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...und die Welt stand still





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DIE TRÄUMER




Theo und Isabelle imponieren dem anfangs so prüden Amerikaner Matthew durch ihre zur Schau gestellte rätselhafte Selbstsicherheit. Er traf sie im Getümmel: revolutionärem, nein rebellischen Brodeln wider staatlicher Arroganz. Das Flüchten in dem Film ergreift jeden von ihnen. 
Den darin gelebten Traum bewunderten sie, den Wunsch Utopien verwirklichen zu wollen und in jedem Fall davon geprägt zu sein. 
Gesellschaftliche Umwälzungen bedürfen eines Gleichgewichts mit der privaten Verwirklichung des Individuums.
Die Verabsolutierung des Intimen aber verführt zum Exzess.
Zwei verzogene Kinder ziehen sich zurück und erproben am zarten Matthew sexuell instrumentalisierte Machtspiele! 
Unterforderte, in Passivität versunkene Intelligenz kehrt sich nach innen, ignoriert moralische Grenzen, damit sie sich hemmungslos unreifer Selbstbespiegelung widmen kann. 
Demnach wagt es Theo nicht seine theoretischen Träumereien aufzugeben, verachtet in tiefster Enttäuschung den verstaubten Idealismus seines Vaters und schwelgt in dumpfer Lethargie. Isabelle dagegen mimt die „Femme Fatale“, ist eigentlich aber viel zu unerfahren um wahre Liebe jemals gekannt zu haben. 
Sie bleibt (auch wenn es nie zugegeben wird) stark von elterlicher Fürsorge abhängig und sähe sich dadurch auch nicht in der Lage dem persönlichen Gefallen am gutbürgerlichen, feinsäuberlich aufgeräumten Mädchenzimmer in Frage zu stellen. Weiterhin wird die Beziehung mit Matthew nur erprobt und muss letztendlich aufgrund des verklärend verherrlichten Festhaltens an alles untergeordneter Geschwisterliebe kläglich scheitern. Ihre Flucht vor der Realität scheint übermächtig.
Als die Eltern außer Haus sind, verleben die drei in dessen labyrinthischen Uterus cinephil gefärbten Egoismus blinder Wirklichkeitsferne und zelebrieren eigne Langeweile. Nachdem Theo, Isabelle und Matthew gemeinsam zugedröhnt in der Badewanne eingeschlafen sind, flüchten sich tags darauf in ein Zelt, hermetisch abgeriegelt von der verwahrlost zurückgelassenen Außenwelt.
Als die Eltern heimkehren, bestaunen sie Verwüstung, erkennen unter den schlafenden, nackt aneinander geschmiegten Körpern ihre Kinder wieder und hinterlassen einen Check. Denn der Vater ist unfähig sie zu maßregeln und schleicht mit der Mutter hinaus; entzieht sich somit jeglicher Verantwortung. 
Welch wundersam meditativer Nervenzusammenbruch! Isabelle erwacht, bemerkt den Check, wird der Enttarnung des inzestuösen Verbundenseins mit dem Bruder gewahr und beschließt in stiller Verzweiflung kollektiven Selbstmord zu begehen. Vielleicht aber auch nur weil sie gekränkt ist von dem Desinteresse und der Zurückhaltung, die ihr die Mutter und der Vater damit entgegenbringen?
Ein Pflasterstein zerreist den Schleier unheimlich gewordener Regression und zerrt die drei raus auf die Straße, wo demonstriert wird. Das Geschwisterpaar gerät in einen ungewohnt aggressiven Strudel und erhält die Möglichkeit destruktiven Sex (was in dem strafend gemeinten Befehl mit jemandem schlafen zu müssen seinen Ausdruck fand) durch aufregendes Chaos zu ersetzen. Theo wirft einen Molotowcocktail, Matthew dagegen wendet sich von ihnen ab. Die körperliche Gewalt versteht er nicht. Geht er gewandelt und erwachsen aus ihrer Begegnung hervor; zum differenzierenden Beobachter verdammt? Mir blieb es ein Rätsel.



NOBODY KNOWS

Akira kümmert sich um die jüngeren Geschwister, so selbstverständlich von natürlicher Sorge in Anspruch genommen, als ob ein durch ihn fleischgewordener Vaterersatz vor ihnen stehen müsste: 12 Jahre alt, dem strengen Verzicht auf unbeschwerten Protest gegen das „Dem-Noch-Nicht-Gewachsensein“ unausweichlich endgültig verpflichtet. Denn entließ doch die Mutter sie zu zeitig ins existentielle Erdulden wahllos vermehrter Bewährungsperformanzen. Sodann zur „Zwergenfamilie“ auf Lebenszeit verschmolzen, trägt ein jeder erdrückende Lasten riesenhaften Selbstvertrauens, ohne sich dessen eigentlich aufgrund bisher noch glücklicherweise ausgebliebenen ausgereift - geschwätzigen oder gedankenschweren Bemühens verzweifelt bewusst geworden zu sein.
Betörend naiv pflanzt sich daher weiterhin spielerisch – lustvolles Staunen fort, gibt Anlass zur überschwenglichen Laune und hingebungsvollem Schwelgen inmitten tag-und alptraumhafter Einsamkeit. Gleichwohl finden Erinnerungen ihren Weg wieder ins Gedächtnis, - der verblichene rote Fleck ausgeschütteten Nagellacks etwa, dessen Verlust die Mutter bei ihrer letzten (gewollten?) Begegnung mit den Kindern lautstark beklagte, trohnt nun zu Boden wider des Vergessens, magischen Duft verwester Nähe verströmend - verdunkelt empfundener Gram wegen enttäuschten Hoffnungen kostbare Entdeckungen. Obwohl sie trotz alledem über den Wahrhaftigkeiten des eignen tragischen Schicksals anscheinend zu schweben begonnen hat, verwahrlost die geschwisterliche Alltagsordnung allerdings immer mehr.
Anarchische Bedingungen erklären die ehemals sittsam hergerichtete Wohnung (nach abgestelltem Wasser und Strom) zur „überleben“-sgroßen Muschelschale, in der, ausgelegt mit turmhoch aufgetürmten Verpackungshülsen sowie erdig – beschmutzen Textilruinen und Spielzeugfetzen, mikroskopisch kleine Glücksseligkeiten vegetieren. Und als wäre das nicht schon deprimierend genug und unheimlich berührend-schön zugleich, gehen sich die vergessenen Kinder dann auch ganz unbekümmert am Wasserhahn des Parks gemeinsam waschen, betteln vor Supermärkten um Essensreste, langweilen sich schwitzend in schäbigen T-Shirts, toben auf dem Spielplatz, betrachten die durch einzelne Lücken im Blätterdach eines Baumes hindurchluckenden Sonnenstrahlen, bemalen Rechnung und Mahnungen, lesen sich Gute-Nacht-Geschichten vor und sterben.
Aus dem Blickwinkel dieser „Überlebenskünstler“ findet man auf ungewohnt direkte Weise das „Bei-Sich-Selbst-Sein“ widergespiegelt; optisch äußerst behutsam eingefasst, eine kaum bemerkbare Banalität: am frühen Morgen beobachtet eines der Kinder wie eine leicht aufblitzende Träne der mütterlichen Wange langsam hinabgleitet. Daraus wäre eine feingliedrige Verknüpfung zu ersehen: das Verweben der augenblicklichen Schwermut mit der gleichsam eindringlichen Emotionalisierung des Details an sich, wodurch damit schon der richtige Ton emphatischer Klanggebärden kindlicher Wahrnehmung getroffen wurde.
Wie im abschließenden Lied angedeutet: der kostbare aber doch ungeschliffene/unbearbeitete schmutzige Diamant verdeutlicht jetzt die Quintessenz Akira’s Werdegang. Ein Straßenkind ist er, sitzt erschreckend gealtert, zusammengesunken und in sich gekehrt in der Straßenbahn, die, der eingefahrenen Zunge eines hungrigen Stadtungeheuers gleich, ihn nun verschwinden lässt.



HOUSE OF SAND AND FOG

Hinterm Augenstern, glasig funkelnd, nistet die Übermacht an Überzeugung. 
Und gerät nun haltlos durcheinander, zerstreut sich und zerbirst, dank spottender Erkenntnis: wenngleich Fackeln Hoffnung nähren, verzehrt Enttäuschung ihresgleichen.
Das Sich-Ängstigen um des Daseins Halt bedeckt verschattend bittre Wasser trüben Schmerzes. 
Der Unwille zu begreifen, versagt sich Nach – und Einsicht.
Sobald sich stolzes Recht erhebt, streckt's nieder blasse Flut, angespornt vom treuen Seelenrest gequälter Wünsche. Einst Krüppel der Erinnerung, wandeln sie Nebeldunst, welcher unbeachtet Moral verschlingt, zum Organ; darin uneinig gewordnes Handeln umzäunt und verwesend sein Dasein fristet.
Die Bäume senkten, gefällt, (ge-) demütig(t) ihre Häupter, am Meer, unterworfen dem Haus aus Sand, diesem modrigen Träger trauernder Last.
Geradewegs steif und hilflos beherrscht, krümmt er sich zu Boden: „Sie sollen mir die Augen auspicken!“
So öffnet ihm die Augen, sodass, daraus fließend, von glühend heißer Täuschung umgarnt, der Augenblick eigne Sterblichkeit vergisst. Ertränkt in starrer Harmonie vergeb` er sich und ruhe in Frieden.
Dann lag SIE zu Füßen des selig Toten: “Gehen Sie nicht! Lassen Sie mich nicht allein!“
"In quintessentieller Trivialität, jahrelang in dieser Fleischeshülle, hat gehauset eine kleine Seelin..." (James Joyce)
„Gehört Ihnen das Haus?“ – „Nein.“ Niemandem.



DEAD MAN
(federleichte Agonie)

Du suchst also das Gute im Bösen?
Als ruhelos- durchgeistigte Halluzination, die weiß was sie will und was nicht und es gewollt hat, oder noch nicht und doch bekam und immer noch will oder nicht mehr wusste was es war und jetzt noch weniger weiß als zuvor und jetzt alles wissen will.
Die verbleibenden Facetten von Farbe entdecken und ein Bild des Zwittertiers schaffen, das aufgeregt den Wald durchhetzt, bebend ob der den Leib zerreisenden Flammenwut, verzweifelt röhrend und doch zugleich unerwartet leichtfüßig, elegant ausgestorben; stets fiebernden Schrittes angesichts des nahenden Endes allen hysterischen Wütens.
Es ist ein verschleiertes Traumgebilde: liebevoll, ungeschickt, kindlich, vergesslich, reif, verletzlich, unnachgiebig und voller Stolz; nicht gewillt sich aus der anästhesierenden Zerrissenheit zu lösen, um Form zu werden und sich dem Willen grober Hässlichkeit zu beugen, gleichwohl sie es vorzieht dessen fruchtbaren Boden zu genießen.
Sprachlose Schwermütigkeit die über uns in Willkür regiert, sinnestrübend und belebend zugleich 
befeuert dein Treiben in Zeit verkürzender Sehnsucht.
Dem Sterben zugewandt: „Gerade jetzt, indem ich beginne mit dir den gleichen Ton anzustimmen um das friedliche Summen weiter fortzusetzen, ungeachtet dessen das nichts von Dauer ist, erreiche ich ein außergewöhnliches Maß an Selbstverantwortung.“




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