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Untergetaucht im Spinnwebwald





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Schöön Gassi geehn!



Import / Export (Ulrich Seidl, Österreich 2007)

Ulrich Seidl hat einen Auftrag, und der nennt sich Verstörung. Aufrütteln will er den Zuschauer, zum Nachdenken bringen. Und er schafft das ganz hervorragend, da er den moralischen Zeigefinger weg läßt. Da kommt das Schwein im Menschen raus, und man will das alles wirklich NICHT SEHEN. Den Sex nicht, die Traurigkeit nicht, das Saufen nicht, die Romasiedlung in Rumänien nicht. Und irgendwie - - - doch. Genau das will man sehen, die Stellen wo das Leben aufplatzt in die Katastrophe hinein, die sich sonst so sauber verdrängen läßt hinter dem Girokonto, dem Ärger mit den Kollegen, die alles anders falsch machen als man selbst, den zwei gestapelten Kisten Jever zum Grillgut dann am Wochenende beim Schwager im Gärtchen draußen vor der Stadt. Das einzige Problem: Montag wieder Arbeit, son Scheiß. Naja.

Plattenbau Rumänien Kaugummiautomatenaufsteller



Sehr schöner und treffender Text!
Import/Export hat auf mich allerdings indirekt etwas "positiver" gewirkt als Seidls frühere Werke wie etwa Hundstage. Das liegt wohl hauptsächlich an der Protagonistin, die, so dreckig ihr auch mitgespielt wird, immer ihre Menschlichkeit bewahrt und den Figuren, die noch schlimmer dran sind, eine Menge Empathie entgegen bringt. Beim Abspann dachte ich: Ja, die Welt ist definitiv Scheiße, aber solange es Personen wie Olga gibt, ist sie noch nicht vollkommen verloren.
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Ich empfand das ehrlich gesagt als Schwäche des Filmes, weil es das Klischee böser Westen - guter Osten bediente. Machte den Film für mich zu einem der weniger gelungenen Seidls. Aber was heißt das schon bei jemand wie ihm?
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Öhm, das Klischee ist mir bislang eher in entgegengesetzter Form begegnet, aber vielleicht schau ich auch die falschen Filme. :D
Beim Schreiben des Kommentars hatte ich übrigens METROPOLIS im Hinterkopf, dessen Philosophie des "reinen Herzens" von Sozialisten wie H.G. Wells ja auch kritisiert wurde, aber ich weiß noch nicht so recht, wie das zusammenzuführen wäre. Zum letzten Satz jedenfalls Zustimmung: Seidl müßte schon erheblich nachlassen, um nicht mehr einer der interessantesten zeitgenössischen Regisseure Europas zu sein.
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Na, das entlastende Vorurteil, daß "die da unten" zwar arm, aber herzensgut sind und deshalb das bessere Leben haben, wird auch gerne auf die ehemaligen Ostblockländer übertragen. Nur wenige, wie Eli Roth zum Beispiel, sehen doch, daß Armut brutalisiert.

Metropolis? Huh? Dem Diktum Wells' von wegen dümmster Film aller Zeiten würde ich nicht zustimmen, inhaltlich ist er wirklich grottendumm. Aber: "Dumm fickt gut." (Volksmund)
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pasheko sagte am 23. Juli 2010, 00:22:

Sehr schöner und treffender Text!
Import/Export hat auf mich allerdings indirekt etwas "positiver" gewirkt als Seidls frühere Werke wie etwa Hundstage. Das liegt wohl hauptsächlich an der Protagonistin, die, so dreckig ihr auch mitgespielt wird, immer ihre Menschlichkeit bewahrt und den Figuren, die noch schlimmer dran sind, eine Menge Empathie entgegen bringt. Beim Abspann dachte ich: Ja, die Welt ist definitiv Scheiße, aber solange es Personen wie Olga gibt, ist sie noch nicht vollkommen verloren.
Vielen Dank. :) Dass sich Olga als Sympathiefigur herausschält, ist natürlich wunderbar, denn sonst könnte man das langsame Sterben im Hospiz nicht aushalten. Schön der Tanz (ist das der dicke Witwer aus Hundstage?) und schrecklich toll der Kampf mit der hysterischen Schwester im Anschluß an den Faschingstanz mit Alex, dem Pfleger. Da es diese positive Figur gibt habe ich diesen Seidl auch als etwas milder empfunden, als seine sonstigen Werke (die ich noch nicht alle kenne). Der Pauli-Erzählstrang ist aber dann ein ordentliches Gegengewicht.
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The Critic sagte am 23. Juli 2010, 00:37:

Ich empfand das ehrlich gesagt als Schwäche des Filmes, weil es das Klischee böser Westen - guter Osten bediente. Machte den Film für mich zu einem der weniger gelungenen Seidls. Aber was heißt das schon bei jemand wie ihm?
Kenne ich jetzt so auch weniger, mag da aber Tendenzen aus der Journaille und Tagespresse mit filmischen Inhalten zusammenwerfen. Die lächerlichen demagogischen Kollektivmythen, dass einem beim Frankreichurlaub auf jeden Fall das Auto aufgebrochen und dass jede Reise in den "Ostblock" zu einem Survivaltrip zwischen Russenmafia und Straßenstrich wird, sitzen tief. Das Fremde ist halt überall. Deine These zu Eli Roth finde ich spannend, vor allem da ich sie nicht widerlegen kann und CABIN FEVER und HOSTEL scheiße fand. Wenn Du vom Klischee des "guten Ostens" sprichst, dann denke ich an ferne Zeiten, Literatur, an Tschechow oder Dostojewskij, Tolstoi, an die Anna Karenina.
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Es gibt zwei Lesarten der Fremde: Das Bedrohliche (die Russenmafia, der Straßenstrich, die Autoschieberbanden) und die Überhöhung ins Ursprüngliche (die Gastfreundlichkeit, die warmherzige Babushka, die natürliche Schönheit der Armut). Findet man schon länger, in älteren Werken vor allem im Mythos "Zigeuner" vereint.
Interessanterweise werden die trotz ihrer Gegensätzlichkeit häufig zusammengedacht. Psychologen würden vermutlich vom Abwehrmechanismus "Identifikation mit dem Aggressor" sprechen.

So viel dazu von der Partei der anonymen Laien. :D
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:D Du als Wissenschaftler kannst Deine Kentnisse natürlich direkt viel systematischer struktur- und präsentieren! *Neid* Als Parteifreund muss ich sagen: wir sollten unseren nächsten gemeinsamen Feldforschungsurlaub mal auf einen russischen Zeltplatz zwischen Baggersee und Puff verlegen, damit wir mit unseren empirisch erhobenen Daten eine ordentliche Exotismusstudie anfertigen können. Prost! (*Hicks...*)

Psychologisch könnte uns sicher Aussi - Chuck habe ihn selig - weiterhelfen. :cry:
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