorene Sohn Adrien (Thomas Langmann) nach einer vierjährigen Absenz überraschend nach Hause zurück, und zwischen ihm und Louise bahnt sich ein Verhältnis an. Sie reißen aus, leben in besetzten Häusern, sind zickig oder stumm, und über Paris geht mehrfach die Sonne auf.

Assayas enthält sich größtenteils der Panorama-Shots, sondern führt uns in die intime Welt des Mehrpersonen-Hickhacks ein. Hier hat jeder Probleme und kann nicht über sie reden. Louise, der Augenfang des Films, darf sich mehrfach ausziehen und ihre wohlgeformten Brüste der Männerwelt anbieten. Das geschieht alles mit der den französischen Mädchen eigenen Sprunghaftigkeit, aus der feuchte Männerträume gemacht sind. Es ist also alles sehr konstruiert und arthousig künstlich. Die Probleme sind keine echten Probleme (etwa ihr Griff zur Spritze, der niemandem weh tut, und eher auf die Herausstellung ihrer traurigen Augen aus ist, als Sucht zu portraitieren), die Figuren handeln erratisch und alles bekommt eine bedeutungsschwangere Tiefe, da jeder in seinem Kokon hockt, aus dem er nicht raus darf. Manchmal wird es dann grotesk unecht: in einer Szene tanzt Louise hingebungsvoll in einer Punkdisko ( :rolleyes: ) zu Pixies Debaser, nur um nach genau dem ersten Refrain, Schnitt, mit gelangweilter Miene (?) die Tanzfläche zu verlassen und zu ihren Rollkragenpullifreunden an den Tisch zurück zu gehen. Dort ist man dann auch schlecht drauf und verschwindet Richtung Fixerklo (die Toilettenszene darf nicht fehlen), wo dann ein Eklat mit Clément folgt, der ihr nachgegangen war. Ach, es steht schon arg um die jungen Verlorenen!
Ein wirklich scheußlicher Film.

Paris Punkdisco Fixerin Brüste


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Frankreichreihe fortgesetzt...


Der Schlachter (Claude Chabrol, Frankreich 1970)

Die Schulleiterin eines Provinznests schenkt dem Schlachter, der sie begehrt, ein Feuerzeug - welches sie später neben der Leiche eines ermordeten Mädchens wiederfindet.
Der Film überzeugt durch seine ruhige, flüssige Inszenierung, die zugleich immer auf das Unheimliche und Bedrohliche unter der Oberfläche verweist. Solche Gegensätze lassen sich hier viele finden: das Dorf als Idylle vs. die Metzgerei, die Eleganz und Offenheit Hélènes vs. die rücksichtslos geäußerten Brutalitäten des Schlachters (sowie deren gegenseitige Anziehungskraft), die klassische Musik vs. die abstrakte, usw.
DER SCHLACHTER ist weniger experimentell montiert als DER RISS, deswegen aber nicht weniger kunstvoll. Phantastisch, wie Chabrol die leichten, strahlendhellen und die dunkel abgründigen Ebenen übereinanderlegt.

Provinznest Metzgerei Eleganz


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Der Engel und der Luftballonverkäufer


Der Riß / La Rupture (Claude Chabrol, Frankreich 1970)

Der verrückte Gatte Charles erwürgt seine Frau Hélène (Stéphane Audran) beinah am Frühstückstisch und wirft danach das Kind durch's Zimmer. Mit einer Pfanne schlägt sie ihn bewußtlos und verhindert damit Schlimmeres. Dann zieht sie in eine Pension nahe des Krankenhauses, in der das Kind behandelt wird. Charles kommt daraufhin bei seinen bourgeoisen Eltern zur Pflege unter, welche Hélène das Sorgerecht für den Sohn streitig machen - und sogar einen Schmierlappen engagieren, der ihren Ruf in den Dreck ziehen soll.
Nun mal ein wirklich phantastischer Film Chabrols, der auf allen Ebenen überzeugen kann: vom Plot, den Dialogen, der Bildgestaltung, der Musik und der Montage. Gerade ästhetisch/stilistisch hat DER RISS einiges (in milder Form) zu bieten, was Frankreich in den 50ern und 60ern weltberühmt gemacht hat. Über die schauspielerischen Qualitäten der Audran muss man eigentlich nicht mehr sprechen, denn diese Frau ist wirklich überwältigend.

Frühstückstisch Schmierlappen Luftballonverkäufer


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Eine finstere Pracht


LÅT DEN RÄTTE KOMMA IN / So Finster die Nacht (Tomas Alfredson, Schweden 2008)

erzählt die Geschichte vom Zusammenfinden zweier Außenseiter, eine erste mögliche Liebe innerhalb eines Coming-of-Age-Dramas. Das ist vorzüglich photographiert, überzeugt mit schönen Ideen und durch seine spannungsgeladene Stille. Durch seine Ausstrahlung. Dieser Film hat Würde; man kann sogar sagen, er gibt dem arg gebeutelten Genre des Vampirfilms seine Würde zurück. Phantastisch.


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Sinfonie der zerbrechenden Träume


Ascenseur pour l'échafaud / Fahrstuhl zum Schafott (Louis Malle, Frankreich 1958)

Malles Debut-Spielfilm über den gehobenen Angestellten Julien Tavernier (Maurice Ronet), der seinen Chef Mr. Carala deswegen umbringt, weil er ein Verhältnis mit dessen Frau (Jeanne Moreau) hat, ist eine Mischung aus Krimi, Film Noir und Liebes-Tragödie.
Der Protagonist bleibt bei seiner überhasteten Rückkehr an den Tatort - er hat das Seil, mit dem er ins Büro des Chefs einsteigen konnte, gut sichtbar außen am Geländer vergessen - im Fahrstuhl stecken, da der Sicherheitsmann zeitgleich den Strom abstellt und das Gebäude verriegelt. Malle findet so nicht nur die Ausgangssituation für einen spannenden Ausbruchsversuch in schwindelnder Höhe, sondern auch eine eindrucksvolle Metapher für die steckengebliebene Liebesbeziehung zu Florence - eine Beziehung, die sich nirgends hin entwickeln kann.
In einem zweiten, parallelen Handlungsstrang wird Julien das Auto von einem kleinen Ganoven geklaut, der vor seiner naiven Freundin mal den Max machen möchte. Dies führt in einem kleinen Motel in der Nacht zur Katastrophe.

Der phantstisch photografierte und spannende Film wirkt jedoch merkwürdigerweise sehr uneinheitlich und zerrissen. Dies kommt sicher durch den großen Raum, den die Parallelhandlung einnimmt. Doch auch die Grundanlage des Films birgt dieses Problem bereits in sich: wir sehen einen Liebesfilm, in dem die Liebenden nicht zueinander finden. Diese verhinderte "Vereinigung" überträgt sich auch auf den Zuschauer, da das, um was es geht, nicht stattfindet. Dies allerdings gibt dem Film den Raum, Florences Liebesleid zu thematisieren: sie durchstreift die Nacht von Paris, die Boulevards und die Cafés auf der Suche nach dem Geliebten. Da setzt Miles Davis' Jazztrompete ein, und Jeanne Moreau wird urplötzlich zu dem Symbol, der Ikone der unglücklich Liebenden. Das ist die völlige Kinomagie und katapultiert den Film auf eine ganz andere, emotional höhere Ebene.

Jazztrompete Katastrophe


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Was halten Sie eigentlich vom Nouveau Roman?


Que la bête meure / Das Biest muß sterben (Claude Chabrol, Frankreich 1969)

Als sein Sohn überfahren wird, nimmt der Schriftsteller die erfolglosen Nachforschungen der Polizei selbst in die Hand. Die Spur führt zu einer schönen Schauspielerin und deren Schwager, einem menschlichen Scheusal, wie es sonst keines gibt in der ganzen Bretagne. Sein einziger Gedanke ist, sich an diesem Monster zu rächen.

Hat mir gut gefallen, besser zumindest als die beiden letzten Chabrols. Sehr dicht, drückende Atmosphäre wie bei Dumonts FLANDRES. Trotzdem auch hier wieder leichte Schwächen im Drehbuch und die ätzende Tendenz zum Twist / zur Pointe am Schluß. So richtig überzeugt hat mich bislang nur DIE FARBE DER LÜGE. Chabrol bleibt also klar hinter Godard, Truffaut und Melville. Mit Malle kämpft er um Platz vier - wobei dessen IRRLICHT schon genial ist.