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Untergetaucht im Spinnwebwald





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Topologie einer Liebe



L'année dernière à Marienbad (Alain Resnais, Frankreich 1961)

In einem barocken Nobelhotel versucht ein Mann ohne Namen eine Frau ohne Namen davon zu überzeugen, dass sie bereits vor einem Jahr ein Liebespaar gewesen seien, und sie nun hier und heute diese Beziehung fortzuführen hätten. Die Frau allerdings erinnert sich an nichts.
Ob der Mann das alles nur erfindet (zumal die Frau mit Gatten anwesend ist) um seinem erotischen Werben mit kreativer Originalität mehr Überzeugungskraft zu verleihen, ist nicht klar. Die Frau jedenfalls nähert sich ihm an.

MARIENBAD ist ein Film, der zunächst einmal durch seine formale Struktur auffällt: das Hotel wird in seinem labyrinthischen Verwinkeltsein dargestellt, ein Voice-over-Narrator wiederholt immer wieder gravitätisch die gleichen gewichtigen Sätze. Alles ist Wiederholung, Schleife. Die Personen sind wie die Statuen im Garten leblose Gestalten, die nur für kurze Momente zum Leben erwachen und ihre Rolle spielen - bleiben dabei aber völlig ohne Kontur, ohne Individualität. Es findet ein Glücksspiel statt, bei dem aber immer nur der Ehemann der Frau gewinnt, da er ein geheimes System zu kennen scheint, das ihn zum Sieger macht.

In MARIENBAD ist alles Form, so wie die Gartenkunstanlage, die man von unzähligen Bildern her kennt. Form auch besonders deswegen, da dies auch ein Film Alain Robbe-Grillets ist. Dem Aushängeschild des Noueveau Roman, einer literarischen Bewegung der 50er Jahre in Frankreich, die ein neues Erzählen einforderten, den alten anachronistischen Realismus verwarfen. Robbe-Grillets Romane, die sich durch ein Vorantasten an Architekturen auszeichnen, durch eine reduzierte Handlung, die elliptisch wiederkehrt und mit Details ausgefüllt wird, formen sich zumeist zu einer Art Kriminalroman; so steht häufig ein Verbrechen im Kern der Erzählung. Als Text aber tritt eine kreisende, scheinbar nüchterne, quasi-objektive Erzählstimme auf, die eher konstatiert als erzählt. Wie eine Kamera bewegt sich der Blick durch die Räume und zählt mit penibelster Genauigkeit Details auf (z.B. La Jalousie), die je nach Zustand des Lesenden zu extremer Spannung oder katatonischer Starre führen. Dieser Kamerablick ist auch hier vorzufinden, wie er schwebend durch die Räume gleitet, und später in einem möglichen Finale, eines möglichen Verbrechens ansichtig wird. Diese Option kann aber auch verworfen werden, und zu einem anderen Ende führen. Wer weiß schon ob das, was die Kamera zeigt, Realität oder Fiktion ist (vgl. Der Augenzeuge)!

Die Zeitschleifentechnik ermöglicht immer wieder neu anzusetzen, neue Verschiebungen aufzuzeigen, die aber als Variation nicht zwingend "real" sein müssen (hier auch eine große Nähe zu Kubricks Hotelfilm SHINING). Damit entsteht die Möglichkeit, verschiedene Blickwinkel darzustellen, Perspektiven aufzumachen. Die Ellipse als Stilmittel (vgl. Die blaue Villa in Hongkong) bewirkt so neben der Verunsicherung des Rezipienten eine Intensivierung des Gezeigten, ähnlich dem Kamerablick auf einen Gegenstand, der dadurch per se hervorgehoben wird und an Bedeutung gewinnt.
Letztlich ist MARIENBAD ein autoritärer KUNSTFILM reinsten Wassers. Er ist die Umsetzung eines Programms, und der Rezipient, der sich an den edlen Bildern delektiert, versucht diesem auf die Schliche zu kommen. Das kann man mögen, muss man aber nicht.

Zeitschleife nouveau roman