Nachdem ich letztes Jahr so dermaßen angefixt wurde, muß ich sagen, daß sich dieses Jahr sehr schnell Ernüchterung einstellte. Woran das liegt kann ich gar nicht sagen. Die Vorbereitungen waren nicht mehr so nervenaufreibend wie letztes Jahr, nichtsdestotrotz gab es auch dieses Jahr wieder eine Handvoll Filme auf die ich mich echt gefreut habe.
Eine Woche Berliner Filmfestspiele Part 1
Also mal wieder von Anfang an : Samstag Mittag mit dem ICE nach Berlin. Der hatte schonmal 15-20 Minuten Verspätung. Kein Grund nervös zu werden. Kurz vor Berlin wurden es dann noch weitere 10 Minuten. Zudem bekam ich die Sms, daß der Nord-Süd Tunnel gesperrt ist. So langsam wurde ich dann doch nervös, da ich den ersten Film für 17.00 am Potsdamer Platz eingeplant hatte. Endlich am HBF ausgestiegen, schnell ein Wochenticket für die Öffis besorgt und dann zum Alex gefahren. Schlüsselübergabe. Um kurz nach 16 Uhr war ich dann in Pankow. Entweder einkaufen um für Sonntag was zum Frühstück zu haben oder schnell zum Potsdamer Platz um die Tickets zu holen und die Vorführung vom russischen Chaiki (The Gulls), Sektion Forum noch zu erwischen, den ich online schon gebucht hatte. Da ich schon so abgehetzt war, entschied ich mich doch fürs Einkaufen und ließ den Film sausen. Gemäßigt fuhr ich dann des Abends zum Potsdamer Platz um meine vorbestellten Tickets zu holen und mußte doch tatsächlich 15 (!!!) Minuten in der Schlange beim Online Ticket Schalter warten, da vor mir zwei Problemfälle standen, die mit ihren Programmen und Reisepässen rumfuchtelten. Oh, Mann, dachte ich nur. Das fängt ja gut an. Nachdem ich dann endlich meine Karten hatte verschlang ich noch den widerlichsten Gemüsewrap, den ich je gegessen hatte und machte mich dann auf in Richtung Friedrichstadtpalast
Samstag
Erster Film der Berlinale sollte dann Werner Herzogs Queen of the Desert werden, den wir dann zu dritt im Folterpalast in der ersten Reihe sahen. Es gibt ja Leute, die gerne in der ersten Reihe sitzen. Ich zähl mich da nicht zu aber da die Reihe mit der Beinfreiheit in der Mitte des Saals belegt war, nahmen wir das in Kauf, zumal man dort noch einen Tuck mehr Beinfreiheit hat als wenn man sich in die anderen Reihen quetscht. Zum Film : Erster Wettbewerbsbeitrag, den ich gesehen habe. Herzog schildert die Geschichte der Britin Gertrude Bell (Nicole Kidman), die es als gebildete junge Frau hinaus in die Wüste zieht. Zuerst nach Teheran, wo sie den Spieler Cadogan (James Franco) kennenlernt und sich verliebt. Als dieser stirbt unternimmt sie Forschungsreisen zu den arabischen Stämmen auf denen sie u.a. auch T.E. Lawrence (Robert Pattinson) kennenlernt. Die verschiedenen Stämme bewundern und verehren sie. Später wird sie maßgeblich an der Neuordnung des Nahen Ostens beteiligt sein. Was sich jetzt hier in dem kurzen Plotriss wie ein Epos liest, wird bei Herzog eher zu einer Karikatur dessen. Man kann den Film nicht wirklich ernst nehmen, sonst ist man tatsächlich heillos verloren. Die erste Hälfte ist mit seinen überkandidelten Dialogen ein Klischee-Schmachtfetzen sondergleichen. Da gibts viel zu lachen und eine (unfreiwillig) komische Szene reiht sich an die andere. Als der Film dann in die Wüste vordringt, blitzt dann auch hier und da mal der Herzog auf. Das fängt schon früher bei der Szene mit Franco und Kidman auf einem Turm an, wo die Kamera fasziniert auf Kadaver fressende Geier draufhält und setzt sich dann später in der Welt der arabischen Stämme fort. Das Problem des Films ist dann allerdings aber auch die Tatsache, das er nicht Fisch und nicht Fleisch ist, schwer einzuordnen, uns die Figur der Gertrude Bell nicht wirklich greifbar macht, das historische Epos auf Sparflamme hält und gleichzeitig aber dann doch auf Authentizität pocht und seine biografischen Stationen abhakt. Kurz : Das ist n Epos á la Herzog mit dem man seinen Spaß haben kann, da er sich einerseits der Mechanismen des langweiligen Biopics bedient und sich drüber lustig macht, dies aber nicht immer zu erkennen gibt. Anderseits gelingt es dem Film nicht dem etwas hinzuzufügen, da Herzog seinen Kitsch dafür schon ganz schön ernst nimmt und mit historischen Fakten langweilt. 4-5/10
Einziger Film am Samstag, danach brauchte ich ersteinmal n Glas Rotwein.
Sonntag
Da ich schon vorab den Sonntag umplanen mußte, begann dieser nun mit einem Film, den ich eigentlich gar nicht auf dem Plan hatte.
Umso schöner wenn man dann positiv überrascht wird. Der russische 14+ von Andrei Zaitsev aus der Sektion Generation 14plus ist eine wunderbare Lovestory zwischen einem Jungen und einem Mädchen irgendwo in einer russischen Hochhaussiedlung. Erste große Liebe wird hier mit tollen, sympathischen und ehrlichen Einfällen erzählt. Das ist süß, spannend und macht echt viel Spaß. Kein großer Film und auch hier wird teils auf Klischees zurückgegriffen, doch macht dieser Film dann doch einiges anders. Nett. Kann man sich durchaus ansehen. 6-7/10
Danach dann mein erster Film aus der diesjährigen Retrospektive Glorious Technicolor. Redskin aus dem Jahre 1929 von Victor Scherzinger, der im frühen Technicolor Verfahren III aufgenommen wurde. Zuerst gab es eine kleine Einführung von James Layton, einem der Autoren des begleitenden Buches zur Retrospektive aus dem George Eastman House. Zur musikalischen Untermalung des Stummfilms trug Gabriel Thibaudeau am Piano bei. Als historisches Artefakt für den Einsatz dieses frühen Verfahrens ist dieser Film auch durchaus interessant. Gegenüber der Welt der Indianer wird hier die Welt der Weißen, allerdings aus Kostengründen, in s/w dargestellt, was den kritischen Charakter des Films ziemlich gut unterstreicht. Erzählt wird die Geschichte des Indianers Wing Foot, der später von Richard Dix, dargestellt wird und als kleiner Junge seiner Famillie und seinem Stamm entrissen wird um in ein Umerziehungscamp gesteckt zu werden, wo er mit harter Strenge zu einem Weißen herangezogen wird. Trotz Sporterfolge erlebt er den Rassismus der Weißen auch als Erwachsener und zieht bitter enttäuscht wieder zu seinem Stamm, der ihn allerdings nun ebenfalls als Außenseiter stempelt. Im Exil findet er eine Ölquelle, die nicht nur seinen Stamm vor dem Untergang sondern auch vor einem Krieg mit einem verfeindeten Stamm retten kann. Diese muß erstmal mit Hilfe von weißer Seite gegen gierige Hände verteidigt werden. Achja und eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch noch. Der Film ist recht zwiespältig, da die Toleranz um die er wirbt nur mit Hilfe des weißen Mannes herbeigeführt werden kann. Nichtsdestotrotz zeigt der Film in seinen braunen Erdfarben ein fast dokumentarisches Bild von indianischem Leben und wirft auch einige kritische Fragen im Hinblick auf das Umerziehungsprogramm der Indianer auf, übt Kritik am vorherrschenden Rassimus und wirbt um Toleranz. Letzteres im Zusammenhang mit dem frühen Technicolor machte wohl auch den großen Erfolg des Films damals aus. 6/10
Danach raste ich wie ein Irrer aus dem Kino und legte einen echten Rekord hin um in 15 Minuten vom Potsdamer Platz zum Zeughauskino zu kommen. Um Punkt 22.00 sauste ich in den mäßig gefüllten Saal um mir Anthony Manns The Naked Spur anzuschauen. Ein Film den ich zwar schon zweimal gesehen hatte aber auch noch nie im Kino und noch nie im Original. Tja, was soll man da noch schreiben. Meisterwerk des psychologischen Westerns, welches nicht nur die Pforten zum Spätwestern aufstieß sondern auch schon kräftig den Italo-Western einleutet. In diesem Film gibts mal so gar kein s/w. Alle Charaktere sind zerrissen und zwiegespalten. Hier herrscht nur die Gier nach Geld und ein jeder ist korrumpierbar. Allein das Ende, so tragisch es auch letztlich ist, vermag einen winzigen Lichtblick aus dieser höllischen Reise zu geben. Ein absoluter Hammer in einer glänzend erhaltenen Kopie, was übrigens auf alle Filme zutrift, die ich in der Retro sah. Die stählern blauen Augen von Jimmy Stewart führen hier schnurstracks zu Ethan Edwards aus The Searchers. 10/10
Montag
Der Montag begann am frühen Nachmittag im Delphi. Gezeigt wurde in der Reihe Forum Special Screenings ein Film des japanischen Regisseurs Kon Ichikawa, der mir bislang unbekannt war, von dem ich aber gern mehr sehen würde.
Gezeigt wurde Yukinojo henge (An Actor´s Revenge) von 1963, welcher wiederum ein Remake eines Films von 1935 ist. Der Film, in Breitwand und knalligen Farben erzählt von einem Frauendarsteller des Kabuki Theaters im 19. Jahrhundert, der den Tod und den Ruin seiner Familie rächen will. 3 Männer sind für den Tod seiner Eltern verantwortlich. Mit viel List und Tricks sowie der Tochter einer dieser Männer, die sich in ihn verliebt, wird diese Rache innerhalb des Films vollstreckt und zwar mit den Mitteln des Kabuki-Theaters.
Dabei reflektiert der Film immer wieder das Schauspiel was sich auch in der Rolle von Kazuo Hasegawa spiegelt, der hier in einer Doppelrolle als Kabuki-Darsteller und als Dieb auftritt. Weiterhin verwebt der Film innerhalb seines vollends stilisierten Settings die Möglichkeiten des Theaters mit den Möglichkeiten des Films. Die Ebenen verschmelzen und ein trügerisches, gedoppeltes Spiel wird hier getrieben. Selbst auf der Soundebene treibt der Film diese Verschmelzung voran indem er immer wieder traditionelles mit Jazz paart. Ein unglaublich amüsantes Erlebnis. 8/10
Vom Delphi ging es dann erstmal wieder Richtung Cubix am Alexanderplatz. In der Reihe Berlinale Special wurde der neue Dokumentarfilm von Joshua Oppenheimer gezeigt. The Look of Silence schließt an The Act of Killing an und ist quasi die Fortsetzung. Bot er in seinem Erstlingsfilm den Tätern der Todeschwadrone, die in Indonesien mehr als eine halbe Million Menschen massakriert haben, eine Bühne geht es hier primär um die Opfer. Adi, dessen Bruder damals getötet wurde sucht die Täter und Drahtzieher auf und konfrontiert sie mit deren Taten. Doch alle zeigen sich vollkommen unbeeindruckt. Dabei werden wohl auch Szenen aus The Act of Killing gezeigt, ein Film den ich unbedingt nachholen muss, da dieser nun schon einen schweren Eindruck auf mich machte. Mit einer wahnsinnigen Feinfühligkeit geht dieser Film vor allem in seiner Inszenierung vor. Die Kamera begibt sich dabei auf Wahrheitssuche und wird nie voyeuristisch. Sie zeigt uns über das betroffen machen hinaus aber auch am Ende, was das Medium Film als Wahrheitssucher mit dem Betrachter macht. The Look of Silence denkt dann wahrlich über sich selbst nach und das ist schlichtweg grandios. 8-9/10
Vom Cubix wieder zurück ins Delphi. Gezeigt wurde Strange Victory von Leo Hurwitz, der wie Dalton Trumbo später auch auf der schwarzen Liste während der McCarthy Ära landete. Dabei ist dieser Film von 1948 weniger Dokumentar als mehr Essay-Film. In collagenartiger Form prasselt in schneller Schnittfolge Archivmaterial aus den letzten Tagen des Krieges kombiniert mit Bildern und nachgestellten Szenen, die den aufkeimenden und derzeitigen Rassismus in den USA zeigen. Über alldem ein Kommentar, der die USA als Siegermacht hinterfragt und klarmacht das die Ideen des besiegten Landes im Siegerland USA in Form von alltäglichem Rassismus und vorbestimmter Lebenslaufbahn für die schwarze Bevölkerung weitergären. Der Film ist ein einzigartiges Pamphlet gegen Rassismus und darüber hinaus in seiner filmischen Art schon eine eindrucksvolle Vorwegnahme dessen was der Dokumenarfilm ab den 60ern leisten sollte. Unbedingt ansehen ! 9/10
Dienstag
Am Dienstag dann wieder Programm zu dritt. El Club (Wettbewerb) von Pablo Larrain. In dem Film geht es um eine Gruppe von Priestern, die alle als nicht tolerabel und einsetzbar zusammen mit einer Ordensschwester, die ebenso eine dunkle Vergangenheit besitzt in einem kleinen Haus an der chilenischen Küste leben. Als ein neuer Ankömmling gebracht wird gerät die Idylle aus dem Ruder. Ein Mann steht vor dem Haus und konfrontiert den Neuen mit schweren Vorwürfen. Der Mann sei von dem Priester als kleiner Junge missbraucht worden. Als der Mann immer lauter und mehr ins Detail geht, geben ihm die anderen eine Waffe um ihn zu verscheuchen. Der Priester knallt sich allerdings den Kopf weg. Nach diesem Vorfall wird ein Ermittler der Kirche geschickt, der alle Anwesenden über ihre Vergangenheit und den Vorfall befragen wird. Hermetisch abgeriegelt in seiner Form steuert der Film auf sein Finale, welches doch sehr überraschend daher kommt, ich dem allerdings auch ein wenig zwiespältig gegenüber stehe, da ich nicht genau weiß wie ich diese harmonische Täter/Opfer Gegenüberstellung bewerten soll. Der Film kommt auf jeden Fall recht spannend daher und packt ein ziemlich heißes thematisches Eisen an, welches mit sarkastischem Witz nicht gedämpft wird sondern erst Recht so Richtig zur Geltung kommt. Nicht wirklich gut aber auch weit von einer Mittelmäßigkeit entfernt dafür ist der Film viel zu durchdacht.
6/10
Danach ging es dann vom Zoo Palast zurück ins Cinemaxx am Potsdamer Platz. Nach pädophilen Priestern schon wieder ein hartes Thema "Vergewaltigung unter Jugendlichen". Wir sahen Flocken, der in der Sektion Generation14+ auch den Preis der Jugend Jury holte. Irgendwo in einem klein Dorf im Norden Schwedens. Die Schülerin Jennifer beschuldigt den Mitschüler Alexander sie in der Schultoilette vergewaltigt zu haben. Polizei und Justiz gehen den Fall mit einer Gelassenheit an, die an Gleichgültigkeit grenzt. Derweil entspinnt sich im Dorf eine wahre Hasstirade, die sich nicht gegen den vermeintlichen Täter sondern gegen das Opfer, Jennifer richtet. Der Film kommt wie eine schwedische Antwort auf Vinterbergs Jagten daher, läßt den Zuschauer auch lange Zeit im Unklaren darüber ob die sexuell verwirrte Jennifer nicht doch nur Aufmerksamkeit erlangen wollte. Doch ist dies hier leider nur eine allzu konstruierte und auch unglaubwürdige Oberfläche, da schon sehr bald klar ist wer hier der Täter ist und der Film dennoch weiter rummäandert als wüßte man das nicht. Wie die Hasstiraden allmählich in die Familie eindringen und auch Tochter und Mutter entzweien, so das Jennifer am Ende allein dasteht ist schon klasse. Atmosphärisch springt der Film dann von seiner anfangs dichten Atmosphäre immer wieder um zur Langeweile, da man dem ganzen immer vielfach voraus ist. Dann doch lieber eine klare Täter/Opfer Perspektive wie in Vinterbergs Film. 5/10
Nach dem Film trennten sich unsere Wege wieder und ich fuhr zum Alex um mir im Cubix Mizu no koe o kiku (Voice of Water) von Masashi Yamamoto in der Sektion Forum anzusehen. Das war dann auch die erste und einzige Vollgurke des Festivals bei der ich mehrfach das Gefühl hatte, rauszugehen. Die Geschichte dreht sich um die junge Japanerin Minjong mit koreanischen Wurzeln, die als eine Art Fake-Orakel ihren Zuhören, meist aus Korea, Heilsversprechen gibt, die sie von ihrem Leid befreien sollen. Schon bald ist die Firma derart erfolgreich, das sie mit Geldern von gewitzten Geschäftsmännern aufgepumpt wird. God´s Water, wie die Sekte sich nennt, ist ziemlich erfolgreich. Doch da gibt es noch ihren armseligen Vater, der Schulden bei den Yakuza hat und diese bald in die Geschäfte der Firma mitreinzieht, was zu allerlei Komplikationen führt. Minjong besinnt sich unterdessen auf ihre Wurzeln, die bei ihrer Großmutter liegen, die in Korea eine echte Schamanin war und emanzipiert sich von der falschen Sekte.
Ein ansich interessantes Thema kommt hier in billigsten Digital Bildern daher, gefilmt in nahezu zwei Einstellungen und behandelt sein Thema auf unterstem Soap Niveau. Komisch ist das leider nicht gewesen, selbst die Yakuza Parts, die halt schon gewollte Parodie waren, nervten auf Dauer und der Grund für Minjongs Emanzipation wird auf naivste Weise dargelegt. Allein das Ende ist nett da es so nüchtern daherkommt. Der Look des Films macht aber auch dies zunichte. 3/10
PART 2
Eine Woche Berliner Filmfestspiele Part 1
Also mal wieder von Anfang an : Samstag Mittag mit dem ICE nach Berlin. Der hatte schonmal 15-20 Minuten Verspätung. Kein Grund nervös zu werden. Kurz vor Berlin wurden es dann noch weitere 10 Minuten. Zudem bekam ich die Sms, daß der Nord-Süd Tunnel gesperrt ist. So langsam wurde ich dann doch nervös, da ich den ersten Film für 17.00 am Potsdamer Platz eingeplant hatte. Endlich am HBF ausgestiegen, schnell ein Wochenticket für die Öffis besorgt und dann zum Alex gefahren. Schlüsselübergabe. Um kurz nach 16 Uhr war ich dann in Pankow. Entweder einkaufen um für Sonntag was zum Frühstück zu haben oder schnell zum Potsdamer Platz um die Tickets zu holen und die Vorführung vom russischen Chaiki (The Gulls), Sektion Forum noch zu erwischen, den ich online schon gebucht hatte. Da ich schon so abgehetzt war, entschied ich mich doch fürs Einkaufen und ließ den Film sausen. Gemäßigt fuhr ich dann des Abends zum Potsdamer Platz um meine vorbestellten Tickets zu holen und mußte doch tatsächlich 15 (!!!) Minuten in der Schlange beim Online Ticket Schalter warten, da vor mir zwei Problemfälle standen, die mit ihren Programmen und Reisepässen rumfuchtelten. Oh, Mann, dachte ich nur. Das fängt ja gut an. Nachdem ich dann endlich meine Karten hatte verschlang ich noch den widerlichsten Gemüsewrap, den ich je gegessen hatte und machte mich dann auf in Richtung Friedrichstadtpalast
Samstag
Erster Film der Berlinale sollte dann Werner Herzogs Queen of the Desert werden, den wir dann zu dritt im Folterpalast in der ersten Reihe sahen. Es gibt ja Leute, die gerne in der ersten Reihe sitzen. Ich zähl mich da nicht zu aber da die Reihe mit der Beinfreiheit in der Mitte des Saals belegt war, nahmen wir das in Kauf, zumal man dort noch einen Tuck mehr Beinfreiheit hat als wenn man sich in die anderen Reihen quetscht. Zum Film : Erster Wettbewerbsbeitrag, den ich gesehen habe. Herzog schildert die Geschichte der Britin Gertrude Bell (Nicole Kidman), die es als gebildete junge Frau hinaus in die Wüste zieht. Zuerst nach Teheran, wo sie den Spieler Cadogan (James Franco) kennenlernt und sich verliebt. Als dieser stirbt unternimmt sie Forschungsreisen zu den arabischen Stämmen auf denen sie u.a. auch T.E. Lawrence (Robert Pattinson) kennenlernt. Die verschiedenen Stämme bewundern und verehren sie. Später wird sie maßgeblich an der Neuordnung des Nahen Ostens beteiligt sein. Was sich jetzt hier in dem kurzen Plotriss wie ein Epos liest, wird bei Herzog eher zu einer Karikatur dessen. Man kann den Film nicht wirklich ernst nehmen, sonst ist man tatsächlich heillos verloren. Die erste Hälfte ist mit seinen überkandidelten Dialogen ein Klischee-Schmachtfetzen sondergleichen. Da gibts viel zu lachen und eine (unfreiwillig) komische Szene reiht sich an die andere. Als der Film dann in die Wüste vordringt, blitzt dann auch hier und da mal der Herzog auf. Das fängt schon früher bei der Szene mit Franco und Kidman auf einem Turm an, wo die Kamera fasziniert auf Kadaver fressende Geier draufhält und setzt sich dann später in der Welt der arabischen Stämme fort. Das Problem des Films ist dann allerdings aber auch die Tatsache, das er nicht Fisch und nicht Fleisch ist, schwer einzuordnen, uns die Figur der Gertrude Bell nicht wirklich greifbar macht, das historische Epos auf Sparflamme hält und gleichzeitig aber dann doch auf Authentizität pocht und seine biografischen Stationen abhakt. Kurz : Das ist n Epos á la Herzog mit dem man seinen Spaß haben kann, da er sich einerseits der Mechanismen des langweiligen Biopics bedient und sich drüber lustig macht, dies aber nicht immer zu erkennen gibt. Anderseits gelingt es dem Film nicht dem etwas hinzuzufügen, da Herzog seinen Kitsch dafür schon ganz schön ernst nimmt und mit historischen Fakten langweilt. 4-5/10
Einziger Film am Samstag, danach brauchte ich ersteinmal n Glas Rotwein.
Sonntag
Da ich schon vorab den Sonntag umplanen mußte, begann dieser nun mit einem Film, den ich eigentlich gar nicht auf dem Plan hatte.
Umso schöner wenn man dann positiv überrascht wird. Der russische 14+ von Andrei Zaitsev aus der Sektion Generation 14plus ist eine wunderbare Lovestory zwischen einem Jungen und einem Mädchen irgendwo in einer russischen Hochhaussiedlung. Erste große Liebe wird hier mit tollen, sympathischen und ehrlichen Einfällen erzählt. Das ist süß, spannend und macht echt viel Spaß. Kein großer Film und auch hier wird teils auf Klischees zurückgegriffen, doch macht dieser Film dann doch einiges anders. Nett. Kann man sich durchaus ansehen. 6-7/10
Danach dann mein erster Film aus der diesjährigen Retrospektive Glorious Technicolor. Redskin aus dem Jahre 1929 von Victor Scherzinger, der im frühen Technicolor Verfahren III aufgenommen wurde. Zuerst gab es eine kleine Einführung von James Layton, einem der Autoren des begleitenden Buches zur Retrospektive aus dem George Eastman House. Zur musikalischen Untermalung des Stummfilms trug Gabriel Thibaudeau am Piano bei. Als historisches Artefakt für den Einsatz dieses frühen Verfahrens ist dieser Film auch durchaus interessant. Gegenüber der Welt der Indianer wird hier die Welt der Weißen, allerdings aus Kostengründen, in s/w dargestellt, was den kritischen Charakter des Films ziemlich gut unterstreicht. Erzählt wird die Geschichte des Indianers Wing Foot, der später von Richard Dix, dargestellt wird und als kleiner Junge seiner Famillie und seinem Stamm entrissen wird um in ein Umerziehungscamp gesteckt zu werden, wo er mit harter Strenge zu einem Weißen herangezogen wird. Trotz Sporterfolge erlebt er den Rassismus der Weißen auch als Erwachsener und zieht bitter enttäuscht wieder zu seinem Stamm, der ihn allerdings nun ebenfalls als Außenseiter stempelt. Im Exil findet er eine Ölquelle, die nicht nur seinen Stamm vor dem Untergang sondern auch vor einem Krieg mit einem verfeindeten Stamm retten kann. Diese muß erstmal mit Hilfe von weißer Seite gegen gierige Hände verteidigt werden. Achja und eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch noch. Der Film ist recht zwiespältig, da die Toleranz um die er wirbt nur mit Hilfe des weißen Mannes herbeigeführt werden kann. Nichtsdestotrotz zeigt der Film in seinen braunen Erdfarben ein fast dokumentarisches Bild von indianischem Leben und wirft auch einige kritische Fragen im Hinblick auf das Umerziehungsprogramm der Indianer auf, übt Kritik am vorherrschenden Rassimus und wirbt um Toleranz. Letzteres im Zusammenhang mit dem frühen Technicolor machte wohl auch den großen Erfolg des Films damals aus. 6/10
Danach raste ich wie ein Irrer aus dem Kino und legte einen echten Rekord hin um in 15 Minuten vom Potsdamer Platz zum Zeughauskino zu kommen. Um Punkt 22.00 sauste ich in den mäßig gefüllten Saal um mir Anthony Manns The Naked Spur anzuschauen. Ein Film den ich zwar schon zweimal gesehen hatte aber auch noch nie im Kino und noch nie im Original. Tja, was soll man da noch schreiben. Meisterwerk des psychologischen Westerns, welches nicht nur die Pforten zum Spätwestern aufstieß sondern auch schon kräftig den Italo-Western einleutet. In diesem Film gibts mal so gar kein s/w. Alle Charaktere sind zerrissen und zwiegespalten. Hier herrscht nur die Gier nach Geld und ein jeder ist korrumpierbar. Allein das Ende, so tragisch es auch letztlich ist, vermag einen winzigen Lichtblick aus dieser höllischen Reise zu geben. Ein absoluter Hammer in einer glänzend erhaltenen Kopie, was übrigens auf alle Filme zutrift, die ich in der Retro sah. Die stählern blauen Augen von Jimmy Stewart führen hier schnurstracks zu Ethan Edwards aus The Searchers. 10/10
Montag
Der Montag begann am frühen Nachmittag im Delphi. Gezeigt wurde in der Reihe Forum Special Screenings ein Film des japanischen Regisseurs Kon Ichikawa, der mir bislang unbekannt war, von dem ich aber gern mehr sehen würde.
Gezeigt wurde Yukinojo henge (An Actor´s Revenge) von 1963, welcher wiederum ein Remake eines Films von 1935 ist. Der Film, in Breitwand und knalligen Farben erzählt von einem Frauendarsteller des Kabuki Theaters im 19. Jahrhundert, der den Tod und den Ruin seiner Familie rächen will. 3 Männer sind für den Tod seiner Eltern verantwortlich. Mit viel List und Tricks sowie der Tochter einer dieser Männer, die sich in ihn verliebt, wird diese Rache innerhalb des Films vollstreckt und zwar mit den Mitteln des Kabuki-Theaters.
Dabei reflektiert der Film immer wieder das Schauspiel was sich auch in der Rolle von Kazuo Hasegawa spiegelt, der hier in einer Doppelrolle als Kabuki-Darsteller und als Dieb auftritt. Weiterhin verwebt der Film innerhalb seines vollends stilisierten Settings die Möglichkeiten des Theaters mit den Möglichkeiten des Films. Die Ebenen verschmelzen und ein trügerisches, gedoppeltes Spiel wird hier getrieben. Selbst auf der Soundebene treibt der Film diese Verschmelzung voran indem er immer wieder traditionelles mit Jazz paart. Ein unglaublich amüsantes Erlebnis. 8/10
Vom Delphi ging es dann erstmal wieder Richtung Cubix am Alexanderplatz. In der Reihe Berlinale Special wurde der neue Dokumentarfilm von Joshua Oppenheimer gezeigt. The Look of Silence schließt an The Act of Killing an und ist quasi die Fortsetzung. Bot er in seinem Erstlingsfilm den Tätern der Todeschwadrone, die in Indonesien mehr als eine halbe Million Menschen massakriert haben, eine Bühne geht es hier primär um die Opfer. Adi, dessen Bruder damals getötet wurde sucht die Täter und Drahtzieher auf und konfrontiert sie mit deren Taten. Doch alle zeigen sich vollkommen unbeeindruckt. Dabei werden wohl auch Szenen aus The Act of Killing gezeigt, ein Film den ich unbedingt nachholen muss, da dieser nun schon einen schweren Eindruck auf mich machte. Mit einer wahnsinnigen Feinfühligkeit geht dieser Film vor allem in seiner Inszenierung vor. Die Kamera begibt sich dabei auf Wahrheitssuche und wird nie voyeuristisch. Sie zeigt uns über das betroffen machen hinaus aber auch am Ende, was das Medium Film als Wahrheitssucher mit dem Betrachter macht. The Look of Silence denkt dann wahrlich über sich selbst nach und das ist schlichtweg grandios. 8-9/10
Vom Cubix wieder zurück ins Delphi. Gezeigt wurde Strange Victory von Leo Hurwitz, der wie Dalton Trumbo später auch auf der schwarzen Liste während der McCarthy Ära landete. Dabei ist dieser Film von 1948 weniger Dokumentar als mehr Essay-Film. In collagenartiger Form prasselt in schneller Schnittfolge Archivmaterial aus den letzten Tagen des Krieges kombiniert mit Bildern und nachgestellten Szenen, die den aufkeimenden und derzeitigen Rassismus in den USA zeigen. Über alldem ein Kommentar, der die USA als Siegermacht hinterfragt und klarmacht das die Ideen des besiegten Landes im Siegerland USA in Form von alltäglichem Rassismus und vorbestimmter Lebenslaufbahn für die schwarze Bevölkerung weitergären. Der Film ist ein einzigartiges Pamphlet gegen Rassismus und darüber hinaus in seiner filmischen Art schon eine eindrucksvolle Vorwegnahme dessen was der Dokumenarfilm ab den 60ern leisten sollte. Unbedingt ansehen ! 9/10
Dienstag
Am Dienstag dann wieder Programm zu dritt. El Club (Wettbewerb) von Pablo Larrain. In dem Film geht es um eine Gruppe von Priestern, die alle als nicht tolerabel und einsetzbar zusammen mit einer Ordensschwester, die ebenso eine dunkle Vergangenheit besitzt in einem kleinen Haus an der chilenischen Küste leben. Als ein neuer Ankömmling gebracht wird gerät die Idylle aus dem Ruder. Ein Mann steht vor dem Haus und konfrontiert den Neuen mit schweren Vorwürfen. Der Mann sei von dem Priester als kleiner Junge missbraucht worden. Als der Mann immer lauter und mehr ins Detail geht, geben ihm die anderen eine Waffe um ihn zu verscheuchen. Der Priester knallt sich allerdings den Kopf weg. Nach diesem Vorfall wird ein Ermittler der Kirche geschickt, der alle Anwesenden über ihre Vergangenheit und den Vorfall befragen wird. Hermetisch abgeriegelt in seiner Form steuert der Film auf sein Finale, welches doch sehr überraschend daher kommt, ich dem allerdings auch ein wenig zwiespältig gegenüber stehe, da ich nicht genau weiß wie ich diese harmonische Täter/Opfer Gegenüberstellung bewerten soll. Der Film kommt auf jeden Fall recht spannend daher und packt ein ziemlich heißes thematisches Eisen an, welches mit sarkastischem Witz nicht gedämpft wird sondern erst Recht so Richtig zur Geltung kommt. Nicht wirklich gut aber auch weit von einer Mittelmäßigkeit entfernt dafür ist der Film viel zu durchdacht.
6/10
Danach ging es dann vom Zoo Palast zurück ins Cinemaxx am Potsdamer Platz. Nach pädophilen Priestern schon wieder ein hartes Thema "Vergewaltigung unter Jugendlichen". Wir sahen Flocken, der in der Sektion Generation14+ auch den Preis der Jugend Jury holte. Irgendwo in einem klein Dorf im Norden Schwedens. Die Schülerin Jennifer beschuldigt den Mitschüler Alexander sie in der Schultoilette vergewaltigt zu haben. Polizei und Justiz gehen den Fall mit einer Gelassenheit an, die an Gleichgültigkeit grenzt. Derweil entspinnt sich im Dorf eine wahre Hasstirade, die sich nicht gegen den vermeintlichen Täter sondern gegen das Opfer, Jennifer richtet. Der Film kommt wie eine schwedische Antwort auf Vinterbergs Jagten daher, läßt den Zuschauer auch lange Zeit im Unklaren darüber ob die sexuell verwirrte Jennifer nicht doch nur Aufmerksamkeit erlangen wollte. Doch ist dies hier leider nur eine allzu konstruierte und auch unglaubwürdige Oberfläche, da schon sehr bald klar ist wer hier der Täter ist und der Film dennoch weiter rummäandert als wüßte man das nicht. Wie die Hasstiraden allmählich in die Familie eindringen und auch Tochter und Mutter entzweien, so das Jennifer am Ende allein dasteht ist schon klasse. Atmosphärisch springt der Film dann von seiner anfangs dichten Atmosphäre immer wieder um zur Langeweile, da man dem ganzen immer vielfach voraus ist. Dann doch lieber eine klare Täter/Opfer Perspektive wie in Vinterbergs Film. 5/10
Nach dem Film trennten sich unsere Wege wieder und ich fuhr zum Alex um mir im Cubix Mizu no koe o kiku (Voice of Water) von Masashi Yamamoto in der Sektion Forum anzusehen. Das war dann auch die erste und einzige Vollgurke des Festivals bei der ich mehrfach das Gefühl hatte, rauszugehen. Die Geschichte dreht sich um die junge Japanerin Minjong mit koreanischen Wurzeln, die als eine Art Fake-Orakel ihren Zuhören, meist aus Korea, Heilsversprechen gibt, die sie von ihrem Leid befreien sollen. Schon bald ist die Firma derart erfolgreich, das sie mit Geldern von gewitzten Geschäftsmännern aufgepumpt wird. God´s Water, wie die Sekte sich nennt, ist ziemlich erfolgreich. Doch da gibt es noch ihren armseligen Vater, der Schulden bei den Yakuza hat und diese bald in die Geschäfte der Firma mitreinzieht, was zu allerlei Komplikationen führt. Minjong besinnt sich unterdessen auf ihre Wurzeln, die bei ihrer Großmutter liegen, die in Korea eine echte Schamanin war und emanzipiert sich von der falschen Sekte.
Ein ansich interessantes Thema kommt hier in billigsten Digital Bildern daher, gefilmt in nahezu zwei Einstellungen und behandelt sein Thema auf unterstem Soap Niveau. Komisch ist das leider nicht gewesen, selbst die Yakuza Parts, die halt schon gewollte Parodie waren, nervten auf Dauer und der Grund für Minjongs Emanzipation wird auf naivste Weise dargelegt. Allein das Ende ist nett da es so nüchtern daherkommt. Der Look des Films macht aber auch dies zunichte. 3/10
PART 2