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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Es war ein ganz besonders heißer Oktober ... damals



Good Bye, Lenin!

geht eine gruppe von kindergartenkindern durch den wald. zeigt die kindergärtnerin auf ein eichhörnchen und sagt: na, liebe kinder, was haben wir denn da? meldet sich kleinfritzchen und sagt: also erstmal würd ick sagen, det issn eichhörnchen, aber wie ich den laden hier kenne, is det wieder lenin oder wer.
Ronald M. Schernikau "die tage in l."

Oktober 89: Kerzen in der Gethsemanekirche, Bullenklopperei auf der Schönhauser, Bohley heult wie üblich rum, aber alle denken, ihr täte es um Deutschland leid. Autos aus Rostock, Schwerin und Neubrandenburg (jaja, so hieß das damals, als der Mitteldeutsche Blick noch nicht auf Schlesien gerichtet war) werden von Sachsen nicht mehr betankt. Ungarische Augen schauen ungläubig, als in die Kamera gestammelt wird, man müsse die DDR verlassen, weil es dort keinen Joghurt gebe. Ein anschwellender Strom von Menschen verlässt die Joghurtwüste Gorbi, nicht ahnend, dass sie dereinst das Flussbett bilden werden für anschwellende Bocksgesänge.
Schernikau war einer der wenigen, der diesem Maėlstrom toter Fische entgegenschwamm; er nahm die Staatsbürgerschaft der DDR erst 1989, kurz vor ihrem Zusammenbruch und zwei Jahre vor seinem Tod, an, wohl der irrigen Hoffnung erlegen, die Veränderungen in der DDR würden etwas in seinem Sinne bewirken. Dennoch schärfte die Bewegung gegen den Strom den Blick der Milva der deutschen Literatur für die Systemschwächen – sowohl der DDR als auch der BRD.
Eines dramaturgischen Tricks, ähnlich der Bewegung Schernikaus, bedient sich Wolfgang Becker in seinem neuen Film Good bye, Lenin, um die Leerstellen, die die gesellschaftlichen Veränderungen im Leben der Menschen hinterlassen haben, zu untersuchen. Jene weißen Flecken auf den biographischen Landkarten der Menschen, deren Existenz man erst mit vierzehnjähriger Verspätung ohne die Distanz schenkelklopfenden Humors zur Kenntnis zu nehmen wagt. Jene Flecken, die sich auch in den Biographien der BRD-Bürger wiederfinden, denn entgegen den idealisierenden Vorstellungen der Mehrheit ist auch dieses Land zusammen mit der DDR untergegangen.
Das Zimmer von Alex' Mutter wird in Good bye, Lenin zum Geschichtslabor umfunktioniert, in dem aus allseits bekannten Ingredenzien eine alternative Geschichtsschreibung synthetisiert wird. Die revolutionären Massen der BRD stürmen die DDR. Becker greift darin Walter Ulbrichts Losung vom Überholen ohne Einzuholen auf, jene realitätsferne Utopie des kleinbürgerlichen Staatsapparates eines selbsternannten besseren Deutschlands.
Doch die Zeiten haben sich geändert: Hoffnung buchstabiert sich G-e-l-d, Fukajama hat das angebliche Ende der Geschichte ausgemacht, die Zeiten der Utopien sind im Staub der Äonen versunken. Symbolträchtig hat Becker diesem Gefühl, das die Menschen nach dem verlorenen Jahrhundert befallen hat, in dem expliziten Kubrickzitat aus 2001 – Odyssee im Weltraum zum Ausdruck gebracht. Treffender kann man die gegenwärtige Banalisierung der großen Erwartungen aus den Zeiten eines Raumschiffs Enterprise den Zuschauern nicht vor Augen führen. Ebenso prägnante Bilder findet er für die Bewusstlosigkeit der politischen Umwälzungen während der Wende, für den kurzen Sommer der Anarchie, das Fehlen des Vaters.
Die wohl größte Leistung des Filmes besteht darin, dass sich die Vielschichtigkeit der Thematik um die Hauptkomplexe Schuld und Lebenslüge zwischen den politischen und privaten Bereichen entfaltet, ohne konstruiert oder aufdringlich zu wirken. Nicht zuletzt Yann Tiersens Musik verbindet organisch die beiden Ebenen; eine Komposition, die formvollendet im Vorspann den Film antizipiert. Nichts an der Geschichte ist Selbstzweck, alles gehorcht einer inneren Logik und fügt sich wunderbar zu anderen Teilen des Geschehens. Einzig störend wirkt die Krankheitsentwicklung der Mutter, die sehr intentional eingesetzt wird und sich zu sehr an den Erfordernissen der Handlung orientiert.
Die Hauptdarsteller Katrin Sass und Daniel Brühl gestalteten ein Mutter-Sohn-Verhältnis, das den Zuschauern die liebevolle Brüchigkeit ihrer Beziehung spüren lässt. Daniel Brühl ist sicher ebenso gut wie in seinen anderen Filmen, aber für die Darstellerin der Mutter, die von sich sagte, dass sie nach der Wende in ihrer schweren Alkoholabhängigkeit ebenfalls wie im Koma lag, ist dieser Film auch ein Sieg über sich selbst. Gerade für sie freut mich der enorme Erfolg des Films. Komplettiert wird die Leistung des Duos von hervorragenden Nebendarstellern und prägnanten Cameoauftritten bekannter Schauspieler wie Jürgen Vogel.
Gelungen ist Wolfgang Becker mit Good bye, Lenin jenes Wendedrama, welches seit 1990 von den Feuilletonisten gefordert wurde. Melancholisch und heiter. Berührend und verstörend. Aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.
Und mit der vielleicht irrwitzigen Hoffnung, dass in dieser gesellschaftlichen Zukunft nicht Cowboys Bomben zureiten, sondern Sandmännchen das All erobern.

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 05.04.2003

kino.de



Ein schöner Text, zu dem aus heutiger Sicht leider noch die ergänzende Bemerkung angebracht werden können, daß jede Menge Kritiker nicht so sehr Good bye, Lenin für das große Wendedrama halten, sondern ausgerechnet den mediokren Das Leben der anderen - völlig unverständlicherweise, da Beckers Film inhaltlich intelligenter ist und in rein filmischer Hinsicht ohnehin viel mehr zu bieten hat als jener auf Cinemascope-Breite aufgeblasene Fernsehfilm, auf den dann natürlich (absehbar) die Academy of Motion Picture Arts and Sciences reingefallen ist.
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Fernsehfilm. Genau die richtige Beschreibung für dieses anämische Dramolett. Aber Das Leben der Anderen ist leichter in die historische Narration zu integrieren, insofern erfährt es mehr Beachtung. Gefälligkeit ist meist indirekt proportional zur intellektuellen Reibung,
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