Zum Inhalt wechseln


Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.

Foto

Das dritte Geschlecht


Dr. Jekyll and Sister Hyde

Neben der Angst vor dem Schmerz und der körperlichen Auflösung speist sich der Horrorfilm vor allem aus der tiefsitzenden Angst vor dem Identitätsverlust, wobei beide Ängste sich häufig die Bälle zuspielen. Außerirdische oder metaphysische Gestalten bemächtigen sich unserer Körper, wir verlieren das Gesicht und damit unsere Persönlichkeit, ein anderes Wesen wächst in unserem Körper heran, um ihn zu mutieren. In tausenderlei Variationen werden diese Möglichkeiten im Horrorfilm durchgespielt.

Um so verblüffender ist, daß die Transformation von Mann zu Frau und umgekehrt nahezu keine Rolle in der Filmgeschichte spielt. Wie tiefsitzend die Angst, seine Geschlechtsidentität zu verlieren, wie zwanghaft der Versuch, die biologisch falsche Geschlechterdichotomie aufrechtzuerhalten. Hier setzt Roy Ward Bakers Film an - die Verwandlung von Dr. Jekyll ist gleichzeitig eine Geschlechtsverwandlung. Das hat Konsequenzen, denn sowohl der männliche als auch der weibliche Anteil Jekylls haben ein Auge auf ein über Jekyll wohnendes Geschwisterpaar geworfen. Zünftig zwar immer auf das heterosexuelle Gegenüber, aber zwischendurch weiß Jekyll manchmal selbst nicht mehr, ob er Männchen oder Weibchen ist.

Dieses Konstrukt hätte mächtig in die Hose gehen können, dank des ausgefeilten Drehbuchs von Brian Clemens, der auch schon The Avengers bereichert hat, wirkt die Verknüpfung mit einer ganzen Reihe von urenglischen Kulturmythen stimmig. Besonders erwähnenswert ist die Einarbeitung des Rippermotivs, das gleich eingangs mit einer Hasenschlachtung metaphorisch vermittelt wird. Interessant, in wievielen Bildelementen die Mann-Frau-Teilung auftaucht. Unsere Welt wird förmlich von dieser falschen Idee strukturiert. Aber auch der Regisseur hat erheblichen Anteil an der Überzeugungskraft der seltsam anmutenden Konstruktion. Die Verwandlung der sich recht ähnlich sehenden Ralph Bates und Martine Beswick ist ohne großen technischen Aufwand dank einiger cleverer Ideen umgesetzt, wobei die Schlußeinstellung dem Film mehr schadet als nutzt. Sehr gelungen ebenfalls die Austarierung von komischen Dialogen und der Härte, in der manche der Tötungen inszeniert werden.

Wirklich ein positives Beispiel, daß man das Verlassen der vermeintlich natürlichen Geschlechterrolle nicht vorrangig der schenkelklopfenden Komödie überlassen sollte. Und man sich nicht auf Judith Butler kaprizieren muß, um sinnvoll über Sex und Gender reden zu können.

Kino OV


Foto

Der Traum des Schmetterlings


Inception

Ich war im Kino. Es gab einen Film. Der sollte fast drei Stunden gehen. Er schien dann aber eher drei Wochen zu dauern. Da erinnerte ich mich des guten alten Tschuang Tze und wußte - ich sah gar nicht diesen Film. Ich war der Traum eines Schmetterlings.

Zweieinhalbtausend Jahre später kommt auch Christopher Nolan darauf, die alte Idee aufzuwärmen. Meine Güte, ich hielt den Mann nach Memento für die Hoffnung am Regiehimmel. Aber mit Inception kommt Nolan nach Jahren des inhaltlichen Niedergangs endgültig in der geistigen Leere an. Für einen Film, der auf mehreren Ebenen spielt, ist Inception erbärmlich eindimensional. Damit man das nicht merkt, kracht und bummpengt es ständig irgendwo und irgendwelche Statisten werden mit Wummen ins Jenseits befördert. Aber keine Angst, der Film ist P12, weil alle Personen nur Ausformulierungen des Unterbewußten sind. Das könnte vielleicht interessant sein, ist es aber nicht; besonders nicht, weil es den wissenschaftlichen Stand von vor ca. 100 Jahren widerspiegelt. Ich schätze, das ist auch der Grund, warum der Film in der IMDB zur Zeit auf Nummer drei der Wertungsskala zu finden ist - er ist so simpel konstruiert, daß jeder Pleppo sich einbilden kann, mit dem Film eine ganz tolle Idee gehabt zu haben. Ui, ich sehe wohin Nolan geht - er hat mit dem Film den Grundstein ins Bewußtsein seiner Zuschauer gelegt, daß sie eine ganz tolle Idee hätten. Da kann ich nur sagen: Aufwachen, liebe Leute! Und feststellen, daß die Realität viel komplizierter ist.

Nun könnte ich noch stundenlang rummotzen, über die Verschwendung von Ellen Page oder den ständig bedrohlich vor sich hingrummelndem Score von Hans Schlimmerzimmer. Aber belassen wir es dabei.
Wie immer fragt der geneigte Leser, wo denn das Positive bliebe. Da kann ich nur eines antworten: Schauen Sie sich eXistenZ oder Dark City an. Da werden ähnlich gelagerte philosophische Ideen viel pointierter präsentiert, Sie werden mit komplexeren Gedankengebäuden belohnt und Sie werden nicht durch permanentes Rumgeballer abgelenkt. Danke für Ihre werte Aufmerksamkeit.

Kino OV


Foto

Formale Denkstörung


Psychosis

Man kann sich wirklich nur wundern, für welche Filmproduktionen Produzenten inmitten der Wirtschaftskrise so Geld rauswerfen. Laut Plakataufmacher ist Psychosis für Großbritannien das, was The Shining für Amerika war. Welche Drogen haben die Gestalter bloß genommen, um so etwas abzusondern?

Dabei ist die Prämisse des Filmes gar nicht mal so schlecht. Eine Gruppe von Umweltschützern will im Wald campend dem kapitalistischen Raubbau Einhalt gebieten, wird aber Opfer eines meuchelnden Hinterwäldlers. Nur eine Frau kann entkommen. Einige Jahre später zieht Selbige mit ihrem Mann in ein verlassenes Haus auf dem Lande. Bald wird sie von unheimlichen Visionen geplagt. Hat sie einen schizophrenen Rückfall? Wird alles von ihrem zwielichtigen Gatten inszeniert? Sieht sie ein Verbrechen der Vergangenheit?

Die Auflösung ist nicht wirklich originell für jemanden, der Fulcis Werk kennt, und selbst der Regisseur Reg Traviss gab zu, daß er die Grundidee aus einer Fernsehserie der 70er geklaut hat. Das wäre nicht allzu schlimm, wenn die Inszenierung wenigstens irgendeinen cleveren Gedanken zu bieten hätte. Das aber ist Wunschdenken, nicht mal die Oberfläche lädt zum Nachdenken ein.
Das Ärgernis beginnt schon mit dem Intro. Was machen die Autonomen da mitten im Wald allein, welchen Zweck hat ihre Aktion? Man weiß es nicht, sie haben offenbar auch keine Idee, was das soll, denn außer pimpern und saufen scheinen sie nichts zu wollen. Dafür sehen sie aus wie Banker, die sich für einen Tenner mal auf wilde Jugend aufhübschen ließen. Hat der Regisseur schon jemals einen Autonomen aus der Nähe gesehen? Ich wage das zu bezweifeln. Und was soll der Gorefaktor in der Einleitung, wenn Reg Traviss nach eigener Aussage ein Hammerstudiogefühl erzeugen will? Man versteht es nicht. Die nächste Stunde muß man weitere Schauspielerdarsteller in übergangslosen Standardsequenzen ertragen, die, damit der geneigte Zuschauer nicht einschläft, mit paukenartigen Sounderschreckerlis aufgelockert werden. Dazu eine Kameraarbeit, die das Bild nicht sinnvoll strukturieren kann, sondern einfach alles zentral ablichtet. Hat Kameramann Bryan Loftus schon mal davon gehört, daß es so etwas wie einen Fokus gibt? Ich vermute: Nein.

Der Gerechtigkeit halber muß ich erwähnen, daß der Film schon vor dem Start bei mir verloren hatte, weil ich von der Premierenvorführung mächtig angenervt war. Nahezu alle Beteiligten waren anwesend und nahmen sich wichtigpopichtig. Leider tauchten nicht nur der glattgebügelte Regisseur, der mit seiner neuen Flamme Amy Winehouse zur Fragestunde kam (sie wenigstens bewies Geschmack und verschwand die letzte halbe Stunde aus dem Saal), und die Hauptdarsteller auf, ein fad vor sich hin glotzender Paul Scufor und eine naiv lächelnde Charisma Carpenter, die wegen ihrer Rolle in Buffy, The Vampire Slayer noch einige Autogrammjäger auf den Plan rufen konnte. Es kam auch noch die Horde von ältlichen sonnenbankmarkierten Produzenten. Wie ich gerade der IMDB entnehme waren es 15 (sic!) und bestimmt waren sie alle da wegen ihrer mitgebrachten Betthäschen, die in einer dahingeschluderten Orgienszene sich vor der Kamera räkeln durften. Selten habe ich mich so im Kino geschämt wie bei dem Produzenten, der, inmitten seines vermeintlichen Fanclubs, befürchtete nicht auf der Gästeliste zu stehen und deshalb die professionell lächelnde Kinoangestellte vollsülzte, daß niemand auf der Welt die Frauenarme auf dem Kinoplakat so gut kennen würde wie er. Da nicht mal die Besitzerin der Arme von seinem Gequake Kenntnis nehmen wollte, wiederholte er die zahnlose Aufschneiderei vorsichtshalber noch zweimal. Was für ein unangenehmes Volk.

Zu dumm, daß man das dem Film auch noch ansieht.

Kino OV


Foto

My big fat gay thriller


Ben & Arthur

Ich wollte schon immer mal wissen, was sich für Filme in der IMDB Top Ten rumtreiben. Äh, nein. Das heißt ja Bottom Ten. Ben & Arthur ist einer dieser erlauchten Filme. Und ich muß sagen, ich habe schon schlimmere Filme gesehen. Sehr amüsant in seiner Unbeholfenheit, die manchmal in grandezzahafte Dämlichkeit umschlägt.

Der Film versagt einfach auf so vielen Ebenen gleichzeitig, daß man der in der Filmcrew versammelten Familie Sam Mraovichs nur zu ihrem Sohn gratulieren kann. Der Junge wird eine große Karriere hinlegen. Vielleicht aber nicht unbedingt als Anwalt für schwule Gleichberechtigung, die er hier mit seinem Drehbuch wohl zu vertreten gedenkt. Man sollte ihm, der seinen Namen ganze 18 mal im Vor- und Abspann unterbringt, aber vielleicht mal sagen, daß er irgendwie das Gegenteil erreicht. Es wirkt schon ganz schön erbärmlich, wenn die beiden schwulen Helden pompös heiraten wollen, aber die Szenerie aussieht, als ob die Kirche die Gartenlaube des örtlichen Kleinstadtzoos ist. Den Vogel schießt dann aber Plan B des christlich motivierten Bruders ab, der natürlich selbst obertuckig aussieht. Um die bösen Geister aus seinem vermaledeiten Familienmitglied rauszukriegen, wird ein Fläschchen mit frisch aufgekochtem Weihwasser ... an die Tür gehängt. Wohlgemerkt nachdem der Bruder die Bürgerrechtlerin erschossen hat, die für die Anerkennung der Ehe der beiden Helden kämpfen wollte. Es ist echt voll evil in dieser Filmwelt und es wird eviler mit jeder Minute, die vergeht.

Das Allerbeste ist jedoch ein Video im Internet, in dem ein eingesteifter Sam Mraovich gute Ratschläge für den gelungenen Aufbau eines Drehbuches gibt. Einen Punkt hat er aber vergessen zu erwähnen: Sam Mraovich sollte nicht daran beteiligt gewesen sein. Am Besten überhaupt kein Mraovich.
Aber ansonsten war der Film dufte.

Kino OV


Foto

Borderlinefilm


J'ai tué ma mère (I Killed My Mother)

Kaum eine Kritik zu diesem Film kommt umhin zu erwähnen, daß der Filmemacher nicht nur Regisseur, Drehbuchschreiber, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion ist, sondern diesen Film auch noch im zarten Alter von 20 Jahren gedreht hat. Seltsam dann nur, daß nahezu keine Kritik so weitergeht, wie mein Text: Das merkt man dem Film auch schmerzlich an.

Geschenkt, daß Dolan die Distanz zu seiner autobiographisch gefärbten Geschichte fehlt und er sich in einer Überschätzung seiner Person gleich mal in die literarische Oberklasse imaginiert. Auch den emotionalen Instabilitäten dieser beiden Borderline-Persönlichkeiten zuzuschauen, könnte ich noch verknusen. Wirklich ärgerlich hingegen ist, daß Dolan seine Stilmittel nicht im Griff hat. Eklektisch wird reingepreßt, was ihm bei anderen Filmemachern gefiel. Wong Truffaut oder François Kar-Wai? Egal, Postmoderne - here I come.

Was den Film vor dem Untergang rettet sind eher kleine Dinge. Der Humor, der die Überspanntheit hinterfragt. Die unaufgeregte Normalität seiner Homosexualität. Und vor allem eine wundervolle Tirade, die Dolan seiner Filmmutter auf den Leib geschrieben hat, in der sie den Rektor der Boarding School zur Sau macht. Feminismus kann soviel Spaß machen.

Kleiner Spaß am Rande - irgend so ein Hansel von der kanadischen Filmförderung war da, um I Killed My Mother anzupreisen. Wie er so mühevoll seine siebenblättrige Rede vorliest, stell ich mir vor, wie sein Gesicht southparkartig in zwei Hälften auf- und zuklappt. Sein Akzent war einfach zu treffend. In diesem Moment fragt er, ob es denn Southpark-Fans im Publikum gäbe. Dolan hätte nämlich nicht selbst kommen können, weil er nicht nur seinen nächsten Film drehe, sondern auch dem kanadischen Stan seine Stimme leihen würde. Das Leben kann man sich einfach nicht ausdenken.

Kino OmU


Foto

Vor den Spiegeln der Seelen


Einaym Pkuhot (Eyes Wide Open)

stand before the gates and watch metropolis
empires come and go we live forever
and eternity is in your hidden eyes
take my broken wings teach me to fly again

I stand alone


Jerusalem. Eine orthodoxe Nachbarschaft. Aaron eröffnet die Fleischerei seines Vaters wieder. Der Regen treibt ihm Ezri, einen heimatlosen jungen Mann, ins Geschäft. Sagt nicht Gott, daß man seinem Nächsten helfen soll? Und eine Aushilfskraft wird auch benötigt fürs Geschäft. Er darf im Zimmer über dem Laden schlafen, besucht die Familie Aarons zum Festtag, man arbeitet täglich zusammen und geht gemeinsam zur Talmudschule. Da geschieht das Unerhörte. Man spürt eine gegenseitige Anziehungskraft. Was nur tun?

Israel hatte mit Werken wie Waltz with Bashir, Close to Home oder Ajami einen unglaublichen Ausstoß an guten Filmen. Eyes Wide Open fügt sich nahtlos in obige Reihe ein. Der Film ist die Antithese zum klassischen Liebesfilm, aber auch zum typischen Schwulenfilm. Das Setting allein symbolisiert schon vollkommen einen Gegenentwurf zur Glorifizierung der Liebe und des schwulen Außenseiters im Hollywoodfilm - eine ärmliche Nachbarschaft, eine Gesellschaft voller unumstößlicher Rituale, die karge Wüstenlandschaft Israels, eine Fleischerei, gottesgläubige Männer. Er male nicht, sagt Ezri an einer Stelle, er skizziere. Das trifft auch auf Tabakmans Film zu. Alles wird mit wenigen Strichen angedeutet. Ein Blick in den Spiegel, ein armseliger Grabstein, eine auf die Schulter gelegte Hand, eine verschlossene Ladentür. All das reicht aus, um dem Zuschauer zu ermöglichen, das emotionale Bild dieser Gemeinschaft zu vervollständigen. Wenn dann mal der schwebende Soundtrack unterbrochen wird, kracht es aber wirklich. Das Firmament stürzt ein und der Boden öffnet sich. Himmel und Hölle berühren sich für einen Moment. Liebe eben.

Liebe, so wußte aber schon Ovid, ist nicht Lieb' allein. Die Augen der Anderen wachen in dieser Gesellschaft noch mehr über das Leben der Mitmenschen als anderswo. Welchem Entwurf also den Vorzug geben? Beides hat seine Berechtigung, seine Vorzüge - das Leben im gesellschaftlich sanktionierten Ritual und die Hingabe an das Gefühl. Wohin nur mit sich, wenn man beides nicht aufgeben will, aufgeben kann? Selten war die innige Verbindung von Eros und Thanatos so verzehrend in einem Liebesfilm zu spüren. Willkommen im Leben.

I stand alone
we stand alone

Covenant



Kino OmU


Foto

Nervenfieber


Una lucertola con la pelle di donna (A lizard in a woman's skin)

Eine neue restaurierte Fassung, in die verschollen geglaubte Filmanteile wieder eingefügt wurden. Soll im Sommer auf DVD rauskommen, wie der Organisator des Frightfests Alan Jones zu berichten wußte. (Der im übrigen auch gleich seiner Bewunderung über Fulcis Talent Ausdruck verleihen mußte, angereichert mit dem Bedauern über dessen Versinken in antropophagisches Gematsche, der Anekdote, daß Fulci ihn gehaßt hätte, weil er zum Argentoclan gehört hätte, so sehr, daß Fulci ihn wortwörtlich während eines Interviews angekotzt hätte. Ob das Schlußwort, Argento hätte Fulcis Begräbnis bezahlt, stimmt, mögen die Informierteren entscheiden.)

Weiß gar nicht so recht, wie mir das Verorten dieses Giallo im Swinging London bei der damaligen Sichtung so entgehen konnte. Von seiner ganzen Motivationslage her ist der Film durch und durch britisch, weshalb auch die typische Giallostruktur nicht wirklich auszumachen ist. Selbst in Morricones Soundtrack ist die Lokalität überdeutlich zu hören.
War wieder über den vorzüglichen Einsatz der surrealen Kamera in den Traumsequenzen entzückt, die ich so gar nicht mehr in Erinnerung hatte. Vor allem das schöne Crescendo auf das Dach einer verlassenen Kathedrale konnte sich dort festsetzen. Eine Szenenfolge, die offensichtlich auch Fulci so gut gefiel, daß er sie in Sette note in nero wiederaufgriff.

Und ich muß meinen Standardsatz doch noch mal wiederholen: Nichts geht über Kino. Eine Frau im Publikum quiekte gar herzerweichend bei den Hunden und den Fledermäusen, daß Fulci auf seiner Wolke 7 sicherlich in diesen Momenten eine kleine Glücksattacke hatte. So soll es sein.

Kino OV


Foto

Wunderland ist abgebrannt


Alice in Wonderland

Überall, wo man hinschaut, wird der neue Film von Tim Burton abgewatscht. Zu sanft, zu hart, zu bunt, zu wenig Vorlage, zu viel Vorlage. Eigentlich kann einem Burton leid tun. Denn in toto betrachtet ist sein Film im Lichte des kommerziellen Tagesgeschäfts betrachtet recht ordentlich geraten. Kein gruseliges Meisterwerk Burtonscher Prägung. Keine überragende Idee, die den Film trägt. Aber auch kein geistiger Dünnschiß, wie Finding Nemo, den man aber gefälligst gut finden mußte, weil von Pixar und sooo süß.

Meiner Meinung haben die meisten Kritiker von Burtons Film Probleme damit gehabt, sich in die Zielgruppe einzudenken. In meiner Vorführung waren ca. 96% Mädchen und ca. 80% Präpubertäre. Für die war der Film optimal angelegt. Selbstfindungsprobleme werden knapp an der Grenze zur Offensichtlichkeit erläutert, dabei diesen Aspekt des Carrollschen Werkes herausarbeitend und den abstrakt-paradoxen Aspekt weglassend. Sicherlich würde ich ein Werk wie Valerie and her week of wonders bevorzugen, aber die Identifikation mit Burton's Alice dürfte für die Angesprochenen deutlich leichter fallen trotz des betont viktorianischen Hintergrundes.

Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann sicherlich die Bildgestaltung, die desöfteren derart opulent ausfällt, daß das Auge gar nicht weiß, was es als wichtige Information weiterleiten soll. Auch der 3D-Einsatz ist wie schon bei Avatar auf eine bessere Fokusspielerei mit ein paar In-your-face-Effekten beschränkt. Kein erzählerischer Grund rechtfertigt hier den Einsatz. Wobei man gerechterweise erwähnen muß, daß die lächelnde Katze einige sehr elegante Bewegungen im Raum vollführt.
Gemessen an Burtons Oeuvre und den bisherigen Carrolladaptationen (allen voran natürlich Svankmajers verstörender Neco z Alenky von 1988) ein durchschnittliches Werk, das aber den Haß der Kritik nicht verdient hat. Ich werde den Eindruck nicht los, daß die Auseinandersetzungen um die Veröffentlichungspolitik sich aus der Filmwelt wellenartig in die Öffentlichkeit ausgebreitet haben.

Kino OV 3D


Foto

Prä-Disney


Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Lotte Reinigers Film wird häufig als der erste animierte Spielfilm angesehen. Experten mögen sich darüber streiten, ob die 12 Minuten von Winsor McCay's The Sinking of the Lusitania ausreichen, um Reiniger den Titel streitig zu machen, oder ob der verloren gegangene argentinische Film El apóstol der erste Animationsfilm war. Interessanter ist eh die Tatsache, daß eine Frau diesen Film gemacht hat, denn die nächsten Jahrzehnte war der Animationsfilm nahezu ausschließlich männerdominiert.

Dabei verdanken wir den Film einigen glücklichen Umständen. Reiniger hatte einige Freunde, die ihr bei der Herstellung halfen, so fungierte ihr Ehemann als Kameramann und Produzent. Berthold Bartosch und Walter Ruttmann sind für die Hintergründe und einige der wirklich interessanten Spezialeffekte verantwortlich. Die überaus stimmigen Zwischentitel, eine Reminiszenz an arabische Schriftzeichen ist mehr als gewollt, stammen vom Buchillustrator Edmund Dulac. Den größten Einfluß aber dürfte die Inflation in Deutschland gehabt haben. Der Bankier Louis Hagen hatte sein Geld in Filmmaterial angelegt und erlaubte Reiniger dessen freie Verwendung für die Erstellung eines Spielfilmes. Hagen war so sehr von Reinigers früheren Arbeiten überzeugt, daß er ihr sogar ein Studio über seiner Garage in Potsdam einrichtete.

Aber all dies wäre bedeutungslos ohne die künstlerische Finesse Reinigers, die ihre ziseliert ausgearbeiteten Scherenschnitte (die Detailtreue erforderte eine Produktionsdauer von drei Jahren!) zum Leben erweckte. Angenehm fällt die räumliche Tiefe der Bilder auf, die Reiniger mit einem Mehrfachebenensystem erreichte, eine Erfindung, die fälschlicherweise Ub Iwerks oder Walt Disney zugeschrieben wird. Mir war auch bis dato gar nicht bewußt, wie sehr sich der Schattenriß zur Transformation eignet, ob seiner uniformen Flächigkeit viel besser als alle anderen Animationstechniken. Landschaft wird zum Monster wird zur Landschaft.

Weniger überzeugend ist leider die Geschichte. Die Frauen bis auf eine alte Hexe sind ausnahmslos passive Weibchen und der Chinesenkönig grenzrassistische Karikatur. Noch unangenehmer empfand ich, daß die Erzählung ein Sammelsurium aus 1001 Nacht ist oder besser gesagt ein Remix. Verstärkt wurde der Effekt durch einen Live-Score von Mira Calix, die einen Ambientsound drüberkleisterte, der die Bilder ihres Erzählflusses beraubte. Man hatte stellenweise das Gefühl, hier ein repetitives MTV-Video zu einem abstrakten Technotrack zu sehen. Mit der BFI DVD spürt man diesen Nachteil hoffentlich nicht. Die Originalkopie ist zwar im zweiten Weltkrieg zerstört worden, aber das BFI hatte noch eine Kopie im Archiv, die deutschen Zwischentitel konnten rekonstruiert werden und Wolfgang Zellers Soundtrack hatte die Library of Congress archiviert. Für den vollen Filmgenuß würde ich jedenfalls zu dieser Variante raten.

Kino OV


Foto

Good cop, bad lieutenant ... and good captain


The Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans

Im Vorfeld gab es einiges über den Knatsch zwischen Herzog und Ferrara zu hören, die beim Filmfest in Venedig aber schon fast in ein bierseeliges Schunkeln übergingen und dem Produzenten das Mißverständnis (i.e. das Kaprizieren auf den Markentitel) in die Schuhe schoben.

Wahrscheinlich hätte ich mir gar nicht den Film angesehen, zu selten finden Remakes etwas, das hinzufügenswert wäre. Doch siehe da! Es ist gar kein Remake. Vielmehr ist es das, was Ferrara hätte drehen können, wenn er nicht seinen katholischen Rigorismus ungebremst ausleben würde. Schon als ich die Karre des Polizisten sah, mußte ich in mich hineinkichern, gänzlich klar wurde die Intention des Filmes dann beim Streit mit der Apothekerin. Ab da brauste Gelächter in regelmäßigen Abständen durch das Kino.

Wobei man bei zweitem Nachdenken zugeben muß, daß das Geschehen eigentlich deshalb so absurd komisch ist, weil der Filmblick dem Niedergang in die Drogenabhängigkeit folgt. Deshalb auch das Wechseln zwischen Paranoia, Euphorie und Realitätsverlust, das am Ende in ein wildes Oszillieren ausartet. Großartig auch der Besetzungscoup mit Nicholas Cage, der in seinen letzten Rollen eh grenzparodistisch gespielt hat. Der paßt hier rein wie Faust in Gretchen. Ob es ihm was ausmacht, daß ihm die Show von zwei Leguanen gestohlen wird? Überhaupt hat der Film angenehm viele Anklänge an das Tierhorrorgenre. Es ist eben doch eine dog-eats-dog Welt, so viele Drogen man auch immer in sich reinpumpt.

Kino OV