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Short Cuts





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Brazil (Terry Gilliam) UK 1985



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Brazil


"Ich wollte damals alles in diesen einen Film quetschen, was ich später in vielen anderen noch unterbringen konnte" Terry Gilliam

Bei dem Mateiral was Gilliam hatte, wäre "Brazil" auch ein 5 Stunden Werk geworden.
Es sollte dann auch noch zu einem langwierigen und schwierigen Kampf mit Universal Boss "Sid Sheinberg" kommen. Letztendlich floppte "Brazil" gewaltig an den Kinokassen und bekam, wie so oft, erst später die Huldigungen, die ihm definitiv zustehen.

Und dennoch :

Ein bißchen "too much" und "over the top", überfrachtet sagen die einen. Die anderen sagen ein "Meisterwerk".
Ich befinde mich nach der wohl 4. Sichtung dieses Films dazwischen in Richtung letztem Ausspruch.
Fest steht, dass Terry Gilliam mit Brazil einen der wohl eigenartigsten und interessantesten Science-Fiction Filme der 80er Jahre gedreht hat. Für mich ist Brazil auch immer noch Gilliams bester Film.

Diese Story vom kleinen Beamten Sam Lowry (Jonathan Pryce), der in die Mühlen eines kafkaesken und orwellschen Überwachungstaates und letztendlich dem bürokratisch organisierten Folterapparat zum Opfer fällt, ist eine schwer zu fassende Mixtur aus absurder, bitterböser Komik und düsterstem Alptraum.

Das Stedesign, die Ästhetik, der Soundtrack

Das Setdesign von "Brazil" weißt eine durchbürokratisierte aber ziemlich marode Welt auf.
"Gilliam" verstößt gegen eine übliche, glatte und futuristische Oberflächenästhetik.
Die Technik in diesem dystopischen Überwachungsstaat ist total veraltet und ziemlich fehleranfällig.
Das geht von Lowrys (Jonathan Pryce) futuristischer Küchenausstattung über den sinnlosen, wuchernden Kabelwald bis hin zu den Rohrsystemen, die alles mit allem verbinden.
Sogar die Computer sehen aus wie altertümliche Schreibmaschinen mit nem Spiegel als Monitor.

Dies alles verbindet "Gilliam" mit einem wahnsinnigen Crossover Mix aus der Filmgeschichte.

Die Ästhetik des deutschen Expressionismus (Schatten, verwinkelte Räume) geht über in die des Film-Noir (Kleidung im 40er Jahre Stil) und vermischt sich mit der Action-Dramartugie des Agenten und Action Films der 70er und 80er Jahre.
Gegen Ende gibt es noch eine kleine Reminiszenz an Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin".

Was die Tonspur angeht, so ist auch diese eine einzige Collage aus typischen Genreversatzstücken.
Besonders Musical, Liebes und Gangsterfilm der 40er und 50er Jahre werden hier mit themenähnlichen Stücken zu einem ganzen verarbeitet.

Figurenzeichnung

In "Brazil" ist fast jede Figur auf karikative Weise angelegt. "Gilliam" rechnet hier mit so ziemlich jeder Figur eines bürokrativen Gewerbes ab.
In einem früheren Interview sagte "Gilliam" einmal das "Brazil" für ihn auch die konsequente Verarbeitung seiner Erfahrungen in einem großen Werbebüro gewesen sei. "Es war die Hölle" !

Selbst Lowry´s Mutter, die in jeder Szene einen anderen Schuh auf dem Kopf trägt und nichts anderes zu tun hat, als ihren körper mit Hilfe der plastischen Chirurgie zu verjüngen, ist eine einzige , bösartige Karikatur auf ältere Frauen, die in heutiger Zeit wieder umso aktueller ist.

Sogar Sam Lowry (Jonathan Pryce) ist letztendlich Gefangener seiner selbst. Und Teil dieses Systems aus welchem er auszubrechen versucht.

Die EINZIGE, die in "Brazil" völlig normal und als vollwertiger Mensch und nicht nur als Figur agiert ist Jill Layton (Kim Greist).
Was insofern schon wieder bemerkenswert ist, denn wir lernen Jill zunächst als Bestandteil eines Traums kennen. Ein Traum, der Wirklichkeit wird.

Traumwelten

Die Verbindung von zwei Ebenen (Traum, Vision, erzähltes und filmischer Wirklichkeit) zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk von "Terry Gilliam". Evtl. Mit Ausnahme der frühen Monty Python Filme.
In Brazil verfließen die beiden Ebenen auch immer mehr ineinander bis es zum bitteren Ende kommt und unser kleiner Büroangestellte zum Schluß in der Folterarena seines Freundes "Jack Lint" (Michael Palin) sitzt.

In dieser Welt kann ein Mann wie "Sam Lowry" sich nur noch in sein Refugium zurückziehen. In das einzige was ihm nicht genommen werden kann.
Sein Innerstes.

Wenigstens dort in seiner Traumwelt gelingt es ihm zusammen mit dem Schwarzarbeiter-Terroristen "Harry Tuttle" (Robert De Niro) dem System einen kräftigen Schlag zu versetzen.
Wenigstens dort hat der kleine Mann gesiegt.


"He´s gotta away from us Jack"

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P.S. : Es gibt auch Stimmen, die "Brazil" als reinen "Traum" verstehen wollen.
"Gilliam" macht es einem damit auch nicht gerade einfach.
Für mich steht dies allerdings nicht zur Debatte.

10/10

Dystopie Science-Fiction Terry Gilliam Traum Michael Palin Jonathan Pryce Farce Satire Orwell Kafka Überwachung Bürokratie



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