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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Prä-Disney



Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Lotte Reinigers Film wird häufig als der erste animierte Spielfilm angesehen. Experten mögen sich darüber streiten, ob die 12 Minuten von Winsor McCay's The Sinking of the Lusitania ausreichen, um Reiniger den Titel streitig zu machen, oder ob der verloren gegangene argentinische Film El apóstol der erste Animationsfilm war. Interessanter ist eh die Tatsache, daß eine Frau diesen Film gemacht hat, denn die nächsten Jahrzehnte war der Animationsfilm nahezu ausschließlich männerdominiert.

Dabei verdanken wir den Film einigen glücklichen Umständen. Reiniger hatte einige Freunde, die ihr bei der Herstellung halfen, so fungierte ihr Ehemann als Kameramann und Produzent. Berthold Bartosch und Walter Ruttmann sind für die Hintergründe und einige der wirklich interessanten Spezialeffekte verantwortlich. Die überaus stimmigen Zwischentitel, eine Reminiszenz an arabische Schriftzeichen ist mehr als gewollt, stammen vom Buchillustrator Edmund Dulac. Den größten Einfluß aber dürfte die Inflation in Deutschland gehabt haben. Der Bankier Louis Hagen hatte sein Geld in Filmmaterial angelegt und erlaubte Reiniger dessen freie Verwendung für die Erstellung eines Spielfilmes. Hagen war so sehr von Reinigers früheren Arbeiten überzeugt, daß er ihr sogar ein Studio über seiner Garage in Potsdam einrichtete.

Aber all dies wäre bedeutungslos ohne die künstlerische Finesse Reinigers, die ihre ziseliert ausgearbeiteten Scherenschnitte (die Detailtreue erforderte eine Produktionsdauer von drei Jahren!) zum Leben erweckte. Angenehm fällt die räumliche Tiefe der Bilder auf, die Reiniger mit einem Mehrfachebenensystem erreichte, eine Erfindung, die fälschlicherweise Ub Iwerks oder Walt Disney zugeschrieben wird. Mir war auch bis dato gar nicht bewußt, wie sehr sich der Schattenriß zur Transformation eignet, ob seiner uniformen Flächigkeit viel besser als alle anderen Animationstechniken. Landschaft wird zum Monster wird zur Landschaft.

Weniger überzeugend ist leider die Geschichte. Die Frauen bis auf eine alte Hexe sind ausnahmslos passive Weibchen und der Chinesenkönig grenzrassistische Karikatur. Noch unangenehmer empfand ich, daß die Erzählung ein Sammelsurium aus 1001 Nacht ist oder besser gesagt ein Remix. Verstärkt wurde der Effekt durch einen Live-Score von Mira Calix, die einen Ambientsound drüberkleisterte, der die Bilder ihres Erzählflusses beraubte. Man hatte stellenweise das Gefühl, hier ein repetitives MTV-Video zu einem abstrakten Technotrack zu sehen. Mit der BFI DVD spürt man diesen Nachteil hoffentlich nicht. Die Originalkopie ist zwar im zweiten Weltkrieg zerstört worden, aber das BFI hatte noch eine Kopie im Archiv, die deutschen Zwischentitel konnten rekonstruiert werden und Wolfgang Zellers Soundtrack hatte die Library of Congress archiviert. Für den vollen Filmgenuß würde ich jedenfalls zu dieser Variante raten.

Kino OV