Ansikte mot ansikte (Von Angesicht zu Angesicht) (Kino-Fassung)
Die Psychiaterin Jenny Isaksson (Liv Ullmann) wohnt derzeit bei ihren Großeltern (Gunnar Björnstrand & Aino Taube), da das neue Haus, welches sie zusammen mit ihrem Mann (Sven Lindberg) gebaut hat, der ebenfalls Psychiater ist und sich beruflich in den USA aufhält, noch nicht bezugsfertig ist. In diesen Räumlichkeiten wird sie in Träumen, Erinnerungen und Halluzinationen von Bildern heimgesucht, die stark mit ihrer Kindheit, welche sie auch zum großen Teil bei ihren Großeltern verbrachte, verknüpft scheinen. Auf einer Party der Frau des Chefpsychiaters, den sie vertritt, trifft sie den Arzt Dr. Tomas Jacobi (Erland Josephson), der ihr offen und direkt erotische Avancen macht. Nach der Party gehen sie zu ihm nach Hause. Jenny, die sehr distanziert auf seine Avancen reagiert, lässt sich durch ein Taxi nach Hause fahren. Sie erhält einen anonymen Anruf, der sie in ihr ehemaliges, leerstehendes Haus lockt in dem sie eine ihrer Patientinnen, Maria, findet und zwei Männer, die sie belästigen. Nachdem einer versucht sie zu vergewaltigen, läßt er von ihr ab weil er sie zu "eng" findet. Als Tomas und Jenny sich nach einem Konzertbesuch wieder bei Tomas einfinden erzählt sie Tomas von dem Vorfall und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Am nächsten Morgen bringt er sie zurück zur Wohnung ihrer Großeltern, wo sie für einige Tage entkräftigt in einen komatösen Schlaf fällt. Als sie eine Morgens nach dem Aufstehen wieder von den Bildern einer kalt blickenden, in schwarz gekleideten alten Frau heimgesucht wird, versucht sie sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. In der folgenden Traumsequenz findet sie sich mit rotem Kleid und Hut bedeckt in einem Haus wieder auf der Suche nach ihren Eltern. Ihre Großmutter liest eine Geschichte vor, die ihr Angst macht und auch die Frau in schwarz taucht wieder auf und bedrängt sie. Als sie erwacht, findet sie sich im Krankenhaus wieder. Tomas, der sie dorthin gebracht hat, weilt bei ihr. Während ihrer Genesung erlebt sie weitere Träume und Halluzinationen in denen sie u.a. ihre Eltern, die während eines Unfalls starben, zur Rede stellt, sich von Patienten angeekelt fühlt und ihnen Medikamente verschreibt, sich selbst in einem Sarg liegen sieht und diesen in Brand steckt oder die Stimme einer alten Frau hört, die droht sie zur Strafe in einen Schrank zu sperren.
Sie erzählt Tomas von ihrer Kindheit, vom frühen Tod ihrer Eltern, von ihrer Angst davor gezüchtigt und bestraft zu werden insbesondere von ihrer Großmutter. Während dieser längeren Unterredung hat Jenny einen heftigen Nervenzusammenbruch und durchlebt all ihre verdrängten Ängste. Als Tomas wegfährt, scheint Jenny sich wieder langsam zu erholen. Sie bekommt Besuch von ihrem Mann, der seine Arbeit aber nicht im Stich lassen will und nur für ein paar Stunden bleiben kann. Auch ihre Tochter (Helene Friberg), die zum ersten Mal allein ihre Ferien in einem Camp verbringt, besucht sie und hört sich schweigend an was ihre Mutter zu sagen hat. Jenny kehrt zu ihren Großeltern zurück. Ihr Großvater hatte einen Schlaganfall und ist nun total auf die Hilfe der Großmutter angewiesen. Als sie beobachtet wie der Großvater gepflegt wird kommt sie zu dem Schluß, dass die Liebe allumfassend bis in den Tod reicht. Sie ruft in der Klinik an und gibt Bescheid, dass sie bald ihre Arbeit wieder aufnehmen wird.
Ähnlich wie
Szenen einer Ehe beruht auch
Von Angesicht zu Angesicht, als Kinofassung, auf einem Tv-Mehrteiler. Wurde allerdings schon von Anfang an für die Kinoauswertung konzipiert. Die gesichtete Kinofassung ist somit um ca. 45 Minuten kürzer als die Tv-Fassung. Damit wäre der Knackpunkt bei dieser gesichteten Fassung auch schon umrissen, denn das die Kinofassung auf einer wesentlich längeren beruht, sieht man dem Film auch durchaus an.
Von Angesicht zu Angesicht versammelt unzählige Motive aus Bergmans Schaffen. Ein wahres Potpourri wird einem hier geboten und es ist wohl auch so, dass hier durch Liv Ullmanns Ausagieren einer Psychose, Bergmans Ängste auf der Leinwand förmlich ausbrechen. Thematisch angesprochen werden auch hier wieder die Themen : Angst vor dem Altern und vor dem Tod, die verdrängten Ängste der Kindheit, die in Form von alptraumhaften Erscheinungen hervorbrechen, das Hinterfragen der eigenen Identität, der Geschlechterrolle, der Schlüssel, der im verdrängten Unterbewusstsein liegt und die Anklage der Eltern.
Themen, die er auch filmisch aus bekannten Motiven seines Schaffens hier zusammensetzt.
Ersteinmal ist es aber der Film einer Psychose, einer Krise, einer Krankheit. Wir sehen eine selbst und pflichtbewusste Frau, im Leben stehend, die gleich zu Beginn, bei ihren Großeltern, von Halluzinationen heimgesucht wird indem sie in der Wohnung eine furchterregende, alte Frau in schwarz erblickt. Ihre Großmutter hat Jennys Zimmer mit alten Möbeln aus ihrer Kindheit eingerichtet. Ein weiteres Indiz für die Verdichtung, die nun immer mehr zunimmt. Durch ihre Beziehung zu Dr. Jakobi, der der Halbbruder von Jennys schwieriger Patientin Maria ist, merken wir, dass ihr gefestigtes Kontrollbewußtsein höchst labil ist und ihr selbstbestimmtes Leben, samt Liebhaber, der uns aber nicht gezeigt wird, äußerst brüchig. In den Szenen mit Jakobi merken wir, dass sie durch ihre permanente Angst vor jedweder Nähe, nichts im Griff hat obwohl sie so kontrolliert in Erscheinung tritt. Jacobi, dessen Figur innerhalb des Geschehens nicht näher umrissen oder erklärt wird, konfrontiert sie mit ihren sexuellen Bedürfnissen, die ihr Mann nicht mehr befriedigen kann, vor denen sie sich aber auch versteckt. Die freundschaftliche aber auch platonische Beziehung zwischen den beiden wird noch dadurch verstärkt, dass Jacobi sich im Gegensatz zu ihr total frei gemacht hat von seiner Vergangenheit und seine Bisexualität offen auslebt.
Hier ist der Arzt und dort die erfolgreiche Ärztin, die selbst zum Psychischen Pflegefall wird. Die versuchte Vergewaltigung von der sie nur Jacobi berichtet ist quasi der Auslöser für die kommende Krise, die sich schon langsam abzeichnet. Bevor es zu dieser Szene kommt, sehen wir, wie sie des Nachts ihren in der Wohnung umherirrenden Großvater beobachtet. Ein Ereignis welches sie verstört und beunruhigt zurückläßt.
Die Vergewaltigungsszene stellt Bergman in einer ziemlich kühnen, Distanz schaffenden Halbtotale dar.
Die Szene ist eine weitere Konfrontation mit ihrem eigenen sexuellen Verhältnis. In der daraufolgenden Nacht als sie Jacobi von dem Ereignis plötzlich berichtet sagt sie :
"Er versuchte in mich einzudringen und plötzlich verspürte ich das verzweifelte Verlangen, er möge es tun. Das seltsame war, so sehr ich auch wollte, konnte ich nicht. Ich war völlig verkrampft und trocken."
Bergman kratzt hier am Tabu von Unterwerfungsphantasien. Das anschließende Ausagieren und der Nervenzusammenbruch, den sie in Jacobis Schlafzimmer erleidet ist die logische Konfrontation mit diesem Vorfall sowie auch Konfrontation mit ihrer eigenen, verdrängten Sexualität.
Dass, das Problem wesentlich tiefer sitzt, manifestiert sich im anschließenden Selbstmordversuch, den Bergman in einer quälend, langen Einstellung, fast in Echtzeit, filmt. Liv Ullmann sagte, dass diese Szene für sie so intensiv war, da sie wirklich dachte sie würde auf diesem Bett sterben, was für sie auch dazu führte, dass sie sich irgendwann auch nicht mehr in der Lage dazu fühlte sich solchen Situationen mit Bergman auszusetzen.
Das Tasten, der Finger an der Tapete als Vergewisserung der lebendigen Existenz, als Vergewisserung von Realität.
Bevor sie im Krankenhaus erwacht sehen wir sie in der ersten großen Traumszene des Films im dunklen Haus ihrer Kindheit in dem sie ihrer Großmutter, die schaurige Märchen vorliest, begegnet sowie der alten Frau aus ihren Halluzinationen.
Überbordernde Symbolik, die Farbe Rot in ihrer Gewandung, die Angst vor der Dunkelheit verstärken die Rauschhaftigkeit dieser Szenen.
Als sie wieder zu sich kommt wacht Dr. Jacobi als ihr verantwortlicher Arzt und als Freund über sie. Sie wird erneut konfrontiert mit Dingen aus ihrer Kindheit, die in ihr hochkommen und sich manifestieren. Dies erlebt sie teils im Traum, teils im Wachzustand.
Innerhalb der nächsten Traumszenen , nutzt Bergman Motive aus früheren Filmen wie beispielsweise die Szene in der sie ihrem eigenen Tod gegenübersteht. Ein Motiv welches er schon in
"Wilde Erdbeeren" nutzte. In einer weiteren Szene innerhalb dieses Traums reißt sie einer Patientin die Haut vom Gesicht was natürlich Assoziationen zu
"Die Stunde des Wolfs" weckt genauso wie die Angst vor dunklen Schränken, die Bergman zuletzt auch in
"Die Stunde des Wolfs" aufgriff. Alles Ängste, die sich natürlich auch in ihm selbst eingenistet haben.
Die Konfrontation im Wachzustand gehört mit zu den intensivsten Szenen des Films und wird durch das entblößende, schockierend nackte Spiel von Liv Ullmann verstärkt. Es ist auch der intime Blick dieser Passage, als wolle die Kamera die Dämonen der Kindheit austreiben. Jacobi fungiert dabei als helfende Hand, der sie innerhalb des Wachzustandes stützt und tröstet sowie in den Träumen leitet.
Bevor sie am Ende nach dem Gespräch mit ihrer Großmutter über den Zusammenhalt, das Altern und den Tod zur Erkenntnis kommt, dass sie durch die Akzeptanz ihrer Ängste ihre Krise meistert, gibt es noch ein Gespräch mit ihrer Tochter in der die Tochter genauso reagiert, wie die Mutter als Kind reagiert hätte. Die Entfremdung ihrer Tochter gegenüber ist nicht mehr aufzuhalten.
Von Angesicht zu Angesicht ist obgleich der Vielzahl an Themen, die er anschneidet, in erster Linie ein Film über eine Krise, die im Unterbewusstsein, in der Verdrängung ihrer Kindheitsängste schlummert und sich im Wachzustand manifestiert. Das dies fließend ineinander übergeht hat Bergman schon häufig gezeigt. Am prominentesten in
"Wilde Erdbeeren" aber auch hier zeigt er dies in teils faszinierenden Bildern und einer schonungslosen Offenheit, was das Durchleben ihrer Dämonen angeht. Dennoch bleibt hier vieles sehr vage und unschlüssig. Ob das nun der kürzeren Fassung zu Schulde kommt, die wie mein Mitstreiter meinte, noch mehr Traumszenen und Ausagieren enthalten würde, oder ob Bergman hier nicht ganz Herr der Lage war. zu viele Themen werden nur angerissen und nicht zu Ende geführt. Die Figur von Dr. Jacobi ist zwar wichtig bleibt aber dennoch schemenhaft. Der Ezählrythmus stimmt oft nicht und das Ende an dem sie durch die Verarbeitung ihrer Krise, der Konfrontation mit einer Nahtod Erfahrung und dem Blick auf das Alter, gestärkt aus dieser hinaustritt, wirkt wie ein Schalter den sie umlegt. Die Entwicklung hierzu ist zwar da, fügt sich aber nicht in den Film.
Vielleicht wollte Bergman hier durch Liv Ullmann auch nur seine eigenen Dämonen exorzieren und hat dabei ein paar Themen zuviel eingefügt. Zurück bleibt ein guter und sehenswerter aber wesentlich schwächerer Film, dem man durchaus ansieht, dass er großes verarbeiten wollte aber nicht alles erreicht. Falls die lange Version einmal zur Verfügung stehen sollte, dürfte eine Neubewertung und Sichtung jedenfalls unumgänglich sein.
7/10
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