Zum Inhalt wechseln


Untergetaucht im Spinnwebwald


Foto

In einer völlig rechtwinkligen Welt...


Der Ball (Ulrich Seidl, Österreich 1982)

Wie bei meiner Erstsichtung bin ich auch weiterhin voll überzeugt von diesem recht kurzen, frühen Film Seidls. Der "Höhepunkt des Horner Faschings" ist zugleich der Tiefpunkt österreichischer Kultur. Schlimm ist ja, dass Horn für alle Kleinstädte dieser Welt steht, und dann wird es richtig gruselig.

Kleiner Gedanke zum Schluß: im Jahre 2048 finden Aliens auf der völlig zerstörten und verseuchten Erde eine DVD mit Seidls BALL. Nach Sichtung im Gemeinschaftsraum, zu der sich auch die Dienstgrade eingefunden hatten (einer allerdings polierte lieber seinen neuen Teleporter und war etwas unaufmerksam) warfen sie völlig schockiert die Turbinen des Raumschiffs an, um schnell von diesem Planeten herunter zu kommen. Sie laserten ihn mit ihrer Strahlenkanone zu Staub, damit sich diese Krankheit Mensch niemals wiederhole. Glück gehabt.

Ulrich Seidl Österreich Kleinstadt Faschingsball


Foto

...mit dem richtigen Busen kann eine Frau vieles werden...


Der Busenfreund (Ulrich Seidl, Österreich 1997)

Herr Rupnik ist Busenfetischist, Senta Berger-Verehrer und Mathematiklehrer. Mit seinen Ansichten über das weibliche Geschlecht hält er auch im Unterricht nicht hinter den Berg (Kurvendiskussion), was ihm schnell leere Stuhlreihen einbringt. Im zweiten Teil des einstündigen Fernsehfilms liegt der Fokus mehr auf dem Privaten, dem Messie Rupnik, der Altpapier sammelt um so seine uralte, aber intelligente Mutter aus der Wohnung "zu verdrängen" (die ihn immer wieder mit der Realität konfrontiert). Der in einer Parallelwelt lebende Rupnik begreift seinen eigenen asozialen Status nicht, und der Zuschauer darf ihm bei seinen Alltäglichkeiten zusehen, lachen, sich wundern, gruseln, entsetzt sein. Die Frage nach der Moral, ob man so etwas dürfe: nun ja, warum sollte man die Realität (hier bearbeitet, kondensiert, sicherlich auch: abgemildert) nicht abbilden dürfen. Hält man so etwas nicht aus?

Ulrich Seidl Senta Berger Wien


Foto

Verkaufte Körper


Le Silence de Lorna (Jean-Pierre und Luc Dardenne, div. 2008)

Man wird mitten hinein geworfen in die Ehe zwischen Lorna und Claudy - und hier scheint einiges nicht zu stimmen, denn von Intimität ist dieser private Raum nicht erfüllt. Und da in den Filmen der Dardennes nichts erklärt wird, muss man den Bilderrn zuschauen, warten, sich den Schlüssel geben lassen. Lorna spricht mit einem Akzent, ist Albanerin, wie sich herausstellt; Claudy ein Heroinabhängiger. So wird deutlich, dass diese arrangierte Ehe ein ökonomisches Konstrukt ist: für Claudy um an Geld zu kommen, für Lorna, um die belgische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Natürlich soll Lornas Körper, immerhin ihr Kapital, weiterverkauft werden: nun eine Belgierin, an einen Russen. Claudy ist da im Weg und muß weg. Und da kommt dann doch das Humane in den Film, das sich ansonsten nur im Ziel eine Snackbar mit dem Geliebten zu eröffnen, manifestiert hatte.

Ein weiterer toller Film der Dardennes. Der sich in einen Konflikt hineinbewegt, als Lornas Gewissen bei diesem Spiel nicht mehr mitmachen kann. Und so abrupt, wie sie auszubrechen versucht, endet der Film. Hier wird nichts gerundet, findet keine Geschichte ihr Ende: der Film selbst verweigert sich der Zuschauererwartung und bricht mit den ökonomischen Regeln des Filmgeschäfts.

Belgien Albanien


Foto

Guatemala Skate-Punk-Ghetto-Kids machen weiße Mädels wuschig


Wassup Rockers (Larry Clark, USA 2005)

Da der Film in der ersten Hälfte tempomäßig ziemlich abstinkt, hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben. Doch zu früh geärgert: ab Beverly Hills kriegt er die Kurve (haha, Skate-Witz) zieht an, wird bündiger, schlüssiger, bekommt einen Fokus und rettet den Film aus der totalen Misere.
Die Skatepunk-Mucke wirkt jedoch leider oft aufgesetzt, die Bilder sind häufig uninspiriert. Die Jungs sind zu lieb und die Mädels mal wieder clarkesk zu willig. Dann kippt auch noch alles in die Satire. Oje. Das kann der Mann, insgesamt, doch viel besser.

Beverly Hills South Central Skateboard Blondinensaft


Foto

Superwolf und Rehauge


X-Men Origins: Wolverine (Gavin Hood, USA 2009)

Arg zahmer Film, der vor allem deswegen langweilig und ermüdend ist, da er aus so vielen Versatzstücken besteht, die Action ohne Spannung inszeniert ist, und er insgesamt auch so vorhersehbar daherkommt (etwa in den Charaktereigenschaften der Figuren). Eine echte Enttäuschung.

un-tag-worthy


Foto

Die Hobbytrolle von Hollywood greifen an!


PATHFINDER (Marcus Nispel, USA 2007)

Ein sehr schlechter Film. Und ärgerlich noch obendrein, vor allem schon allein deswegen, da er mit seiner rüden Attitüde hausieren geht, und gerade dies Versprechen überhaupt nicht einzulösen bereit ist: der Film ist völlig unbedenklich wegkonsumierbar, insbesondere für Fantasybücherleser (von Reihen nicht unter 12 Bänden), Rollenspiellaffen und selbstredend für die HERR DER RINGE - ich bin auf Turkey-Fraktion. Und wenn man denkt, diese ideologisch fragwürdige Angelegenheit halbwegs überstanden zu haben, dann brät einem das Finale von der Familienministerin nochmal ein Gemälde vor den Latz. So geht das irgendwie nicht, auch wenn man Musikvideos gut hinbekommt.

Wikinger Schlachtengemälde


Foto

She gave herself to that Hoodlum!


Den Muso / The Young Girl (Souleymane Cissé, Mali 1975)

Als die junge, stumme Ténin von einem stadtbekannten Lumberjack am Fluß vergewaltigt wird, kann es nur noch schlimmer kommen: sie ist schwanger, ihr Vater fühlt sich und die Familie entehrt und wirft sie hinaus. Alle Beschwichtigungsversuche des Umfelds schlagen fehl, und die enorm unter Druck stehende Ténin greift zu einem radikalen und brutalen Mittel um die Verhältnisse wieder herzustellen.

Erschütternd ist dieser nüchtern gefilmte Alptraum dieser wunderschönen stummen Frau, die sich nicht artikulieren kann. Aber es würde ihr sowieso keiner zuhören, da die Urteile der Angehörigen bereits gefällt sind. Abrupte Entgleißungen der Gewalt und der patriarchalen Herrschaft lassen jede Hoffnung auf Erlösung verkümmern, ein Ausweg ist nicht sichtbar. Auch die musikalische Begleitung bietet - zumindest für den Rezipienten - keine Erlösung aus diesem Drama, denn sie ist kaum vorhanden. Nur in wenigen Momenten gönnt uns der Regisseur eine Untermalung des Gezeigten, sodaß der Film sehr direkt, unkünstlich und beinah ruppig inszeniert wirkt; wären da nicht die langen Einstellungen und Sequenzen, in denen sich der Film bewegt: Bilder der Ruhe inmitten des Chaos, eine Verweigerung der Erzählkonventionen unserer westlichen Sehweisen. Erstaunlich, wie emotional dicht man an Ténin dennoch herankommt. Ein faszinierender Film.

Vergewaltigung Afrika Bambara


Foto

Das Mädchen in den Wäldern...


Moy laskovyy i nezhnyy zver / Shooting Party / A Hunting Accident (Emil Loteanu, Sowjetunion 1978)

Nach einem tschechowschen Bühnenstück sehen wir hier der russischen Aristokratie beim dekadenten Zeitvertreib zu: ein Landpartie, ein Festmahl, eine Hochzeit steht an, ein Mann begehrt die Frau eines Anderen. Er bekommt sie auch, die hübsche Tochter des Untergebenen, doch nur für wenige emotionale Momente - die Frau ist zu klug um nicht zu wissen, dass er sie fallen lassen wird, wenn er sie besessen hat...

Ganz w u n d e r b a r photographierter Film, irgendwo zwischen magischem Tarkovskij (Zerkalo) und Bühnenstück. Es wird viel geredet, was wenig zu bedeuten hat, und doch vermittelt sich genau dadurch ein guter Eindruck in diese (untergegangene) Hemisphäre. Der Film punktet mit durch die Bank fantastischen Darstelleren, die durchaus dezent ironisch ihre Figuren zu überhöhen wissen, ohne sie preiszugeben. Ein Film mit dem tollen Oleg Jankovskij.

Dekadenz Birkenwälder Russland


Foto

Rambo prequelled


Ruckus (Max Kleven, USA 1981)

Noch vor Rambos FIRST BLOOD, erzählt dieser Film doch beinah dieselbe Geschichte. Allerdings ohne dessen inhaltliche Tiefe oder dessen grimmige Härte. Versteht sich: der Film ist auch recht frei von formaler Finesse. Es gibt allerdings das eine oder andere Kornfeld im Abendlicht zu bestaunen, sowie eine äußerst "geschickt" geschnittene Motorradsequenz, in der die Liebenden auf einem Hügelparcours im Wald zu einer Art Sprungballett der Motocross-Kunst ansetzen. Man juckelt gemeinsam durch die Prärie, man fühlt die Freiheit, und hüpft miteinander, zueinander, synchron und lächelnd durch die Gegend. Dazu Weichzeichner, romantische Musik und... Abendlicht. Das ist, meine Herren!, sehenswert.

Vietnamtrauma Faceman Hillbillie


Foto

Bree, nicht wie in Käse.


Dr. T & the Women (Robert Altman, USA 2000)

Die Titelsequenz ganz zu Beginn ist für etwa drei bis vier Minuten Altman in Reinkultur: Das Sprechzimmer des beliebten, begehrten Frauenarztes Dr. T(ravis) füllt sich immer mehr mit reichen, neurotischen, einsamen und hypochondrischen Upper-Class Damen, die alle miteinander, gegeneinander, mit den Sprechstundenhilfen, die für Ordnung sorgend ebendfalls herumflitzen, sprechen, spötteln, meckern, triezen, und alle wollen nur eines: endlich zu Dr. T: RICHARD GERE.

Eine Plansequenz, ein Ensemble, ein Film, dessen reduzierte Handlung (die Hochzeit der Tochter, die psychische Erkrankung von Travis' Gattin), herum gestrickt ist. Das ist aber nicht so wichtig, denn hier wird ein Portrait, der Ausschnitt einer Gesellschaft gezeigt, und das mit einer überragenden formalen Brillianz - man ist so begeistert daß man: mit einem Genie sagen möchte - daß der Zuschauer tatsächlich zwei Stunden mit offenem Mund dasitzen kann und völlig in den Bann geschlagen ist. Die Schauspieler des Films, vor allem die Frauen, sind herausragend stark. Am Ende türmen sich die Ereignisse zu einem Orkan - der Anfang war tatsächlich nur ein Auftakt-, es gerät Dr. Ts Oberstübchen so sehr durcheinander, dass alles in einen großen Wirbelsturm mündet und mit ironischem Augenzwinkern endet. Wie sonst soll man aus einer Komödie, die so im Fluß ist, aussteigen? Wieder einmal: Altman, fulminant.

Hypochonder Sprechstundenhilfe Liv Taylor