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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Stan und Oli, revisited



Four rooms

Ein Hotelpage erlebt durch seinen Beruf allerhand skurrile Geschichten mit den Gästen, muß aber aus Gründen der Diskretion möglichst wenig darüber in die Öffentlichkeit tragen, besonders wenn es sich um ein Hotel handelt, in dem viele Schauspieler und andere Künstler absteigen. Steht allerdings seine Pensionierung ins Haus und der frische Hotelpage muß auf die kommenden Aufgaben vorbereitet werden, dann ist es schon mal erlaubt, ihm mehr als nur die abgeranzte Mütze zukommen zu lassen. Und so beginnt das Martyrium des neuen Pagen (Tim Roth) ganz unspektakulär mit einem Verweis auf jene Zeiten, in denen Filmstars noch die fehlende Stimme durch wildes Gesichtszucken wettmachen mussten.

Für jeden Gast muß der Page präsent sein und ist somit prädestiniert, das verbindende Element für vier aufeinanderfolgende Geschichten zu sein, die in vier Hotelzimmern während einer Silvesternacht spielen. In der Hochzeitssuite wollen moderne Hexen ihre angebetete Göttin Diana vom Tod zum Leben befördern. In einem anderen Raum geben sich zwei Eheleute einen ritualisierten Treueschwur ab, für den sie allerdings die Hilfe einer dritten Person benötigen. Ein weiteres Zimmer wird von einem Macho und seinem familiären Anhang bewohnt; um Silvester mit seiner Frau feiern zu können, muß aber ein Babysitter für die zwei kleinen Bälger organisiert werden. Und im Penthouse wohnt ein hipper und erfolgreicher Jungregisseur, der mit seinen Kumpanen nach reichlichem Gelage (für die Gesundheitsapostel unter uns: es ist Silvester und außerdem ist das Leben an sich Grund genug zum Saufen) eine Filmwette mit möglicherweise fatalem Ausgang nachstellt.

Ohne Zweifel war es eine gute Idee die unterschiedlichen Geschichten von verschiedenen Regisseur inszenieren zu lassen. Dies wird besonders nach dem ersten Teil deutlich. Er wurde von Allison Anders inszeniert, der den schwächsten Teil des Quartetts zustande gebracht hat und sich neuerdings mit der Serie Sex and the city auch nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat. Die Hexen sollen wohl Frauenarchetypen darstellen (oh nein, ich werde nicht noch mal den Streit zu 8 Frauen reaktivieren), wirken aber bei all den Klischees doch etwas fade und uninteressant. Besser gefiel da schon die Episode von Alexandre Rockwell, der mit „In the soup“ schon einen gelungenen Independentfilm über die Schwierigkeiten des Künstlerdaseins abgeliefert hatte. Geschickt baut er die neurotische Beziehung der Eheleute auf und die missglückte Flucht des Pagen ist wirklich ein Höhepunkt des Films. Absolut perfekt inszenierte Robert Rodriguez seinen Teil. Alle Elemente seiner Geschichte werden motiviert eingeführt und dann zu so einem herrlich überdrehten Ende arrangiert, dass der Latinomacker Antonio Banderas buchstäblich seine Frau fallen lässt. Demgegenüber wirkt der Teil von Quentin Tarantino zäh und langatmig, die Geschichte kommt wegen des vielen Gelabers nicht so richtig in Gang. Sie wirkt wie ein schlecht erzählter Witz, den man eigentlich lustig findet, aber über den man aufgrund der Erzählweise dann doch nicht so richtig lachen kann.

Und das, obwohl Tim Roth auch in Tarantinos Episode eine clowneske Darstellung des Hotelpagen abliefert. Da er in allen Episoden eine tragende Rolle spielt, liegt die darstellerische Hauptlast auf seinen Schultern. Er ist der Verantwortung absolut gewachsen und gibt so einen zappligen, quirligen, hysterisch überdrehten Charakter ab, wie ich ihn noch nicht von Tim Roth gesehen habe. Eher hätte man so eine Darstellung von Jim Carrey erwartet. Allerdings wird Tim Roth auch von einem hochkarätigen Ensemble unterstützt. Allen voran Antonio Banderas als Obermacho, der sich den Beginn des neuen Jahres irgendwie erfolgreicher vorgestellt hatte. Bruce Willis spielt wieder mit Quentin Tarantino zusammen, wird aber leider nicht so schön gegen sein Klischee wie in Pulp fiction gehetzt. Und Salma Hayek überzeugt sowieso in nahezu jedem Film, erst recht in dieser schwungvollen Rolle, bekleidet mit einem Tigerfell.

Rosarot wie ein Panther schleicht sich der Zeichentrickvorspann an und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf den kommenden Spaß. Dennoch ist das Stichwort, worum es in diesem Film geht, schon vorher in dem Gespräch zwischen dem alten und neuen Hotelpagen gefallen: Stummfilm.
Die einzelnen Episoden werden mit Schrifttafeln angekündigt, wie man sie als Dialogtafeln aus der Stummfilmära kennt. Konsequenterweise gestikulieren und grimassieren die Figuren sich so wild und überspannt durch den Film, dass man denken könnte, die Tonspur müsste noch erfunden werden. Die Personen werden in die absurdesten Situationen gebracht, die durch herben Humor aufgelöst werden. Wie bei den Vorbildern Charlie Chaplin oder Stan Laurel und Oliver Hardy wird das Witzpotential häufig aus dem auf lustig gewendeten Elend des Pagen gezogen. Insofern ist das von Tarantino konzipierte Ende eigentlich eine schöne Idee. Der Page wird für die Schmach seines Dienstbotendaseins belohnt und auf der filmischen Ebene wird die Idee des vertonten Stummfilmes erst lange verleugnet, um dann innerhalb der letzten Minute und während des Abspanns die Auflösung in einer extrem komprimierten Slapstickeinlage zu erfahren. Aber leider wirkt es nicht so gut, wie es sich anhört, der Spannungsbogen dieser Kopfgeburt stimmt einfach nicht. Nicht in dieser Episode, nicht in dem ganzen Film.

Zuerst veröffentlicht am 1.9.2002 auf kino.de

kino.de



Keine schlechte Idee, hier alte kino.de-Texte reinzustellen, sollte ich vielleicht auch machen. Ich habe nur noch sehr wenige, aber darunter ist immerhin ein Text zu Solaris und ein, wie ich glaube, wirklich recht ansprechender zu Vertigo.
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Ja, bitte, unbedingt. Gerade den Vertigo. Zu schade, daß die folgende Diskussion für immer verloren ist.
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Vertigo kommt gleich. Um die Diskussion ist es wirklich schade; Du hattest doch den Hinweis auf eine Seite beigesteuert, wo man sehen konnte, wie die im Film gezeigten Schauplätze in San Francisco in der Gegenwart aussahen, und jane doe stellte schöne Querverbindungen zu Mulholland Drive her, daran kann ich mich noch genau erinnern.
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