Aus aktuellem Anlass – geschrieben am 21.09.2003.
Die Faulen werden geschlachtet,
die Welt wird fleißig.
Die Häßlichen werden geschlachtet,
die Welt wird schön.
Die Narren werden geschlachtet.
die Welt wird weise.
Die Kranken werden geschlachtet,
die Welt wird gesund.
Die Alten werden geschlachtet,
die Welt wird jung.
Die Traurigen werden geschlachtet,
die Welt wird lustig.
Die Feinde werden geschlachtet,
die Welt wird freundlich.
Die Bösen werden geschlachtet,
die Welt wird gut.
Die Maßnahmen
(Erich Fried)
„Vor 2 Jahren sah die Welt ungläubig, wie absichtlich zwei Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme krachten. In wenigen Minuten zerbrach Amerikas Traum der Unverwundbarkeit in einen Haufen von deformierten und brennenden Trümmern. Eine unheimliche Dunkelheit ließ sich über der Stadt nieder. Als aus dem Chaos Menschen hervortraten, waren sie mit Staub bedeckt und sahen aus wie etwas aus der entfernten, wilden Vergangenheit.“(1) Schnell waren die Schuldigen ausgemacht, die „Achse des Bösen“ musste vernichtet werden, und noch heute „wird der Jahrestag von der herrschenden Klasse in den USA zynisch missbraucht, um ihre kriegerischen Absichten zu rechtfertigen.“(1) Mit wenigen prägnanten Worten bringt Erich Fried in vorangestelltem Gedicht die Fehleinschätzungen nach dem 11.09.2001 auf den Punkt. Er bringt hiermit die Illusion, das Böse lasse sich aus der Welt ausmerzen in drastischer Weise zum Ausdruck…
[...]
An das Ende meiner Betrachtungen stelle ich die Episode von Alejandro Gonzalez Inarritu aus Mexiko – Einfach weil dieser Teil des Films am kontroversesten diskutiert wurde, und weil er mir nach näherer Betrachtung immer besser gefällt. Ich weiß noch, dass ich mich damals im Kino ganz besonders auf seine Interpretation der Ereignisse gefreut habe – wieder einmal ob der großen Erwartungen, die durch Amores perros gesetzt wurden.
Als ich dann die Episode sah, war ich ein wenig enttäuscht. Und es stimmt: Cinematographisch oder cineastisch (ui, aber ich versuche erst gar nicht diesen Begriff zu definieren) ist er nicht bemerkenswert. Das wird ihm zumindest vorgeworfen. Genauso wie man immer wieder Stimmen hört, die sagen, der Beitrag sei fürchterlich, man dachte die Filmrolle sei gerissen oder man habe während der Episode „abgeschaltet“ und nur gehofft, das es bald mit dem „richtigen“ Film weitergeht. Und zumindest eins kann man mit Sicherheit sagen: Gewöhnungsbedürftig ist der Film.
Inarritu verweigert sich vehement der Bilderflut, schwimmt nicht mit im Einheitsbrei der kollektiven Erinnerung. Er lässt den Zuschauer ganz alleine im dunkeln Kinosaal, alleine mit einer dunklen Leinwand. Nichts als Schwarz. Das Stimmengewirr im Hintergrund, die Soundkulisse schwillt langsam an, wird immer lauter, wuseliger, undurchschaubarer. Am Höhepunkt des akustischen Tohuwabohus flackert kurz ein einzelnes Bild auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wird die schwarze Wand durchbrochen, wird der Rezipient geblendet vom grellen Licht der Realität. Das Bild welches uns aufschrecken lässt, ist das eines Menschen, der sich im Angesicht des Todes lieber aus dem Fenster stürzt, als in den Flammen umzukommen. Und obwohl man diese Bilder schon oft gesehen hat, erschrickt man wieder. Doch der Regisseur lässt einem keine Zeit, sich an irgendwelche Bilder zu klammern, sich festzuhalten. Die Leinwand wird genauso schnell, wie sie hell wurde, wieder tiefschwarz. Man selbst ist wieder alleine. Alleine mit der schwarzen Leinwand, alleine mit den Geräuschen, alleine mit seinen Gedanken. Erinnerung braucht keine Bilder – die bekannten Töne, Nachrichtenfetzen, die letzten Telefonate der Todgeweihten reichen, um die dazugehörigen Bilder ins Gedächtnis zu rufen. Leise Kritik an den Medien ? Bloßstellung der Medienmacht ? Wir sehen nur das, was wir sehen sollen, nur das was wir sehen wollen ? Kriege in Somalia, der Nahost-Konflikt, verhungernde Menschen – Alltag, nichts besonderes mehr, der Stoff aus dem die täglichen Nachrichten sind. Doch der 11. September 2001 sollte uns im Gedächtnis bleiben. Weil wir direkt betroffen waren, weil es nicht nur ein Anschlag auf Amerika war, sondern einer auf die „zivilisierte Welt“ ? Das wurde uns zumindest eingetrichtert. Oder einfach nur, weil die Medien es so wollten ? Ich muss zugeben, als am Anfang das erste Bild der in die Tiefe stürzenden Menschen aufflackerte, kamen auch mir kurz die damaligen Medienbilder ins Gedächtnis. Doch zurück im dunklen Nichts erinnerte ich mich daran, wie ich den Tag erlebte. Wie ich von dem Unglück erfuhr. Was ich tat und was ich dachte…. Später, wenn die Frequenz der eingeblendeten Bilder zunimmt, die Bilder stakkatohaft auf den Zuschauer einhämmern, verblasst langsam die individuelle Erinnerung. – Gewinnen wieder die Bilder der Medien die Oberhand, die Bilder, die bereits Gemeingut geworden sind. Die Bilder, die untrennbar mit dem Geschehen verknüpft sind.
Am Ende plötzliche Stille. Aus dem Schwarz wird ein grelles, helles weiß. Musik setzt ein – wie Balsam für unsere geschundenen Ohren. Und schließlich, genauso ruhig wie der Film angefangen hat, endet er. Lässt nur wenige Worte zurück auf der leeren Leinwand: „Does God’s light guide us or blind us?“ – Und hier will ich den Regisseur ausnahmsweise mal nicht das letzte Wort haben lassen. Auf einer zweiten Ebene könnte man nämlich ergänzen: „Does the media guide us or blind us?“
[...]
Doch ganz egal, ob die einzelnen Episoden nun fantastisch, durchschnittlich oder weniger gut sind. Das Gesamtkonzept, die Idee alleine ist bemerkenswert. 11 Minuten, 11 Sekunden und 11 Bilder – 11 Regisseuren aus unterschiedlichen Kulturen kommentieren und reflektieren aktuelles Zeitgeschehen. Das eigentliche Geschehen des 11. September tritt in den Hintergrund, wichtiger scheint individuelles Erleben, Kritik und Denkanstöße. Und diese sind oft kritisch und anti-amerikanisch. Kein Wunder, dass der Film in Amerika keinen Verleih gefunden hat, und nicht angelaufen ist, „with the pretext of avoiding Americans from experiencing another traumatizing shock wave.“ (4)
Und auch die Tatsache, dass dieser Film nach monatelangem Retuschieren der Ereignisse – man denke nur an Spider Man – die erste ernsthafte Annäherung an das brisante Thema war spricht für ihn.
11’09’’01 ist großes Kino, „ein Schlag ins Gesicht Hollywoods und ein Triumph der freien Kinematographie“ (5), oder um einfach die Süddeutsche Zeitung zu zitieren: „Mit 11’09’’01 findet das Weltkino zu unerwarteter Größe zurück. Das politische Kino – es lebt. Es produziert Bilder und Ideen von großer Kraft, es findet zu einer neuen Klarheit der Sprache, und es kann wieder etwas bedeuten.“ Am Schluss lasse ich noch einmal einen Regisseur zu Wort kommen und schließe mit den Worten aus Sean Penns Beitrag: „I wish you could have seen this.”
Gekürzt. Komplett hier nachzulesen
Die Faulen werden geschlachtet,
die Welt wird fleißig.
Die Häßlichen werden geschlachtet,
die Welt wird schön.
Die Narren werden geschlachtet.
die Welt wird weise.
Die Kranken werden geschlachtet,
die Welt wird gesund.
Die Alten werden geschlachtet,
die Welt wird jung.
Die Traurigen werden geschlachtet,
die Welt wird lustig.
Die Feinde werden geschlachtet,
die Welt wird freundlich.
Die Bösen werden geschlachtet,
die Welt wird gut.
Die Maßnahmen
(Erich Fried)
„Vor 2 Jahren sah die Welt ungläubig, wie absichtlich zwei Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme krachten. In wenigen Minuten zerbrach Amerikas Traum der Unverwundbarkeit in einen Haufen von deformierten und brennenden Trümmern. Eine unheimliche Dunkelheit ließ sich über der Stadt nieder. Als aus dem Chaos Menschen hervortraten, waren sie mit Staub bedeckt und sahen aus wie etwas aus der entfernten, wilden Vergangenheit.“(1) Schnell waren die Schuldigen ausgemacht, die „Achse des Bösen“ musste vernichtet werden, und noch heute „wird der Jahrestag von der herrschenden Klasse in den USA zynisch missbraucht, um ihre kriegerischen Absichten zu rechtfertigen.“(1) Mit wenigen prägnanten Worten bringt Erich Fried in vorangestelltem Gedicht die Fehleinschätzungen nach dem 11.09.2001 auf den Punkt. Er bringt hiermit die Illusion, das Böse lasse sich aus der Welt ausmerzen in drastischer Weise zum Ausdruck…
[...]
An das Ende meiner Betrachtungen stelle ich die Episode von Alejandro Gonzalez Inarritu aus Mexiko – Einfach weil dieser Teil des Films am kontroversesten diskutiert wurde, und weil er mir nach näherer Betrachtung immer besser gefällt. Ich weiß noch, dass ich mich damals im Kino ganz besonders auf seine Interpretation der Ereignisse gefreut habe – wieder einmal ob der großen Erwartungen, die durch Amores perros gesetzt wurden.
Als ich dann die Episode sah, war ich ein wenig enttäuscht. Und es stimmt: Cinematographisch oder cineastisch (ui, aber ich versuche erst gar nicht diesen Begriff zu definieren) ist er nicht bemerkenswert. Das wird ihm zumindest vorgeworfen. Genauso wie man immer wieder Stimmen hört, die sagen, der Beitrag sei fürchterlich, man dachte die Filmrolle sei gerissen oder man habe während der Episode „abgeschaltet“ und nur gehofft, das es bald mit dem „richtigen“ Film weitergeht. Und zumindest eins kann man mit Sicherheit sagen: Gewöhnungsbedürftig ist der Film.
Inarritu verweigert sich vehement der Bilderflut, schwimmt nicht mit im Einheitsbrei der kollektiven Erinnerung. Er lässt den Zuschauer ganz alleine im dunkeln Kinosaal, alleine mit einer dunklen Leinwand. Nichts als Schwarz. Das Stimmengewirr im Hintergrund, die Soundkulisse schwillt langsam an, wird immer lauter, wuseliger, undurchschaubarer. Am Höhepunkt des akustischen Tohuwabohus flackert kurz ein einzelnes Bild auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wird die schwarze Wand durchbrochen, wird der Rezipient geblendet vom grellen Licht der Realität. Das Bild welches uns aufschrecken lässt, ist das eines Menschen, der sich im Angesicht des Todes lieber aus dem Fenster stürzt, als in den Flammen umzukommen. Und obwohl man diese Bilder schon oft gesehen hat, erschrickt man wieder. Doch der Regisseur lässt einem keine Zeit, sich an irgendwelche Bilder zu klammern, sich festzuhalten. Die Leinwand wird genauso schnell, wie sie hell wurde, wieder tiefschwarz. Man selbst ist wieder alleine. Alleine mit der schwarzen Leinwand, alleine mit den Geräuschen, alleine mit seinen Gedanken. Erinnerung braucht keine Bilder – die bekannten Töne, Nachrichtenfetzen, die letzten Telefonate der Todgeweihten reichen, um die dazugehörigen Bilder ins Gedächtnis zu rufen. Leise Kritik an den Medien ? Bloßstellung der Medienmacht ? Wir sehen nur das, was wir sehen sollen, nur das was wir sehen wollen ? Kriege in Somalia, der Nahost-Konflikt, verhungernde Menschen – Alltag, nichts besonderes mehr, der Stoff aus dem die täglichen Nachrichten sind. Doch der 11. September 2001 sollte uns im Gedächtnis bleiben. Weil wir direkt betroffen waren, weil es nicht nur ein Anschlag auf Amerika war, sondern einer auf die „zivilisierte Welt“ ? Das wurde uns zumindest eingetrichtert. Oder einfach nur, weil die Medien es so wollten ? Ich muss zugeben, als am Anfang das erste Bild der in die Tiefe stürzenden Menschen aufflackerte, kamen auch mir kurz die damaligen Medienbilder ins Gedächtnis. Doch zurück im dunklen Nichts erinnerte ich mich daran, wie ich den Tag erlebte. Wie ich von dem Unglück erfuhr. Was ich tat und was ich dachte…. Später, wenn die Frequenz der eingeblendeten Bilder zunimmt, die Bilder stakkatohaft auf den Zuschauer einhämmern, verblasst langsam die individuelle Erinnerung. – Gewinnen wieder die Bilder der Medien die Oberhand, die Bilder, die bereits Gemeingut geworden sind. Die Bilder, die untrennbar mit dem Geschehen verknüpft sind.
Am Ende plötzliche Stille. Aus dem Schwarz wird ein grelles, helles weiß. Musik setzt ein – wie Balsam für unsere geschundenen Ohren. Und schließlich, genauso ruhig wie der Film angefangen hat, endet er. Lässt nur wenige Worte zurück auf der leeren Leinwand: „Does God’s light guide us or blind us?“ – Und hier will ich den Regisseur ausnahmsweise mal nicht das letzte Wort haben lassen. Auf einer zweiten Ebene könnte man nämlich ergänzen: „Does the media guide us or blind us?“
[...]
Doch ganz egal, ob die einzelnen Episoden nun fantastisch, durchschnittlich oder weniger gut sind. Das Gesamtkonzept, die Idee alleine ist bemerkenswert. 11 Minuten, 11 Sekunden und 11 Bilder – 11 Regisseuren aus unterschiedlichen Kulturen kommentieren und reflektieren aktuelles Zeitgeschehen. Das eigentliche Geschehen des 11. September tritt in den Hintergrund, wichtiger scheint individuelles Erleben, Kritik und Denkanstöße. Und diese sind oft kritisch und anti-amerikanisch. Kein Wunder, dass der Film in Amerika keinen Verleih gefunden hat, und nicht angelaufen ist, „with the pretext of avoiding Americans from experiencing another traumatizing shock wave.“ (4)
Und auch die Tatsache, dass dieser Film nach monatelangem Retuschieren der Ereignisse – man denke nur an Spider Man – die erste ernsthafte Annäherung an das brisante Thema war spricht für ihn.
11’09’’01 ist großes Kino, „ein Schlag ins Gesicht Hollywoods und ein Triumph der freien Kinematographie“ (5), oder um einfach die Süddeutsche Zeitung zu zitieren: „Mit 11’09’’01 findet das Weltkino zu unerwarteter Größe zurück. Das politische Kino – es lebt. Es produziert Bilder und Ideen von großer Kraft, es findet zu einer neuen Klarheit der Sprache, und es kann wieder etwas bedeuten.“ Am Schluss lasse ich noch einmal einen Regisseur zu Wort kommen und schließe mit den Worten aus Sean Penns Beitrag: „I wish you could have seen this.”
Gekürzt. Komplett hier nachzulesen