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Untergetaucht im Spinnwebwald





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Judge Priest (John Ford, USA 1934)



Dass die Komödie oftmals nicht ganz für voll genommen wird, zumindest nicht auf gleicher Stufe stehe wie die Tragödie, liegt nicht nur an den Unterlassungen des Aristoteles. Was leicht und heiter ist, hat weniger Gewicht - denkt man. Dass aber das ein Irrglaube ist, sieht man schon an so wunderbaren Werken wie den Komödien Shakespeares, etwa Much Ado about Nothing (um mal ein geläufiges Beispiel zu nennen), oder, freilich, bei Molière. Oder Georges Tabori, Samuel Beckett, Yasmina Reza und so weiter. Oder eben John Ford.

Judge Priest beginnt beinahe anarchistisch - und ausgerechnet mit einer Gerichtsszene. Der Angeklagte liegt lümmelnd auf der Bank herum und nickt kurz weg. Der Richter (Priest) liest das Abendblatt, die Witzeseite. Der Staatsanwalt schwadroniert und salbadert hoch zu Roß wie ein Geschichtenerzähler an der Biertheke. Dass hier nichts Gescheites passieren wird, sagt uns viel über das namenlose Kleinstädtchen in Kentucky, in den Südstaaten der USA. Hier passiert nix, und wenn, dann wird es per Handschlag verhandelt. Der Verhandlungsgegenstand ist zudem der Raub eines Suppenhuhns, wenn ich das richtig verstanden habe, und als der Angeklagte sich verteidigt, gerät alles zu einer musikalischen Sause, zu einem Singalong, in den alle einstimmen. Ein Irrenhaus. Eines, bei dem man sich aber auch nicht wundern würde, wenn plötzlich der Galgenstrick hervorgeholt wird, um den ehemaligen Sklaven zu hängen.

Der Film ist aber auch akustisch eine Herausforderung: der Akzent ist manchmal sehr schwer zu verstehen im O-Ton (und ohne Untertitel). Wenn dann noch mit Sprache gespielt wird, wie in den verballhornenden Reden des Schwarzen Protagonisten namens Stepin Fetchit (!), der auf diese Art afro-amerikanische Stereotypen aufs Korn nimmt, wird der Film auch auf dieser Ebene eine ganz schöne Herausforderung. Der Film zerfällt zudem in zwei Teile, in dem nur im ersten der Judge selbst im Zentrum steht. Später wird die Rolle von zwei anderen Figuren übernommen, einmal von einer Liebesgeschichte - wodurch der Film weniger eine gewöhnliche Narration aufweist, als einer Zustandsbeschreibung gleichkommt, oder eines Films mit verschiedenen Erzählfäden. Ich habe mich nicht ganz leicht getan mit ihm, obwohl ich hoch konzentriert und mit Kopfhörer geschaut habe. Geholfen hat mir dann dieser etwas erklärbärige Text bei der Fipresci, der die Komplexität des Films aber sehr deutlich werden lässt. Definitiv: eine Empfehlung.




Ford hat 20 Jahre später eine Art Remake gedreht, wo er auch die Szene unterbringen konnte, die man ihm anno '34 noch verweigert hat: Ein pöbelnder Rassistenhaufen verdächtigt einen ehemaligen Sklaven ein junges, weißes Mädchen vergewaltigt und anschließend ermordet zu haben. Sie jagen ihn mit Bluthunden und wollen ihn gleich am nächsten Baum aufknüpfen. Es ist der Intervention Priests zu verdanken, dass er gerettet wird. Später stellt sich dann heraus, dass es einer der weißen Vorarbeiter war. In WEM DIE SONNE LACHT, so der Titel des Quasi-Remakes, werden mehr als 16 Charaktere durch 6 parallel verlaufende Geschichten dirigiert, in gerade mal 90 Minuten.

Herrlich auch, dass die Rolle des Priest hier von einem Cherokee gespielt wird. Stepin Fetchit, der mit Will Rogers gut befreundet gewesen sein soll, spielt auch 20 Jahre später noch mal die gleiche Rolle.

Ah, ich lese gerade den Text von Coursodon. Da wird das ja alles erklärt.
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Überhaupt werden Fords Komödien zu wenig in seinem Schaffen beachtet. Manche Kritiker vergleichen ihn da ja mit Beckett und verweisen darauf, dass Ford diese Elemente in seine Komödien schon einbaute, bevor Beckett überhaupt anfing zu schreiben. Ein anderer meinte mit Verweis auf Fords Stummfilme, er sei schon Brecht gewesen, bevor Brecht Brecht war. Die Komödie SO EIN PECHVOGEL (1950) hat mich in einigen Momenten schon fast an Kafka erinnert.
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sicomastik sagte am 24. Mai 2014, 09:05:

Ford hat 20 Jahre später eine Art Remake gedreht, wo er auch die Szene unterbringen konnte, die man ihm anno '34 noch verweigert hat: Ein pöbelnder Rassistenhaufen verdächtigt einen ehemaligen Sklaven ein junges, weißes Mädchen vergewaltigt und anschließend ermordet zu haben. Sie jagen ihn mir Bluthunden und wollen ihn gleich am nächsten Baum aufknüpfen. Es ist der Intervention Priests zu verdanken, dass er gerettet wird. Später stellt sich dann heraus, dass es einer der weißen Vorarbeiter war.

Ich kenne weder JUDGE PRIEST noch WEM DIE SONNE LACHT, aber mich erinnert das stark an SERGEANT RUTLEDGE.

Zu dieser Sache möchte ich nochmal auf die sehr lesenswerten Texte von Hans Schmid zu John Ford hinweisen:
http://www.heise.de/...39/39713/1.html
http://www.heise.de/...39/39714/1.html
http://www.heise.de/...40/40598/1.html
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Ja, was in den beiden anderen Filmen nur ein Seitensegment ist, wird in MIT EINEM FUSS IN DER HÖLLE als ganzer Film ausformuliert. Die Verküpfungen in Fords Filmen reichen von STRAIGHT SHOOTING 1917 (noch mal Danke dafür) bis 7 FRAUEN 1966. Er hat innerhalb eines halben Jahrhunderts ein Gesamtwerk geschaffen, in dem alles miteinander verwoben ist.

Außer Hitchcock und mit Abstrichen Howard Hawks würde mir kein anderer Regisseur der westlichen Hemisphäre einfallen, der das, vor allem über einen so langen Zeitraum, so hinbekommen hat (gut, vielleicht noch Jess Franco, aber da sind die Verbindungslinien manchmal etwas schwächer). Und das in 144 Spielfilmen, Dokumentationen und Fernsehspielen.

EDIT: Bergman noch, bei Chabrol und Godard müsste ich ihre Filme mal wieder sichten.
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THE SUN SHINES BRIGHT habe ich bereits hier, aber noch nicht gesehen. Danke für die Ausführungen, sicomasik, und für die Links, Smergo.

Denke ich an einen vergleichbaren Regisseur aus Asien, dann fällt mir, wenig verwunderlich, vor allem zuerst einmal Akira Kurosawa ein. Sowohl was die Vielzahl der Themen und der Genres angeht, als auch die "Verwobenheit" des Gesamtwerks. Ozu, Mizoguchi, Imamura oder Yamada haben ein vielleicht ebenso dichtes Werk geschaffen, sind aber eher Spezialisten in ihren eigenen Bereichen. Eventuell könnte man noch Masaki Kobayashi anführen, dessen Werk ebenso vielgestaltig ist (tolle Komödien etwa, die man hier überhaupt nicht kennt), aber da hapert es dann (soweit ich ihn kenne) manchmal an der Qualität.
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