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Restekiste

Mediale Prokrastination




Foto

Smog (Wolfgang Petersen, 1973)



Wieder so ein mediales Großereignis, bei dem mancher entsetzter Zuschauer dem halbdokumentarischen Stil des Films auf den Leim gegangen sein und beim ausstrahlenden Sender angerufen haben soll, um sich nach dem Ernst der Lage zu erkundigen. Sei es nun Welles' Hörspielfassung von WAR OF THE WORLDS, die viele US-Bürger in Panik versetzt haben soll oder das ebenso wie SMOG aus der Feder Wolfgang Menges stammende MILLIONENSPIEL, an dessen nächster Sendung sich übermütige Draufgänger im Anschluss an die Ausstrahlung gern beteiligt hätten, um selbst eine Million Mark im Kampf mit Didi Hallervorden erbeuten zu können. Ich weiß nicht so recht, was von solchen Medienmythen zu halten ist, zumal doch gerade DAS MILLIONENSPIEL oder auch der gestern gesehene SMOG etliche Szenen enthält, die dem Format einer Spielshow oder in diesem Fall einer Katastrophenberichterstattung vollkommen entgegenlaufen (Familie Rykalla als narrative Konstante des Films, überhaupt die Nähe zu vielen Figuren, die enttarnenden Kameraeinstellungen des 'Sonderstudios Köln', die sphärischen und genuin 'filmischen' Aufnahmen der Smogwolken zwischen den einzelnen Handlungssträngen). Allein schon die zeitlich geraffte Darstellung der Ereignisse, die scheinbar im Gewand einer Live-Übertragung daherkommt, aber dennoch einen Zeitraum von mehreren Tagen in knapp eineinhalb Stunden Laufzeit abdeckt, müsste eigentlich jegliche eventuelle Authentizitätsannahme seitens des Zuschauers verhindern. Und diese Zeichen zu erkennen, traue ich durchaus auch einem Fernsehzuschauer von 1973 zu. Aber nun. Wer weiß, was da tatsächlich dran ist. Der oben erwähnte Begriff des Mythos ist mir sicherlich nicht von ungefähr in den Sinn gekommen.

Doch Rezeptionshysterie hin oder her: SMOG liefert ein gelungenes Portrait von Lernresistenz und dem Umherschieben von Verantwortlichkeiten in Krisensituationen, das zuweilen vielleicht etwas dick aufträgt (Smog-Katastrophe als Allegorie auf das Leiden Jesu?), aber seine Wirkung deshalb keinesfalls verfehlt. Die Darstellung eines älteren Autofahrers, der des morgens den Ruß von den Scheiben seines Fahrzeugs kratzen muss oder das marktschreierische Verteilen von Mundschutztüchern mag aus heutiger Sicht ein wenig naiv wirken. Damit ist es aber spätestens in dem Moment vorbei, wenn man einmal die Strukturen des Krisenmanagement von Politik, Industrie, Bürgern und Protestlern in SMOG mit der atomaren Katasrophe in Japan vergleicht. Mulmigkeit als Reaktion hierauf zu nennen, wäre noch vorsichtig ausgedrückt.