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Dem Publikum eine Idee einpflanzen
von djmacbest ·
29 Dezember 2010
Kategorie:
Film
Aufrufe: 1.673
INCEPTION
Christopher Nolan, 2010
Da sieht man einmal, was die Beinahe-Abwesenheit von den filmforen mit mir anstellt. Vielleicht ist es auch schon das erste Anzeichen von Altersmilde, aber ich kann mich den hier im Forum vorherrschenden Vorwürfen gegen Nolan und den Film jedenfalls nicht anschließen. Und dabei reagiere ich selbst besonders empfindlich auf das Gefühl, von einem Film für dumm verkauft zu werden, wenn mir dieser Komplexität für Deppen andrehen will.
Nur: Ich kann diesen Vorwurf gegen INCEPTION einfach nicht unterschreiben. Obwohl ich ihn sogar nachvollziehen kann. Der mickrige Realitäts-Diskurs ist für den hohlen Zahn und natürlich in keiner Weise neu, und schon in tausend Filmen gesehen und überhaupt und unsubtil und sowieso. Moment, unsubtil? Wirklich? Ja, jeder Idiot bemerkt, spätestens beim nur vielleicht umfallenden Kreisel, dass man sich hier nicht ganz sicher sein kann und soll. Aber bloß, weil er unmissverständlich klarstellt, worum es hier geht, ist das doch nicht gleich fehlende Subtilität, jedenfalls nicht nach meinem Verständnis. Nolan begeht - und genau das unterscheidet ihn von Bulldozern wie Michael Bay, Roland Emmerich oder Zack Snyder - nie den Fehler, seinen Diskurs in die narrative Ebene hinüberzuziehen. Natürlich spannt er sich aus dieser auf, aber er bleibt - wenn auch im Falle von INCEPTION nur haarfein - von ihr getrennt, ist immer noch das Resultat einer - ja, ja: meinetwegen viel zu naheliegenden - Interpretation. Nur einmal, als erklärt wird, welchen Zweck das Totem erfüllt, formuliert sich der "philosophische Überbau" kurz.
In Ordnung, besagter Diskurs - was ist real und was nicht - ist bei Licht betrachtet natürlich keiner, oder er wird wenigstens nicht durch diesen Film befeuert. Diesem Vorwurf kann ich mich schon auch uneingeschränkt anschließen. Aber ist das - neben der Erzählung - wirklich die einzige Ebene, auf der INCEPTION funktioniert? Spricht er nicht - mal so ein Schnellschuss ins Blaue - auch über Ideen und ihre Entstehung, über Sozialisation und Individualität, über die Subjektivität von Zeit und Zeitempfinden, über - da schließt sich der Kreis ein wenig - die Realität von Beziehungen? Das sind natürlich alles ebenso hohle Stichworte, die ich hier grade in den Raum werfe, das ist mir schon klar. Aber warum sich alle kritischen Rezensenten ausgerechnet an dem einen Thema abarbeiten, das INCEPTION schon direkt in der Narration erwähnt, aber jede andere mögliche Interpretationsidee völlig unter den Tisch fallen lassen, weil Nolan sie eben nicht explizit vorschlägt, das ist mir ein Rätsel. Hochgradig seltsam finde ich dann, wenn die gleichen kritischen Zuschauer es dem Film einerseits anlasten, den billigen Monodiskurs seinem Publikum gleich aufzuzwängen, sich aber gleichzeitig von genau dieser Expliziertheit das verschleiern lassen, was sie bei anderen Filmen allzu gerne aus den Tiefen des Subtextes heraustauchen.
Ich mein, bitte: Ist ausgerechnet INCEPTION, dem man in diversen Kritiken mit Freud kommen musste - mal positiv, mal negativ, ganz wie es dem jeweiligen Autoren gerade in den Kram gepasst hat - jetzt wirklich so arm an Subtexten, wie man sich hier einig zu sein scheint? Ich weiß nicht, ob man die Vorwürfe, die man an Nolans Film richtet, nicht eher auf die Kritiker zurückspiegeln kann, denn genug Stoff und Komplexität, um auch sie wenigstens theoretisch zufrieden stellen zu können, bietet INCEPTION durchaus.
Mal ein Vorschlag, ein Beispiel: Da geht es um die Einpflanzung von Ideen, und schon der Filmtitel bezeichnet dieses Konzept, und dann pflanzt der Film (Ist ein Film, speziell dieser Film, eigentlich von seiner Konstruktion etwas anderes als genau die Träume, wie er selbst sie beschreibt? Voll von Projektionen, verschachtelten Ebenen, Suggestion, geschaffen von einem Eindringling und Architekten, sorgsam aufgebaut, als "maze", als Irrgarten, in dem sich sein Opfer verlaufen soll? Einmal beschreibt diCaprio ja sogar, dass man sich in Träumen oft in einer Situation wiederfindet, ohne sich an den Weg dahin erinnern zu können - ganz wie im Film, in diesem wie in anderen, Schnitttechnik und -stil sei dank...) offenbar sämtlichen Zuschauern die Idee ein, dass es in ihm selbst nur um dieses eine Thema gehen soll? Bin ich der einzige, der das Funktionieren dieses kleinen Meta-Kniffs für einen mittleren Geniestreich hält?
Wenn ich INCEPTION etwas vorwerfen will, dann höchstens, dass er zu vielen gefallen will, und man ihm diese Krampfhaftigkeit auch anmerkt. Einige Kanten mehr hätte der Film durchaus vertragen können, und auch das etwas unentschlossene Oszillieren zwischen Schauwerten und Inhalt, ohne diese beiden Ebenen so richtig unverzichtbar miteinander zu verknüpfen, ist nicht gerade seine Stärke. Und, natürlich: INCEPTION ist schon auch Anspruch für Deppen, da will ich gar nicht widersprechen. Aber dass all die Nicht-Deppen da draußen nicht bemerken, dass auch sie zu seinem Publikum gehören könnten, wenn sie nur über diese erste Stufe hinaussehen könnten, das kann man Nolan und seinem Film nicht anlasten.
"Wenn ich INCEPTION etwas vorwerfen will, dann höchstens, dass er zu vielen gefallen will." Aber genau dieser Vorwurf ist auch seine größte Stärke. Denn Nolan schafft mit all seinen Filmen - vielleicht nehmen wir FOLLOWING aus - genau das: Sie sind der perfekte Brückenschlag zwischen Blockbuster und Arthaus, zwischen Multiplex und Programmkino. Nimm INCEPTION das gewaltige Budget und Marketing, und lass ihn OmU auf den Filmfesten dieser Welt laufen, und ich wette, dass einige der gleichen Autoren, die ihn jetzt hassen, plötzlich mindestens mögen, wenn nicht gar feiern würden. Nolans Filme können allen gefallen, funktionieren eben sowohl auf narrativer Hirn-aus-Action-geil-Ebene, als auch als intellektuelle Inspiration. INCEPTION ist vielleicht nicht das allerbeste Beispiel in seinem Werk - dafür würde ich PRESTIGE halten -, aber stellt auch keine negative Ausnahme dar.
Christopher Nolan Traum Trotz
Christopher Nolan, 2010
Da sieht man einmal, was die Beinahe-Abwesenheit von den filmforen mit mir anstellt. Vielleicht ist es auch schon das erste Anzeichen von Altersmilde, aber ich kann mich den hier im Forum vorherrschenden Vorwürfen gegen Nolan und den Film jedenfalls nicht anschließen. Und dabei reagiere ich selbst besonders empfindlich auf das Gefühl, von einem Film für dumm verkauft zu werden, wenn mir dieser Komplexität für Deppen andrehen will.
Nur: Ich kann diesen Vorwurf gegen INCEPTION einfach nicht unterschreiben. Obwohl ich ihn sogar nachvollziehen kann. Der mickrige Realitäts-Diskurs ist für den hohlen Zahn und natürlich in keiner Weise neu, und schon in tausend Filmen gesehen und überhaupt und unsubtil und sowieso. Moment, unsubtil? Wirklich? Ja, jeder Idiot bemerkt, spätestens beim nur vielleicht umfallenden Kreisel, dass man sich hier nicht ganz sicher sein kann und soll. Aber bloß, weil er unmissverständlich klarstellt, worum es hier geht, ist das doch nicht gleich fehlende Subtilität, jedenfalls nicht nach meinem Verständnis. Nolan begeht - und genau das unterscheidet ihn von Bulldozern wie Michael Bay, Roland Emmerich oder Zack Snyder - nie den Fehler, seinen Diskurs in die narrative Ebene hinüberzuziehen. Natürlich spannt er sich aus dieser auf, aber er bleibt - wenn auch im Falle von INCEPTION nur haarfein - von ihr getrennt, ist immer noch das Resultat einer - ja, ja: meinetwegen viel zu naheliegenden - Interpretation. Nur einmal, als erklärt wird, welchen Zweck das Totem erfüllt, formuliert sich der "philosophische Überbau" kurz.
In Ordnung, besagter Diskurs - was ist real und was nicht - ist bei Licht betrachtet natürlich keiner, oder er wird wenigstens nicht durch diesen Film befeuert. Diesem Vorwurf kann ich mich schon auch uneingeschränkt anschließen. Aber ist das - neben der Erzählung - wirklich die einzige Ebene, auf der INCEPTION funktioniert? Spricht er nicht - mal so ein Schnellschuss ins Blaue - auch über Ideen und ihre Entstehung, über Sozialisation und Individualität, über die Subjektivität von Zeit und Zeitempfinden, über - da schließt sich der Kreis ein wenig - die Realität von Beziehungen? Das sind natürlich alles ebenso hohle Stichworte, die ich hier grade in den Raum werfe, das ist mir schon klar. Aber warum sich alle kritischen Rezensenten ausgerechnet an dem einen Thema abarbeiten, das INCEPTION schon direkt in der Narration erwähnt, aber jede andere mögliche Interpretationsidee völlig unter den Tisch fallen lassen, weil Nolan sie eben nicht explizit vorschlägt, das ist mir ein Rätsel. Hochgradig seltsam finde ich dann, wenn die gleichen kritischen Zuschauer es dem Film einerseits anlasten, den billigen Monodiskurs seinem Publikum gleich aufzuzwängen, sich aber gleichzeitig von genau dieser Expliziertheit das verschleiern lassen, was sie bei anderen Filmen allzu gerne aus den Tiefen des Subtextes heraustauchen.
Ich mein, bitte: Ist ausgerechnet INCEPTION, dem man in diversen Kritiken mit Freud kommen musste - mal positiv, mal negativ, ganz wie es dem jeweiligen Autoren gerade in den Kram gepasst hat - jetzt wirklich so arm an Subtexten, wie man sich hier einig zu sein scheint? Ich weiß nicht, ob man die Vorwürfe, die man an Nolans Film richtet, nicht eher auf die Kritiker zurückspiegeln kann, denn genug Stoff und Komplexität, um auch sie wenigstens theoretisch zufrieden stellen zu können, bietet INCEPTION durchaus.
Mal ein Vorschlag, ein Beispiel: Da geht es um die Einpflanzung von Ideen, und schon der Filmtitel bezeichnet dieses Konzept, und dann pflanzt der Film (Ist ein Film, speziell dieser Film, eigentlich von seiner Konstruktion etwas anderes als genau die Träume, wie er selbst sie beschreibt? Voll von Projektionen, verschachtelten Ebenen, Suggestion, geschaffen von einem Eindringling und Architekten, sorgsam aufgebaut, als "maze", als Irrgarten, in dem sich sein Opfer verlaufen soll? Einmal beschreibt diCaprio ja sogar, dass man sich in Träumen oft in einer Situation wiederfindet, ohne sich an den Weg dahin erinnern zu können - ganz wie im Film, in diesem wie in anderen, Schnitttechnik und -stil sei dank...) offenbar sämtlichen Zuschauern die Idee ein, dass es in ihm selbst nur um dieses eine Thema gehen soll? Bin ich der einzige, der das Funktionieren dieses kleinen Meta-Kniffs für einen mittleren Geniestreich hält?
Wenn ich INCEPTION etwas vorwerfen will, dann höchstens, dass er zu vielen gefallen will, und man ihm diese Krampfhaftigkeit auch anmerkt. Einige Kanten mehr hätte der Film durchaus vertragen können, und auch das etwas unentschlossene Oszillieren zwischen Schauwerten und Inhalt, ohne diese beiden Ebenen so richtig unverzichtbar miteinander zu verknüpfen, ist nicht gerade seine Stärke. Und, natürlich: INCEPTION ist schon auch Anspruch für Deppen, da will ich gar nicht widersprechen. Aber dass all die Nicht-Deppen da draußen nicht bemerken, dass auch sie zu seinem Publikum gehören könnten, wenn sie nur über diese erste Stufe hinaussehen könnten, das kann man Nolan und seinem Film nicht anlasten.
"Wenn ich INCEPTION etwas vorwerfen will, dann höchstens, dass er zu vielen gefallen will." Aber genau dieser Vorwurf ist auch seine größte Stärke. Denn Nolan schafft mit all seinen Filmen - vielleicht nehmen wir FOLLOWING aus - genau das: Sie sind der perfekte Brückenschlag zwischen Blockbuster und Arthaus, zwischen Multiplex und Programmkino. Nimm INCEPTION das gewaltige Budget und Marketing, und lass ihn OmU auf den Filmfesten dieser Welt laufen, und ich wette, dass einige der gleichen Autoren, die ihn jetzt hassen, plötzlich mindestens mögen, wenn nicht gar feiern würden. Nolans Filme können allen gefallen, funktionieren eben sowohl auf narrativer Hirn-aus-Action-geil-Ebene, als auch als intellektuelle Inspiration. INCEPTION ist vielleicht nicht das allerbeste Beispiel in seinem Werk - dafür würde ich PRESTIGE halten -, aber stellt auch keine negative Ausnahme dar.
Christopher Nolan Traum Trotz
Im Übrigen wollte ich hauptsächlich zum Ausdruck bringen, wie schön ich es finde, dass du ein neues FTB aufgemacht hast. Möge es rasch wachsen und gedeihen