o.k.
Will einer den Goldzahn?
1970. Der Vietnamkrieg tobt immer noch mit amerikanischer Beteiligung und Hollywood hat immer noch nichts zu diesem Krieg zu sagen. John Waynes „The Green Berets“ (1968) kann kaum als ernsthafter Beitrag gewertet werden, zu sehr steht die plumpe Propaganda im Vordergrund. Die Heimkehrerfilme und die Kriegsdramen lassen noch auf sich warten, lediglich die „Critical Western“ verweisen im Subtext – mal mehr, mal weniger gekonnt – auf den Krieg. Wenn zum Beispiel am Ende des berüchtigten „Soldier Blue“ die Kavallerie ein Indianerdorf niedermacht, Frauen und Kinder massakriert, dann ist das nicht nur eine Abkehr von einer Genrekonvention (die Kavallerie als Heldentrupp mit Trompeten-Fanfare und gelbem Halstuch), sondern auch ein Verweis auf die realen Gräueltaten im fernen Vietnam, namentlich das Massaker von My Lai, bei dem amerikanische Soldaten 500 Zivilisten bestialisch ermordeten.
Dass sich in diesem Jahr ausgerechnet ein deutscher Film mit dem Krieg beschäftigt (genauer: mit einem Verbrechen, das Ostern 1966 stattfand), ist bereits ungewöhnlich, aber „o.k.“ ist noch aus anderen Gründen ein interessantes Kuriosum der Filmgeschichte. Einerseits ist der Film in seiner Machart nahezu einzigartig, andererseits war er Anlass für einen beispiellosen Skandal (dazu später mehr).
V-Effekt
Die herausragende Besonderheit des Filmes ist, dass er auf eine Theater-Theorie Brechts zurückgreift, nämlich den „Verfremdungseffekt“. Dabei wird – vereinfacht gesagt – der bekannte Ablauf und Aufbau eines Theaterstücks aufgebrochen, der Zuschauer wird angesprochen, soll aus seiner passiv-konsumierenden Haltung herausgerissen werden, kritisches Bewusstsein soll geweckt werden. Der Verzicht auf Bühnenbild und Ausstattung oder die Unterbrechung des Stückes für Lieder oder Anreden des Publikums sind Beispiele für diese Verfremdung. Wie man dieser Methode grundsätzlich gegenübersteht ist unerheblich – aber wenn man „o.k.“ möglichst neutral bewerten will, muss man daran denken, dass der Film auf diesen Verfremdungseffekt zurückgreift und daher weniger als klassischer Kriegsfilm, sondern mehr als abgefilmtes Theater zu verstehen ist.
Ohne diese Erkenntnis bleibt der Film zwar verständlich, wird dem Zuschauer aber unweigerlich als lächerliche Farce erscheinen. Schon der Prolog dürfte irritieren: Man sieht Schauspieler in einem Raum mit Requisiten; sie stellen sich mit Name, Familienstand und militärischem Status vor; sie erläutern kurz die Ausgangssituation der Handlung; dazwischen mäandert die Kamera ziellos im Raum herum, während Gesprächsfetzen zu hören sind. Diese Einleitung ist der vielleicht einzige, wirkliche Schwachpunkt des Filmes, weil sie zwar kurzweilig anzuschauen ist, der Film aber nicht auf sie angewiesen ist. Diejenigen Zuschauer, die mit der ungewöhnlichen Umsetzung des Filmes keine Schwierigkeiten haben, erfahren hier nichts, was sie nach wenigen Sekunden des eigentlichen Filmes nicht von alleine gemerkt hätten, und diejenigen, die sich nicht auf die Besonderheiten des Filmes einlassen wollen, werden bereits durch die Einführung zu einer ablehnenden Haltung getrieben. Nun muss es zwar nicht zum Selbstverständnis eines Regisseurs gehören, es unbedingt jedem recht zu machen, aber es ist dennoch schade, wenn sich ein so bemerkenswerter Film wie „o.k.“ gleich zu Beginn selbst Steine in den Weg legt. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass diese Sequenz auch eine ganz simple und praktische Funktion erfüllt: Betrachtet man die Gesamtspieldauer von rund 75 Minuten, dann wird klar, dass „o.k.“ ohne diese einleitenden sieben Minuten unterhalb der imaginären Mindestlänge für einen Spielfilm geblieben wäre.
Ostern ‘66
Nach dieser Verzögerung beginnt endlich der eigentliche Film und spätestens jetzt wird klar, dass dieser Film anders ist. Dieselben Schauspieler, die sich eben noch in mehr oder weniger korrektem Hochdeutsch dem Zuschauer vorstellten, stecken jetzt in amerikanischen Uniformen und sprechen sich mit den entsprechenden Namen und Dienstgraden an, stehen aber inmitten eines offensichtlich mitteleuropäischen Waldes und unterhalten sich ausnahmslos auf bayrisch – wenn das kein Verfremdungseffekt ist, dann gibt es keinen! Jetzt hat der Film seine Karten aufgedeckt und es liegt am Zuschauer zu entscheiden, ob er dies nun billig findet oder sich darauf einlässt.
Es folgen dreißig Minuten, in denen wir fünf Soldaten sehen, die ihren Posten mit Stacheldraht eingrenzen, Schützenstände ausheben und sich generell langweilen. Wenn sie nicht von ihrem ruppigen Kommandanten durch den Wald gehetzt werden, sitzen sie herum, machen Witze und vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen. Sonst gibt es nichts zu tun, denn schließlich herrscht über die Osterfeiertage Waffenruhe. Im Hintergrund singen Vögel. Das Ende dieses Teils wird durch eine Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe markiert. Private Rafe fällt seinem Vorgesetzen durch seinen Schnurrbart negativ auf. Nachdem er den Befehl ablehnt sich zu rasieren, wird kurzerhand eine Zwangsrasur vorgenommen, bei der Rafe von seinen Kameraden festgehalten wird, während einer ihm den Bart mit einem Messer schneidet. Rafe bäumt sich auf, wimmert und wehrt sich. Plötzlich hören die Männer Geräusche. Sie stammen von einem Mädchen, dass auf ihrem Fahrrad unterwegs ist und an diesem Tag schon einmal an ihnen vorbeigefahren ist. Die Soldaten wittern Spionage und halten sie an. Die aggressive Stimmung, die innerhalb der Gruppe herrschte, richtet sich nun gegen das Mädchen, der Gewaltakt gegen den eigenen Kameraden erscheint als Vorspiel für die Gewalt gegen das Mädchen.
Die nun folgende halbe Stunde unterscheidet sich grundlegend von der entspannten Stimmung des bisher Gesehenen. Die Scherze und Frotzeleien sind aggressiver und bedrohlich gegen die 15-jährige Vietnamesin gerichtet. Die Männer spielen mit ihrer Angst, werfen ihr Spionage vor und wenden ihre Aussagen gegen sie. Einer von ihnen, Eriksson, versucht einzugreifen und das Mädchen zu retten, aber er kann nichts ausrichten. Seine Kameraden vergewaltigen das Mädchen und zwingen ihn – der ihnen mit Anzeige drohte – mit roher Gewalt zu dem selben Verbrechen. Schließlich ermorden sie das Mädchen. Eriksson kann ihnen entkommen und meldet die Tat. Aber während die Mörder die Leiche entsorgen, muss er feststellen, dass seine Vorgesetzten den Fall herunterspielen und ihn unverrichteter Dinge zurück zu seinen Kameraden schicken. Es folgt ein kurzer Epilog. Zu Bildern von den Schauspielern, die (wieder in der realen Welt) das Gebäude verlassen, in dem die Requisiten untergebracht sind, erläutert ein Sprecher aus dem off den Stand der Dinge: Eriksson vertraute sich einem Militärgeistlichen an, der wiederum brachte den Fall vor Gericht. Es ergingen harte Urteile von 8 Jahren bis zu lebenslänglicher Haft. Wenig später wurden die Urteile revidiert: 8 Jahre statt lebenslang, 4 Jahre statt 8, Freispruch wegen eines Formfehlers, vorzeitige Entlassung und Wiedereinstellung in die Armee. Ende der Geschichte.
Berlinale
Die Jury der Berlinale von 1970 war über den Film nicht begeistert und schloss ihn unter fadenscheinigen Vorwänden vom Wettbewerb aus. Das führte zu Protesten von Künstlern und Journalisten – als Reaktion löste sich die Jury auf und verzichtete darauf Preise zu vergeben. Seltsamer war es bis dahin noch nie auf einer Berlinale zugegangen.
Diese Ereignisse sprechen für die Qualität des Filmes, denn würde es sich bei „o.k.“ lediglich um die Aufzeichnung einer Freiluft-Aufführung einer bayrischen Laientruppe handeln, dann hätte er die Gemüter kaum derartig erhitzen können. (An dieser Stelle sollte die exzellente Kameraarbeit des Filmes erwähnt werden, die in einem seltsamen Kontrast zu dem Gesamtkonzept des Filmes steht. Der Film wartet mit interessanten Perspektiven auf, mit Kranfahrten, mit einer Kamera die um Darsteller kreist oder mit extremen close-ups die direkt aus italienischen Western entnommen sein könnten.) Aber „o.k.“ wurde von der Jury ernstgenommen und das aus gutem Grund. Die geographischen Gegebenheiten und der Dialekt der Darsteller mögen die Geschichte verfremden, trotzdem bleibt sie als Abbild eines grausamen Verbrechens verständlich, das im Übrigen nicht spezifisch dem amerikanischen Militär angelastet wird, sondern (eben aufgrund des Verfremdungseffekts) die generellen Umstände solcher Taten beleuchtet und somit ebenso als Tat deutscher, französischer oder englischer Soldaten vorstellbar ist. Diese Allgemeingültigkeit der Aussage ist die größte Leistung des Filmes. Vergleicht man Verhoevens Version der Geschichte mit Brian De Palmas Bearbeitung („The casualties of war“ , 1989), dann muss man trotz der erdrückenden technischen Überlegenheit des amerikanischen Filmes feststellen, dass er zu keiner Zeit die Intensität seines deutschen Konkurrenten erreicht und vielleicht gerade seine glatte und professionelle Inszenierung eine tiefergehende Beschäftigung mit den Geschehnissen verhindert.
Schlussgedanken
„o.k.“ ist also ein wirklicher Ausnahmefilm, dessen bizarr anmutende Grundidee etwas Entgegenkommen vom Zuschauer verlangt. Ist man dazu bereit, wird man einen der besten deutschen Filme der Nachkriegszeit entdecken, der in der ersten Hälfte mit amüsanten Episoden prächtig unterhält, während er danach abrupt den Tonfall wechselt und den Zuschauer mit der qualvollen Vergewaltigung des Mädchens und dem unerträglichen Korpsgeist des Militärs konfrontiert. „Vietnam ist weit weg“, heißt es im Prolog, darum habe man die Geschichte nach Bayern verlegt, um dem Zuschauer einen anderen Zugang zu den Geschehnissen zu ermöglichen. Dies ist in vollem Umfang gelungen, vielleicht auch deswegen, weil der Film nicht beim vermeintlich guten Ausgang der Geschichte aufhört ( „...harte Urteile wurden gefällt...“ ), sondern, weil er auch diese Illusion zerstört, in dem er auf die späteren Begnadigungen verweist. Solche Vertuschungsversuche und lächerlich anmutende Urteile gab es bereits bei der Strafverfolgung des Massenmordes von My Lai – der verantwortliche Kommandierende wurde verurteilt, dann begnadigt und ist heute ein freier Mann. Eine Untersuchungskommission kam zu dem faszinierenden Urteil, das unmenschliche Verbrechen sei durch „grob missverständliche Befehle“ entstanden und nicht etwa die barbarische Entgleisung gestörter Soldaten. Angesichts dieser bitteren Wahrheit sollte die US-Army dankbar dafür sein, dass Verhoevens Film letztlich nur noch als einflusslose Fußnote der Filmgeschichte gilt, De Palmas Werk auch nicht gerade in den Reigen der großen Vietnam- oder Kriegsfilm aufgenommen wurde und vor allem, dass sich in den 70ern oder 80ern (der unumstrittenen Blütezeit gewalttätiger Filme) kein amerikanischer Star-Regisseur oder zumindest ein italienischer Horror-Exploitation-Filmer fand, der sich den Geschehnissen von My Lai angenommen hätte. Man will sich gar nicht vorstellen, wie viele Film-Festivals dann unter geheuchelter Beleidigung hätten abgebrochen werden müssen.
Texte aus kino.de-Zeiten
Will einer den Goldzahn?
1970. Der Vietnamkrieg tobt immer noch mit amerikanischer Beteiligung und Hollywood hat immer noch nichts zu diesem Krieg zu sagen. John Waynes „The Green Berets“ (1968) kann kaum als ernsthafter Beitrag gewertet werden, zu sehr steht die plumpe Propaganda im Vordergrund. Die Heimkehrerfilme und die Kriegsdramen lassen noch auf sich warten, lediglich die „Critical Western“ verweisen im Subtext – mal mehr, mal weniger gekonnt – auf den Krieg. Wenn zum Beispiel am Ende des berüchtigten „Soldier Blue“ die Kavallerie ein Indianerdorf niedermacht, Frauen und Kinder massakriert, dann ist das nicht nur eine Abkehr von einer Genrekonvention (die Kavallerie als Heldentrupp mit Trompeten-Fanfare und gelbem Halstuch), sondern auch ein Verweis auf die realen Gräueltaten im fernen Vietnam, namentlich das Massaker von My Lai, bei dem amerikanische Soldaten 500 Zivilisten bestialisch ermordeten.
Dass sich in diesem Jahr ausgerechnet ein deutscher Film mit dem Krieg beschäftigt (genauer: mit einem Verbrechen, das Ostern 1966 stattfand), ist bereits ungewöhnlich, aber „o.k.“ ist noch aus anderen Gründen ein interessantes Kuriosum der Filmgeschichte. Einerseits ist der Film in seiner Machart nahezu einzigartig, andererseits war er Anlass für einen beispiellosen Skandal (dazu später mehr).
V-Effekt
Die herausragende Besonderheit des Filmes ist, dass er auf eine Theater-Theorie Brechts zurückgreift, nämlich den „Verfremdungseffekt“. Dabei wird – vereinfacht gesagt – der bekannte Ablauf und Aufbau eines Theaterstücks aufgebrochen, der Zuschauer wird angesprochen, soll aus seiner passiv-konsumierenden Haltung herausgerissen werden, kritisches Bewusstsein soll geweckt werden. Der Verzicht auf Bühnenbild und Ausstattung oder die Unterbrechung des Stückes für Lieder oder Anreden des Publikums sind Beispiele für diese Verfremdung. Wie man dieser Methode grundsätzlich gegenübersteht ist unerheblich – aber wenn man „o.k.“ möglichst neutral bewerten will, muss man daran denken, dass der Film auf diesen Verfremdungseffekt zurückgreift und daher weniger als klassischer Kriegsfilm, sondern mehr als abgefilmtes Theater zu verstehen ist.
Ohne diese Erkenntnis bleibt der Film zwar verständlich, wird dem Zuschauer aber unweigerlich als lächerliche Farce erscheinen. Schon der Prolog dürfte irritieren: Man sieht Schauspieler in einem Raum mit Requisiten; sie stellen sich mit Name, Familienstand und militärischem Status vor; sie erläutern kurz die Ausgangssituation der Handlung; dazwischen mäandert die Kamera ziellos im Raum herum, während Gesprächsfetzen zu hören sind. Diese Einleitung ist der vielleicht einzige, wirkliche Schwachpunkt des Filmes, weil sie zwar kurzweilig anzuschauen ist, der Film aber nicht auf sie angewiesen ist. Diejenigen Zuschauer, die mit der ungewöhnlichen Umsetzung des Filmes keine Schwierigkeiten haben, erfahren hier nichts, was sie nach wenigen Sekunden des eigentlichen Filmes nicht von alleine gemerkt hätten, und diejenigen, die sich nicht auf die Besonderheiten des Filmes einlassen wollen, werden bereits durch die Einführung zu einer ablehnenden Haltung getrieben. Nun muss es zwar nicht zum Selbstverständnis eines Regisseurs gehören, es unbedingt jedem recht zu machen, aber es ist dennoch schade, wenn sich ein so bemerkenswerter Film wie „o.k.“ gleich zu Beginn selbst Steine in den Weg legt. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass diese Sequenz auch eine ganz simple und praktische Funktion erfüllt: Betrachtet man die Gesamtspieldauer von rund 75 Minuten, dann wird klar, dass „o.k.“ ohne diese einleitenden sieben Minuten unterhalb der imaginären Mindestlänge für einen Spielfilm geblieben wäre.
Ostern ‘66
Nach dieser Verzögerung beginnt endlich der eigentliche Film und spätestens jetzt wird klar, dass dieser Film anders ist. Dieselben Schauspieler, die sich eben noch in mehr oder weniger korrektem Hochdeutsch dem Zuschauer vorstellten, stecken jetzt in amerikanischen Uniformen und sprechen sich mit den entsprechenden Namen und Dienstgraden an, stehen aber inmitten eines offensichtlich mitteleuropäischen Waldes und unterhalten sich ausnahmslos auf bayrisch – wenn das kein Verfremdungseffekt ist, dann gibt es keinen! Jetzt hat der Film seine Karten aufgedeckt und es liegt am Zuschauer zu entscheiden, ob er dies nun billig findet oder sich darauf einlässt.
Es folgen dreißig Minuten, in denen wir fünf Soldaten sehen, die ihren Posten mit Stacheldraht eingrenzen, Schützenstände ausheben und sich generell langweilen. Wenn sie nicht von ihrem ruppigen Kommandanten durch den Wald gehetzt werden, sitzen sie herum, machen Witze und vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen. Sonst gibt es nichts zu tun, denn schließlich herrscht über die Osterfeiertage Waffenruhe. Im Hintergrund singen Vögel. Das Ende dieses Teils wird durch eine Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe markiert. Private Rafe fällt seinem Vorgesetzen durch seinen Schnurrbart negativ auf. Nachdem er den Befehl ablehnt sich zu rasieren, wird kurzerhand eine Zwangsrasur vorgenommen, bei der Rafe von seinen Kameraden festgehalten wird, während einer ihm den Bart mit einem Messer schneidet. Rafe bäumt sich auf, wimmert und wehrt sich. Plötzlich hören die Männer Geräusche. Sie stammen von einem Mädchen, dass auf ihrem Fahrrad unterwegs ist und an diesem Tag schon einmal an ihnen vorbeigefahren ist. Die Soldaten wittern Spionage und halten sie an. Die aggressive Stimmung, die innerhalb der Gruppe herrschte, richtet sich nun gegen das Mädchen, der Gewaltakt gegen den eigenen Kameraden erscheint als Vorspiel für die Gewalt gegen das Mädchen.
Die nun folgende halbe Stunde unterscheidet sich grundlegend von der entspannten Stimmung des bisher Gesehenen. Die Scherze und Frotzeleien sind aggressiver und bedrohlich gegen die 15-jährige Vietnamesin gerichtet. Die Männer spielen mit ihrer Angst, werfen ihr Spionage vor und wenden ihre Aussagen gegen sie. Einer von ihnen, Eriksson, versucht einzugreifen und das Mädchen zu retten, aber er kann nichts ausrichten. Seine Kameraden vergewaltigen das Mädchen und zwingen ihn – der ihnen mit Anzeige drohte – mit roher Gewalt zu dem selben Verbrechen. Schließlich ermorden sie das Mädchen. Eriksson kann ihnen entkommen und meldet die Tat. Aber während die Mörder die Leiche entsorgen, muss er feststellen, dass seine Vorgesetzten den Fall herunterspielen und ihn unverrichteter Dinge zurück zu seinen Kameraden schicken. Es folgt ein kurzer Epilog. Zu Bildern von den Schauspielern, die (wieder in der realen Welt) das Gebäude verlassen, in dem die Requisiten untergebracht sind, erläutert ein Sprecher aus dem off den Stand der Dinge: Eriksson vertraute sich einem Militärgeistlichen an, der wiederum brachte den Fall vor Gericht. Es ergingen harte Urteile von 8 Jahren bis zu lebenslänglicher Haft. Wenig später wurden die Urteile revidiert: 8 Jahre statt lebenslang, 4 Jahre statt 8, Freispruch wegen eines Formfehlers, vorzeitige Entlassung und Wiedereinstellung in die Armee. Ende der Geschichte.
Berlinale
Die Jury der Berlinale von 1970 war über den Film nicht begeistert und schloss ihn unter fadenscheinigen Vorwänden vom Wettbewerb aus. Das führte zu Protesten von Künstlern und Journalisten – als Reaktion löste sich die Jury auf und verzichtete darauf Preise zu vergeben. Seltsamer war es bis dahin noch nie auf einer Berlinale zugegangen.
Diese Ereignisse sprechen für die Qualität des Filmes, denn würde es sich bei „o.k.“ lediglich um die Aufzeichnung einer Freiluft-Aufführung einer bayrischen Laientruppe handeln, dann hätte er die Gemüter kaum derartig erhitzen können. (An dieser Stelle sollte die exzellente Kameraarbeit des Filmes erwähnt werden, die in einem seltsamen Kontrast zu dem Gesamtkonzept des Filmes steht. Der Film wartet mit interessanten Perspektiven auf, mit Kranfahrten, mit einer Kamera die um Darsteller kreist oder mit extremen close-ups die direkt aus italienischen Western entnommen sein könnten.) Aber „o.k.“ wurde von der Jury ernstgenommen und das aus gutem Grund. Die geographischen Gegebenheiten und der Dialekt der Darsteller mögen die Geschichte verfremden, trotzdem bleibt sie als Abbild eines grausamen Verbrechens verständlich, das im Übrigen nicht spezifisch dem amerikanischen Militär angelastet wird, sondern (eben aufgrund des Verfremdungseffekts) die generellen Umstände solcher Taten beleuchtet und somit ebenso als Tat deutscher, französischer oder englischer Soldaten vorstellbar ist. Diese Allgemeingültigkeit der Aussage ist die größte Leistung des Filmes. Vergleicht man Verhoevens Version der Geschichte mit Brian De Palmas Bearbeitung („The casualties of war“ , 1989), dann muss man trotz der erdrückenden technischen Überlegenheit des amerikanischen Filmes feststellen, dass er zu keiner Zeit die Intensität seines deutschen Konkurrenten erreicht und vielleicht gerade seine glatte und professionelle Inszenierung eine tiefergehende Beschäftigung mit den Geschehnissen verhindert.
Schlussgedanken
„o.k.“ ist also ein wirklicher Ausnahmefilm, dessen bizarr anmutende Grundidee etwas Entgegenkommen vom Zuschauer verlangt. Ist man dazu bereit, wird man einen der besten deutschen Filme der Nachkriegszeit entdecken, der in der ersten Hälfte mit amüsanten Episoden prächtig unterhält, während er danach abrupt den Tonfall wechselt und den Zuschauer mit der qualvollen Vergewaltigung des Mädchens und dem unerträglichen Korpsgeist des Militärs konfrontiert. „Vietnam ist weit weg“, heißt es im Prolog, darum habe man die Geschichte nach Bayern verlegt, um dem Zuschauer einen anderen Zugang zu den Geschehnissen zu ermöglichen. Dies ist in vollem Umfang gelungen, vielleicht auch deswegen, weil der Film nicht beim vermeintlich guten Ausgang der Geschichte aufhört ( „...harte Urteile wurden gefällt...“ ), sondern, weil er auch diese Illusion zerstört, in dem er auf die späteren Begnadigungen verweist. Solche Vertuschungsversuche und lächerlich anmutende Urteile gab es bereits bei der Strafverfolgung des Massenmordes von My Lai – der verantwortliche Kommandierende wurde verurteilt, dann begnadigt und ist heute ein freier Mann. Eine Untersuchungskommission kam zu dem faszinierenden Urteil, das unmenschliche Verbrechen sei durch „grob missverständliche Befehle“ entstanden und nicht etwa die barbarische Entgleisung gestörter Soldaten. Angesichts dieser bitteren Wahrheit sollte die US-Army dankbar dafür sein, dass Verhoevens Film letztlich nur noch als einflusslose Fußnote der Filmgeschichte gilt, De Palmas Werk auch nicht gerade in den Reigen der großen Vietnam- oder Kriegsfilm aufgenommen wurde und vor allem, dass sich in den 70ern oder 80ern (der unumstrittenen Blütezeit gewalttätiger Filme) kein amerikanischer Star-Regisseur oder zumindest ein italienischer Horror-Exploitation-Filmer fand, der sich den Geschehnissen von My Lai angenommen hätte. Man will sich gar nicht vorstellen, wie viele Film-Festivals dann unter geheuchelter Beleidigung hätten abgebrochen werden müssen.
Texte aus kino.de-Zeiten