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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Thomas und wie er die Welt sah



It's all about love

Es ist doch mysteriös. Noch vor einigen Jahren machte die Bundesregierung Hunderttausende von massakrierten Menschen im ehemaligen Jugoslawien aus, von denen nach dem Einsatz der UN-Truppen jede Spur fehlte. Ebenso erging es der US-Armee im dritten Golfkrieg; die auf Hunderttausend Mann geschätzten republikanischen Garden Saddam Husseins waren auch über Nacht verschwunden.
Aber Aufklärung über den Verbleib all dieser Menschen naht nun endlich doch. Nicht von der CIA oder dem KGB, erst recht nicht vom BND. Nein, dank des neuen Films von Thomas Vinterberg wissen wir jetzt, dass aufgrund der fehlenden Liebe Mama Gaia den Verschwundenen die Schwerkraft entzogen hat. Mit einem leisen Plopp verabschieden sich die argumentativen Schwierigkeiten diverser Politiker in den Weltraum.
Hanebüchener Unsinn? Wohl wahr. Aber auf jeden Fall nicht unsinniger als die immanente Logik des neuen Films von Thomas Vinterberg.

Dabei fängt der Film gar nicht mal so schlecht an. John (Joaquin Phoenix) besucht Elena (Claire Danes) zwecks Unterzeichnung der Scheidungsurkunde. Doch statt der schnellen Unterschrift auf dem Flughafen erwarten ihn mysteriöse Männer, die ihn in das morbid-labyrinthische Hotel lotsen, in dem die berühmte Eiskunstläuferin Elena residiert. Deren Situation ist trotz aufgesetzter Fröhlichkeit unheilschwanger; unbekannte Mächte und böse Doppelgänger bedrohen ihr weiteres Schicksal, der einzige, zu dem sie noch Vertrauen hat, ist ihr Nochgatte John. So weit, so gut.
Doch nach einer halben Stunde Exposition gehen dem Regisseur die Metaphern durch und laufen Amok. Was anfänglich noch als zarte Zeichen für den Zustand der Welt gedeutet werden konnte, all die toten Menschen, der Sommerschnee und der Verlust der Schwerkraft, steigert sich im Laufe des Films zu einer Kakophonie des intellektualistischen Symbolismus, wobei man in diesem Fall fast geneigt ist, in einer persönlichen Rechtschreibreform das Wort in Kackophonie abzuändern. Nun enthüllt auch Claires Beruf seine innere Bedeutung; immerhin ist sie keine russische Kugelstoßerin, sondern polnische Eiskunstläuferin und somit das Sinnbild für Unschuld und Grazilität. Diese Konstruktion einer natürlichen Ordnung mag einer Naturreligion gut zu Gesicht stehen, aber sicher nicht einem sich intellektuell gebärdendem Film aus Dänemark. Mal abgesehen davon, dass diese peinliche Erzeugung einer erstrebenswerten Vergangenheit ein Schlag in das Gesicht jedes Durchschnittspolens sein dürfte.
Auch auf der Bildebene funktioniert der Film nicht. Selbst die anfänglich noch geheimnisvollen Bildkompositionen mutieren im Nachhinein zu Motiven der Marke "Bambi vor Postkartenidylle". "Too much Fargo, honey!", möchte man dem Regisseur zurufen. Automatisch funktioniert das Muster "Schneeweißchen und Blutrot" schon mal gar nicht.
Die Dialoge scheinen dem Laienseminar "Klischeestudie III: Von Captain Kirk zu J.R. Ewing" zu entstammen und man kann sich immerhin daran erfreuen, dass wieder mal ein arbeitsloser Soapschreiberling eine kurzfristige Anstellung gefunden hat. Wird man gerade mal nicht von dem Gestammel der Hauptfiguren belästigt, dann wird man garantiert mit Kommentaren aus der zusammenhangslosen Nebenhandlung malträtiert. In der hängt Sean Penn in der Rolle von Johns Bruder Marciello nicht nur aus meteorologischen Gründen vollkommen in der Luft.

Es ist wirklich kein Wunder, dass nach dem Screening auf dem Sundancefestival dem Regisseur die Frage an den Kopf geworfen wurde: "Why would anybody give you so much money to develop such a clueless script?"

Wie wäre es, wenn Herr Vinterberg demnächst mal wieder einen formal beschränkteren Dogmafilm drehen würde? Doch oh weh, was muss man auf der offiziellen Internetseite (http://www.dogme95.dk) unter News lesen? "The Dogmesecretariat is closing, June 2002"
Tja, da werde ich wohl die Hoffnung fahren lassen müssen, noch jemals einen so umwerfenden Film wie Festen von ihm sehen zu dürfen.

P.S.: Aber ist es denn nicht schön, dass man auch aus diesem Machwerk noch etwas lernen kann? Da ich trotz der überall auftauchenden Warnschilder vor diesem Film ihn mir dennoch angeschaut habe, muß ich wohl wirklich kinosüchtig sein.

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 21.04.2003

kino.de