Hundstage
Wie viele Namen kennt die Menschheit für den Teufel? Man nennt ihn Luzifer, Beelzebub und Fürst der Finsternis. Nun hat der Leibhaftige sich in seiner modernsten Verkleidung gezeigt, sein diabolischer Name: Ulrich Seidl.
Jahrelang hat er in Österreich, als normaler Mensch getarnt, darüber gegrübelt, wie man wohl die menschlichen Seelen am effektivsten quälen kann. Krieg? Wird schon allerorten mit modernster Technik geführt. Pest? Wird schon in den Biowaffenlaboren der Militärs hergestellt. Hungersnot? Wird schon im Trikont durch das Wirtschaftssystem verursacht. Da schoss es ihm durch den gehörnten Kopf: Die Menschen erledigen bereits alle meine Aufgaben. Ah, dachte er, wenn ich ihnen zeige, wie furchtbar sie sich verhalten, dann werden sie innehalten in ihrem Tun und ich werde wieder als Herrscher des Schreckens meinen Thron besteigen können. Und so drehte er einen Dokumentarfilm, denn dieser konstruierten Echtheit glauben die meisten Menschen. Doch sein Film Der Ball über die Fröhlichkeitsrituale des Bürgertums zeigte nur eine Wirkung - Seidl wurde aus der Filmakademie ausgeschlossen. Da er aber aus dem Lande Bernhards und Jelineks kommend die Sturheit seiner Umwelt kannte, folgten weitere Filme wie Tierische Liebe, in dem die Porträtierten ihre Einsamkeit hinter seltsamen Ritualen zu verbergen suchten.
Aber auch das alles veränderte die Menschen nicht. Vielleicht, dachte sich der Teufel, erreiche ich nicht genug Menschen mit meinen Filmen. Er hatte von einem Ort namens Hollywood gehört, der mit seinen Fiktionen Millionen Menschen gerührt haben sollte. Und so kombinierte der Teufel die Glaubwürdigkeit des Dokumentarischen mit dem Unterhaltsamen des Erfundenen in seinem Film Hundstage.
Sicherlich ist diese Verknüpfung keine einmalige Leistung; beim letztjährigen Fantasyfilmfestival lief mit Series 7 - The Contenders ein Film über reality shows, der dieses Fernsehformat so perfekt imitierte, daß den Zuschauern der inszenierten Menschenjagd ganz übel wurde. Auch drehte halb Neuseeland durch, als Peter Jacson mit Forgotten Silver eine gefälschte Dokumentation ins Fernsehen brachte, um alle glauben zu machen, in Neuseeland sei der erste Spielfilm in Farbe entstanden.
Aber Satan ist noch gerissener als die anderen Subteufelchen. Er verwirrt die Zuschauer, auf daß sie nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können, indem er professionelle Schauspieler und Laiendarsteller kunstvoll mischte. Und er schickte seine Boten in eine Welt, die angefüllt ist mit qualvoller Hitze und Unfähigkeit. Der Unfähigkeit zu kommunizieren. Der Unfähigkeit, Ängste zu zeigen. Der Unfähigkeit, Lust zu empfinden. Die Ohnmacht darob entlädt sich, angestachelt durch die Glut des Sommers, an den Schwächsten in der Hackordnung. Und wir Zuschauer sind gezwungen, unsere innere in der gezeigten Welt wiederzuerkennen.
Ulrich Seidl muß der Teufel sein. Nur der Teufel selber kann so gut die Hölle in den Seelen der Menschen kennen.
P.S.: Sicher fragen die Christen unter Euch bange, ob denn am Ende wohl Gott über den Teufel siegen wird. Aber sicher, meine Schäfchen, die Top Ten der Werbejingles füllen wie seit Jahrhunderten seine Sprüche.
Zuerst gepostet auf kino.de am 17.08.2002
kino.de
Wie viele Namen kennt die Menschheit für den Teufel? Man nennt ihn Luzifer, Beelzebub und Fürst der Finsternis. Nun hat der Leibhaftige sich in seiner modernsten Verkleidung gezeigt, sein diabolischer Name: Ulrich Seidl.
Jahrelang hat er in Österreich, als normaler Mensch getarnt, darüber gegrübelt, wie man wohl die menschlichen Seelen am effektivsten quälen kann. Krieg? Wird schon allerorten mit modernster Technik geführt. Pest? Wird schon in den Biowaffenlaboren der Militärs hergestellt. Hungersnot? Wird schon im Trikont durch das Wirtschaftssystem verursacht. Da schoss es ihm durch den gehörnten Kopf: Die Menschen erledigen bereits alle meine Aufgaben. Ah, dachte er, wenn ich ihnen zeige, wie furchtbar sie sich verhalten, dann werden sie innehalten in ihrem Tun und ich werde wieder als Herrscher des Schreckens meinen Thron besteigen können. Und so drehte er einen Dokumentarfilm, denn dieser konstruierten Echtheit glauben die meisten Menschen. Doch sein Film Der Ball über die Fröhlichkeitsrituale des Bürgertums zeigte nur eine Wirkung - Seidl wurde aus der Filmakademie ausgeschlossen. Da er aber aus dem Lande Bernhards und Jelineks kommend die Sturheit seiner Umwelt kannte, folgten weitere Filme wie Tierische Liebe, in dem die Porträtierten ihre Einsamkeit hinter seltsamen Ritualen zu verbergen suchten.
Aber auch das alles veränderte die Menschen nicht. Vielleicht, dachte sich der Teufel, erreiche ich nicht genug Menschen mit meinen Filmen. Er hatte von einem Ort namens Hollywood gehört, der mit seinen Fiktionen Millionen Menschen gerührt haben sollte. Und so kombinierte der Teufel die Glaubwürdigkeit des Dokumentarischen mit dem Unterhaltsamen des Erfundenen in seinem Film Hundstage.
Sicherlich ist diese Verknüpfung keine einmalige Leistung; beim letztjährigen Fantasyfilmfestival lief mit Series 7 - The Contenders ein Film über reality shows, der dieses Fernsehformat so perfekt imitierte, daß den Zuschauern der inszenierten Menschenjagd ganz übel wurde. Auch drehte halb Neuseeland durch, als Peter Jacson mit Forgotten Silver eine gefälschte Dokumentation ins Fernsehen brachte, um alle glauben zu machen, in Neuseeland sei der erste Spielfilm in Farbe entstanden.
Aber Satan ist noch gerissener als die anderen Subteufelchen. Er verwirrt die Zuschauer, auf daß sie nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können, indem er professionelle Schauspieler und Laiendarsteller kunstvoll mischte. Und er schickte seine Boten in eine Welt, die angefüllt ist mit qualvoller Hitze und Unfähigkeit. Der Unfähigkeit zu kommunizieren. Der Unfähigkeit, Ängste zu zeigen. Der Unfähigkeit, Lust zu empfinden. Die Ohnmacht darob entlädt sich, angestachelt durch die Glut des Sommers, an den Schwächsten in der Hackordnung. Und wir Zuschauer sind gezwungen, unsere innere in der gezeigten Welt wiederzuerkennen.
Ulrich Seidl muß der Teufel sein. Nur der Teufel selber kann so gut die Hölle in den Seelen der Menschen kennen.
P.S.: Sicher fragen die Christen unter Euch bange, ob denn am Ende wohl Gott über den Teufel siegen wird. Aber sicher, meine Schäfchen, die Top Ten der Werbejingles füllen wie seit Jahrhunderten seine Sprüche.
Zuerst gepostet auf kino.de am 17.08.2002
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Seidl ist wohl ein typisch österreichischer Filmemacher. Und hier erreichte der Film auch ein erstaunlich großes Publikum.(über 100T) Ich bin ja Seidl gegenüber ein wenig skeptisch. Zu groß erscheint mir seine Lust, in den aberwitzigsten Abgründen zu wühlen. Auch den Einsatz von Laien halte ich für nicht unproblematisch, weil diese doch oft "vorgeführt" werden.
Aber die Szene, in dem ein Mann dazu gezwungen wird, mit brennender Kerze im Arsch, die ö. Bundeshymne zu singen,
ist mir trotzdem lebhaft in Erinnerung geblieben. Und dann natürlich Maria Hofstätter, die so etwas wie Hoffnung verkörpert,
wie auch der Titel deiner Kritik andeutet.