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Ornament & Verbrechen Redux

There is no charge for awesomeness. Or beauty.




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Die Walverwandtschaften



Whale Rider

Das Leben in der modernen Welt ist trotz aller technischen Errungenschaften alles andere als ein Zuckerschlecken – erst recht wenn man den Blick auf die Gebiete außerhalb der westlichen Metropolen richtet. Die Expansionsbestrebungen, die von diesen wirtschaftlichen Zentren ausgehen, werden von einem Kulturexport begleitet, der das Leben von Kapstadt bis Spitzbergen, von Kuala Lumpur bis Lima zu nivellieren sucht. Dieser Egalisierung steht eine Tendenz der Menschen gegenüber, sich ihrer Eigenständigkeit durch Rückbesinnung auf ihre Traditionen zu versichern.
Aus Aotearoa, dem Land der langen, weißen Wolke, wie die Maoris Neuseeland nennen , kommt mit Whale rider nun ein Independentfilm, der nicht der Versuchung erliegt, sich der gängigen Vereinfachung nach dem Schema "Böse Globalisierung – gute Tradition" zu unterwerfen. Der Film ist ein gelungenes Beispiel zur Ambivalenz der, nennen wir es der Einfachheit halber so, Identitätsfindung im Spannungsfeld zwischen Gestern und Morgen, zwischen Individuum und Gesellschaft.

Derlei Positionierung ist am schwersten während der Jugend, wie uns die Geschichte des zwölfjährigen Maorimädchens Paikea, energisch und spröde von Keisha Castle-Hughes gespielt, von neuem zeigt. Nicht nur dass während Paikeas Geburt ihre Mutter verstirbt, auch ihr Zwillingsbruder überlebt seinen ersten Tag nicht. Ein schwerer Schlag für Paikeas Vater Porourangi, der daraufhin nach Europa in eine Künstlerkarriere flüchtet. Fast noch verheerender ist dieses Ereignis allerdings für Pais Großvater Koro, der den männlichen Enkel als Nachfolger vorgesehen hatte, nachdem Porourangi nicht Koros Stolz auf die Ahnenlinie teilte.

Paikeas Ringen um die Anerkennung als Stammesführerin hätte sicher nicht mehrere Festivalspreise gewonnen, wenn Regisseurin Niki Caro die Bemühungen Paikeas nicht entlang der Bruchlinien des Kampfes um die Anerkennung der älteren Generationen und um die Anerkennung der Gleichberechtigung von Frauen inszeniert hätte. Dadurch gewinnt der Film eine universell verständliche Ebene, die sich auch demjenigen erschließt, der hier zum ersten Mal sieht, welche Regeln in einem Marae gelten.
Was dem Film fehlt, ist allerdings die energische Wucht eines Once were warriors, der doch deutlich überzeugender vom Kampf der Maorifrauen gegen ihre Machomänner zu berichten wusste. Die Dramaturgie in Whale rider wird aber derartig bravourös von Niki Caro gehandhabt, dass man die spirituell angehauchten Plottwists auch als atheistischer Mitteleuropäer dem Film ohne weiteres verzeihen kann – und sei es nur wegen der sperrigen Schönheit der Außenaufnahmen.

Whale rider wird mit der abschreckenden Kategorie "Ökologische Fantasy" sicher die falschen Zuschauer anziehen. Schon sein Einsatz zur Mobilisierung gegen die Tagung der Internationalen Walfangkommission hat ein Publikum auf den Plan gerufen, dass seine Walliebe durch aufdringliches Zuschaustellen von Konsumverzicht dokumentierte. Dabei spielen die Wale nur eine untergeordnete Rolle für die Aussage von Whale rider, denn Mädchen kämpfen überall zwischen Kapstadt und Spitzbergen, zwischen Kuala Lumpur und Lima um ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft.

Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 24.06.2003

kino.de