Afgrunden / Abgründe
(Dänemark 1910, Urban Gad)
Die Geschichte von ABGRÜNDE ist Exploitation durch und durch: Magda, eine junge Frau (Asta Nielsen), verbringt den Sommer auf einem ländlichen Pfarrsitz mit ihrem Verlobten. Als im
Dorf der Zirkus Station macht, findet die Frau gefallen am Künstlerleben und brennt mit dem Darsteller einer Cowboy-Bühnenshow durch. Dies ist der Beginn des Abstiegs in den
Abgrund, an dessen Ende ein Mord stehen wird. Dargestellt wird dieser Wechsel von der guten auf die böse Seite schön durch Farbsymbolik: Die Nielsen trägt zu beginn immer weiße
Kleider. Als der Cowboy sie auf ihrem Zimmer überrascht, um sich mit ihr davon zu machen, wirft sie sich einen schwarzen Umhang über und wird von da an Schwarz nicht mehr
ablegen.
Interessant an der Geschichte ist die Figur der Magda. Sie wird nicht gewaltsam entführt, sondern zieht freiwillig mit dem Zirkus fort, gelangweilt vom Leben auf
dem faden Pfarrhaus mit ihrem faden Mann. Sie ist eigentlich weniger Opfer, sondern (zumindest auch) Täterin, Verführerin (die berühmte Tanzszene! - aber dazu gleich), Femme fatale. Die Nielsen ist ziemlich gut in der Rolle und definitiv der Star des Films. Ich habe mal einen Ausschnitt aus DIE FILMPRIMADONNA von 1913 gesehen (leider nur noch als Fragment
erhalten), in dem sie mich aber richtig umgehauen hat.
Noch kurz zu der Tanzszene: Magda, jetzt Teil einer Bühnenshow, zeigt eine Nummer, in der sie ihren Cowboy-Partner mit einem Lasso fesselt um sich anschließend im engen
Kleid lasziv an seinem Körper zu reiben. Es ist zwar keine nackte Haut zu sehen, sonst bleibt aber wenig der Phantasie überlassen. Interessant ist auch, wie dieser
Tanz inszeniert ist. Die Kamera ist dabei auf der Seite der Bühne positioniert, das Publikum ist somit rechts, außerhalb des Bildes. Dennoch ist der ganze Tanz in die Richtung
der Kamera ausgerichtet, also nicht für das (fiktionale) Publikum gespielt, sondern voll für die Kamera und somit das Kinopublikum. Man könnte hier vielleicht eine Verbindung zu THE GREAT TRAIN ROBBERY ziehen (siehe Kollege Short Cut), der ja auch mit dem Bild des in die Kamera schießenden Cowboys plötzlich die (relativ) geschlossene Filmwelt aufbricht (auch wenn es da deutlich
stärker heraussticht). Davon abgesehen geht mir, als Fan von Jess Franco, bei solchen Bühnenshows in Filmen immer das Herz auf.
Man könnte auch noch anmerken, dass der Film mit – für heutige Verhältnisse ungewöhnlichen - 37 Minuten Laufzeit ein Zwischending von Kurzfilm und abendfüllenden Spielfilm darstellt. Weiß eigentlich jemand, wann sich die fast weltweit verbreitete Standardzeit von 90 – 120 Minuten wirklich durchgesetzt hat? (und warum eigentlich genau diese Dauer?). Wenn ich mir die Filmographie von Asta Nielsen ansehe, so finden sich bis in die frühen 1920er noch Filme, die "nur" um eine Stunde lang sind.
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