Tan de repente
Lieben Sie road movies? Nein? Dann gehören Sie offenbar zu jener seltenen Untergattung Mensch, die mit ihrem Leben rundum zufrieden sind. Denn die große Popularität, die dieses Genre beim Publikum genießt, speist sich aus einer ansteckenden Hoffnung auf Veränderung. Der Hoffnung, dass jemand auf der Leinwand stellvertretend für uns Zuschauer seinem Leben einen entscheidenden Impuls gibt, seiner, und damit unserer, Banalität der Existenz entflieht und genau die grünen Wiesen findet, von denen wir zu wissen glauben, dass es sie überall, nur nicht hier gibt.
Was aber, wenn die Protagonistin des Filmes ebenso wenig der eigenen Kraft vertraut, Herrin über ihr Schicksal zu sein, wie wir Zuschauer? Wenn sie eine übergewichtige Dessousverkäuferin namens Marcia in Buenos Aires ist, deren spannendste Abwechslung im Leben die Entspannungsübung im Yogakurs ist und die der Liebe in anonymen, stummen Telefonaten nachstellt?
Im Falle des argentinischen Filmes Tan de repente (Aus heiterem Himmel) helfen ihr Lenin und Mao auf die Sprünge. Nicht durch das Studium des Marxschen Gesamtwerkes, wie die Fraktion orthodoxer Kommunisten jetzt hoffen wird. Bei Lenin und Mao handelt es sich um zwei punkige Großstadtlesben, die durch eine Entführung am helllichten Tage das Landei Marcia zwingen, sich mit ihrem dahintreibenden Leben und ihren unerfüllten Sehnsüchten auseinanderzusetzen.
Der 26-jährige Regisseur Diego Lerman zeichnet von seiner krisengeschüttelten Heimat in seinem zweiten Spielfilm ein Bild, welches die Isolation des Individuums in der modernen Gesellschaft nicht verleugnet. Im Gegensatz zum Gros des europäischen Kinos wird dieser Konflikt aber nicht in einer weinerlichen Handlungsunfähigkeit oder realitätsverleugnenden Witzigkeit aufgelöst. Die unspektakulär, humorvoll erzählte Geschichte der drei Frauen ist wie die beschwingte Musik Bouscayrols, die auch Merengue-Salsa-Hasser lieben werden, eine Hommage an das Leben und eine Lektion in unaufgeregtem Optimismus. So scheinen die grobkörnigen Schwarzweißbilder, die trotz des Einsatzes einer digitalen Handkamera eher an einen Fotobildband von Cartier-Bresson als an einen Dogmafilm erinnern, dem Zuschauer zu sagen: Wenn selbst etwas so Außergewöhnliches wie ein Orcawal nur noch eine Nummer ist, wer sagt Dir dann, dass Du kleine Nummer nicht auch etwas Außergewöhnliches sein kannst?
Sie lieben wirklich keine road movies? Dann aber vielleicht diesen Film.
Denn es gibt zwar auch Gründe vor dem Leben zu fliehen, aber vor allem gute Gründe nach dem eigenen Weg durchs Leben zu suchen. Auch davon handeln road movies und deshalb dürfen Marcia, Lenin und Mao etwas anderes in der Fremde finden als Thelma und Louise.
Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 20.07.2003
kino.de
Lieben Sie road movies? Nein? Dann gehören Sie offenbar zu jener seltenen Untergattung Mensch, die mit ihrem Leben rundum zufrieden sind. Denn die große Popularität, die dieses Genre beim Publikum genießt, speist sich aus einer ansteckenden Hoffnung auf Veränderung. Der Hoffnung, dass jemand auf der Leinwand stellvertretend für uns Zuschauer seinem Leben einen entscheidenden Impuls gibt, seiner, und damit unserer, Banalität der Existenz entflieht und genau die grünen Wiesen findet, von denen wir zu wissen glauben, dass es sie überall, nur nicht hier gibt.
Was aber, wenn die Protagonistin des Filmes ebenso wenig der eigenen Kraft vertraut, Herrin über ihr Schicksal zu sein, wie wir Zuschauer? Wenn sie eine übergewichtige Dessousverkäuferin namens Marcia in Buenos Aires ist, deren spannendste Abwechslung im Leben die Entspannungsübung im Yogakurs ist und die der Liebe in anonymen, stummen Telefonaten nachstellt?
Im Falle des argentinischen Filmes Tan de repente (Aus heiterem Himmel) helfen ihr Lenin und Mao auf die Sprünge. Nicht durch das Studium des Marxschen Gesamtwerkes, wie die Fraktion orthodoxer Kommunisten jetzt hoffen wird. Bei Lenin und Mao handelt es sich um zwei punkige Großstadtlesben, die durch eine Entführung am helllichten Tage das Landei Marcia zwingen, sich mit ihrem dahintreibenden Leben und ihren unerfüllten Sehnsüchten auseinanderzusetzen.
Der 26-jährige Regisseur Diego Lerman zeichnet von seiner krisengeschüttelten Heimat in seinem zweiten Spielfilm ein Bild, welches die Isolation des Individuums in der modernen Gesellschaft nicht verleugnet. Im Gegensatz zum Gros des europäischen Kinos wird dieser Konflikt aber nicht in einer weinerlichen Handlungsunfähigkeit oder realitätsverleugnenden Witzigkeit aufgelöst. Die unspektakulär, humorvoll erzählte Geschichte der drei Frauen ist wie die beschwingte Musik Bouscayrols, die auch Merengue-Salsa-Hasser lieben werden, eine Hommage an das Leben und eine Lektion in unaufgeregtem Optimismus. So scheinen die grobkörnigen Schwarzweißbilder, die trotz des Einsatzes einer digitalen Handkamera eher an einen Fotobildband von Cartier-Bresson als an einen Dogmafilm erinnern, dem Zuschauer zu sagen: Wenn selbst etwas so Außergewöhnliches wie ein Orcawal nur noch eine Nummer ist, wer sagt Dir dann, dass Du kleine Nummer nicht auch etwas Außergewöhnliches sein kannst?
Sie lieben wirklich keine road movies? Dann aber vielleicht diesen Film.
Denn es gibt zwar auch Gründe vor dem Leben zu fliehen, aber vor allem gute Gründe nach dem eigenen Weg durchs Leben zu suchen. Auch davon handeln road movies und deshalb dürfen Marcia, Lenin und Mao etwas anderes in der Fremde finden als Thelma und Louise.
Zuerst veröffentlicht auf kino.de am 20.07.2003
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