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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Hänsel und Gretel verliefen sich in Gewalt?



Baader

Krieg kann nur mit Krieg beantwortet werden.
Mit diesen Worten beendete die Rote Armee Fraktion 1992 ihre Erklärung, in der sie weitere Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat ausschloß, um den noch inhaftierten RAF-Mitgliedern die Chance auf ein Leben jenseits der Knastmauern zu eröffnen. Abgeschlossen wurde damit von ihrer Seite eine mehr als zwanzigjährige Eskalation der Gewalt; Gewalt, der "Terroristen", wie sie von der Staatsmacht bezeichnet wurden, Politiker, Wirtschaftsbosse und Unbeteiligte zum Opfer fielen. Wolfgang Grams, die in der DDR untergetauchten und die noch einsitzenden RAF-Mitglieder zeigen aber, dass der Kampf für die Staatsmacht noch nicht vorbei ist.

Enteignet Springer!
Erst recht nicht vorbei ist die popkulturelle Aufarbeitung des Phänomens RAF. In den letzten Jahren entstanden mit Die Stille nach dem Schuß, Starbucks Holger Meins, Todesspiel, Black Box BRD oder Baader eine ganze Reihe von Filmen, die ihre Sichtweise der Ereignisse dem geneigten Zuschauer nahe bringen wollen. Doch die anschwellende Flut von Artikeln und Filmen muß jeden, dessen Synapsen noch nicht vom gesellschaftlichen Alzheimer befallen sind, stutzig machen.
Frühere Filme wie Deutschland im Herbst oder Stammheim – Der Prozeß waren noch gefährdet, als Unterstützer des "Sympathisantensumpfes", wie die unbotmäßigen Staatsbürger gerne tituliert wurden, diskriminiert zu werden. Diese Gefahr scheint heute gebannt zu sein, weshalb sich all die ach so mutigen Filmemacher auf dieses wichtige Thema stürzen können.

Schafft zwei, drei, viele Vietnam!
Gemeinsam ist den in letzter Zeit entstandenen Filmen ein Hang zur ahistorischen Darstellung, die die geschichtlichen Ereignisse bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und ihrer politischen Brisanz beraubt.
Diese Tendenz verfolgt auch Baader. Christoph Roth stellt uns die RAF als die Ursuppe der heutigen Poplinken vor, die statt politischer Überzeugungen immer einen frischen Spruch auf den Lippen hatten und deren Anhänger nicht denkende Wesen, sondern Groupies der Band "Terrorgruppe" waren. Quasi die ABBA der APO.
Um diesen Effekt zu erreichen, werden dem Zuschauer Fakten und Fiktionen um die Ohren gehauen, bis ihm Erinnern und Denken vergeht. War Ensslins Vater wirklich Pastor? Wurde Baader bei einem Interview befreit? Warum wurde ein Bombenattentat auf eine amerikanische Armeebasis durchgeführt? Haben sich Baader und der BKA-Chef wirklich getroffen? Wurde die RAF in Jordanien ausgebildet? Und warum hat Andreas Baader Superstar nicht im Showdown gegen hundert Polizisten gewonnen?

Wer das Geld hat, hat die Macht...
Die gern in diesem Zusammenhang gestellte Frage, ob man die Geschichte so zeigen dürfe, ist verfehlt. Von mir aus kann man auch die Aktionen der RAF als Invasion blutsaugender Aliens darstellen, wenn es nur einen Sinn macht. Macht es aber bei Baader eben nicht, jedenfalls nicht vordergründig. Der Film klärt nicht über die Mechanismen der Untergrundbewegung auf, die Psychologie der Protagonisten bleibt undurchschaubar, als Komödie funktioniert der Film schon lange nicht und dass man in den siebzigern hässliche Klamotten anhatte, wusste ich schon vorher.
Was also will uns der Film sagen?

...bis es unterm Auto kracht.
Hier hilft ein Blick über den cineastischen Tellerrand. Am besten hat mal wieder Der Spiegel das Entpolitisieren der RAF unter dem Titel "Das Gehirn des Terrors" vorangetrieben. Das Gehirn von Ulrike Meinhof, das übrigens nur deshalb einer Untersuchung zugängig ist, weil sie in Stammheim vermutlich ermordet worden ist, wurde von Pathologen untersucht und siehe da, ihre Aggressivität während ihrer Untergrundzeit ist einem Hirntumor geschuldet. Für die Toten sind die Pathologen, für die Lebenden die Psychiater zuständig. Wer nicht passt, wir passend gemacht. Und sei es erst posthum im Film.
So bleibt als Gutes nur in Erinnerung, dass Christoph Roth mit Baader wenigstens nicht wie Heinrich Breloer versucht, dem Zuschauer eine Dokumentation vorzugaukeln. Im günstigsten Fall hat er damit erreicht, dass eine jüngere Generation sich mit dem Thema RAF intensiver auseinandersetzt.
Im schlimmsten Fall wählt sie dafür die nächsten Innerlichkeitsdramen Ulrike und Gudrun, die, wie zu hören ist, demnächst durch die ideologische Mangel gedreht werden.

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 16.11.2002

kino.de