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Untergetaucht im Spinnwebwald


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Komm unter meinen Bademantel, Süße!


Chapeau Claque (Ulrich Schamoni, BRD 1974)

Der Privatier Hanno Giessen (Schamoni selbst) ist Alleinerbe eines ehemaligen deutschen Hutmacherimperiums und verlebt die Tage in seiner Berliner Stadtvilla hauptsächlich mit dem Ordnen seiner verschiedenen Sammlungen: eine Emaille-Schilder-Sammlung, eine Nippes-Hasensammlung, Soldatenfiguren und Eisenbahnwaggons usw... Eines Tags bringt ihm sein Lebensmittellieferant (Rolf Zacher) eine blutjunge 18jährige vorbei (Anna Henkel), die Unterschlupf sucht und sich bevorzugt im Evakostüm präsentiert. Es ist aber auch ein heißer Sommer!

Enorm unterhaltsame Gesellschaftskritik und Kommentar zum spießig bundesdeutschen Arbeitswahn im Deckmantel einer Dokukomödie (dass der Film bei Erscheinen mit FSK 18 belegt wurde, sagt eigentlich alles). In Chapeau Claque werden ähnliche formale Mittel wie in [Rec] benutzt, insofern: ein wegweisender Autorenfilm. Skurril, lustig, und hübsch anzusehen.


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Schnappschüsse im Dunkeln Pt. 4


The Wolfman (Joe Johnston, USA 2010) -- völlig unpeinlicher Werwolffilm, der sich seiner Traditionslinien sehr bewußt ist. Garniert mit toller Kamera, extrem elegantem Schnitt und klasse Schauspielern. Guter Film.

Sanxia haoren / Still Life (Zhang Ke Jia, China/HK 2006
) -- Die Stadt Fengjie verschwindet in den Fluten des aufgestauten Jangtze, die Menschen werden zwangsumgesiedelt, Häuser niedergerissen, Prestigeobjekte gebaut. In dieses Umbruchschaos gerät ein Bauer und Wanderarbeiter aus dem Norden auf der Suche nach seiner damals zwangsverheirateten Frau und seiner Tochter, die ihm weggelaufen sind. Quasi auch ein konplementärer Film zu BLIND MOUNTAIN. Überwältigend, in jeder Hinsicht.

She, a Chinese (Xiaolu Guo, UK/Fr/D 2009)
-- die Geschichte der jungen Mei, die nach einer Vergewaltigung ihre Kleinstadt verläßt und sich dann letztlich bis nach London durchschlägt. Ein völlig unprätentiöser Film über die Suche nach einem Zuhause und einem Partner. Mit angepunktem Soundtrack und Wackelkamera. Aus Asien kommen die besten Filme, ganz klar.


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Die Geschichte von einem, der plötzlich ein Leben hat...


Same Same But Different (Detlev Buck, D 2010)

Der junge deutsche Backpacker Ben lernt auf seiner Asienreise in einer Disko in Phnom Penh die hübsche Kambodschanerin Sreykeo kennen und verkuckt sich in sie. Dass sie als Prostituierte arbeitet - sie selbst bezeichnet sich als Unternehmerin - und, wie sich später herausstellt, HIV-positiv ist, stellt den jungen Mann vor ungeahnte emotionale Probleme als er bemerkt, dass er sich in sie verliebt hat.

Bucks Film ist ein zweischneidiges Schwert. Zunächst zum Negativen: er steckt voller Klischees. Das fängt bei der Eröffnungsszene an mit dem Stromkabelgewirr am Telegrafenmasten, dem Elefanten, dem Trubel der Stadt, dem Chillen und Partymachen der Touristen, dem Lendenrock des Alten. Der Film ist außerdem völlig konventionell erzählt inklusive einer Rückblicksschleife am emotionalen Höhepunkt des Skype-Gesprächs und einer wenig begeisternden Kameraarbeit: an einer Stelle hat man sogar die Stirn, einen Christopher Doyle-Schuß imitieren zu wollen. Aua.

Das Tolle am Film ist aber, dass er einen Schwebezustand erreicht, der sich vielleicht am ehesten mit dem Begriff Neutralität bezeichnen läßt. Buck schlägt sich auf keine Seite: er moralisiert nicht. Wie die kulturellen Unterschiede, so stellt er die Erwartungen auf eine mögliche Liebesbeziehung in ihren beiden je eigenen gesellschaftlichen Kontexten dar: die des urlaubenden Deutschen und die des Mädchens ohne Sicherheiten. Hervorragend wie Buck sowohl die Probleme als auch die Magie des Verliebens auf diesem schmalen, äußerst zerbrechlichen Grad balancieren läßt.

Auch dass er es hinbekommt, seinen Film so gut wie vollkommen kitschfrei zu halten, ist ihm hoch anzurechnen. Klischee ja, Kitsch nein. Diese "nüchterne" Form der Erzählung macht dieses für exotische Arthausphantasien prädestiniertes Liebesmelodram nicht nur erst genießbar, sondern emotional anknüpfbar.
Man überläßt sich so erst emotional Film, legt Verweigerungshaltungen ab. Prägnant etwa die o.g. Szene des Skype-Chats, in welchem sie ihm von ihrer HIV-Infektion erzählt - übrigens überhaupt kein Gedanke eines Verheimlichens ihrerseits. Die Kamera ist dann ganz bei ihm, auf seinem Gesicht spiegelt sich sowohl die Angst um eine mögliche eigene Ansteckung wieder, als auch die Angst um sie. Für Worte ist aber kein Platz, da klickt sie sich weg. Nun würde jeder Kitschfabrikant diese Situation, Bens Gang zum Arzt, die Verkündung des Testergebnisses, moralische Überlegungen usw, für den Film ausschlachten um Wirkung zu erzeugen. Buck jedoch nicht. Der schneidet nach einer kurzen Zwischenszene, die Bens Verwirrung und gleichzeitige emotionale Souveränität dokumentiert, direkt nach Phnom Penh, wohin er wieder gereist ist und wie beiläufig bekommt man mit, dass er selbst negativ ist. Fabelhaft.

Ein endgültiges Urteil mag ich mir nicht abringen - wenn man aber halbwegs mit den Klischees und der ästhetischen Konventionalität des Filmes zurecht kommt, kann man einiges in diesem Film entdecken. Und sich dann auch rühren lassen.


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Schnappschüsse im Dunkeln Pt. 3


Danger: Diabolik! (Mario Bava) -- Was für ein Hammerfilm! Soundtrack, Bilder, Tempo, Kreativität, Schauspieler. Einziges Minus: die Story. Zum Glück kann einem so etwas wie schnöder Inhalt bei so einer Style-Granate egal sein. Prädikat: Knaller!

Mary and Max (Adam Elliot) -- fantastischer Animationsfilm in großartiger weil liebevoller und detailreicher Umsetzung. Ein zu Tränen rührender Film für Erwachsene, der völlig ohne Längen sehr unterhaltsam ziemlich harte Kost verhandelt.

Die Sammlerin (Eric Rohmer) -- Die Sommerfrische eines gutaussehenden Dandys Anfang dreißig nimmt eine Wendung, als er seine Tagesroutinen an der Côte d'Azur von einem jungen, attraktiven Flirtbienchen gestört sieht. Da ist es vorbei mit der Seelenruhe des Franzosen! und auch mit unserer, naturellement...

Bronson (Nicolas Winding Refn) -- Oha! Ein richtiger Stinker mit einem formidablen Schauspieler. Eine Mischung aus CHOPPER und FIGHT CLUB als Gaspar Noe-Kopie. Ein Film über Selbstinszenierung, der sich vollständig als Meta-Nummernrevue goutieren lassen will, und damit seinen Zynismus zum ästhetischen Stil verklärt. Überdeutlich wird das in dem kläglichen Versuch, den Protagonisten als Clown auf der Theaterbühne sein Leben selbst entlarven zu lassen, "hinter die Fassade zu kucken", was allerdings überhaupt nicht funktioniert. Es bleibt beim reinen Verweis auf die Inszenierung. Das eine Mal, als der Anti-Held in seiner Zelle ob seines Schicksals in Tränen ausbricht, steht zudem ganz zu Beginn seiner "Entwicklung" und wirkt im Film als völlig deplaziertes Klischee.
Ein Märchen für die ach so Harte-Jungs-Fraktion, action für den White-Trash-Boy in dir. Dreck, Zeitverschwendung, die schlimmste Scheiße seit ich weiß nicht wann.


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Die in die Hölle fliegen...


Rescue Dawn (Werner Herzog, USA 2006)

Little Dieter wants to fly... sooo badly, dass er sogar dazu bereit ist, ein paar Napalmbomben für seinen Traum abzuwerfen: irgendwo fern der Heimat, in einen Dschungel hinein, auf einen "anonymen" Versorgungsweg irgendwelcher Vietcong.
Jedoch, die Mission geht schief, er wird beim ersten Einsatz abgeschossen und crasht fulminant in eine Reisfeldidylle hinein. Sattes Grün, Wälder, Schluchten: AGUIRRE-Flash. Die Vietnamesen - oder besser Laoten (wir sind in Laos) - sind darob nicht amüsiert, und als er sich weigert ein Papier zu unterzeichnen, dass dieses Land, das ihm diesen Traumflug ermöglicht hat, diskeditieren würde, kommt er irgendwo in einen Dschungel hinein, in ein kleines Camp voll halbirr gewordener Kriegsgefangener und durchdrehender Wärter mit Spitznamen wie "Little Hitler". Der Rest des Filmes ist Flucht.

Man muss schon sagen, dass Christian Bale den Dieter Dengler in seiner emotional ehrlichen Naivität äußerst überzeugend gibt, doch wenn er noch ein einziges Mal in seiner Karriere den halben Film lang DEN MUND OFFEN STEHEN LÄSST, dann drehe ich komplett durch. Das kann doch nicht wahr sein! Kann man denn seine Gesichtsmuskeln nicht irgendwie anders anspannen? Und das als Schauspieler! Steve Zahn dagegen als Duane: Hut ab, sehr tolle Leistung. Ebenso Musik und Herzogsche kontemplative Arthouseness: die Inszenierung des Schönen in der Bedrohung ist ihm wieder hervorragend gelungen, kulminiert exemplarisch in dem einen Bild, als Duane auf den Boden blickt und detailverliebt die 1 fleischfressende Pflanze aus dem Urwald heraus in den Filmstrom hebt, den Finger leicht auflegt und sich die Blätter langsam schließen. Das ist ganz wunderbar, magisch, wunderschön herzzerreißend und vor allem: wichtig. Gerade solche Szenen machen den Film aus. Der Schluß wäre mir dann nicht nötig gewesen, paßt aber tolerablerweise zum Film.

Pflichtfilm.


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Schnappschüsse im Dunkeln Pt.2


The Burmese Harp (Kon Ichikawa, Japan 1956) -- der Krieg ist vorbei, die Harfenmusik und der Gesang als Leitmotiv. Schöner Antikriegsfilm ohne Zeigefinger, der fast jede Drastik vermeidet und gerade so das perfekte Komplementärstück zu NOBI - FIRE ON THE PLAINS abgibt.

What Time is it There? (Tsai Ming-liang, Taiwan 2001) -- famoser Arthausfilm, der beinah alles Preziose umnschifft. Beinah - doch etwas Pathos darf gerne sein, um Fernenliebe auszudrücken. Schön gefilmt.

Samurai Fiction (Hiroyuki Nakano, Japan 1998)
-- hält auch der Zweitsichtung locker stand. Amüsant ohne albern zu sein. Auch hier: beinah.

The Weavers of Nishijin (Toshio Matsumoto, Japan 1961)
-- experimenteller Kurzfilm, der Einblicke in entfremdete Arbeitsprozesse einer Weberei bietet und die Verantwortlichen "indirekt" über filmgestalterische Mittel (Ton, Montage, Bildausschnitte) anzuklagen weiß. Toll.


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Gewalt am Nachmittag


Violence at High Noon / Daylight Phantom Killer / Hakuchu no torima (Nagisa Oshima, Japan 1966)

Oshima macht das wieder sehr geschickt: in der Tarnung eines Serienkiller-Thriller-Plots verbirgt sich eine Studie über zwischenmenschliche Abgründe, eine Analyse von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in "Liebes-"Beziehungen, und ganz politisch: die Erzählung über das Scheitern einer linken, autark lebenden Landkommune, die nach einer Überschwemmung vor dem Nichts steht.

Zur großartige Kameraarbeit (als Beispiel sei auf den Anfang verwiesen, in welchem man den Vergewaltiger Eisuke hinter einer Papierwand herschleichen sieht, die von senkrechten Holzstäben strukturiert wird. Noch bevor man das Gesicht des Mannes sieht, weiß man schon: dieser gehört hinter Gitter. Da schiebt er die Türe bei Seite, aus dem Kamerabild wird ein pov auf die am Boden knieende, putzende Frau, den Ausschnitt an der Achsel, eine Hautfalte kommt ins Bild, dann Schnitt zurück, eine Auge in extremer Nahaufnahme, Schweiß, ein halbverdecktes Bild eines Lüstlings. Da zieht er sich zurück...phantastischer Score dazu, harte Schnitte, Tonabschneiden, etc. - das führt hier jetzt zu weit.)...[wie soll man da Sätze zuende schreiben?].
Großer Film.


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Schnappschüsse im Dunkeln


Flandres (Bruno Dumont, Fr 2006) -- diejenigen Stellen aus dem menschlichen Leben, die sich Dumont zur Darstellung seiner Realität heraussucht, zeigen den Mann als Wolf. Emotional vereinsamt, stumm, roh. Ein Jäger. Geärgert hat mich die späte mentale Pathologisierung der "Freundin".

The Living Skeleton (Hiroshi Matsuno, Japan 1968)
-- äußerst skurrile, billigst hergestellte Horrorphantasie über eine Untat von Seepiraten, welche später von ihren Opfern drangsaliert werden. Ungewöhnlich abwechslungsreich und sehr gut musikalisch unterlegt entsteht bisweilen ein wirklich grusliger Film.

Detour (Edgar G. Ulmer, USA 1945)
-- angestochen von Funxtons Eintrag endlich mal diesen kleinen Noir-Klassiker nachgeholt. Prototypische Inszenierung, Handlung und Szenen inkl. Rückschau, femme fatale, in-die Scheiße-reiten, etc. Großes Kino für gut 60 Minuten. Meine Länge, übrigens. Toll.


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If not in heaven, then hand in hand to hell?


Richard III (Richard Loncraine, GB 1995)

Shakespeare, Königsdrama, Rosenkriege: als Literatur- und Filmfreund muss man da feuchte Hände kriegen, ein nervöses Zucken im Gesicht, ein Haben-Wollen in der Magengegend spüren. Denn diese Ingredienzien versprechen nur das Beste, was es auf dieser Welt gibt: Liebe, Gewalt, Intrigen, Mord und Totschlag, Action und Monologe. Geilste Sprache, Abenteuer, Food for Thought. Alles in den Actionmixer und heraus kommt: RICHARD III, eine der bösartigsten Geschichten, die dem Leben jemals zugeschrieben wurden - mit dem fiesesten Helden, den man sich denken kann.

Nur, wie heute inszenieren? Loncraine beamt das Stück in die 30er Jahre Englands, ein faschistoides Jahrzehnt; Neuordnung in einem dystopischen Europa das sich in seinen Settings zwischen prunkvollem Historienstück, Schlachtfeld und BRAZIL wiederfindet. Es geht darin, kurzum darum, König von England zu werden. Die Kontrahenten müssen, es versteht sich von selbst, aus dem Weg geräumt werden, und da ist Richard Gloucester (Ian McKellen) jedes Mittel recht. Doch nicht nur Intrige und Gewalttat bewähren sich, sondern auch auf die Verführung versteht sich der bucklichte Krüppel hervorragend. Vor Richards charmanten Einflüsterungen haben selbst trauernde Witwen Standhaftigkeitsdefizite.

Nun denn, es sei nicht zuviel verraten: diese Adaption, die ihr Ensemble beschwingt in den Untergang tanzen läßt, ist wunderbar inszeniert und verknüpft Filmfiktion unhd Bühnenrealtität auf äußerst unterhaltsame Weise. Panzer drauf.