City of God
Cidade de deus entfacht wahre Begeisterungsstürme bei allen Betrachtern. In ungeahnter Eintracht verbrüdern sich Kritiker und Zuschauer und sind sich über die phänomenale Machart und die eminente Wichtigkeit der Filmaussage einig. Selbst die brasilianischen Politiker sind nun plötzlich über die schlimmen Zustände in den Favelas informiert, es werden effektive Maßnahmen ergriffen, das Ende des Elends ist in Sicht, Halleluja, der nächste Film bitte.
Bei so viel Einmütigkeit in der Filmrezeption lohnt es sich meist, einmal genauer die Aussage unter die Lupe zu nehmen. Und da offenbart der Film doch eklatante Mängel, die bei der alltäglichen Sinnproduktion des globalisierten Kapitalismus selten zur Sprache kommen. Jener globalisierte Kapitalismus, den Fernando Meirelles, der Regisseur von Cidade de deus, nach eigenen Aussagen mit seinen Filmproduktionen angreifen will. Aber Kunst kommt bekanntlich von Können und nicht von Wollen, denn sonst würde sie Wunst heißen.
Natürlich wäre es verfehlt, Fernando Meirelles vorzuwerfen, er wüsste nicht, was er täte. Die Zeit, die er mit dem Basteln von Werbeclips zugebracht hat, muss genauso zu etwas gut gewesen sein, wie die Zeit, die die couch potatoes vor ihren Fernsehapparaten verplempert haben, um sich seine Reklame anzuschauen. Dank dieser Fingerübungen ist der Film auf der handwerklichen Ebene nahezu unangreifbar; einzig das allzu offensive Herzeigen aller stilistischen Mittel, die die Filmindustrie derzeit als hip ansieht, wirkt stellenweise etwas selbstverliebt.
Die Stilisierung von Gewalt hat allerdings einen fatalen Einfluß auf die Wirkung des Filmes. Ein Publikum, das durch Pulp fiction oder Sexy beast in der ironischen Abwehr von Gewalttätigkeit geschult ist, kann man schlechterdings mit denselben stilistischen Mitteln aufrütteln. Die Rasanz der Filmschnitte simuliert nur Brüche in der Erzählung, während gleichzeitig die Bruchlosigkeit des Epischen zur wattierenden Weltsicht wird. Hier hätte es einer Abkehr von den filmischen Konventionen bedurft, um die verheerende Wirkung des alltäglichen Tötens auf den Zuschauer zu übertragen. Meirelles beweist mit dem Inititationritus eines Bandenmitglieds, der einen Gangmitglied von den Zwergen umlegen soll, dass er sehr wohl weiß, wie man einen derartigen Schlag in das Gesicht des Zuschauers erreichen kann. Dass er diese Einbeziehung des Zuschauers als Mittäter über weite Strecken im Film nicht versucht hat, ist also offensichtlich Absicht; eine Absicht, die den (unerwünschten?) Nebeneffekt hat, dass einen all das Gemetzel und das Schicksal der Protagonisten kalt lässt.
Noch schlimmer steht es aber darum, was der Regisseur als Ursachen für die blutigen Zustände in den Favelas anbietet. Denn in bester ideologischer Hirnweichspülung wird uns, auch durch den Regisseur Fernando Meirelles, immer wieder vorgebetet, dass wir in Zeiten der Ideologiefreiheit leben sollen. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Wirken der gesellschaftlichen Triebkräfte partikularisiert und personalisiert wird. Der Beginn all der Gewalt? Locke hat eben eine pathologische Lust am Töten. Die Verschlechterung der Zustände? Gewalt erzeugt Gegengewalt und die fällt bei der verrohten Jugend natürlich schlimmer aus. Alles wird eben immer schlimmer.
Die Favelas von Meirelles sind autarke Inseln, die ankerlos im Universum treiben und keinerlei Beziehungen zum Rest der Gesellschaft zu haben scheinen. Sicher einer der Gründe für den Erfolg des Filmes: Niemand fühlt sich auf den Schlips getreten, denn scheinbar hat das alles mit uns nichts zu tun.
Die Erfolge derartiger Lichterkettenaktionen sind allerdings bekanntermaßen als gering einzustufen. Meirelles bleibt aber sicher mit seinem neuen Projekt am Ball und informiert das geneigte Publikum gerne über die Alternativen zur Lichterkettenmentalität: Fasten für den Frieden und Treehugging.
P.S.: Aber der Film hat doch nicht nur offene Türen eingerannt, sondern auch viel Gutes bewirkt? Ja, er hat zeitweise einigen Favelabewohnern Lohn und Brot gegeben. Ja, er hat zeitweise für eine neue Welle der gesellschaftlichen Diskussion gesorgt.
Wenn man allerdings lesen muß, dass sowohl der damalige Präsidentschaftskandidat Lula da Silva als auch der ehemalige Präsident Henrique Cardoso in der Wahlkampfzeit sich durch die Darstellung der seit langem bekannten Zustände in Cidade de deus aufgerüttelt fühlten und Maßnahmen zur Elendsbekämpfung versprochen haben, dann darf doch wohl gefragt werden, ob die Vereinnahmung der popkulturellen Elendsverarbeitung wirklich mehr ist als purer Distinktionsgewinn der politischen Klasse. Besonders wenn es sich herausstellt, dass die Sondersanierungsprogramme nur der Cidade de deus, die neu angeschafften Waffen und Polizeihelikopter aber allen Favelas zugute kommen.
Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 01.06.2003
kino.de
Cidade de deus entfacht wahre Begeisterungsstürme bei allen Betrachtern. In ungeahnter Eintracht verbrüdern sich Kritiker und Zuschauer und sind sich über die phänomenale Machart und die eminente Wichtigkeit der Filmaussage einig. Selbst die brasilianischen Politiker sind nun plötzlich über die schlimmen Zustände in den Favelas informiert, es werden effektive Maßnahmen ergriffen, das Ende des Elends ist in Sicht, Halleluja, der nächste Film bitte.
Bei so viel Einmütigkeit in der Filmrezeption lohnt es sich meist, einmal genauer die Aussage unter die Lupe zu nehmen. Und da offenbart der Film doch eklatante Mängel, die bei der alltäglichen Sinnproduktion des globalisierten Kapitalismus selten zur Sprache kommen. Jener globalisierte Kapitalismus, den Fernando Meirelles, der Regisseur von Cidade de deus, nach eigenen Aussagen mit seinen Filmproduktionen angreifen will. Aber Kunst kommt bekanntlich von Können und nicht von Wollen, denn sonst würde sie Wunst heißen.
Natürlich wäre es verfehlt, Fernando Meirelles vorzuwerfen, er wüsste nicht, was er täte. Die Zeit, die er mit dem Basteln von Werbeclips zugebracht hat, muss genauso zu etwas gut gewesen sein, wie die Zeit, die die couch potatoes vor ihren Fernsehapparaten verplempert haben, um sich seine Reklame anzuschauen. Dank dieser Fingerübungen ist der Film auf der handwerklichen Ebene nahezu unangreifbar; einzig das allzu offensive Herzeigen aller stilistischen Mittel, die die Filmindustrie derzeit als hip ansieht, wirkt stellenweise etwas selbstverliebt.
Die Stilisierung von Gewalt hat allerdings einen fatalen Einfluß auf die Wirkung des Filmes. Ein Publikum, das durch Pulp fiction oder Sexy beast in der ironischen Abwehr von Gewalttätigkeit geschult ist, kann man schlechterdings mit denselben stilistischen Mitteln aufrütteln. Die Rasanz der Filmschnitte simuliert nur Brüche in der Erzählung, während gleichzeitig die Bruchlosigkeit des Epischen zur wattierenden Weltsicht wird. Hier hätte es einer Abkehr von den filmischen Konventionen bedurft, um die verheerende Wirkung des alltäglichen Tötens auf den Zuschauer zu übertragen. Meirelles beweist mit dem Inititationritus eines Bandenmitglieds, der einen Gangmitglied von den Zwergen umlegen soll, dass er sehr wohl weiß, wie man einen derartigen Schlag in das Gesicht des Zuschauers erreichen kann. Dass er diese Einbeziehung des Zuschauers als Mittäter über weite Strecken im Film nicht versucht hat, ist also offensichtlich Absicht; eine Absicht, die den (unerwünschten?) Nebeneffekt hat, dass einen all das Gemetzel und das Schicksal der Protagonisten kalt lässt.
Noch schlimmer steht es aber darum, was der Regisseur als Ursachen für die blutigen Zustände in den Favelas anbietet. Denn in bester ideologischer Hirnweichspülung wird uns, auch durch den Regisseur Fernando Meirelles, immer wieder vorgebetet, dass wir in Zeiten der Ideologiefreiheit leben sollen. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Wirken der gesellschaftlichen Triebkräfte partikularisiert und personalisiert wird. Der Beginn all der Gewalt? Locke hat eben eine pathologische Lust am Töten. Die Verschlechterung der Zustände? Gewalt erzeugt Gegengewalt und die fällt bei der verrohten Jugend natürlich schlimmer aus. Alles wird eben immer schlimmer.
Die Favelas von Meirelles sind autarke Inseln, die ankerlos im Universum treiben und keinerlei Beziehungen zum Rest der Gesellschaft zu haben scheinen. Sicher einer der Gründe für den Erfolg des Filmes: Niemand fühlt sich auf den Schlips getreten, denn scheinbar hat das alles mit uns nichts zu tun.
Die Erfolge derartiger Lichterkettenaktionen sind allerdings bekanntermaßen als gering einzustufen. Meirelles bleibt aber sicher mit seinem neuen Projekt am Ball und informiert das geneigte Publikum gerne über die Alternativen zur Lichterkettenmentalität: Fasten für den Frieden und Treehugging.
P.S.: Aber der Film hat doch nicht nur offene Türen eingerannt, sondern auch viel Gutes bewirkt? Ja, er hat zeitweise einigen Favelabewohnern Lohn und Brot gegeben. Ja, er hat zeitweise für eine neue Welle der gesellschaftlichen Diskussion gesorgt.
Wenn man allerdings lesen muß, dass sowohl der damalige Präsidentschaftskandidat Lula da Silva als auch der ehemalige Präsident Henrique Cardoso in der Wahlkampfzeit sich durch die Darstellung der seit langem bekannten Zustände in Cidade de deus aufgerüttelt fühlten und Maßnahmen zur Elendsbekämpfung versprochen haben, dann darf doch wohl gefragt werden, ob die Vereinnahmung der popkulturellen Elendsverarbeitung wirklich mehr ist als purer Distinktionsgewinn der politischen Klasse. Besonders wenn es sich herausstellt, dass die Sondersanierungsprogramme nur der Cidade de deus, die neu angeschafften Waffen und Polizeihelikopter aber allen Favelas zugute kommen.
Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 01.06.2003
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