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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Amor und Psyche



Wahnsinnig verliebt

Der erste Spielfilm der französischen Regisseurin Laetitia Colombani beginnt in einem Blumenmeer, das für Angélique wie eine Verheißung auf den siebten Himmel wirken muss. Rosaumflort schwebt sie durchs Leben, denn sie ist verliebt. An ihren Angebeteten namens Loic will sie eine Rose als Zeichen der Zuneigung verschicken. Der ihr zugetane Kardiologe ist zwar noch verheiratet, will sich aber von seiner Ehefrau trennen. Das ewige Glück ist so nah.
Doch schon bald scheint Angélique das Schicksal so vieler Geliebter zu teilen. Die Ehefrau erwartet ein Kind und so besinnt sich der Arzt wohl auf das Glück zurück, das im fruchtbaren Schoße der Familie liegt. Selbst zu der geplanten gemeinsamen Reise erscheint Loic nicht und lässt Angélique allein auf dem Flughafen sitzen. Unglücklich verharrt sie in depressiver Untätigkeit; das ihr anvertraute Haus verfällt in gleichem Maße, wie Angélique das Leben entgleitet. Und als Angélique trotz all der zugefügten Schmach Loic wegen eines Mordverdachtes zu Hilfe eilen will, muß sie mit ansehen, dass seine Ehefrau noch mehr ist als nur seine Verteidigerin. Angéliques Welt bricht nun endgültig zusammen und sie beschließt in ihrer Not, sich das Leben zu nehmen.

*Spoiler an*

Jedoch erweist sich das bisher Gezeigte als Teilwahrheit, nämlich Angéliques Wahrheit. Was sich im ersten Teil des Filmes durch zunehmenden Einbruch kalten Blaus in den rosaroten Himmel angekündigt hat, wird nun Gewissheit. Der Arzt weiß gar nichts von Angéliques Absichten. All die Botschaften, die sie ihm geschickt hat, waren viel zu vage, als dass er auch nur wüsste, wer ihn anhimmelt. Und so stellen Angéliques unbeholfene Versuche, sich ihm zu nähern, nur eine Bedrohung seines Glücks dar. Da die Zukunftsvorstellungen der beiden Hauptfiguren sich unversöhnlich gegenüberstehen, deutet alles auf eine gewaltsame Lösung des Konfliktes hin.

Colombanis Film untersucht exemplarisch das Verhältnis von Verstand und Gefühl. Dazu bedient sie sich einer Symbolik, bei der das Herz die Emotionalität repräsentiert. Dieses auch in der Alltagskultur verwendete Symbol hat sich trotz allen Wissenszuwachses in der Neuzeit herübergerettet aus den naturphilosophischen Schulen der griechischen Antike. (Die antiken Philosophen klassifizierten erstmalig die seelischen Zustände und verknüpften diese mit spezifischen Organfunktionen.) Obwohl mir die Symbolik sehr angemessen für das Thema des Filmes erscheint, erweist sich die Ausführung als mangelhaft. Zwar findet die Regisseurin schöne Bilder für die emotionale Seite. Das Gespräch des Kardiologen(!) mit seinen PatientInnen ist sehr aufschlussreich, die Kamera beäugt die historisch-anatomischen Tafeln in der Arztpraxis und das Symbol des getroffenen Herzens hat zu anschwellender Geräuschkulisse im Kino geführt. Aber Colombani hält sich mit ähnlich gelungenen Einstellungen für die Rationalität des Menschen zurück; diese Seite wirkt auf der visuellen Ebene unterbelichtet.

Worüber ich lange nachdenken musste, ist das Verhältnis von Angélique zu ihrem Vater. Obwohl er in dem ganzen Film nicht zu sehen ist, hat er natürlich Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung genommen. Er war Künstler und hat vermutlich in ihr den Wunsch geweckt hat, ebenfalls Künstlerin zu werden. Viel wichtiger ist aber wohl seine Prägung ihrer Möglichkeiten, sich anderen Menschen zu nähern. Wenn man bedenkt, wann sie damit angefangen hat, sich artifizielle Weggefährten zu basteln, und dann noch an die Rolle des Vaters in Freuds Buch "Totem und Tabu" denkt, hat sie sicher in der Kindheit von ihrem Vater den seelischen Knacks verpasst bekommen, der nun ihre Seele spaltet.

Die Filmästhetik ist für ein Erstlingswerk beachtlich und ich vermute, dass man von der Regisseurin noch einige gute Filme erwarten darf. Sehr schön gestaltet ist das Gegenüberstellen des Schicksals von Angélique und Loic am Ende des Filmes, sein Fortschritt ist ihr Niedergang. Auch gefiel mir die Einstellung mit dem reißenden Fluß, in den sie ihren Koffer wirft. Dennoch gibt es einige Schwächen, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Das Zurückspulen der Zeit hätte ich mir weniger einheitsbreiig gewünscht und die im ersten Teil des Filmes gelegten Fährten sind einfach zu explizit. Deshalb sieht man im mittleren Teil Sachen, die man sich eh schon gedacht hat, wodurch der Filmfluß etwas zäh ist. Hier merkt man, dass das Filmkonzept, Rashomon mit Fight Club zu mischen, nicht ganz aufgeht.

Dennoch bleibt À la folie...pas du tout ein reizvoller Versuch, das Wesen der Liebe zu erforschen. Liebe ist auch als Psychose begreifbar. Aber wer möchte schon mit dieser Realität leben.

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 9.9.2002

kino.de