Im Kreislauf der Berlinale und ein Bier am Alex
Dies war sie nun. Meine allererste Berlinale, dabei ist sie noch nicht einmal komplett gewesen. Von Montag bis Freitag ließ ich mir das Menü servieren und ich kann schon jetzt sagen, ich wurde satt.
Wo soll ich anfangen ?
Im Prinzip startet der Prolog schon mit den aufwenidigen Vorbereitungen. Ein Programm von 400 Filmen durchzusehen geht ja noch wenn man die Zeit dafür hat und die hatte ich. Schwieriger wurde es dann mit der Titel und Zeitplanung. Ich war ja nicht ganz allein, stimmte mich noch mit zwei weiteren Mitstreitern ab, 2 alte Berlinale Hasen. Anfang Februar hatte ich schon Urlaub. Von Ausschlafen war aber keine Rede. So ein durchgetaktetes Programm muß ja auch gebucht werden und so torkelte ich schon am Montag, 3 Tage vor Berlinale Beginn, mit nem Kaffee in der Hand zum Rechner um die begehrten Tickets zu buchen, die punkt 10 Uhr Morgens freigeschaltet wurden. Dieser Trott ging 5 weitere Tage so. Im Bann der Berlinale bekam ich zusätzlich zum Kaffee einen jeweils 10 minütigen Vorgeschmack auf das was mich von Montag bis Freitag in der Hauptstadt erwarten würde. Der Kick des Filmfestspiele.
Montag, Abfahrt. Mein Handy klingelte. Freitag mußte umgeplant werden. Die 10 Uhr Vorstellung von Linklaters Boyhood war ausverkauft, was die restliche Freitags Planung umwarf. 12.30 war aber drin. Ticket sicher. Im Zug wurde ich auf das Buch was ich las (Howard Hawks von Rolf Thissen) angesprochen und 10 Jahre jünger geschätzt. Charming. Professorin aus Köln, fuhr auch zur Berlinale. In Berlin dann fix zur Unterkunft nach Pankow, Koffer abgestellt, geschnackt und dann gings los um einen Haufen Tickets zu holen. Am Potsdamer Platz bekam ich in den Arkaden am Ticket Schalter einen kurzen Schreck. Die Schlange war sehr lang, betraf mich aber nicht da ich alles online gebucht hatte. Ich ging einfach vorbei zur Online-Ticket-Abholung. Da stand niemand. Prima !
Im Cinemaxx ging es im Achter Kino dann auch los mit einem Titel aus der Retrospektive. Air Force aus dem Jahre 1943, drehte Howard Hawks damals auf Bitte eines befreundeten Offiziers. Natürlich ist der Film ein reiner Propagandafilm aber einer der sich unglaublich gut ins Hawksche Oeuvre einfügt. Air Force ist ein richtiger Männerfilm in dem es natürlich um eine Gruppe Professionals geht. Diese Gruppe ist die Besatzung eines Boeing Bombers im Zweiten Weltkrieg, die ihre Festung "Mary Anne" getauft haben. Während eines Übungsflugs bekommt die Truppe einen Funkspruch über die Bombardierung Pearl Harbors rein. Wenig später wird der Bomber von japanischen Fliegern angegriffen. Die Besatzung muß notlanden und schafft es ihr Baby wieder flottzumachen um am Ende einen erfolgreichen Angriff gegen einen japanischen Truppenkonvoi durchzuführen. Es geht innerhalb der Gruppe auch um die Integrierung eines Aussenseiters der lieber Pilot sein will als MG-Schütze und von der Army eigentlich die Schnauze voll hat. Dieser darf sich am Ende beweisen in dem er "Mary Anne" bruchlandet und somit rettet. Im Grunde genommen kann man Air Force, der natürlich Kriegsfilm und teils auch aggressiv in seinen Dialogen ist, auch als Action-Abenteuerfilm bezeichnen. Nie wird die Professionalität der Gruppe in Frage gestellt.Hawks geht es mehr um das Wie ? und Wer ? als ums Warum ? und Wofür ? Wobei letzteres natürlich auch eine Rolle spielt, da unterschwellige Rache mitschwingt. Interessant ist aber wieviel Menschlichkeit in diesem Werbefilm für die Air Force steckt. Ein typischer Hawks mit übrigens grandiosen Flugaufnahmen. Wundert einen nicht wenn man weiß das Hawks selber begeisterter Flieger war. 8/10 Punkten. Achja, die Qualität der frisch restaurierten Kopie war auch allererste Sahne. Ein knackig scharfes s/w.
Nächste Station Schönhauser Allee, Colosseum. Vorher hatte ich noch Luft und aß beim Vietnamesen. Neben mir unterhielt man sich über Leonardo Di Caprio Filme. Am Tisch gegenüber ging es um Wes Anderson. Ich genoß Garnelen mit Gemüse und Reis. Dann zu später Stunde rüber ins Kino. Güeros (Alonso Ruizpalacios) Panorama ist ein mexikanischer Debutfilm. Ein Roadmovie in s/w im 4:3 Format. Der Film spielt 1999 während der Studentendemonstrationen in Mexiko City. Der junge Tomas, sein großer Bruder und sein Freund machen sich auf um einen alten Musiker zu suchen, der für das Tape verantwortlich ist, welches ein Erbstück von Tomas Vater ist und der Legende nach Bob Dylan zum weinen brachte. Die Reise wird ganz Road-Trip typisch zur Selbsfindung. Zwischendurch steigen der Regisseur und Kameramann ins Auto und die Darsteller reflektieren später in einer Szene mexikanische Filmgeschichte indem sie sich im Dialog über Klischess lustig machen. Überhaupt gibt es viele witzige Szenen, die alle 5 Minuten für Publikumslacher sorgten sowie einige tolle Einstellungen und auch nette Ideen, wie die, das immer wenn jemand das Tape per Kopfhörer hört, wir nicht die Musik hören sondern nur die Reaktion sehen. Das ganze wird mit dokumentarischer Handkamera eingefangen und erinnert auch wie beworben an die Nouvelle Vague. Mich erinnerte es an einen Mix aus New Wave der 60er und den frühen Filmen von Jim Jarmusch gepaart mit ein wenig Rumble Fish von Coppola. Der in 5 Kapitel unterteilte Film, der ganz nebenbei die Frage stellt "Resignation oder Partei ergreifen", konnte mich letzten Endes aber doch nicht wirklich überzeugen. Dafür wirkte er auf mich oft zu lose, hatte zuviel Leerlauf und wirkte wiederum zu überambitioniert. Doch bei weitem kein schlechter Debutfilm. Witzig und interessant ist auch, dass die Reise nie aus Mexiko City hinausgeht. Am Ende befinden sie sich in einer Demo. Auf die Frage "Wo sind wir"? folgt ein "In Mexiko City." 6/10 Danach war der Regisseur anwesend, der ein echter Spaßvogel war. Ich mußte dann doch schnell los um meine S Bahn zu kriegen.
Dienstag startete ich wieder am Potsdamer Platz, traf mich auf nen Kaffee mit Bastro, was leider unser einziges Treffen blieb, da wir uns danach immer wieder verpassten und begann den Tag wieder mit einem Film aus der Retrospektive. Marcel Carnés Le quai des brumes (Hafen im Nebel) von 1938 10/10 kannte ich zwar schon, passte aber gut ins Programm. Außerdem wollte ich den Film gerne mal auf großer Leinwand gesehen haben. Der, für den Film Noir, immens einflussreiche Schlüsselfilm des "poetischen Realismus" bereitete mir einen Schauer nach dem anderen sowie feuchte Augen. Neben mir saß ein älterer Herr, der sich ständig Notizen machte und an fast denselben Stellen wie ich "Ah" und "Hach" machte. Vorab gab es eine 10minütige Einführung eines Professors aus Marburg, der einmal etwas zur Bedeutung des Films sowie zur Lichtdramaturgie erzählte aber auch und das war mir nicht bekannt, zur Produktionsgeschichte. Der Film sollte erst in Babelsberg gedreht werden, was Carné dann aber verwarf, da ihm die Gegebenheiten zu theaterhaft waren. Gedreht werden sollte in Hamburg. Wurde dann aber sehr zügig vom Reichskulturministerium untersagt und so ging es zurück nach Frankreich wo der Film dann in Paris und Le Havre gedreht wurde. Trotz der teils körnigen Bildqualität (bin mir nicht sicher aber irgendwie sah das nach DVD Projektion aus) ging ich mit Pipi in den Augen zurück ins Helle und mußte mich sputen um zum Alex zu kommen.
Da gab es dann The Midnight After von Fruit Chan (Panorama) im Kubix. Schon wieder eine Gruppe. Diesmal ein zusammengewürfelter haufen Passagiere in einem Minibus in Hongkong. Der Bus fährt durch einen Tunnel und plötzlich ist alles um sie herum menschenleer. Einige Passagiere steigen aus, was fatale Folgen für sie hat, andere machen Entdeckungen und wiederum andere meinen des Rätsels Lösung erkannt zu haben. Viel mehr gibt es auch nicht zu sagen obwohl natürlich einiges noch passiert. Ich empfand Fruit Chans Film als mediokre Komödie, die westliche Genrestrukturen aufs Horn nimmt und sich in den vielen Figurenklischees, die alle genremäßig auf den Kopf gestellt werden, leider verliert, kitschig ist, sich wiederum drüber lustig macht, moralische Konsequenzen halbherzig adabsurdum führt inkl. bewusst oder unbewusst trashiger Effekte und Fukushima Angst der Chinesen.
So oder so ähnlich textete ich das Bastro und muß zugeben, dass ich den Film mit 5/10 vielleicht zu schlecht bewerte aber auch hier das Gefühl hatte, ich kenne zu wenig Asia Kino um dem Film gerecht zu werden. Mir war das auch viel zu überzogen, viel zu albern und zu konstruiert als das ich die Invasion der Japaner samt "Space Oddity" und Technik Karikatur für Voll nehmen konnte.
Cut !
Fahr zum nächsten Kino. Berlinale goes Kiez. Filmkunst 66, Savignyplatz. Hatte ziemlich viel Zeit und lief erstmal in die falsche Richtung und kam an ner Videothek vorbei. Konnte mich nicht zurückhalten und kaufte Trance von Danny Boyle. Für n 5er kann man nicht meckern. Kino gefunden. Roter Teppich ausgelegt, Stars wurden erwartet. Immer noch Zeit und suchte ne Kneipe. Fancy Gegend. Eine Straße weiter ist der Kudamm. Keine Kneipen. Nur teure Restaurants und schnieke Weinbars. Ging ein paar Blocks den Kudamm runter und kam in den Seitenstraßen an sehr teuren Altbauwohnungen vorbei. An der Straße standen 2 Ferraris, 3 Porsche, der Rest MB und BMW. Zurück im Kino kaufte ich n Becks. Dann halt stehen und Bier trinken. Das kleine Foyer füllte sich langsam. Einlaß. Gezeigt wurde Things people do von Saar Klein (Panorama) 6-7/10. Saar Klein ist ein in Israel geborener US amerikanischer Cutter, der sein Regiedebut mit dieser Weltpremiere vorlegt, 2 Oscarnominierungen für den besten Schnitt (Almost Famous & The Thin Red Line) zu verbuchen hatte, für den Schnitt von The Bourne Identity und Malicks New World verantwortlich war sowie Schnittassistent bei Oliver Stones JFK war. Die Stars des Abends waren zunächst Matthias Elwardt (Chef vom Hamburger Abaton Kino) und Fatih Akins Cutter Andrew Bird. Elwardt, der den Host und Interviewer gab, sprach zunächst ein wenig mit Bird über dessen Arbeit mit Akin. Dann wurde Saar Klein und sein Kameramann, der junge Wiener Matthias Koenigswieser nach Vorne gebeten um sich kurz vorzustellen. Koenigswieser hat mit Saar Kleins Regiedebut seinen ersten Spielfilm vorzuweisen. Vorher war er Kameramann für einige prämierte Kurzfilme sowie für die hochgelobte Boxerdokumentation "Tapia". Nach dem Film wurden die zwei dann noch kurz interviewt und es gab ein Q+A mit dem Publikum. Things people do ist ein Familiendrama, besser gesagt ein Vaterdrama, noch besser gesagt ein Männlichkeitsdrama. Natürlich fließen diese 3 Punkte zusammen und ergeben einen Film in dem, wenn man es so sehen möchte, konservative Familienwerte mittelständischer US-Amerikaner auf eine harte Probe gestellt werden. Es geht um eine Familienvater (Wes Bentley) der, weil er in der Versicherungsfirma in der er arbeitet schummelt, seinen Job verliert. Die Hypothek seines Hauses am Rande der kargen Einöde kann nicht mehr bezahlt werden und das Familienstatussymbol Pool samt Auto auch nicht. Der Pool, der am Ende einbetoniert wird, spielt eine wichtige Rolle. Der Vater ist der Gute und schämt sich für seine neue Situation. Diese Scham macht ihn klein und durch Zufall wird er unmoralisch zum Verbrecher, der Nachts eine Tankstelle überfällt in der eine Frau arbeitet, die sexuell belästigt wird oder die Firma, die sein Auto abgeschleppt hat und Wucherpreise von ihm verlangt um es wiederzubekommen. Seine Frau weiß davon nichts. Alles geht seinen gewohnten Gang doch das Geld was er erbeutet reicht nicht. Dann ist da noch der kaputte Ex-Cop (Jason Isaacs), der ihm auf die Schliche kommt und natürlich durch das Familienband (geschieden) verbunden ist, der ihm in der Mitte des Films suggeriert "The only thing that counts are the things people do."
Dem Film wurde gleich nach der Premiere Sexismus vorgeworfen weil der Familienvater ein Männlichkeitsproblem habe und die Rolle der Mutter im Film keine Rolle spielen würde bzw. ausgenutzt werde. Die Kritik geht am Film ein wenig vorbei, wie ich finde. Wir befinden uns hier nicht in einem normalen Sozialdrama, wo die Frau, die ganz nach Malick stilisiert wird, arbeiten gehen könnte.
Es geht hier um das Wegbrechen von Idealen, von männlichen Idealen, was auch immer wieder sich in den Gesprächen des Vaters mit seinen kleinen Söhnen wiederspiegelt. Was die Familie angeht so kreuzen sich die Figuren des Vaters und des Cops nicht nur, sie sind miteinander verbunden. Am Ende gibt Klein keine Antwort sondern stellt sein Modell zur Disposition.
Interessantes beim Q+A ? Eher weniger. Der Regisseur gab aber noch kurz an, dass er die Story im Sinne Raskolnikov und "Schuld und Sühne" drehen wollte. Interessant ist aber wieviel Malick in der Bildsprache vorhanden ist und obwohl der Regisseur den direkten Einfluss verneint, aber sagt, dass Malick ihn natürlich beeinflusst habe, ist dieses unterbewusste schon recht stark zu sehen. Da sind die vier Elemente, die immer wieder ins Bild gesetzt werden oder der Offkommentar, der wie bei Malick Gedanken und Gefühle ausspricht. Das fand ich in der Tat sehr interessant, da der Film sonst von der Inszenierung narrativ geerdet daher kam. Kein Film der es mir leicht machte. Im Gegenteil. Ich verbrachte noch 1,5 Stunden grübelnd im Bett.
Mittwoch. Neuer Tag. Die Malick-Schüler-Experience Nummer 2. The better Angels von A.J. Edwards (Panorama) 7-8/10, der auch als Cutter für Malicks letzte Filme Tree of Life und To the Wonder zuständig war. Anstatt jetzt hier viel zu schreiben, verweise ich einfach mal auf Settembrinis Berlinale Bericht, der den Film am Montag sah und dessen Eindrücke sich recht gut mit den meinen deckten. Schön ist auch die Kombination, diese 2 Filme hintereinander gesehen zu haben. Zwei im Grunde sehr unterschiedliche Filme, die aber beide die Handschrift Malicks recht deutlich zeigen. The better Angels ganz offensichtlich und Things people do eher unter der Oberfläche. Es dürfte interessant sein zu beobachten was diese Regisseure in der Zukunft noch so drehen werden. Mir gefiel The better Angels ganz gut und ich ärgerte mich auch nicht, dass ich dadurch "The Dawn Patrol" von Howard Hawks verpasste, den ich eigentlich auch ganz gern gesehen hätte. Als ich meine Panorama Publikumspreis Karte einsteckte, merkte ich, dass ich wohl mit meiner Meinung in der Minderheit war. 5 Leute vor mir hatten ihr Kreuz bei ärgerlich oder mittelmäßig gemacht. Ähnlich wie wohl die zwei letzten Malick Filme und eigentlich schon ab Thin Red Line spaltet auch dieser Film.
Wieder am Potsdamer Platz. Nächster Termin um 18 Uhr Ken Loach Conversation in der Kinemathek. Ich hatte noch Luft, aß mein Lunch Paket und machte mich auf in die Kinemathek. 1,5 Stunden Zeit. Kaufte mir im Museumsshop die Blu Ray von "Harakiri" und fragte nach der vergriffenen Lunitsch Stummfilm Box, die leider nicht mehr vorhanden war. Um kurz vor fünf fuhr ich mit dem Fahrstuhl hoch und da warteten schon nicht wenig Leute. Ich war aber trotzdem recht weit vorne. Um 17.30 Uhr Einlass. Ich stürzte nach hinten und konnte am Fenster noch einen Sitzplatz ergattern. Gut das ich so früh da war. Nicht gerade groß der Raum und proppenvoll. Vorn in der ersten Reihe erblickte ich Paul Laverty, den langjährigen Drehbuchschreiber mit dem Ken Loach oft zusammenarbeitet. Um Punkt 18 Uhr kam dann Ben Gibson (Director London Film School), der Loach interviewte und kurz darauf Ken Loach höchstpersönlich. Ken Loach gehört zu den Regisseuren, die ich seit etlichen Jahren sehr schätze und zwar nicht nur als Regisseur sondern auch als Person öffentlichen Lebens abseits seiner Filme. Das wurde einem auch schon nach nicht einmal 5 Minuten gewahr als Loach sagte, dass er es eigentlich als diskreditierend empfände, dass bei diesem Gespräch kein Übersetzer anwesend sei, da so ein Interview eigentlich in der Sprache des Landes gehalten werden sollte. In der folgenden Stunde wurde Loach von Gibson über sein Werk und seine Arbeitsmethoden interviewt, begleitet von einzelnen Film Ausschnitten. Das war hochinteressant, wahnsinnig spannend und auch sehr bewegend. Selbst wenn man schon einiges aus Interviews, Dokus und Büchern kannte, wirkte die Stunde wahnsinnig dicht. Zwischendrin gab es immer mal wieder Applaus zb. als das Zitat zur Thatcher Beerdigung angesprochen wurde. Am Ende Standing Ovations. Hätte mir gerne ein Autogramm geholt und ihm persönlich gesagt wie sehr mich seine Filme bewegt haben doch die Zeit drängt, da im Cinemaxx nebenan auf Gleis Acht Sternbergs Shanghai Express (1932) (Retrospektive) wartete. Schon zweimal gesehen, passte auch die Vorstellung gut ins Programm und in den Zeitplan. Viel Schicki-Micki und auch älteres Publikum anwesend. Klar es gab die Dietrich zu sehen. Die Qualität war ok. Es wurde viel gelacht, was teils merkwürdig war, da der streckenweise schon witzig ist aber keine Komödie. Ein Kuriosum was mir auch bei anderen Filmen der Retrospektive auffiel und was vielleicht auf Unverständnis und das Alter des Films zurückzuführen wäre. Naja wie dem auch sei. Ich ließ mich in die exotische Atmosphäre fallen, achtete gebannt auf die Lichtinszenierung, folgte den langen Überblendungen und wurde von Marlenes Dialogen geradezu umnebelt. Apropos : Nebel. Den hatte ich auch neben mir. Da saßen zwei ältere Damen, die sich so eingedieselt hatten, dass ich nach kurzer Zeit Kopfschmerzen bekam. Zurück zu Shanghai Express. Sternbergs 4. Film mit Marlene ist definitiv ein Style over Substance Film. Die Story bleibt hier wirklich Nebensache. Ein Film der nur von seiner Atmosphäre lebt. 8/10
Danach hatte ich es dann auch nicht weit zum Berlinale Palast, wo es die Gala Premiere von Bai Ri Yan Huo (Black Coal Thin Ice) von Diao Yinan (Wettbewerb) , dem diesjährigen Gewinner des Goldenen Bären, stattfand. Mein Kumpel wartete schon draußen, es kam noch ein Freund von ihm dazu, ein anderer saß schon drinnen. Nach ein wenig Wartezeit bekam man dann Einlaß in den Premieren Palast. Ich saß Parkett, relativ weit vorne, wo man auf einer kleinen Leinwand verfolgen konnte, wie das Team des Films zusammen mit dem Kosslick in Gala Garderobe, von einer Kamera begleitet, über den roten Teppich flanierte. Dann ging es auch schon los und tja was soll ich sagen. Die Gegebenheiten waren nicht unbedingt optimal um diesen langsam erzählten Film mit Noir Anleihen richtig genießen zu können. Beinfreiheit hatte ich für meine langen Stelzen auch nicht wirklich, saß für meine Verhältnisse auch sehr nah an der Leinwand. Im Grunde natürlich fahle Ausreden. Der Film spielt im Norden Chinas und beginnt damit, dass Leichenteile in einer Fabrik gefunden werden. Man schreibt das Jahr 1999. Bald darauf kommt es zu einer Festnahme mit überraschendem Shoot Out. 2 Polizisten sterben. Der Hauptprotagonist wird suspendiert auch weil er ein Alkoholproblem hat. Zeitsprung. 2004. Der Protagonist arbeitet in einer Fabrik und es geschehen wieder Morde. Er entdeckt Mithilfe eines alten Kollegen, dass alle Opfer Beziehung zu einer jungen Frau hatten, die in einer Wäscherei arbeitet und von ihrem Boss sexuell genötigt wird. Unser Ex-Cop verliebt sich und muß schon bald eine furchtbare Entdeckung machen. Als die Credits anfingen, stürmten die ersten Reihen sofort nach draußen. Unverständnis und Entrüstung machte sich breit. Ein Publikumsfilm ist dies nicht. Auch wir schüttelten den Kopf wobei mein Freund doch noch recht gnädig war. Der Film war mir für einen Genre Film viel zu artifiziell, zu gestellt, zu sehr Kunst. Anbei hat er aber einiges an Szenen die großartig sind und wo ich dies schreibe, merke ich das vieles aus dem Film immer noch im Kopf rumspukt. Vieles habe ich auch nicht verstanden und weiß nicht wie ich es deuten soll. Im Grunde bin ich gar nicht richtig dabeigewesen. Deshalb enthalte ich mich auch hier jeglicher Wertung und würde ihn mir lieber nocheinmal ansehen. Durch den Goldenen Bären kann man auf jeden Fall vermuten, dass er in hiesige Programm und Kommunale Kinos kommt. Danach begossen wir den Abend noch mit ein paar Bier und um 02.00 Uhr gings dann mit dem Taxi nach Hause.
Donnerstag. 12.00 Uhr Friedrichstadtpalast. Komme gegen 11.15 Uhr dort an. Mein Freund stand schon ganz vorne damit wir auch ja in die einzige Reihe mit Beinfreiheit kommen. Ca. 11.30 Uhr Einlass. Drinnen nochmal vor einem der vier Eingänge gewartet. Kriegten gute Plätze. Gezeigt wurde Aloft von Claudia Llosa (Wettbewerb), die 2009 den Goldenen Bären gewann. In den Hauptrollen Jennifer Connelly, Cilian Murphy und Melanie Laurent. Ich will gar nicht näher auf die Story eingehen. Aloft ist ein Mutter-Sohn-Drama, ein Erbauungs und Lebenshilfe Film, der in seiner Gegenwarts-Rückblende Struktur zwar interessant ist aber sich dann vieles sehr einfach macht, tolle Darsteller hat, von denen Melanie Laurent ein wenig blass bleibt, schöne Landschaftsaufnahmen bietet und am Ende mit einem Versöhnungsschluss aufwartet, dass mir richtig schlecht wurde. Gut, dass ich nicht viel im Magen hatte, ich hätte wirklich gekotzt. Was eigentlich ärgerlich war, bei dem Film dann aber doch keine so große Rolle spielte, war die Tatsache, dass die letzten 10 Minuten auf der rechten Seite eine Box dröhnte und von links nen Schlagbohrer anging. Wie gesagt, war dann aber doch nicht weiter wild. 4/10 Nächster Film.
Zunächst traf ich mich mit Settembrini und wir gingen gemeinsam Richtung Zeughauskino, was schönerweise zu Fuß gut zu erreichen war. Da wir noch Zeit hatten, aßen wir im Restaurant nebenan und führten ein Gespräch nach dem anderen. Wäre nicht um 17 Uhr die Vorstellung von Kes (Ken Loach) 1969 (Hommage) gewesen, hätten wir wohl den restlichen Abend dort gesessen und ich hätte auch noch ein Stück Mozarttorte gegessen. Zu Kes möchte ich auch gar nicht viele Worte verlieren. Nur soviel : Mich hat Ken Loachs zweiter Kinofilm schwer beeindruckt und ich scheue mich auch nicht vor einer 10/10 Bewertung zurück. Das ist schon faszinierend wie sehr dieser frühe Film schon die Handschrift von Ken Loachs späteren Arbeiten trägt. Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek hat sicherlich Recht wenn er ihn auch als Schlüsselfilm des "New British Cinema" nennt. Was besonders auffällt ist nicht nur die Kritik am gnadenlosen, autoritären Erziehungssystem Großbritanniens sondern auch wie sehr sich das alles die Waage hält. Die beschissenen Arbeiterverhältnisse aus denen Billy kommt werden so gezeigt, wie sie sind. Die Mutter fickt durch die Gegend und von seinem Bruder, der in der Kohlegrube arbeitet, kriegt Billy Schläge und wird gemobbt. Unter seinen Mitschülern ist Billy zwar integriert wird dann aber als sie merken, dass Billy mit seinem Falken "Kes" etwas besonderes darstellt und sein Lehrer, der das autoritäre Bestrafungssystem ablehnt, fasziniert von ihm ist, zum Außenseiter. Der Falke wird zum Symbol der Sehnsucht nach Ausbruch. Doch Billy kan nicht ausbrechen weil er durch die Klasse, der er angehört, gar keine Möglichkeit hat und die obere Klasse ihm diese verwehrt. Billy ist gefangen und am Ende beerdigt er nicht nur Kes, er begräbt seine eigenen Hoffnungen. In dokumentarischem "Cinema Verité" Stil, fast nur mit Laienschauspielern gedreht, entwickelt der Film durch seine genaue Beobachtung, die nie dramatisiert wird, eine ungeheure Kraft. Da steckt viel Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit drin, genauso wie in Loach´s späteren Filmen.
Nachdem sich draußen unsere Wege trennten, blieb ich im Zeughauskino, da ich eine Karte für Benjamin Christensens Heavnens Nat (Nacht der Rache) von 1916 (Retrospektive) hatte. Der Einlaß ging zügig und wo Kes vorher ausverkauft war, blieben diesmal viele Sitze frei. Ungefähr 20 Leute waren anwesend. Schade, denn Christensens zweiter Film war ziemlich klasse. Ich kenne ja nur "Häxan" von ihm. Muß mir auch noch seinen ersten besorgen "Das geheimnisvolle X".
Nacht der Rache ist ein Justizdrama was sich zum Ende hin sogar zum Selbstjustizdrama entwickelt. Ein Mann wird wegen Mordes in einem Zirkus schuldig gesprochen und bricht noch in der Nacht aus um sein Kind aus dem Armenhaus zu befreien. Nachts klettert er in ein Haus und bittet die Nichte des Gutsherren um Milch für sein Kind. Er versichert ihr, dass er unschuldig ist doch kann sie nicht verhindern, dass er überwältigt und eingesperrt wird. 14 jahre später wird sein Justizirrtum festgestellt und er kommt als gebrochener Mann frei. Er sinnt nach Rache.
Bemerkenswert ist dieses frühe Drama, in dem Christensen sich für Regie, Buch, Produktion und die Hauptrolle verantwortlich zeigt, vor allem dadurch wie gut und weit er das Medium mit dieser komplexen Geschichte trieb. Beachtung finden vor allem die fast in Dunkelheit spielenden Szenen sowie die gezeichneten Zwischentitel, die die Szenen kommentieren. Hinzu kommt ein toller Shot durchs Schlüsselloch sowie ein extrem spannender Befreiungsakt eines Gefesselten am Ende des Films. Der gefesselte Vater wird vom Sohn, der im Wandschrank eingeschlossen ist dadurch befreit, dass der Sohn mit Hilfe eines Messers ein Loch in die Tür ritzen kann und so mit einer Hand und dem Messer den Vater befreien kann. Wahnsinn !
Das ganze wurde kongenial untermalt durch Stephen Horne am Piano und weiteren Instrumenten die zum Einsatz kamen.
8/10
Nun machte ich mich auf gen Alexanderplatz und zum ersten Mal regnete es. Unterwegs bekam ich einen Anruf von meinem Kumpel der absagte, weil er zu kaputt sei und irgendwie war ich das auch. Zum Glück fuhr ich dann aber doch ins International um La Tercerra Orilla (The Third Side of the River) von Celina Murga (Wettbewerb) zu sehen. Ein argentinischer Film in dem es darum geht wie ein Junge sich von seinem patriarchischem Vater abnabelt. Ein hochsubtiler, stiller Film bei dem es von Beginn an unter der Oberfläche kräftig brodelt. Die Kamera ist in distanzierter Beobachtungshaltung und geht dann nah ran wenn der Junge auf einmal beginnt sich zu verstecken um seinen Vater zu beobachten. Zunächst weiß man nicht warum, bis man merkt, dass dieser 2 Familien hat um die er sich kümmert. Familie als Machistisches Statussymbol. Irgendwann möchte der Vater, dass der Sohn auf die Ranch aufpasst, da er was zu erledigen hat und übergibt ihm einen Packen Briefe die mit Geld gefüllt sind um sie zu verteilen. Mehr wird hier nicht verraten. Das Ende ist der Hammer und die Wut und der Ekel vor seinem Vater entlädt sich fast beiläufig im Vorbeigehen. Toller Film ! 8/10 Punkte Als die Credits zu Ende waren konnte ich den verhaltenen Applaus auch nicht wirklich nachvollziehen, was dem Pärchen, das neben mir saß und mit dem ich vorab schon ins Gespräch kam, genauso ging. Wir unterhielten uns noch ein wenig vor der U Bahn Station und dann mußte ich auch schon wieder los. Ins Bett, ich war auf einmal hundemüde und die ganze Spannung, die sich 1,5 Stunden aufgebaut hatte, verflog.
Freitag. Der letzte Tag meiner Berlinale sollte wie am Tag zuvor im Folterpalast starten. Boyhood von Richard Linklater (Wettbewerb) wurde im Vorfeld schon frenetisch abgefeiert und galt als Bärenkandidat (hat dann ja auch einen in Silber bekommen). Demnach konnte es wohl ziemlich voll werden und ich tat gut daran doch 1,5 Stunden vorher da zu sein um wieder in den Genuss der Beinfreiheit zu kommen. Auch wenn ich sagen muß, das selbst die Stühle dort die Hölle sind. Über Linklaters Film, der die Kindheit eines ganz normalen amerikanischen Jungen vom 6. bis zum 18. Lebensjahr verfolgt der in verschiedenen Patchwork Familien aufwächst, ist ja schon einiges geschrieben worden. Der Film ist dann auch tatsächlich der große Wurf. 3 Stunden Endorphyne die ausgeschüttet werden, was auch daran liegt, dass das Drehbuch einfach verdammt klug ist. So klug, dass ich zwischendurch dachte, das kann ja nicht wahr sein, das geht doch gar nicht. Fast so als hätten sich Linklater und James Salter getroffen um einen Film zu drehen. Boyhood ist auch so toll weil er wie ein Best-Of von Linklaters Schaffen wirkt. Slacker, School of Rock und die Before Filme finden sich hier irgendwie wieder. 12 Jahre lang hat man sich immer wieder getroffen, gedreht und das Script entwickelt. Das wirkt nie aneinander geklettet sondern wirklich wie aus einem Guß und das tollste ist : Der Film ist immer noch nicht fertig ! Mein Freund meinte jedenfalls, dass der Soundtrack noch vor dem offiziellen Kinostart überarbeitet wird. Viel besser kann man den schon nicht mehr machen, schlechter aber auch nicht. Als die Credits kamen ging ein Jubelschrei durch die Menge. Ich taumelte aus dem Saal und war glücklich. Schon jetzt ein Lieblingsfilm. 10/10
Das Wetter war top und ich setzte mich draußen auf eine Bank und aß später noch eine leckere Currywurst bevor ich Richtung Spichernstraße fuhr um die restaurierte Fassung von Nicholas Rays Rebel without a Cause 1955 (Berlinale Classics) 10/10 zu sehen. Im Haus der Berliner Festspiele lag draußen schon roter Teppich aus. Ob der für Martin Scorsese gedacht war, der den Film in einer kurzen Einführung vorstellte und dessen Foundation auch für die Restaurierung zuständig ist, oder für wen anderes kann ich nicht sagen. Zum Glück war ich wieder der erste am Einlaß. Mein Freund kam bald dazu und wir sicherten uns oben im Rang gute Plätze. Zuvor konnte man noch schnieke Snobs mit teuren Taschen bewundern, die wohl alle zu Gucci gehörten, von denen beträchtliche Summen in die Restaurierung von Rays Technicolor Meisterwerk geflossen sind. Zwischen den schicken Leuten mit ihren 3000 Euro Stilettos und polierten Lederschuhen tauchte auf einmal ein Mann mit weißem Rauschebart auf. Nein, nicht der Weihnachtsmann eher einer der draußen schläft. Das war schon irgendwie ein eigener Film, der da ablief. Nach diesem Highlight und das war es in der Tat auch wenn der Ton manchmal ein wenig leise war liefen wir in Richtung Alexanderplatz. Wu ren Qu (No Man´s Land) (Ning Hao) (Wettbewerb) sollte der letzte Film des Abends sowie auch mein Berlinale Abschluss werden. Ein junger Rechtsanwalt, der meint auf der richtigen Seite zu stehen muß mit seinem Wagen rund 500 Kilometer durch das titelgebende No Man´s Land fahren um zum nächsten Prozess zu kommen. Der arrogante Schnösel meint es mit jedem aufnehmen zu können und fackelt gleich am Anfang einen LKW ab, der ihn nicht durchlassen will, begeht Fahrerflucht und ist bald zusammen mit einer Hure im Schlepptau, die ihn ständig belügt, auf der Hut vor bedrohlichen Wüstenbewohnern und Outlaws. Im Look und mit dem Sound eines Italo-Westerns kommt diese Parabel über Tiere, wie es am Anfang heißt, daher. Am Ende wälzt sich ein LKW durch eine Stadt, die 1:1 aussieht wie in "A Fistful of Dollars". Das alles ist ziemlich actionreich, skurril und recht schwarzhumorig. Für einen Genre Film ist es dann aber doch ein wening lahm inszeniert. Nervig ist aber der Plot, der alle 5 Minuten einen unglaublichen Haken schlagen muß. Ständig versucht sich der Film zu übertrumpfen, läßt sich kaum Zeit um schon wieder mit der nächsten Unglaublichkeit aufzuwarten. Politische Intention oder Kritik am Rechtssystem könnte man vielleicht rauslesen, muß dies aber auch mit der Lupe suchen. Zum Schluß ein sentimentales Ende, das wie drangepappt aussieht. Was allerdings auch mit der Zensurgeschichte des Films zu tun haben dürfte. 5-6/10
Es war zwar schon spät aber uns dürstete es nach soviel Wüstenstaub nach was kühlem. Gar nicht so einfach am Alex um 00.30 in Bier zu kriegen. So landeten wir in einer Hotelbar und tranken jeder ein Weizen für 6 €. Plädiere für mehr Kneipen am Alex. Falls jemand dort was kennt so lasst es mich wissen.
Anstrengend wars aber schön oder um es mit den Worten des Pärchens auszudrücken "Jetzt bist du ja infiziert".
In diesem Sinne, wohl bis zum nächsten Jahr !
Berlin Filme Festival Bier Kaffee zu wenig Essen
Dies war sie nun. Meine allererste Berlinale, dabei ist sie noch nicht einmal komplett gewesen. Von Montag bis Freitag ließ ich mir das Menü servieren und ich kann schon jetzt sagen, ich wurde satt.
Wo soll ich anfangen ?
Im Prinzip startet der Prolog schon mit den aufwenidigen Vorbereitungen. Ein Programm von 400 Filmen durchzusehen geht ja noch wenn man die Zeit dafür hat und die hatte ich. Schwieriger wurde es dann mit der Titel und Zeitplanung. Ich war ja nicht ganz allein, stimmte mich noch mit zwei weiteren Mitstreitern ab, 2 alte Berlinale Hasen. Anfang Februar hatte ich schon Urlaub. Von Ausschlafen war aber keine Rede. So ein durchgetaktetes Programm muß ja auch gebucht werden und so torkelte ich schon am Montag, 3 Tage vor Berlinale Beginn, mit nem Kaffee in der Hand zum Rechner um die begehrten Tickets zu buchen, die punkt 10 Uhr Morgens freigeschaltet wurden. Dieser Trott ging 5 weitere Tage so. Im Bann der Berlinale bekam ich zusätzlich zum Kaffee einen jeweils 10 minütigen Vorgeschmack auf das was mich von Montag bis Freitag in der Hauptstadt erwarten würde. Der Kick des Filmfestspiele.
Montag, Abfahrt. Mein Handy klingelte. Freitag mußte umgeplant werden. Die 10 Uhr Vorstellung von Linklaters Boyhood war ausverkauft, was die restliche Freitags Planung umwarf. 12.30 war aber drin. Ticket sicher. Im Zug wurde ich auf das Buch was ich las (Howard Hawks von Rolf Thissen) angesprochen und 10 Jahre jünger geschätzt. Charming. Professorin aus Köln, fuhr auch zur Berlinale. In Berlin dann fix zur Unterkunft nach Pankow, Koffer abgestellt, geschnackt und dann gings los um einen Haufen Tickets zu holen. Am Potsdamer Platz bekam ich in den Arkaden am Ticket Schalter einen kurzen Schreck. Die Schlange war sehr lang, betraf mich aber nicht da ich alles online gebucht hatte. Ich ging einfach vorbei zur Online-Ticket-Abholung. Da stand niemand. Prima !
Im Cinemaxx ging es im Achter Kino dann auch los mit einem Titel aus der Retrospektive. Air Force aus dem Jahre 1943, drehte Howard Hawks damals auf Bitte eines befreundeten Offiziers. Natürlich ist der Film ein reiner Propagandafilm aber einer der sich unglaublich gut ins Hawksche Oeuvre einfügt. Air Force ist ein richtiger Männerfilm in dem es natürlich um eine Gruppe Professionals geht. Diese Gruppe ist die Besatzung eines Boeing Bombers im Zweiten Weltkrieg, die ihre Festung "Mary Anne" getauft haben. Während eines Übungsflugs bekommt die Truppe einen Funkspruch über die Bombardierung Pearl Harbors rein. Wenig später wird der Bomber von japanischen Fliegern angegriffen. Die Besatzung muß notlanden und schafft es ihr Baby wieder flottzumachen um am Ende einen erfolgreichen Angriff gegen einen japanischen Truppenkonvoi durchzuführen. Es geht innerhalb der Gruppe auch um die Integrierung eines Aussenseiters der lieber Pilot sein will als MG-Schütze und von der Army eigentlich die Schnauze voll hat. Dieser darf sich am Ende beweisen in dem er "Mary Anne" bruchlandet und somit rettet. Im Grunde genommen kann man Air Force, der natürlich Kriegsfilm und teils auch aggressiv in seinen Dialogen ist, auch als Action-Abenteuerfilm bezeichnen. Nie wird die Professionalität der Gruppe in Frage gestellt.Hawks geht es mehr um das Wie ? und Wer ? als ums Warum ? und Wofür ? Wobei letzteres natürlich auch eine Rolle spielt, da unterschwellige Rache mitschwingt. Interessant ist aber wieviel Menschlichkeit in diesem Werbefilm für die Air Force steckt. Ein typischer Hawks mit übrigens grandiosen Flugaufnahmen. Wundert einen nicht wenn man weiß das Hawks selber begeisterter Flieger war. 8/10 Punkten. Achja, die Qualität der frisch restaurierten Kopie war auch allererste Sahne. Ein knackig scharfes s/w.
Nächste Station Schönhauser Allee, Colosseum. Vorher hatte ich noch Luft und aß beim Vietnamesen. Neben mir unterhielt man sich über Leonardo Di Caprio Filme. Am Tisch gegenüber ging es um Wes Anderson. Ich genoß Garnelen mit Gemüse und Reis. Dann zu später Stunde rüber ins Kino. Güeros (Alonso Ruizpalacios) Panorama ist ein mexikanischer Debutfilm. Ein Roadmovie in s/w im 4:3 Format. Der Film spielt 1999 während der Studentendemonstrationen in Mexiko City. Der junge Tomas, sein großer Bruder und sein Freund machen sich auf um einen alten Musiker zu suchen, der für das Tape verantwortlich ist, welches ein Erbstück von Tomas Vater ist und der Legende nach Bob Dylan zum weinen brachte. Die Reise wird ganz Road-Trip typisch zur Selbsfindung. Zwischendurch steigen der Regisseur und Kameramann ins Auto und die Darsteller reflektieren später in einer Szene mexikanische Filmgeschichte indem sie sich im Dialog über Klischess lustig machen. Überhaupt gibt es viele witzige Szenen, die alle 5 Minuten für Publikumslacher sorgten sowie einige tolle Einstellungen und auch nette Ideen, wie die, das immer wenn jemand das Tape per Kopfhörer hört, wir nicht die Musik hören sondern nur die Reaktion sehen. Das ganze wird mit dokumentarischer Handkamera eingefangen und erinnert auch wie beworben an die Nouvelle Vague. Mich erinnerte es an einen Mix aus New Wave der 60er und den frühen Filmen von Jim Jarmusch gepaart mit ein wenig Rumble Fish von Coppola. Der in 5 Kapitel unterteilte Film, der ganz nebenbei die Frage stellt "Resignation oder Partei ergreifen", konnte mich letzten Endes aber doch nicht wirklich überzeugen. Dafür wirkte er auf mich oft zu lose, hatte zuviel Leerlauf und wirkte wiederum zu überambitioniert. Doch bei weitem kein schlechter Debutfilm. Witzig und interessant ist auch, dass die Reise nie aus Mexiko City hinausgeht. Am Ende befinden sie sich in einer Demo. Auf die Frage "Wo sind wir"? folgt ein "In Mexiko City." 6/10 Danach war der Regisseur anwesend, der ein echter Spaßvogel war. Ich mußte dann doch schnell los um meine S Bahn zu kriegen.
Dienstag startete ich wieder am Potsdamer Platz, traf mich auf nen Kaffee mit Bastro, was leider unser einziges Treffen blieb, da wir uns danach immer wieder verpassten und begann den Tag wieder mit einem Film aus der Retrospektive. Marcel Carnés Le quai des brumes (Hafen im Nebel) von 1938 10/10 kannte ich zwar schon, passte aber gut ins Programm. Außerdem wollte ich den Film gerne mal auf großer Leinwand gesehen haben. Der, für den Film Noir, immens einflussreiche Schlüsselfilm des "poetischen Realismus" bereitete mir einen Schauer nach dem anderen sowie feuchte Augen. Neben mir saß ein älterer Herr, der sich ständig Notizen machte und an fast denselben Stellen wie ich "Ah" und "Hach" machte. Vorab gab es eine 10minütige Einführung eines Professors aus Marburg, der einmal etwas zur Bedeutung des Films sowie zur Lichtdramaturgie erzählte aber auch und das war mir nicht bekannt, zur Produktionsgeschichte. Der Film sollte erst in Babelsberg gedreht werden, was Carné dann aber verwarf, da ihm die Gegebenheiten zu theaterhaft waren. Gedreht werden sollte in Hamburg. Wurde dann aber sehr zügig vom Reichskulturministerium untersagt und so ging es zurück nach Frankreich wo der Film dann in Paris und Le Havre gedreht wurde. Trotz der teils körnigen Bildqualität (bin mir nicht sicher aber irgendwie sah das nach DVD Projektion aus) ging ich mit Pipi in den Augen zurück ins Helle und mußte mich sputen um zum Alex zu kommen.
Da gab es dann The Midnight After von Fruit Chan (Panorama) im Kubix. Schon wieder eine Gruppe. Diesmal ein zusammengewürfelter haufen Passagiere in einem Minibus in Hongkong. Der Bus fährt durch einen Tunnel und plötzlich ist alles um sie herum menschenleer. Einige Passagiere steigen aus, was fatale Folgen für sie hat, andere machen Entdeckungen und wiederum andere meinen des Rätsels Lösung erkannt zu haben. Viel mehr gibt es auch nicht zu sagen obwohl natürlich einiges noch passiert. Ich empfand Fruit Chans Film als mediokre Komödie, die westliche Genrestrukturen aufs Horn nimmt und sich in den vielen Figurenklischees, die alle genremäßig auf den Kopf gestellt werden, leider verliert, kitschig ist, sich wiederum drüber lustig macht, moralische Konsequenzen halbherzig adabsurdum führt inkl. bewusst oder unbewusst trashiger Effekte und Fukushima Angst der Chinesen.
So oder so ähnlich textete ich das Bastro und muß zugeben, dass ich den Film mit 5/10 vielleicht zu schlecht bewerte aber auch hier das Gefühl hatte, ich kenne zu wenig Asia Kino um dem Film gerecht zu werden. Mir war das auch viel zu überzogen, viel zu albern und zu konstruiert als das ich die Invasion der Japaner samt "Space Oddity" und Technik Karikatur für Voll nehmen konnte.
Cut !
Fahr zum nächsten Kino. Berlinale goes Kiez. Filmkunst 66, Savignyplatz. Hatte ziemlich viel Zeit und lief erstmal in die falsche Richtung und kam an ner Videothek vorbei. Konnte mich nicht zurückhalten und kaufte Trance von Danny Boyle. Für n 5er kann man nicht meckern. Kino gefunden. Roter Teppich ausgelegt, Stars wurden erwartet. Immer noch Zeit und suchte ne Kneipe. Fancy Gegend. Eine Straße weiter ist der Kudamm. Keine Kneipen. Nur teure Restaurants und schnieke Weinbars. Ging ein paar Blocks den Kudamm runter und kam in den Seitenstraßen an sehr teuren Altbauwohnungen vorbei. An der Straße standen 2 Ferraris, 3 Porsche, der Rest MB und BMW. Zurück im Kino kaufte ich n Becks. Dann halt stehen und Bier trinken. Das kleine Foyer füllte sich langsam. Einlaß. Gezeigt wurde Things people do von Saar Klein (Panorama) 6-7/10. Saar Klein ist ein in Israel geborener US amerikanischer Cutter, der sein Regiedebut mit dieser Weltpremiere vorlegt, 2 Oscarnominierungen für den besten Schnitt (Almost Famous & The Thin Red Line) zu verbuchen hatte, für den Schnitt von The Bourne Identity und Malicks New World verantwortlich war sowie Schnittassistent bei Oliver Stones JFK war. Die Stars des Abends waren zunächst Matthias Elwardt (Chef vom Hamburger Abaton Kino) und Fatih Akins Cutter Andrew Bird. Elwardt, der den Host und Interviewer gab, sprach zunächst ein wenig mit Bird über dessen Arbeit mit Akin. Dann wurde Saar Klein und sein Kameramann, der junge Wiener Matthias Koenigswieser nach Vorne gebeten um sich kurz vorzustellen. Koenigswieser hat mit Saar Kleins Regiedebut seinen ersten Spielfilm vorzuweisen. Vorher war er Kameramann für einige prämierte Kurzfilme sowie für die hochgelobte Boxerdokumentation "Tapia". Nach dem Film wurden die zwei dann noch kurz interviewt und es gab ein Q+A mit dem Publikum. Things people do ist ein Familiendrama, besser gesagt ein Vaterdrama, noch besser gesagt ein Männlichkeitsdrama. Natürlich fließen diese 3 Punkte zusammen und ergeben einen Film in dem, wenn man es so sehen möchte, konservative Familienwerte mittelständischer US-Amerikaner auf eine harte Probe gestellt werden. Es geht um eine Familienvater (Wes Bentley) der, weil er in der Versicherungsfirma in der er arbeitet schummelt, seinen Job verliert. Die Hypothek seines Hauses am Rande der kargen Einöde kann nicht mehr bezahlt werden und das Familienstatussymbol Pool samt Auto auch nicht. Der Pool, der am Ende einbetoniert wird, spielt eine wichtige Rolle. Der Vater ist der Gute und schämt sich für seine neue Situation. Diese Scham macht ihn klein und durch Zufall wird er unmoralisch zum Verbrecher, der Nachts eine Tankstelle überfällt in der eine Frau arbeitet, die sexuell belästigt wird oder die Firma, die sein Auto abgeschleppt hat und Wucherpreise von ihm verlangt um es wiederzubekommen. Seine Frau weiß davon nichts. Alles geht seinen gewohnten Gang doch das Geld was er erbeutet reicht nicht. Dann ist da noch der kaputte Ex-Cop (Jason Isaacs), der ihm auf die Schliche kommt und natürlich durch das Familienband (geschieden) verbunden ist, der ihm in der Mitte des Films suggeriert "The only thing that counts are the things people do."
Dem Film wurde gleich nach der Premiere Sexismus vorgeworfen weil der Familienvater ein Männlichkeitsproblem habe und die Rolle der Mutter im Film keine Rolle spielen würde bzw. ausgenutzt werde. Die Kritik geht am Film ein wenig vorbei, wie ich finde. Wir befinden uns hier nicht in einem normalen Sozialdrama, wo die Frau, die ganz nach Malick stilisiert wird, arbeiten gehen könnte.
Es geht hier um das Wegbrechen von Idealen, von männlichen Idealen, was auch immer wieder sich in den Gesprächen des Vaters mit seinen kleinen Söhnen wiederspiegelt. Was die Familie angeht so kreuzen sich die Figuren des Vaters und des Cops nicht nur, sie sind miteinander verbunden. Am Ende gibt Klein keine Antwort sondern stellt sein Modell zur Disposition.
Interessantes beim Q+A ? Eher weniger. Der Regisseur gab aber noch kurz an, dass er die Story im Sinne Raskolnikov und "Schuld und Sühne" drehen wollte. Interessant ist aber wieviel Malick in der Bildsprache vorhanden ist und obwohl der Regisseur den direkten Einfluss verneint, aber sagt, dass Malick ihn natürlich beeinflusst habe, ist dieses unterbewusste schon recht stark zu sehen. Da sind die vier Elemente, die immer wieder ins Bild gesetzt werden oder der Offkommentar, der wie bei Malick Gedanken und Gefühle ausspricht. Das fand ich in der Tat sehr interessant, da der Film sonst von der Inszenierung narrativ geerdet daher kam. Kein Film der es mir leicht machte. Im Gegenteil. Ich verbrachte noch 1,5 Stunden grübelnd im Bett.
Mittwoch. Neuer Tag. Die Malick-Schüler-Experience Nummer 2. The better Angels von A.J. Edwards (Panorama) 7-8/10, der auch als Cutter für Malicks letzte Filme Tree of Life und To the Wonder zuständig war. Anstatt jetzt hier viel zu schreiben, verweise ich einfach mal auf Settembrinis Berlinale Bericht, der den Film am Montag sah und dessen Eindrücke sich recht gut mit den meinen deckten. Schön ist auch die Kombination, diese 2 Filme hintereinander gesehen zu haben. Zwei im Grunde sehr unterschiedliche Filme, die aber beide die Handschrift Malicks recht deutlich zeigen. The better Angels ganz offensichtlich und Things people do eher unter der Oberfläche. Es dürfte interessant sein zu beobachten was diese Regisseure in der Zukunft noch so drehen werden. Mir gefiel The better Angels ganz gut und ich ärgerte mich auch nicht, dass ich dadurch "The Dawn Patrol" von Howard Hawks verpasste, den ich eigentlich auch ganz gern gesehen hätte. Als ich meine Panorama Publikumspreis Karte einsteckte, merkte ich, dass ich wohl mit meiner Meinung in der Minderheit war. 5 Leute vor mir hatten ihr Kreuz bei ärgerlich oder mittelmäßig gemacht. Ähnlich wie wohl die zwei letzten Malick Filme und eigentlich schon ab Thin Red Line spaltet auch dieser Film.
Wieder am Potsdamer Platz. Nächster Termin um 18 Uhr Ken Loach Conversation in der Kinemathek. Ich hatte noch Luft, aß mein Lunch Paket und machte mich auf in die Kinemathek. 1,5 Stunden Zeit. Kaufte mir im Museumsshop die Blu Ray von "Harakiri" und fragte nach der vergriffenen Lunitsch Stummfilm Box, die leider nicht mehr vorhanden war. Um kurz vor fünf fuhr ich mit dem Fahrstuhl hoch und da warteten schon nicht wenig Leute. Ich war aber trotzdem recht weit vorne. Um 17.30 Uhr Einlass. Ich stürzte nach hinten und konnte am Fenster noch einen Sitzplatz ergattern. Gut das ich so früh da war. Nicht gerade groß der Raum und proppenvoll. Vorn in der ersten Reihe erblickte ich Paul Laverty, den langjährigen Drehbuchschreiber mit dem Ken Loach oft zusammenarbeitet. Um Punkt 18 Uhr kam dann Ben Gibson (Director London Film School), der Loach interviewte und kurz darauf Ken Loach höchstpersönlich. Ken Loach gehört zu den Regisseuren, die ich seit etlichen Jahren sehr schätze und zwar nicht nur als Regisseur sondern auch als Person öffentlichen Lebens abseits seiner Filme. Das wurde einem auch schon nach nicht einmal 5 Minuten gewahr als Loach sagte, dass er es eigentlich als diskreditierend empfände, dass bei diesem Gespräch kein Übersetzer anwesend sei, da so ein Interview eigentlich in der Sprache des Landes gehalten werden sollte. In der folgenden Stunde wurde Loach von Gibson über sein Werk und seine Arbeitsmethoden interviewt, begleitet von einzelnen Film Ausschnitten. Das war hochinteressant, wahnsinnig spannend und auch sehr bewegend. Selbst wenn man schon einiges aus Interviews, Dokus und Büchern kannte, wirkte die Stunde wahnsinnig dicht. Zwischendrin gab es immer mal wieder Applaus zb. als das Zitat zur Thatcher Beerdigung angesprochen wurde. Am Ende Standing Ovations. Hätte mir gerne ein Autogramm geholt und ihm persönlich gesagt wie sehr mich seine Filme bewegt haben doch die Zeit drängt, da im Cinemaxx nebenan auf Gleis Acht Sternbergs Shanghai Express (1932) (Retrospektive) wartete. Schon zweimal gesehen, passte auch die Vorstellung gut ins Programm und in den Zeitplan. Viel Schicki-Micki und auch älteres Publikum anwesend. Klar es gab die Dietrich zu sehen. Die Qualität war ok. Es wurde viel gelacht, was teils merkwürdig war, da der streckenweise schon witzig ist aber keine Komödie. Ein Kuriosum was mir auch bei anderen Filmen der Retrospektive auffiel und was vielleicht auf Unverständnis und das Alter des Films zurückzuführen wäre. Naja wie dem auch sei. Ich ließ mich in die exotische Atmosphäre fallen, achtete gebannt auf die Lichtinszenierung, folgte den langen Überblendungen und wurde von Marlenes Dialogen geradezu umnebelt. Apropos : Nebel. Den hatte ich auch neben mir. Da saßen zwei ältere Damen, die sich so eingedieselt hatten, dass ich nach kurzer Zeit Kopfschmerzen bekam. Zurück zu Shanghai Express. Sternbergs 4. Film mit Marlene ist definitiv ein Style over Substance Film. Die Story bleibt hier wirklich Nebensache. Ein Film der nur von seiner Atmosphäre lebt. 8/10
Danach hatte ich es dann auch nicht weit zum Berlinale Palast, wo es die Gala Premiere von Bai Ri Yan Huo (Black Coal Thin Ice) von Diao Yinan (Wettbewerb) , dem diesjährigen Gewinner des Goldenen Bären, stattfand. Mein Kumpel wartete schon draußen, es kam noch ein Freund von ihm dazu, ein anderer saß schon drinnen. Nach ein wenig Wartezeit bekam man dann Einlaß in den Premieren Palast. Ich saß Parkett, relativ weit vorne, wo man auf einer kleinen Leinwand verfolgen konnte, wie das Team des Films zusammen mit dem Kosslick in Gala Garderobe, von einer Kamera begleitet, über den roten Teppich flanierte. Dann ging es auch schon los und tja was soll ich sagen. Die Gegebenheiten waren nicht unbedingt optimal um diesen langsam erzählten Film mit Noir Anleihen richtig genießen zu können. Beinfreiheit hatte ich für meine langen Stelzen auch nicht wirklich, saß für meine Verhältnisse auch sehr nah an der Leinwand. Im Grunde natürlich fahle Ausreden. Der Film spielt im Norden Chinas und beginnt damit, dass Leichenteile in einer Fabrik gefunden werden. Man schreibt das Jahr 1999. Bald darauf kommt es zu einer Festnahme mit überraschendem Shoot Out. 2 Polizisten sterben. Der Hauptprotagonist wird suspendiert auch weil er ein Alkoholproblem hat. Zeitsprung. 2004. Der Protagonist arbeitet in einer Fabrik und es geschehen wieder Morde. Er entdeckt Mithilfe eines alten Kollegen, dass alle Opfer Beziehung zu einer jungen Frau hatten, die in einer Wäscherei arbeitet und von ihrem Boss sexuell genötigt wird. Unser Ex-Cop verliebt sich und muß schon bald eine furchtbare Entdeckung machen. Als die Credits anfingen, stürmten die ersten Reihen sofort nach draußen. Unverständnis und Entrüstung machte sich breit. Ein Publikumsfilm ist dies nicht. Auch wir schüttelten den Kopf wobei mein Freund doch noch recht gnädig war. Der Film war mir für einen Genre Film viel zu artifiziell, zu gestellt, zu sehr Kunst. Anbei hat er aber einiges an Szenen die großartig sind und wo ich dies schreibe, merke ich das vieles aus dem Film immer noch im Kopf rumspukt. Vieles habe ich auch nicht verstanden und weiß nicht wie ich es deuten soll. Im Grunde bin ich gar nicht richtig dabeigewesen. Deshalb enthalte ich mich auch hier jeglicher Wertung und würde ihn mir lieber nocheinmal ansehen. Durch den Goldenen Bären kann man auf jeden Fall vermuten, dass er in hiesige Programm und Kommunale Kinos kommt. Danach begossen wir den Abend noch mit ein paar Bier und um 02.00 Uhr gings dann mit dem Taxi nach Hause.
Donnerstag. 12.00 Uhr Friedrichstadtpalast. Komme gegen 11.15 Uhr dort an. Mein Freund stand schon ganz vorne damit wir auch ja in die einzige Reihe mit Beinfreiheit kommen. Ca. 11.30 Uhr Einlass. Drinnen nochmal vor einem der vier Eingänge gewartet. Kriegten gute Plätze. Gezeigt wurde Aloft von Claudia Llosa (Wettbewerb), die 2009 den Goldenen Bären gewann. In den Hauptrollen Jennifer Connelly, Cilian Murphy und Melanie Laurent. Ich will gar nicht näher auf die Story eingehen. Aloft ist ein Mutter-Sohn-Drama, ein Erbauungs und Lebenshilfe Film, der in seiner Gegenwarts-Rückblende Struktur zwar interessant ist aber sich dann vieles sehr einfach macht, tolle Darsteller hat, von denen Melanie Laurent ein wenig blass bleibt, schöne Landschaftsaufnahmen bietet und am Ende mit einem Versöhnungsschluss aufwartet, dass mir richtig schlecht wurde. Gut, dass ich nicht viel im Magen hatte, ich hätte wirklich gekotzt. Was eigentlich ärgerlich war, bei dem Film dann aber doch keine so große Rolle spielte, war die Tatsache, dass die letzten 10 Minuten auf der rechten Seite eine Box dröhnte und von links nen Schlagbohrer anging. Wie gesagt, war dann aber doch nicht weiter wild. 4/10 Nächster Film.
Zunächst traf ich mich mit Settembrini und wir gingen gemeinsam Richtung Zeughauskino, was schönerweise zu Fuß gut zu erreichen war. Da wir noch Zeit hatten, aßen wir im Restaurant nebenan und führten ein Gespräch nach dem anderen. Wäre nicht um 17 Uhr die Vorstellung von Kes (Ken Loach) 1969 (Hommage) gewesen, hätten wir wohl den restlichen Abend dort gesessen und ich hätte auch noch ein Stück Mozarttorte gegessen. Zu Kes möchte ich auch gar nicht viele Worte verlieren. Nur soviel : Mich hat Ken Loachs zweiter Kinofilm schwer beeindruckt und ich scheue mich auch nicht vor einer 10/10 Bewertung zurück. Das ist schon faszinierend wie sehr dieser frühe Film schon die Handschrift von Ken Loachs späteren Arbeiten trägt. Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek hat sicherlich Recht wenn er ihn auch als Schlüsselfilm des "New British Cinema" nennt. Was besonders auffällt ist nicht nur die Kritik am gnadenlosen, autoritären Erziehungssystem Großbritanniens sondern auch wie sehr sich das alles die Waage hält. Die beschissenen Arbeiterverhältnisse aus denen Billy kommt werden so gezeigt, wie sie sind. Die Mutter fickt durch die Gegend und von seinem Bruder, der in der Kohlegrube arbeitet, kriegt Billy Schläge und wird gemobbt. Unter seinen Mitschülern ist Billy zwar integriert wird dann aber als sie merken, dass Billy mit seinem Falken "Kes" etwas besonderes darstellt und sein Lehrer, der das autoritäre Bestrafungssystem ablehnt, fasziniert von ihm ist, zum Außenseiter. Der Falke wird zum Symbol der Sehnsucht nach Ausbruch. Doch Billy kan nicht ausbrechen weil er durch die Klasse, der er angehört, gar keine Möglichkeit hat und die obere Klasse ihm diese verwehrt. Billy ist gefangen und am Ende beerdigt er nicht nur Kes, er begräbt seine eigenen Hoffnungen. In dokumentarischem "Cinema Verité" Stil, fast nur mit Laienschauspielern gedreht, entwickelt der Film durch seine genaue Beobachtung, die nie dramatisiert wird, eine ungeheure Kraft. Da steckt viel Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit drin, genauso wie in Loach´s späteren Filmen.
Nachdem sich draußen unsere Wege trennten, blieb ich im Zeughauskino, da ich eine Karte für Benjamin Christensens Heavnens Nat (Nacht der Rache) von 1916 (Retrospektive) hatte. Der Einlaß ging zügig und wo Kes vorher ausverkauft war, blieben diesmal viele Sitze frei. Ungefähr 20 Leute waren anwesend. Schade, denn Christensens zweiter Film war ziemlich klasse. Ich kenne ja nur "Häxan" von ihm. Muß mir auch noch seinen ersten besorgen "Das geheimnisvolle X".
Nacht der Rache ist ein Justizdrama was sich zum Ende hin sogar zum Selbstjustizdrama entwickelt. Ein Mann wird wegen Mordes in einem Zirkus schuldig gesprochen und bricht noch in der Nacht aus um sein Kind aus dem Armenhaus zu befreien. Nachts klettert er in ein Haus und bittet die Nichte des Gutsherren um Milch für sein Kind. Er versichert ihr, dass er unschuldig ist doch kann sie nicht verhindern, dass er überwältigt und eingesperrt wird. 14 jahre später wird sein Justizirrtum festgestellt und er kommt als gebrochener Mann frei. Er sinnt nach Rache.
Bemerkenswert ist dieses frühe Drama, in dem Christensen sich für Regie, Buch, Produktion und die Hauptrolle verantwortlich zeigt, vor allem dadurch wie gut und weit er das Medium mit dieser komplexen Geschichte trieb. Beachtung finden vor allem die fast in Dunkelheit spielenden Szenen sowie die gezeichneten Zwischentitel, die die Szenen kommentieren. Hinzu kommt ein toller Shot durchs Schlüsselloch sowie ein extrem spannender Befreiungsakt eines Gefesselten am Ende des Films. Der gefesselte Vater wird vom Sohn, der im Wandschrank eingeschlossen ist dadurch befreit, dass der Sohn mit Hilfe eines Messers ein Loch in die Tür ritzen kann und so mit einer Hand und dem Messer den Vater befreien kann. Wahnsinn !
Das ganze wurde kongenial untermalt durch Stephen Horne am Piano und weiteren Instrumenten die zum Einsatz kamen.
8/10
Nun machte ich mich auf gen Alexanderplatz und zum ersten Mal regnete es. Unterwegs bekam ich einen Anruf von meinem Kumpel der absagte, weil er zu kaputt sei und irgendwie war ich das auch. Zum Glück fuhr ich dann aber doch ins International um La Tercerra Orilla (The Third Side of the River) von Celina Murga (Wettbewerb) zu sehen. Ein argentinischer Film in dem es darum geht wie ein Junge sich von seinem patriarchischem Vater abnabelt. Ein hochsubtiler, stiller Film bei dem es von Beginn an unter der Oberfläche kräftig brodelt. Die Kamera ist in distanzierter Beobachtungshaltung und geht dann nah ran wenn der Junge auf einmal beginnt sich zu verstecken um seinen Vater zu beobachten. Zunächst weiß man nicht warum, bis man merkt, dass dieser 2 Familien hat um die er sich kümmert. Familie als Machistisches Statussymbol. Irgendwann möchte der Vater, dass der Sohn auf die Ranch aufpasst, da er was zu erledigen hat und übergibt ihm einen Packen Briefe die mit Geld gefüllt sind um sie zu verteilen. Mehr wird hier nicht verraten. Das Ende ist der Hammer und die Wut und der Ekel vor seinem Vater entlädt sich fast beiläufig im Vorbeigehen. Toller Film ! 8/10 Punkte Als die Credits zu Ende waren konnte ich den verhaltenen Applaus auch nicht wirklich nachvollziehen, was dem Pärchen, das neben mir saß und mit dem ich vorab schon ins Gespräch kam, genauso ging. Wir unterhielten uns noch ein wenig vor der U Bahn Station und dann mußte ich auch schon wieder los. Ins Bett, ich war auf einmal hundemüde und die ganze Spannung, die sich 1,5 Stunden aufgebaut hatte, verflog.
Freitag. Der letzte Tag meiner Berlinale sollte wie am Tag zuvor im Folterpalast starten. Boyhood von Richard Linklater (Wettbewerb) wurde im Vorfeld schon frenetisch abgefeiert und galt als Bärenkandidat (hat dann ja auch einen in Silber bekommen). Demnach konnte es wohl ziemlich voll werden und ich tat gut daran doch 1,5 Stunden vorher da zu sein um wieder in den Genuss der Beinfreiheit zu kommen. Auch wenn ich sagen muß, das selbst die Stühle dort die Hölle sind. Über Linklaters Film, der die Kindheit eines ganz normalen amerikanischen Jungen vom 6. bis zum 18. Lebensjahr verfolgt der in verschiedenen Patchwork Familien aufwächst, ist ja schon einiges geschrieben worden. Der Film ist dann auch tatsächlich der große Wurf. 3 Stunden Endorphyne die ausgeschüttet werden, was auch daran liegt, dass das Drehbuch einfach verdammt klug ist. So klug, dass ich zwischendurch dachte, das kann ja nicht wahr sein, das geht doch gar nicht. Fast so als hätten sich Linklater und James Salter getroffen um einen Film zu drehen. Boyhood ist auch so toll weil er wie ein Best-Of von Linklaters Schaffen wirkt. Slacker, School of Rock und die Before Filme finden sich hier irgendwie wieder. 12 Jahre lang hat man sich immer wieder getroffen, gedreht und das Script entwickelt. Das wirkt nie aneinander geklettet sondern wirklich wie aus einem Guß und das tollste ist : Der Film ist immer noch nicht fertig ! Mein Freund meinte jedenfalls, dass der Soundtrack noch vor dem offiziellen Kinostart überarbeitet wird. Viel besser kann man den schon nicht mehr machen, schlechter aber auch nicht. Als die Credits kamen ging ein Jubelschrei durch die Menge. Ich taumelte aus dem Saal und war glücklich. Schon jetzt ein Lieblingsfilm. 10/10
Das Wetter war top und ich setzte mich draußen auf eine Bank und aß später noch eine leckere Currywurst bevor ich Richtung Spichernstraße fuhr um die restaurierte Fassung von Nicholas Rays Rebel without a Cause 1955 (Berlinale Classics) 10/10 zu sehen. Im Haus der Berliner Festspiele lag draußen schon roter Teppich aus. Ob der für Martin Scorsese gedacht war, der den Film in einer kurzen Einführung vorstellte und dessen Foundation auch für die Restaurierung zuständig ist, oder für wen anderes kann ich nicht sagen. Zum Glück war ich wieder der erste am Einlaß. Mein Freund kam bald dazu und wir sicherten uns oben im Rang gute Plätze. Zuvor konnte man noch schnieke Snobs mit teuren Taschen bewundern, die wohl alle zu Gucci gehörten, von denen beträchtliche Summen in die Restaurierung von Rays Technicolor Meisterwerk geflossen sind. Zwischen den schicken Leuten mit ihren 3000 Euro Stilettos und polierten Lederschuhen tauchte auf einmal ein Mann mit weißem Rauschebart auf. Nein, nicht der Weihnachtsmann eher einer der draußen schläft. Das war schon irgendwie ein eigener Film, der da ablief. Nach diesem Highlight und das war es in der Tat auch wenn der Ton manchmal ein wenig leise war liefen wir in Richtung Alexanderplatz. Wu ren Qu (No Man´s Land) (Ning Hao) (Wettbewerb) sollte der letzte Film des Abends sowie auch mein Berlinale Abschluss werden. Ein junger Rechtsanwalt, der meint auf der richtigen Seite zu stehen muß mit seinem Wagen rund 500 Kilometer durch das titelgebende No Man´s Land fahren um zum nächsten Prozess zu kommen. Der arrogante Schnösel meint es mit jedem aufnehmen zu können und fackelt gleich am Anfang einen LKW ab, der ihn nicht durchlassen will, begeht Fahrerflucht und ist bald zusammen mit einer Hure im Schlepptau, die ihn ständig belügt, auf der Hut vor bedrohlichen Wüstenbewohnern und Outlaws. Im Look und mit dem Sound eines Italo-Westerns kommt diese Parabel über Tiere, wie es am Anfang heißt, daher. Am Ende wälzt sich ein LKW durch eine Stadt, die 1:1 aussieht wie in "A Fistful of Dollars". Das alles ist ziemlich actionreich, skurril und recht schwarzhumorig. Für einen Genre Film ist es dann aber doch ein wening lahm inszeniert. Nervig ist aber der Plot, der alle 5 Minuten einen unglaublichen Haken schlagen muß. Ständig versucht sich der Film zu übertrumpfen, läßt sich kaum Zeit um schon wieder mit der nächsten Unglaublichkeit aufzuwarten. Politische Intention oder Kritik am Rechtssystem könnte man vielleicht rauslesen, muß dies aber auch mit der Lupe suchen. Zum Schluß ein sentimentales Ende, das wie drangepappt aussieht. Was allerdings auch mit der Zensurgeschichte des Films zu tun haben dürfte. 5-6/10
Es war zwar schon spät aber uns dürstete es nach soviel Wüstenstaub nach was kühlem. Gar nicht so einfach am Alex um 00.30 in Bier zu kriegen. So landeten wir in einer Hotelbar und tranken jeder ein Weizen für 6 €. Plädiere für mehr Kneipen am Alex. Falls jemand dort was kennt so lasst es mich wissen.
Anstrengend wars aber schön oder um es mit den Worten des Pärchens auszudrücken "Jetzt bist du ja infiziert".
In diesem Sinne, wohl bis zum nächsten Jahr !
Berlin Filme Festival Bier Kaffee zu wenig Essen