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Camelback Cinema

Tommy The Cats filmische Sternstunden




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EL LABERINTO DEL FAUNO (Guillermo del Toro, 2006)



Am Ende ist Ofelia glücklich. Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen als sie stirbt. Mit ihrem Tod vollzieht sie den Übertritt in eine andere Welt, eine Welt, in der sie die Prinzessin ist, wiedervereint mit ihren Eltern, die beide vor ihr gestorben sind. Eine Welt ohne Tod, Folter und die Grauen des spanischen Bürgerkrieges. Um diese Welt zu erreichen, werden ihr Prüfungen auferlegt, die sie bestehen muss. Sie wird in Versuchung geführt und erliegt ihr, indem sie die verbotenen Früchte isst, aber sie lernt aus ihrem Fehler und entscheidet beim zweiten Mal richtig, indem sie nicht ihren Bruder opfert, sondern scheinbar sich selbst. Dieses Selbstopfer ist in Wahrheit gar keins, denn es ist von vorneherein klar, dass sie sterben muss, um in die andere Welt (= den Himmel? das Paradies?) zu gelangen und den Frieden zu finden, den sie in ihrem irdischen Leben nicht finden kann. Daher sehnt sie sich nach dem Tod, um im Jenseits mit ihrer Familie wiedervereint zu werden und ihrem Peiniger ein für allemal zu entkommen.

El Laberinto del Fauno ist ein sehr religiöser Film mit zahlreichen Referenzen auf die biblische Geschichte. Die Versuchung durch die verbotenen Früchte habe ich schon erwähnt. Die Rose auf dem Berg, von der Ofelia erzählt, könnte für Gott stehen, der den Menschen, die sich ihm öffnen, die Unsterblichkeit verheißt, die Felsen und giftigen Dornen für den schwierigen Weg, der zu ihm führt oder auch die Hürden, die das Leben für den Einzelnen bereithält. Die Aussage zu Beginn des Films, dass die Prinzessin die alte Welt verlassen hat, ist ganz einfach die Umschreibung ihrer Geburt. Sie verlässt das Paradies (oder wie auch immer man diesen Ort bezeichnen mag), um eine gewisse Zeit in einer sterblichen, menschlichen Hülle auf der Erde zu verbringen mit dem Ziel, irgendwann wieder in den Urzustand zurückzukehren. Ihr Vater, der schon lange vor ihr gestorben ist, erwartet sie dort bereits, und auch ihre Mutter ist nun dort. Und natürlich ist sie dort eine Prinzessin, denn welche Tochter ist für ihre Eltern keine "Prinzessin" oder umgekehrt: für welches Kind sind seine Eltern (zumindest bis zu einem gewissen Alter) nicht die tollsten Menschen der Welt, sozusagen "König" und "Königin"?

Das vielleicht Bemerkenswerteste an del Toros Film ist seine innere Geschlossenheit. Die beiden völlig verschiedenen Welten – hier die grausame Realität des ausklingenden Bürgerkrieges, dort die nicht minder grausame, aber dennoch märchenhaft schöne Phantasiewelt – passen perfekt zueinander und die jeweiligen Übergänge sind derart nahtlos, dass man sie als völlig selbstverständlich hinnimmt. Das Drehbuch ist nicht nur höchst originell, sondern auch noch schlüssig und konsequent bis ins letzte Detail. Hinzu kommt, dass mich der Film seit der Sichtung vor etwa 10 Stunden überhaupt nicht mehr losläßt. Seither kreisen meine Gedanken ständig um del Toros Werk, so dass ich meine ursprüngliche Absicht, heute Abend einen weiteren Film zu schauen, aufgeben musste, weil ich mich schlichtweg nicht darauf konzentrieren könnte. Ein in jeder Hinsicht herausragendes Werk, das mit seiner stellenweise unnötigen Brutalität und der völlig überzogenen „Selbstvernähung" der Wunde durch den Hauptmann lediglich ein paar klitzekleine Wermutstropfen bereithält.




Filmtagebuch von...

Tommy The Cat
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