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Untergetaucht im Spinnwebwald


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Eisbombe im Herzen


Furijia / Freesia: Bullets over Tears (Kazuyoshi Kumakiri, Japan 2007)

Kumakiri führt uns in ein Japan der Zukunft: Dank des "Revenge-Acts" kann man - um sich am Verursacher zugefügten Unrechts zu rächen - Killerkommandos bestellen, die den Übeltäter eliminieren. Ein besonders kaltschnäuziger Profi ist der Killer Hiroshi mit der schicken Brille, der in seiner Jugend eine Detonation einer "Eisbombe" überlebte: ein hinterhältiges Experiment der Militärs, das dreißig Waisenkinder ins Jenseits beförderte. Die hübsche Mariko ist ebenso solch eine Überlebende und jagt mit Hilfe Hiroshis den Sohn des damalig verantwortlichen Kommandanten.

Abstrus, skurril, unglaubwürdig, das alles. Wenn es denn auf die Story irgendwie ankäme. Das aber tut es nicht. Hier geht es um die Atmosphäre, derer Kumakiri ein Meister ist, wie wir seit KICHIKU, ANTENNA, ZOROKU'S DISEASE oder GREEN MIND, METAL BATS wissen. Mir ist es sehr viel lieber, ein Regisseur übernimmt sich auf erzählerischer Ebene, und geht stattdessen künstlerische Wagnisse ein. Dafür hat Kumakiri ein Gespür: er hat bisher mit jedem seiner Filme Mut bewiesen. Das nötigt mindestens Respekt ab. Ich finde ihn klasse: wahnsinnig gute Bilder, mit einem Score der Extraklasse. Meiner Meinung einer der wichtigen zukünftigen Regisseure Japans. Alles weitere in 10 Jahren.

Eisbombe


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Der Sessel des Auteurs ist ein bequemer Platz. Zigarre bitte!


Sparrow / Man jeuk (Johnnie To, HK 2008)

Der Altmeister des betörenden Großstadtflimmerns inszeniert hier mal einen taghellen Film: eine Gaunerkomödie, genauer: ein beschwingtes, auch jazzig gutgelauntes Portrait einer Bande von Taschendieben mit Anführer Simon Yam. Diese wird aus dem Gleichgewicht gehebelt von einer unbekannten Schönen (Kelly Lin aus MAD DETECTIVE), deren Motive, ganz Femme Fatale, im Dunkeln liegen. Sie weiß jeden der Bande um den Finger zu wickeln, sodaß alsbald eine Verwirrung herrscht. Insbesondere, da die Fremde vom dicken Obergauner Fu geknechtet wird. Das können die Jungs natürlich nicht zulassen!

Dass Hongkong hier manchmal aussieht wie Paris oder London, ist sicherlich Absicht. PICKPOCKET kommt einem lose in den Sinn und Tos Bewegung nach Westen dann sowieso. Auf nach Paris!, scheint es da zu heißen (hier dann auch der Frankreich-Bezug, Monsieur Z.!). Dass das Drehbuch einige Schwächen und Lücken hat, übersieht man bei all der Beschwingtheit beinahe. Und auch - da der Film zwar ganz wunderbare Bilder zu bieten hat und toll unterhält - dass er eigentlich überhaupt nichts Neues bietet. MAD DETECTIVE war da mutiger. Viel mutiger.


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Russin in the Water


Im Angesicht des Verbrechens (Dominik Graf, D 2009)
Teil 1

Während zwei eigentlich gar nicht unsympathische Menschenhändler zwei hübsche Mädchen aus ihrem Dorf in der Ukraine mit Restaurantjobs nach Deutschland locken, muss der baltisch-jüdische Marek bei der berliner Polizei einen flüchtigen Kriminellen seiner richterlichen Bestimmung zuführen: dem Gefängnisaufenthalt.

Graf gelingt es, eine hochkomplex gestaffelte Erzählstruktur zu einem spannenden Auftaktfilm zu bündeln, der zugleich atemberaubend schön gefilmt ist, extrem gut mit dem Tempo spielt, und einen sehr privaten Einblick in die Kulturen bietet, die hier aufeinanderprallen und miteinander verschmelzen. Themen und bildgestalterische Motive wiederholen sich in neuen Kontexten, sodaß der Film sehr dicht und gehaltvoll auftritt, zugleich aber in die Komödie ausbrechen darf (Fallschirmsprung). Nur um Sekunden später die Erwartungshaltung des Zuschauers auszuhebeln und Dinge zu zeigen, die man in Deutschland sonst nicht gewohnt ist, in einem deutschen Filmprodukt zu sehen. Schon gar nicht im Fernsehen. Authentische Charaktere, gut gespielt, leise getreten, mit Sprache gearbeitet: deutsch, russisch, jiddisch, türkisch. Wundervoll. Die Lenkung des Verständnisses des gesprochenen Wortes durch die Untertitelung, bzw. durch deren Auslassungen, wäre eine eigene Untersuchung wert. Ich bin überwältigt; mit Fernsehen hat das nichts zu tun.


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Ich bin völlig erledigt, Chérie...


La femme infidèle (Claude Chabrol, Frankreich 1969)

Eine gelangweilte Aristokratin geht mit einem vermögenden Schriftsteller fremd, und als ihr Mann dahinter kommt, schleicht sich dieser mit einem Trick in dessen Wohnung, um eine Vorstellung von der Affäre zu bekommen. Doch dann gibt es dann einen Kurzschluß in seinem Kopf...

Chabrol schaut "hinter die Fassade der Bourgeoisie", entlarvt diese als hohle Irgendwas, und weiß mit seiner distanzierten Inszenierung eine unterkühlte Atmosphäre aufzubauen. Der Ruin schielt ums Eck, aber wir schreiten distinguiert auf ihn zu; schließlich haben wir an der Sorbonne studiert. Spannend in seiner Bedrohlichkeit, unheimlich in seiner offenkundigen Arthousizität: ein Film für die Elite, mit den Mitteln der Elite.


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Süße, bringst du uns bitte die Butter!


Les Biches / Zwei Freundinnen (Claude Chabrol, Frankreich 1968)

Stéphane Audran mimt eine gut situierte und vom Leben leicht gelangweilte, dandystische Industriellentochter, die in Paris eine Straßenmalerin aufpflückt und mit ihr in ihrem Sommerhaus an der französischen Riviera, in St. Tropez, eine erotische Liaison beginnt. Als ein gut aussehender Architekt auftaucht (Jean-Louis Trintingnant) verliebt sich die Liebsdienerin schnell in ihn, und es kommt zunehmend zu Spannungen zwischen den Frauen.

Das ist das Schöne an diesem spannenden, vom Nichtstun gesättigten Film: die unterschwellige Konkurrenz, die latent die Stimmung vergiftet - ohne zu Wissen, wie sich das entladen wird. Je mehr die Herumtreiberin auf ihren Platz verwiesen wird, je ausbeuterischer sich das Verhältnis entwickelt, desto wahrscheinlicher wird eine Eskalation.

Als sie dann tatsächlich kommt ist man leicht verdutzt. So platt hätte man sich das nicht gedacht, so unglaubwürdig. Das Ende versaut leider etwas den Film. Aber bis dahin ein weiterer schöner Film (wie SWIMMING POOL von Deray oder DIE SAMMLERIN von Rohmer) des Genres Franzosen schlagen ihre Zeit auf Landsitzen an der Côte d'Azur tot.


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Please Help Me, Rabbi!


A Serious Man (Joel und Ethan Coen, USA 2009)

Tendenziell großartiger Film über einen jüdichen Physikprofessor ( :))) , dessen Leben -Familie und Beruf- zerbricht, und der immer verzweifelter nach einer sinnstiftenden Antwort auf das ganze Chaos sucht. Das Unheil tritt, wie im kleinen Stetl-Vorfilm exemplifiziert, in Form eines Dibbuk an seine Tür: es ist sein Bekannter und Nachbar Sy Ableman (telling name), der sich in seiner sanft-aufdringlichen, dafür monumentalen Körperlichkeit in sein Leben drängt - genauer: ihm seine Frau wegnimmt. Der Dibbuk, wörtlich zu übersetzen mit Anhafter oder Umklammerer, wird dann auch mehrfach seines Namens gerecht: zunächst umfasst er, Mitgefühl vorspielend, Larrys Hände, dessen Verlust betrauernd. Ein Griff, dem sich Larry nicht entziehen kann. Später wird er ihn wie den besten Freund umarmen, die ein schweres Schicksal teilen. Das Wort vereinnahmen, wird hier anschaulich ins Bild gesetzt. Und wenn man denkt, es sei alles überstanden, dann kommt wie aus dem Nichts ein Tornado daher...

Etliche Subplots und kuriose Nebenerzählstränge zeichnen ein metaphorisch aufgeladenes Bild von Larrys sozialer Umgebung, und die Regisseure verstehen erneut auf großartige Weise, in Kleinigkeiten Welten und Bedeutungen aufscheinen zu lassen. Zudem ist er fantastisch ausgestattet und exzellent photographiert. Toll.


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Kill 'em all, you fucking Froschfresser!


Frontière(s) (Xavier Gens, Frankreich/Schweiz 2007)

In einer quasi-dystopischen Jetztzeit kommt es in Paris zu Krawallen und Rassenunruhen, in deren Verlauf vier Jugendliche Kleinganoven ein Ding drehen und mit der Knete aus der Stadt hinaus fliehen. Auf dem Weg nach Holland über Land steigen sie spätnachts in einem dubiosen Motel ab, was sie besser nicht gemacht hätten.

Ein weiterer französischer Gewaltfilm in der Tradition von TCM, der doof genug ist, alles was an ihm interessant sein könnte (Gesellschaftskritik, Kindsmotiv, Altnazis, Inzestkinder in der Mine ( :)) )) recht bald fallen zu lassen und sich ganz auf die Backwoodthematik zu konzentrieren; man könnte auch sagen: es geht einzig um möglichst brutale Darstellungen von Gewalt. Dass einen das relativ kalt läßt, liegt vor allem daran, dass einen das Schicksal der Deppen eigentlich nicht so recht angeht - wäre da nicht die hübsche Schwangere, die die Sympathien bündelt. Das final girl wird aber, keine Sorge, da sie ja auch eine böse ist, von der Staatsmacht am Ende geschnappt. Es hat also alles seine Ordnung. Ein weiteres Manko des Films ist seine Spannungslosigkeit; die rührt wohl, Vermutung, vom schlechten Schnitt her. Der Film besteht in allen Actionszenen aus ultraschnell montierten Bruchstücken. Diese generieren aber weder Dynamik noch Stimmung, sondern vor allem eines: Hektik. Man ist also eher gestresst, denn geflasht. Schade, macht auch das keinen Spaß (TUNNEL RATS etwa war spannender). Damit bleibt eigentlich kein Grund übrig, warum man sich so einen reaktionären, menschenverachtenden Mist anschauen sollte. Es sei denn, man mag keine Menschen. Kill 'em all.


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Mythos Reloaded


Paranoid Park (Gus van Sant, USA 2007)

Wenig berührendes Coming-of-Age-Drama eines Portlander Skate-Kids, das betörend dynamisch (Skatepark) und poetisch (Duschszene) von Christopher Doyle gefilmt ist, und mit einem überzeugenden Score arbeitet. Der Protagonist überzeugt mit zurückhaltender Spielweise, einem häufig leeren Blick, der ihn aber nicht unsympathisch macht, sondern auf die Turbulenzen der Innenwelt verweist. Weniger radikal als LAST DAYS, aber sehr sehenswert.


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Mr. Scorsese, wieso haben Sie das gemacht?


Shutter Island (Martin Scorsese, USA 2010)

Es hätte alles so schön werden können: denn die ersten 1,5 Stunden des Films sind großartig. Prächtige, simulierte Bilder, ein fantastischer, verstörender Score und ein ausgezeichneter DiCaprio. Sogar die Handlung ist erträglich. Doch dann kommen sie wieder: die psychologisch-pathologischen Fallen, die Pointen und Plottwist. Und am Ende ist dieser nüchterne, nie zur Empathie einladende, aus diesem kunstvollen Unterhaltungsfilm, doch wieder nur ein mäßig unterhaltendes Produkt aus dem Setzkasten geworden. Denn als alles aufgeklärt und erklärt ist, das Entgrenzte der Rationalität unterworfen wird und seine Verortung in der Kleinfamilie findet, da wird der Film zäh, überlang und langweilig. Was eben noch Stille war ist nun Ödnis, was eben Hitchcock-Hommage war ist nun nerviges Holzhammerzitat, das Kontemplative im Schnitt ist plötzlich schnöde Screentime für die Megastars. Das hätte ein richtig guter Film werden können - warum haben sie das nur so gemacht, Herr Scorsese?


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Und, was für Filme schaust du so?


Angeregt durch Howies Mammutliste versuche ich mich auch mal im Listenerstellen - etwas, vor dem ich mich immer gedrückt habe. Warum? Da sich für den einen Film zu entscheiden immer bedeutet, sich gegen einen anderen zu entscheiden. Etwas, was mir die Auswahl enorm erschwert, zumal ich sowieso enorme Probleme habe, wenn ich mich nach möglichen Kriterien frage.
Ein zweiter Grund, eine solche Liste zu erstellen ist die ewige Not, den ewigen Fragen von Freunden und Bekannten nach "Lieblingsfilmen" mal etwas erwiedern zu können; das Problem ist ja, wenn man etwas Geläufiges nennt, dann verziehen sie vor Langeweile das Gesicht, ist es etwas Ausgefallenes, dann kommt ein "Ist ja klar, dass du sowas sagst. Kenn ich nicht." Tja, leider finde ich sehr viele Filme ziemlich geil.
Also hier jetzt eine Liste von "Lieblingsfilmen" - eine Kategorie ohne Kriterien. Die Filme müssen mir aus irgendwelchen Gründen gefallen, mal die Atmosphäre oder auch ein schönes Sichtungserlebnis kann das sein. Ich halte die Filme nicht zwangsläufig für "wertvoll" oder wichtig für "die Filmgeschichte", sie können dies aber dennoch sein; formal mögen sie was hergeben, müssen das aber nicht. Das einzig Einheitliche ist wohl, dass es nichts verbindlich Einheitliches gibt. Unter diesen Voraussetzungen entscheide ich mich am 23. 02. 2010 für folgende Top 10:


1. Rear Window
2. Raise the Red Lantern
3. Idi i Smotri
4. Shinichin no Samurai
5. Blast of Silence
6. Harakiri
7. The Fountain
8. Mulholland Drive
9. Manhunter
10.French Connection

Einer meiner absoluten Lieblinge, Der Volltreffer, ist leider rausgeflogen, kommt aber in der Top 10 Nostalgie auf einen der vordersten Plätze. Ich hoffe, ich enttäusche jetzt niemanden.

Nachtrag: eben ist mir KEOMA eingefallen. Den darf man sich auch noch dazudenken. Und wenn man schon dabei ist: Fruit Chans RUNAWAY PISTOL auch bitte.