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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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BILD HILFT!



Mutti - Der Film

Mögen Sie Filme wie Im Himmel ist die Hölle los, Geierwally oder Pink Flamingos? Ja? Ich auch. Ein paar Bier, ein paar Freunde und dann die Oberschenkel aber richtig schön weich geklopft. Und sich am nächsten Tag am Zwerchfellmuskelkater ergötzen.
Was habe ich mich also auf Mutti – der Film, den letzten Film aus dem Dunstkreis der Teufelsberger, gefreut. Jenem Kreuzberger Tunten-Trash-Urgestein, das seit 1980 Berliner Bühnen und Filmleinwände unsicher machte mit Produktionen wie Drei Drachen vom Grill, Muttis Rache, Zyklopenuschi oder Edith Schröder – Eine deutsche Hausfrau. Unverwechselbar war ihr Stil zwischen Klamauk und politischen Stichelein, zwischen unvollkommener Improvisation und enthusiastischem Karaokegesang, zwischen Videokunst und Publikumsverarschung angesiedelt. Doch seit dem Tod von Olaf "Hotte" Wriedt, der leider kurz nach Beginn des neuen Milleniums verstarb, geht den Teufelsbergern um Ades Zabel bei den Bühnenshows mehr und mehr die Luft aus.
Dies macht sich leider auch bei diesem Low-Budget-Film bemerkbar. Sicher, Biggy van Blond ist ein wunderbarer Zugewinn für die Truppe, dennoch fehlt dem Ensemble ein präsentes männliches Gegengewicht; Gerd Thumser kann mit seinem furchtbaren Akzent jedenfalls nicht die proletarische Klasse eines Hotte auch nur annähernd erreichen. Ebenfalls vollkommen unterrepräsentiert waren die Zugpferde alter Tage wie Bob Schneider oder Petra Krause. Der in mehreren Rollen und unter mehreren Pseudonymen agierende Ades Zabel kann eben keinen Film nahezu allein unterhaltsam gestalten.
So hangelt man sich entlang der wenigen guten Szenen, die nur lose durch eine Handlung im Stile von "James Bond in Neukölln" miteinander verbunden sind. Leuten, die wissen wollen, warum die Teufelsberger früher mal charmant waren, empfehle ich die Quizshow; hier entfaltet sich der frühere anarchische Stil des Ensembles und die treffende, aber liebevolle Charakterisierung der proletarischen Underdogs wird deutlich. Der Rest ergeht sich in matten Dialogen, Selbstzitaten, location spotting (wer mir sagen kann, in welchem Lokal Mutti den schwulen Pornostar Jens Hammer aufreißt, bekommt von mir ein Freibier – aber nicht mehr am selbigen Ort, denn diese Kneipe hat inzwischen dichtgemacht. Aus Scham?) und den teilweise doch recht amüsanten Gastauftritten, wobei besonders Desiree Nick als Tresenschlampe zu gefallen wusste.
Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Steckt hinter dem Niedergang der Teufelsberger mehr als nur das Auseinanderfallen einer eingespielten Truppe? In Zeiten, wo in jeder Seifenoper und jeder Nachmittagstalkshow die Geschlechtsidentitäten derart verrückt werden, dass eine angreifbare Normativität gar nicht mehr vorhanden zu sein scheint, stellt sich doch die Frage: Wer außer dem Katholischen Filmdienst braucht heute noch derartige schwule Untergrundkunst?

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 5.4.2003

kino.de