Alles über Elly (Iran, 2009)
Inhalt: Der in Deutschland lebende, frisch geschiedene Iraner Ahmad verbringt ein Wochenende mit einigen befreundeten Paaren (und deren Kindern) am Kaspischen Meer. Dabei hat Sepideh (eine Freundin von Ahmad) die Grundschullehrerin ihrer Tochter, Elly zu dem Wochenend-Ausflug eingeladen, um sie mit Ahmad zu verkuppeln. Die unverheiratete Elly ist jung, schön, seriös und anständig. Der Plan ist, daß Ahmad und Elly sich an diesem Wochenende kennen- und lieben lernen. Außer Elly, die unter den fremden Leuten sich etwas zurückhaltend benimmt, sind alle Anwesenden in Urlaubstimmung: lustig, lässig, locker. Selbst die schief gelaufene Landhaus-Reservierung kann die Stimmung nicht trüben. Sie weichen einfach auf ein heruntergekommenes, verschmutztes Appartement am Strand aus. Zwar ist Elly nicht uninteressiert, aber sie verhält sich doch etwas unsicher und möchte am nächsten Tag nach Teheran zurückfahren (angeblich ist ihre Mutter herzkrank). Sepideh läßt es nicht zu und versucht mit allen möglichen Überredungskünsten Elly das gesamte Wochenende bei sich zu behalten. Die Leute gehen sehr freundlich und liebevoll miteinander um, bis eins von den am Strand spielenden Kindern die Eltern alarmiert: Ein Kind ist im Meer verschwunden, nach dem es im Wasser schreiend Hilfe gesucht hatte. Von Elly fehlt auch jede Spur … ist Elly doch nach Teheran zurückgefahren? …
Nach dem es bekannt wurde, daß der Film "Alles über Elly" auf der Berlinale 2009 den Silbernen Bären gewonnen hatte, waren die Macher des Films allen voran der Regisseur Asghar Farhadi ziemlich verblüfft. Nicht daß sein Film den Preis nicht verdient hätte, (der ist sogar ein kleines Meisterwerk geworden), sondern der Film ist so typisch persisch, verbunden mit den iranischen Eigenarten, Denk- und Verhaltensweisen, konfrontierend mit Widersprüchen in der iranischen Kultur, daß es unvorstellbar scheint, daß der Film in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit von den Europäern gänzlich verstanden wurde.
Beispiel: Als die Reisenden die Einheimischen nach den Alternativen für die Übernachtung fragen (Landhausmieten klappte nicht), lügt Sepideh sie an: sie behauptet, daß Ahmad und Elly frisch verheiratet sind, denn: 1. Die traditionsbewußten Bauern im Iran es anstößig finden, wenn ein junges unverheiratetes Pärchen ohne Anwesenheit der Eltern vom Mädchen miteinander flirten. 2. Einem frisch vermählten Paar auf der Hochzeitsreise hilft man eher bei der Problemlösung, als den normalen Paaren. Eine Notlüge, die wie die anderen Notlügen nicht ohne Konsequenzen bleibt.
Auch wenn die Hauptpersonen in diesem Film aus der Mittelschicht stammen, erkennt man in feinen Nuancen die Grenzen zwischen arm und reich: Bei einer kurzen Einstellung sieht man es, wie befremdlich und geschmacklos ein einheimisches armes Bauernkind das ausgelassene Tanzen und Feiern der Männer aus Teheran findet. Auch Elly gehört eher zu der unteren Mittelschicht. Dies erkennt man an ihrer Aufmachung.
Hauptsächlich thematisiert aber der Film die Diskrepanz zwischen Herzlichkeit, Höflichkeit, Freundschaftlichkeit, respektvollem Umgang, Entgegenkommen bei den Kleinigkeiten, Humor und Gelassenheit der Iraner stammend aus der alten persischen Hochkultur einerseits und Mißtrauen, Egoismus, Verlogenheit, Feigheit, Argwohn und Verdruß verursacht durch die ökonomischen Nöten, politische Unterdrückung, misanthropische islamische Verbote/Gebote und nicht zuletzt die menschliche Natur andererseits.
Um diese Diskrepanz zu überdecken und die Rücksichtnahme auf die Würde der Anderen ("das Gesicht wahren") mit dem eigenen egoistischen Interessen zu vereinen, greift man zu Notlügen, die bekanntlich kurze Beine haben, und die Lage nur noch komplizierter machen. Das was für Nicht-Iraner schwer verständlich sein kann, sind diese übertriebene Höflichkeit und der vorsichtige Umgang mit der Ehre der Mitmenschen, aber auch die Feigheit vor der Verantwortung und die Unfähigkeit zur Sühne.
Beide diese Verhaltensmuster werden den Europäern maßlos vorkommen. Daß dieselben hochkultivierten, sympathischen Menschen nach einem Unfall die Fassung verlieren und nichts wissen was als nächstes getan werden muß, gar sich ungebührlich benehmen, hat meiner Meinung nach nichts mit Heuchelei bzw. Entlarvung vom dekadenten bourgeoisen Mittelstand zu tun, sondern mit der gespaltenen Seele der Iraner an sich. Denn alle diese Gefühle werden nicht vorgespielt, sondern glaubhaft gelebt. Das ist natürlich auch Verdienst von den hervorragenden Schauspielern, die allesamt phänomenal ihre Figuren verkörpern. Erwähnenswert sind dabei:
Taraneh Alidousti, die bei " Fireworks Wednesday" die naive Putzfrau darstellte und hier die verunsicherte, zwielichtige, scheue und doch stolze Elly spielt; Die bildhübsche Golshifteh Farahani (iranische Schauspielerin und Pianistin), die ziemlich famos die Rolle der zuerst mutigen und dann kleinmütigen Sepideh spielt und mittlerweile eine internationale Karriere vor sich hat (u.a. spielte sie an der Seite von Leonardo DiCaprio in "Der Mann, der niemals lebte" Fotos: hier); Peyman Moadi, der zuerst den lustig fröhlichen und dann den schäbigen Peyman mimt und in "Nader und Simin – Eine Trennung" sogar die Hauptrolle übernahm und nicht zuletzt Mani Haghighi (studierte Theaterwissenschaft und Philosophie in Kanada und ist selbst Theaterregisseur und Filmemacher), der zuerst den nörglerischen und dann den zornigen Ehemann von Sepideh spielt.
Bemerkenswert ist auch die Rolle der Frauen innerhalb der Mittel-/Oberschicht im Iran. Gegen die allgemeine Meinung in Europa, daß alle Frauen im Iran rechtlose Sklavinnen seien, die ihren Männern ausgeliefert sind, zeichnet Asghar Farhadi ein realistisches Bild der selbstbewußten, gebildeten, berufstätigen Ehefrauen, die im Streit ihre Meinung standhaft vertreten. In "Alles über Elly" sieht man an Hand der Figur von Sepideh, daß die Initiative für und die Organisation von Unternehmungen und das Treffen der wichtigen Entscheidungen von den Frauen übernommen werden. Natürlich wenn etwas schief läuft, dann werden sie fürs Scheitern verantwortlich gemacht. Die Frauen im Iran sind keinesfalls das willenlose unterdrückte Geschlecht, politisch und sozial werden in der Diktatur alle Menschen unterdrückt, unabhängig von ihrem Geschlecht. Da aber selbst die Journalisten und Intellektuelle im Westen gerne an ihre Vorurteile festhalten, wollen sie in jedem iranischen Film, in dem die Frauen eine Rolle spielen, irgendwie die Unterjochung der Frauen interpretiert wissen. Was dem Regisseur Farhadi ziemlich auf den Senkel geht (lese das Kurzinterview).
Fazit: Was als fröhlicher Wohlfühl-Film beginnt, entwickelt sich zu einem hoch spannenden, intelligenten Seelenstriptease der iranischer Mittelklasse; Die Kunst dabei: der Plot, die Schauspieler und die krimihafte Inszenierung sind so genial, daß selbst der wenig an der iranischen Lebensart interessierte Zuschauer gefesselt die Erzählung bis zum Ende verfolgt, auch wenn er nicht jede Motivation hinter jeder Aktion begreift. Note: 8,5/10 Punkte
PS: 1. Farhadi dreht seine Filme mit der relativ ruhig gehaltenen Handkamera. Es ist ratsam, daß in allen Filmhochschulen der Welt seine Filme in den Vorlesungen gezeigt werden, damit die angehenden Regisseure kapieren, daß man für eine authentische Erzählung keinen alkoholisierten epileptischen Kameramann benötigt. Wie heftig und wann eine Handkamera wackelt, sollte gut überlegt und mit gesundem Verstand entschieden werden. 2. Die Ingeniosität des Drehbuchautors von "Alles über Elly" kann erst bei der 2.Sichtung des Filmes gänzlich bemerkt werden, denn die Doppeldeutigkeit vieler Dialoge und Gesten erst in Nachhinein einem klar wird.
Peyman Moadi 2009 Taraneh Alidousti Golshifteh Farahani Iran Asghar Farhadi Mani Haghighi
Inhalt: Der in Deutschland lebende, frisch geschiedene Iraner Ahmad verbringt ein Wochenende mit einigen befreundeten Paaren (und deren Kindern) am Kaspischen Meer. Dabei hat Sepideh (eine Freundin von Ahmad) die Grundschullehrerin ihrer Tochter, Elly zu dem Wochenend-Ausflug eingeladen, um sie mit Ahmad zu verkuppeln. Die unverheiratete Elly ist jung, schön, seriös und anständig. Der Plan ist, daß Ahmad und Elly sich an diesem Wochenende kennen- und lieben lernen. Außer Elly, die unter den fremden Leuten sich etwas zurückhaltend benimmt, sind alle Anwesenden in Urlaubstimmung: lustig, lässig, locker. Selbst die schief gelaufene Landhaus-Reservierung kann die Stimmung nicht trüben. Sie weichen einfach auf ein heruntergekommenes, verschmutztes Appartement am Strand aus. Zwar ist Elly nicht uninteressiert, aber sie verhält sich doch etwas unsicher und möchte am nächsten Tag nach Teheran zurückfahren (angeblich ist ihre Mutter herzkrank). Sepideh läßt es nicht zu und versucht mit allen möglichen Überredungskünsten Elly das gesamte Wochenende bei sich zu behalten. Die Leute gehen sehr freundlich und liebevoll miteinander um, bis eins von den am Strand spielenden Kindern die Eltern alarmiert: Ein Kind ist im Meer verschwunden, nach dem es im Wasser schreiend Hilfe gesucht hatte. Von Elly fehlt auch jede Spur … ist Elly doch nach Teheran zurückgefahren? …
Nach dem es bekannt wurde, daß der Film "Alles über Elly" auf der Berlinale 2009 den Silbernen Bären gewonnen hatte, waren die Macher des Films allen voran der Regisseur Asghar Farhadi ziemlich verblüfft. Nicht daß sein Film den Preis nicht verdient hätte, (der ist sogar ein kleines Meisterwerk geworden), sondern der Film ist so typisch persisch, verbunden mit den iranischen Eigenarten, Denk- und Verhaltensweisen, konfrontierend mit Widersprüchen in der iranischen Kultur, daß es unvorstellbar scheint, daß der Film in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit von den Europäern gänzlich verstanden wurde.
Beispiel: Als die Reisenden die Einheimischen nach den Alternativen für die Übernachtung fragen (Landhausmieten klappte nicht), lügt Sepideh sie an: sie behauptet, daß Ahmad und Elly frisch verheiratet sind, denn: 1. Die traditionsbewußten Bauern im Iran es anstößig finden, wenn ein junges unverheiratetes Pärchen ohne Anwesenheit der Eltern vom Mädchen miteinander flirten. 2. Einem frisch vermählten Paar auf der Hochzeitsreise hilft man eher bei der Problemlösung, als den normalen Paaren. Eine Notlüge, die wie die anderen Notlügen nicht ohne Konsequenzen bleibt.
Auch wenn die Hauptpersonen in diesem Film aus der Mittelschicht stammen, erkennt man in feinen Nuancen die Grenzen zwischen arm und reich: Bei einer kurzen Einstellung sieht man es, wie befremdlich und geschmacklos ein einheimisches armes Bauernkind das ausgelassene Tanzen und Feiern der Männer aus Teheran findet. Auch Elly gehört eher zu der unteren Mittelschicht. Dies erkennt man an ihrer Aufmachung.
Hauptsächlich thematisiert aber der Film die Diskrepanz zwischen Herzlichkeit, Höflichkeit, Freundschaftlichkeit, respektvollem Umgang, Entgegenkommen bei den Kleinigkeiten, Humor und Gelassenheit der Iraner stammend aus der alten persischen Hochkultur einerseits und Mißtrauen, Egoismus, Verlogenheit, Feigheit, Argwohn und Verdruß verursacht durch die ökonomischen Nöten, politische Unterdrückung, misanthropische islamische Verbote/Gebote und nicht zuletzt die menschliche Natur andererseits.
Um diese Diskrepanz zu überdecken und die Rücksichtnahme auf die Würde der Anderen ("das Gesicht wahren") mit dem eigenen egoistischen Interessen zu vereinen, greift man zu Notlügen, die bekanntlich kurze Beine haben, und die Lage nur noch komplizierter machen. Das was für Nicht-Iraner schwer verständlich sein kann, sind diese übertriebene Höflichkeit und der vorsichtige Umgang mit der Ehre der Mitmenschen, aber auch die Feigheit vor der Verantwortung und die Unfähigkeit zur Sühne.
Beide diese Verhaltensmuster werden den Europäern maßlos vorkommen. Daß dieselben hochkultivierten, sympathischen Menschen nach einem Unfall die Fassung verlieren und nichts wissen was als nächstes getan werden muß, gar sich ungebührlich benehmen, hat meiner Meinung nach nichts mit Heuchelei bzw. Entlarvung vom dekadenten bourgeoisen Mittelstand zu tun, sondern mit der gespaltenen Seele der Iraner an sich. Denn alle diese Gefühle werden nicht vorgespielt, sondern glaubhaft gelebt. Das ist natürlich auch Verdienst von den hervorragenden Schauspielern, die allesamt phänomenal ihre Figuren verkörpern. Erwähnenswert sind dabei:
Taraneh Alidousti, die bei " Fireworks Wednesday" die naive Putzfrau darstellte und hier die verunsicherte, zwielichtige, scheue und doch stolze Elly spielt; Die bildhübsche Golshifteh Farahani (iranische Schauspielerin und Pianistin), die ziemlich famos die Rolle der zuerst mutigen und dann kleinmütigen Sepideh spielt und mittlerweile eine internationale Karriere vor sich hat (u.a. spielte sie an der Seite von Leonardo DiCaprio in "Der Mann, der niemals lebte" Fotos: hier); Peyman Moadi, der zuerst den lustig fröhlichen und dann den schäbigen Peyman mimt und in "Nader und Simin – Eine Trennung" sogar die Hauptrolle übernahm und nicht zuletzt Mani Haghighi (studierte Theaterwissenschaft und Philosophie in Kanada und ist selbst Theaterregisseur und Filmemacher), der zuerst den nörglerischen und dann den zornigen Ehemann von Sepideh spielt.
Bemerkenswert ist auch die Rolle der Frauen innerhalb der Mittel-/Oberschicht im Iran. Gegen die allgemeine Meinung in Europa, daß alle Frauen im Iran rechtlose Sklavinnen seien, die ihren Männern ausgeliefert sind, zeichnet Asghar Farhadi ein realistisches Bild der selbstbewußten, gebildeten, berufstätigen Ehefrauen, die im Streit ihre Meinung standhaft vertreten. In "Alles über Elly" sieht man an Hand der Figur von Sepideh, daß die Initiative für und die Organisation von Unternehmungen und das Treffen der wichtigen Entscheidungen von den Frauen übernommen werden. Natürlich wenn etwas schief läuft, dann werden sie fürs Scheitern verantwortlich gemacht. Die Frauen im Iran sind keinesfalls das willenlose unterdrückte Geschlecht, politisch und sozial werden in der Diktatur alle Menschen unterdrückt, unabhängig von ihrem Geschlecht. Da aber selbst die Journalisten und Intellektuelle im Westen gerne an ihre Vorurteile festhalten, wollen sie in jedem iranischen Film, in dem die Frauen eine Rolle spielen, irgendwie die Unterjochung der Frauen interpretiert wissen. Was dem Regisseur Farhadi ziemlich auf den Senkel geht (lese das Kurzinterview).
Fazit: Was als fröhlicher Wohlfühl-Film beginnt, entwickelt sich zu einem hoch spannenden, intelligenten Seelenstriptease der iranischer Mittelklasse; Die Kunst dabei: der Plot, die Schauspieler und die krimihafte Inszenierung sind so genial, daß selbst der wenig an der iranischen Lebensart interessierte Zuschauer gefesselt die Erzählung bis zum Ende verfolgt, auch wenn er nicht jede Motivation hinter jeder Aktion begreift. Note: 8,5/10 Punkte
PS: 1. Farhadi dreht seine Filme mit der relativ ruhig gehaltenen Handkamera. Es ist ratsam, daß in allen Filmhochschulen der Welt seine Filme in den Vorlesungen gezeigt werden, damit die angehenden Regisseure kapieren, daß man für eine authentische Erzählung keinen alkoholisierten epileptischen Kameramann benötigt. Wie heftig und wann eine Handkamera wackelt, sollte gut überlegt und mit gesundem Verstand entschieden werden. 2. Die Ingeniosität des Drehbuchautors von "Alles über Elly" kann erst bei der 2.Sichtung des Filmes gänzlich bemerkt werden, denn die Doppeldeutigkeit vieler Dialoge und Gesten erst in Nachhinein einem klar wird.
Peyman Moadi 2009 Taraneh Alidousti Golshifteh Farahani Iran Asghar Farhadi Mani Haghighi