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Restekiste

Mediale Prokrastination




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Fallen Angels (Wong Kar-Wai, 1995)



Ich habe es befürchtet. FALLEN ANGELS geht an meiner ins Unermessliche gesteigerten Erwartungshaltung ein. Mit vernünfigerer Fassung des Films ausgestattet, stürzte ich mich heute in den zweiten Versuch. Vorweg: Leider habe ich die peckinpahische Melancholie dieses Mal vergeblich gesucht; es blieb bei der im Ersteintrag beschriebenen Szene. Das macht aber nichts, da der Film genug Anderes zu bieten hat und der erste Shoot-Out - Peckinpah hin oder her - eine elendig raffiniert zurechtgeschnittene Kiste bleibt, an der ich mich hoffentlich niemals werde sattgucken können.

Viele Spiegel. Und Menschen darin. Doch kaum einmal schauen die Reflektierten hinein. Das eigene Spiegelbild als einzige Gefährtenkonstante im Wust der gespenstisch ausgeleuchteten Großstadt. Doch genug des impressionistischen Kurzsatzgehabes: Die Verfremdungsmittel in FALLEN ANGELS sind in ihrer Häufung höchst bemerkenswert. Viele indirekte Wahrnehmungen etwa über besagte Spiegelbilder, gebrochene Gesichter im Kneipenqualm, Farb- bzw. SchwarzWeiß-Spielereien, aufgebrochen-verwinkelte Perspektiven, noch stärkerer Einsatz von Diagonalen als in CHUNGKING EXPRESS undsoweiterundsofort. Kann überhaupt noch von einer zuverlässigen diegetischen Umgebung gesprochen werden? Könnte in einer solchen Umgebung ein seit seiner Kindheit stummer Mensch mit der Stimme eines Erwachsenen als Erzählstimme durch seine eigene Episode führen? Wo verschmelzen die Sehnsüchte der Spiegelprojektion mit den tatsächlichen Handlungsorten?

Kein Zweifel: FALLEN ANGELS schmeißt einem so Vieles entgegen, das meine Neugier weckt, die Hoffnung in mir aufflammen lässt, in Wong Kar-Wai meine erste echte filmische Goldgrube seit Werner Herzog und davor Jim Jarmusch gefunden zu haben. Allein so richtig mitgerissen hat mich FALLEN ANGELS nicht. Ich empfand die Handlung um den Stummen als unheimlichen Ballast für den Film, die Episode um den desillusionierten Auftragsmörder (man verzeihe mir, dass ich mir die ganzen Namen nicht zu merken in der Lage bin - ist immer und bei den meisten Filmen so) hat mich rein auf der Affektebene stärker gepackt. Die allmähliche Verschwurbelung seiner selbst und der Partnerin (zunächst geht man noch einzeln den zukünftigen Tatort ab, danach lässt der Schnitt die einzelnen Gänge zu einem einzigen verschmelzen, später Parallelisierung im Sexualakt) schien mir so wohlfein gelungen, dass mich der zweite Handlungsstrang komplett rausgerissen und beinahe schon genervt hat in seiner Hektik, die von seinen Figuren ausgeht, die zwar als Kontrapunkt zur sonstigen Ruhe wahrscheinlich funktioniert, aber heute vielleicht einfach nicht das Richtige für mich war.

Einer dieser Filme wohl, bei denen in der Summe einiger Einzelteile das meiste stimmt, ihre Verschwurbelung aber nicht immer gelingt.

Ich bleibe trotzdem am Ball.




Ein Auf und Ab. :D

Wie meinst du das mit 'zuverlässig diegetische Umgebung' ? Ich musste das eben als analytischer Banause nachschlagen, werde aber in Bezug auf den Film nicht recht schlau daraus. Also mutmaßend worauf du hinaus willst, würde ich argumentieren, dass doch das ständig visuell ausgefallene in seiner Vielfalt wiederum einen durchgängigen Stil kreiert (wenn man einen Schritt Abstand davon nimmt und nicht Szene für Szene betrachtet).

Und: Ich muss den schleunigst auch mal wieder sehen. Dein zweiter Abschnitt hat mich ganz wuschig gemacht. :kork:
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Die Frage nach 'zuverlässiger diegetischer Umgebung' bedeutet - ohne sperriges Narratologiegeschwafel (schwere Berufskrankheit!) - in diesem Fall soviel wie: Präsentiert der Film überhaupt eine in ihrer dargestellten Form vorstellbare und nachvollziehbare Erzählwelt bzw. beißt sich diese Darstellung mit dem Erzählten? Es geht weniger um die Frage nach einem stringenten ästhetischen Programm (was der Film, wie du anmerkst, ganz ohne Zweifel aufweist!), sondern danach, ob durch die angewendeten Verfremdungsmittel der Eindruck entstehen könnte, die Figuren würden sich das Ganze nur einbilden oder in sonstigen Träumereien versinken. Die indirekte Darstellung der Figuren, die relative Blässe der Bilder, die rauchige Umgebung in den Restaurants und Kneipen sind meines Erachtens ein Indiz dafür, dass sich die Figuren (wenn sie das alles schon nicht träumen, wofür ich auch narratologisch ehrlich gesagt nicht den geringsten Anhaltspunkt sehe) zumindest in einer Schwellensituation zwischen Realität und Traum befinden, deren Projektionsfläche wiederum die Anonymität und Isolation der Großstadt darstellt. Verstehe meine Wortwahl als kläglichen Versuch, das Konzept des unzuverlässigen Erzählens auf die reine Bildebene eines Films anzuwenden (ich bin in meiner Studienrealität eher ein Herr des gedruckten Wortes ;) ). Jeder halbwegs geübte Filmscholast wird mir dies mit Leichtigkeit um die Ohren hauen können, weshalb ich dringend davon abrate, die von mir benutzte Terminologie der 'zuverlässigen diegetischen Umgebung' auswendig zu lernen oder - noch schlimmer - in anderen Zusammenhängen als diesem FTB-Eintrag zu benutzen! :D
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Danke für deine Mühe. :)

Aber das will nicht wirklich an mich ran. Wie in der letzten Diskussion mit bekay, fällt es mir schwer, die 'Verfremdungsmittel' weniger in einer Realität verankert zu sehen, als jetzt zB 'clean' gehaltene US-Einstellungen. Ich vermute ja immer noch, dass das nur eine Frage der Konditionierung ist, bzw. in der Erfahrung begraben liegt, mit hauptsächlich visuell einfach gehaltenen Filmen konfrontiert worden zu sein. Davon nehme ich mich natürlich nicht aus, nur laden mich Filme wie Falling Angels zum Treiben ein, und ich könnte mich wohl nicht ganz so gut auf den Ritt einlassen, wenn ich so etwas in einem Kontrast zu konventionellen Filme betrachte, also das Andere als bewusste Abweichung aufnehme. Hm. Schwieriges Ding; möchte auch nicht zu viel Bullshit von mir geben, da mir schon bewusst ist, dass das ein wenig von der Planung eines Films abweicht und Filmtheorie nicht berücksichtigt, die entstanden ist, durch tausende Fachmenschen, von denen jeder Einzelne wohl einen besseren Plan als ich besaß/-sitzt. Mein heimlicher Verdacht ist stets, dass sich zu viel an US-Filmen orientiert wird, und das dann zum Usus erklärt wird. Mein Einwand wäre hierbei, dass die Filmgeschichte schon von Anfang an durch zB Méliès und später durch den deutschen Expressionismus nicht wirklich von der sogenannten Realität geprägt war. Dadurch stellt sich mir die Frage, wie man Realität im Film ausmachen soll? Ist nicht jeder Film eine Traumwelt?
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Dass jeder Film eine Traumwelt darstellt, ist mir persönlich ein etwas zu esoterischer Ansatz, aber dies soll nicht das Thema sein. Ist wahrscheinlich ohnehin nur eine Frage der Wortwahl.

Zur Realität und ihrer Verfremdung: Mir geht es gar nicht so sehr darum, hier eine wie auch immer geartete 'filmische Normalrealität' zu definieren, von der alle Abweichungen als Verfremdung gelten. Ich funktioniere da ganz grob und an Willkür grenzend: Wilde Schnitte oder verwinkelte Kamera wie zuweilen in FALLEN ANGELS werte ich nichtmal als Verfremdung, weil die Bilder ja dennoch noch ihren Inhalt einigermaßen naturalistisch abbilden, wenn auch aus vielleicht ungewohnten Perspektiven. Wenn aber ein Gesicht (auf welchem Wege auch immer) verwischt, gebrochen oder sogar durch Farbspielereien, die nicht auf irgendein 'source light' zurückzuführen sind, das Bild z.B. plötzlich schwarzweiß wird, sorgt das bei mir schon für einen verfremdenden Effekt, mit oben genannten Konsequenzen. Das vielleicht noch zur Aufhellung meiner Erklärung.
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