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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Die Wahrheit über den Tod von Gerts Kelly



Happiness is a Warm Gun

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich vor genau zehn Jahren, am 19. Oktober 1992, getan habe. Vermutlich all die Dinge, mit denen man sein Leben füllt: essen, schlafen, saufen, nachdenken. Eines habe ich aber mit Sicherheit nicht getan: Tränen vergossen wie Petra Kellys Großmutter.
Mit "Oma Birie weint jetzt" machte gewohnt souverän die Bildzeitung allen sekundären Analphabeten den Tod von Petra Kelly und Gert Bastian, zwei exponierten Persönlichkeiten aus den Anfangstagen der Grünen, klar. Da es keinen Abschiedsbrief der friedensbewegten Ökofeministin und des ehemaligen Generalmajors der Bundeswehr gab, eröffnete der Selbstmord Raum für vielerlei Spekulationen. Alice Schwarzer faselte was von der für Frauen tödlichen Liebe der Männer, die verschwörungstheoretisch erprobte Bärbel Bohley durfte genauso ihre Konstruktion "Atommafia aus dem Osten" unters Volk bringen wie die These ventiliert wurde, daß sich die beiden wegen Petra Kellys drohender Dialysepflichtigkeit um die Ecke gebracht hatten. Die deutschen Medien hatten das Leben von Kelly und Bastian auf eine Symbolik von der Schönen und das Biest reduziert und interessierten sich auch nach ihrem Tod nicht für die politische Ebene des zweifachen Selbstmordes.
Zumindest in diesem Punkt stimmt der Film des Schweizers Thomas Imbach mit der öffentlichen Wahrnehmung der Ereignisse überein. Er versucht, die Tat als Ergebnis ihrer Beziehung zu verstehen. Zu diesem Zweck hält er das Geschehen in dem Moment an, als Gert Bastian zwar schon seine Geliebte erschossen hat, aber noch nicht sich selbst. Petra Kelly, die Einschußwunde gut sichtbar am Kopf, darf sich wie in einer modernen Vorhölle oder wie in dem Augenblick, in dem das gesamte Leben noch einmal an einem Sterbenden vorbeizieht, der Ereignisse bewußt werden, die zu dem tödlichen Schuß geführt haben. Der Ort der Auseinandersetzung mit dem vergangenen Leben ist vom Regisseur gut gewählt: ein kaltes Flughafengebäude, Symbol für Ankunft und Abschied, für Transition zwischen Leben und Tod. So irren Linda Olsansky als Petra und Herbert Fritsch als Gert durch die unpersönlichen Räume des Flughafens, Toiletten, Sanitätsraum, Flughafenkapelle, auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und dem emotionalen Band, das sie verbindet.
Unterbrochen wird ihre aufeinander fixierte Suche von Begegnungen mit anderen Menschen, von denen die beiden aber merkwürdig distanziert bleiben: Raver in einer Technodisko, Oma Birie, Asylbewerber, die der Abschiebung harren. Wenn Petra Kelly den existenziell bedrohten Asylbewerbern ein aufmunterndes "Man muß doch was tun, man muß sich informieren" entgegenhält oder die beiden wie auf der Suche nach Kornkreiszeichen durch ein Sonnenblumenfeld irren, dann gelingt es Happiness is a warm gun in solchen Momenten, den hilflose Aktionismus einer politischen Elite deutlich zu machen, die sich "einer geistig-moralischen Wende der Politik ins herzergreifende Kuschelige" (Gerhard Henschel) verschrieben hat.
Dennoch empfinde ich dieses experimentelle Essay, daß sich wie Christopher Roths Baader dem Trend zur Fiktionalisierung der neueren Vergangenheit anschließt, als nicht sonderlich geglückt. Zu verwirrend ist die Vielfalt der Stilmittel, zu unstruktiert wirkt die Erzählebene, zu wenig positioniert sich der Filmemacher Imbach in seinem Werk. Da genügt es mir nicht, daß er eigene Antworten auf Fragen, die in Fernsehinterviews der achtziger Jahre gestellt wurden, Kelly und Bastian in den Mund legt.
So bleibt der Eindruck eines Filmes zurück, der visuell eine experimentelle Pose einnnimmt, aber inhaltlich sich der vorherrschenden Interpretation des Ereignisses anschließt. Dies aber erklärt zumindest die guten Kritiken, die der Film von Die Welt bis Neues Deutschland erhielt.


Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 19.10.2002

kino.de