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Gernguckers Filmtagebuch


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Perfect Sense


Aktuell kaum Zeit für Kino, aber einen Film habe ich dann doch (schon letzte Woche) gesehen, der zugleich meine Jahresliste kräftig durcheinander wirbelt:

Perfect Sense (David Mackenzie)

Kaum zu glauben, dass der Regisseur einer Obergurke wie "Stellas Versuchung" jetzt einen Film ablieferte, der mich derartig beeindruckt hat und der viel seiner (vermutlich) exzellenten Romanvorlage zu verdanken hat. "Perfect Sense" erzählt eine Apokalypse, lässt die Menschheit auf ihren Untergang zusteuern und schafft es dabei, uns keinen falschen Heldenmut und oder ein glorreiches Happy End zuzumuten, sondern erzählt an allen vom effektösen Hollywoodkino ausgetretenen Genrekonventionen vorbei. Das warum und wieso interessiert überhaupt nicht, sondern das wie. Und er hält uns einen irritierend schönen Spiegel vor, aus dem Häßlichkeit herausschaut. Wie jeden Tag x-mal in den Nachrichten zu verfolgen, geschehen unfassbare Unglücke und Katastrophen, aber nach einem kurzen Pusch schwindet das Interesse schlagartig wieder und wir lernen uns wieder aufzurichten und mit einer Welt zu arrangieren, die wieder ein bißchen kaputter und ärmer geworden ist. Der Autor Aakeson stellte an den Schluss seiner sehr klug konstruierten und nachhaltigen Erzählung eine so berührende wie ausweglose Horrorvision. Und Mackenzie filmt diesen Niedergang in einem passenderweise sinnlichen Tonfall, rückt ein sich hoffnungsvoll findendes wie aneinander reibendes Liebespaar ins Zentrum (intensiv: McGregor meets Green), durch deren Augen wir die kommenden Verluste erleben. Unter seiner Regie wird der Film zu einem stilvollen, sich nach Romantik sehnenden aber dann wehrlos ergebenden Bilderrausch.
Ein Film der berührt, mitnimmt und schockiert, der einen lieben und leiden lässt. Respekt!


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Woody Allen


Dann will ich mal meine neue Kategorie "Filmemacher" eröffnen, als Einladung an alle Listenfetischisten zur Anregung, Kommentierung und Nachahmung.


WOODY ALLEN

Woody Allen ist für mich eine konstante Größe im Kino. Ich mag fast jeden seiner Filme, auch seine etwas schwächeren Werke. Ich mag seinen mal albernen, mal trefflich komischen, mal zynischen Humor, seine trefflich pointierten Dialoge und seine Inszenierungsspielfreude, seine häufig unvermögenden, bodenständigen und naiven Figuren, die durch das Leben stolpern und sich durch ihre Krisen kämpfen, seine verflochtenen Figurennetze und Beziehungsgefechte, mag seine Kunst, immer wieder tolle Darstellerensemble zusammenzustellen, in denen der Abstand zwischen Haupt- und Nebenfiguren minimiert ist. Seine sehr frühen, noch etwas klaumaukigen Filme (Schläfer, Was sie schon immer ..., ) mag ich nicht ganz so sehr und freue mich, dass er in letzter Zeit seine Schauplätze variiert und sein Bild vom New Yorker Neurotiker etwas aufweicht.
Bis auf "What's up Tiger Lily" und "Hollywood Ending" habe ich mittlerweile alle seine (Regie-)Filme gesehen. Eine komplette Liste ist mir aufgrund seines umfangreichen Werkes unmöglich, deshalb hier nur die Auflistung meiner 10 Lieblingsfilme von Woody Allen.


(01) Annie Hall - Der Stadtneurotiker (1977)
(02) Bullets over Broadway (1994)
(03) Hannah und ihre Schwestern (1985)
(04) Manhattan (1979)
(05) The Purple Rose of Cairo (1985)
(06) Zelig (1982)
(07) Midnight in Paris (2011)
(08) Match Point (2005)
(09) Alice (1990)
(10) Im Bann des Jade-Skorpions (2001)

Lange Zeit hatte ich übrigens "Bullets over Broadway" an die Spitze gesetzt gehabt, aber nun habe ich die Listenführung doch an den großen Klassiker "Annie Hall" abgetreten, nachdem ich beide Filme in letzter Zeit wiedergesehen habe. Am schwierigsten war es, den letzten Platz in der Liste zu bestimmen. "Im Bann des Jade-Skorpions" hat da sicher etwas von meiner Tagesform profitiert wie auch von der Erinnerung an das tolle Duell zwischen Woody Allen und Helen Hunt.


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Die Mühle und das Kreuz (und etwas mehr)


Die Mühle und das Kreuz (Lech Majewski)

Eine bildgewaltige, ausstattungsfreudige, dimensionenauflösende Installation, die ein Gemälde von Peter Bruegel dem Älteren samt diesem selbst nachstellt und zu erklären versucht. Die Figuren darin, über die man flüchtig hinwegschweift, bleiben so künstlich und unerklärt wie auf dem Bild. (Ganz schlimm empfand ich das aufgezwängte Spiel der Kinder).
Im Endeffekt wird zwar die historische Epoche lebendig aber nicht das Gemälde und seine Figuren. "Die Mühle und das Kreuz" ist so interessant wie sperrig zugleich, holt gewaltig aus, aber schlägt dann ins Leere. Ich erinnere mich gern an die beeindruckende Inszenierung/Ausgestaltung der Mühle und an die Idee, den Müller zum Herrscher über die Zeit zu krönen, aber viel mehr wird mir vermutlich nicht dauerhaft in Erinnerung bleiben.



Eine dunkle Begierde (David Cronenberg)
Zu viel reines Nacherzählen einer historischen Begegnung der Psychoanalysebegründer, zu wenig Film, zudem etwas langatmig und innerlich zerrissen.

Der Gott des Gemetzels (Roman Polanski)
Ein satirisches Drama auf durchweg hohem Niveau, tolle Dialoge und Figuren, und ein wahnsinnig gutes, sich gegenseitig herausforderndes Schauspielerensemble. Ich verweise gern auf Settembrinis FTB-Eintrag.


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Halt auf freier Strecke


Halt auf freier Strecke (Andreas Dresen)

Andreas Dresen beweist ein weiteres Mal seine Ausnahmestellung in der deutschen Filmlandschaft. Er widmet sich dem Tabuthema Sterben im Film und überzeugt dabei erneut mit einer sehr sensiblen, bodenständigen, aus der Spontanität durch Improvisationen innerhalb eines Gemeinschaftswerkes schöpfenden, ja fast dokumentarischen Inszenierung und Nähe zu den Figuren. Nur an ganz wenigen Stellen löst er sich von seinen Protagonisten, schwebt einige Zentimeter über dem Erdboden, indem er z.B. der todbringenden Krankheit ein Gesicht gibt. "Halt auf freier Strecke" bleibt unbarmherzig und ungeschönt, er bewegt aber lindert auch, geht seinen bitteren Weg bis zum Ende und verweist ausgangs dann trotz aller Trauer auf das Leben zurück. Kein leichter, aber ein ganz großartiger Film.


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Meek's Cutoff // Submarine


Meek's Cutoff (Kelly Reichardt)

Angenehm unkonventioneller Western, ja schon fast ein Anti-Western, in eingeengten Bildern gefangen und fokusiert aus einer doppelt-weiblichen Perspektive (Regisseurin, Protagonistin), der sich wenig um das Bedienen von Genre-Erwartungen schert, sondern vom existenziellen Überlebenskampf der frühen Siedler erzählt und dabei eine Frau aus dem Kreis der Männer hervortreten, ihre Vorurteile besiegen und die Initiative ergreifen lässt. Nicht minder spannend als andere große Westernepen, und dazu ein sehr feiner Ensemble-Film. Hat mir sehr gefallen.


Submarine (Richard Ayoade)

Sowohl erzählerisch als auch inszenatorisch einfallsreicher und pointierter Coming of Age-Film, der glaubhaft von den Sorgen und Nöten eines Teenagers in den 80igern an der Schwelle zur ersten Liebe und dem Erwachsenwerden berichtet. So charmant und humorvoll wie bereits "Beginners" - das britische Kino erweist sich in diesem Jahr als sehr stark und spielfreudig.


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Die Haut, in der ich wohne // Fenster zum Sommer


Die Haut, in der ich wohne (Pedro Almodovar)

Auf den ersten Blick etwas untypisch für Almodovar: ein thrillerartiges Kammerspiel mit nur zwei Personen im Fokus und wenig Aufmerksamkeit auf die Nebenfiguren (etwas schade um die Haushälterin und den Tiger). Doch schnell offenbaren sich auch einige der gestandenen Zutaten des Spaniers: sein Set ist atemberaubend gut gestaltet, der Sound ebenso kunstvoll wie die Kameraführung, in der Hauptrolle "seine" Entdeckung Antonio Banderas, in einer Nebenrolle die große Marisa Paredes, bald springt die Handlung in der Zeit vor und zurück und unterfüttert den spannungsvollen Plott (ein Tribut an den von ihm verehrten Hitchcock) mit bewegenden oder abgründigen Details, und ganz am Ende, in der letzten Einstellung ist Almodovar dann ganz bei sich und seinen großen Melodramen angekommen. "Die Haut, in der ich wohne" ist wie ein genrehafter und überraschender Vorspann, der einen weiteren großen bewegenden Film nach sich ziehen könnte, oder wie ein ausformuliertes und selbstständig gewordenes Detail, das uns in einigen seiner früheren Filme vorenthalten worden ist.
Nicht Almodovars bester Film (das bleibt für mich "Sprich mit ihr"), aber wie fast immer ein sehr guter.


Fenster zum Sommer (Hendrik Handloetgen)

Angelockt von einem der schönsten Trailer des Jahres sah ich eine wagemutige und spielfreudige Mischung aus einer Liebesgeschichte und Science-Fiction-Vision. Eine frisch verliebte Frau (wie immer toll: Nina Hoss) wacht eines morgens auf und findet sich um ein halbes Jahr in der Zeit zurück versetzt. Der Film bemüht sich dabei weder um eine plausible Erklärung des Zeitsprunges, noch ist die "zweite Runde" der Frau immer schlüssig erzählt. Aber Handloetgen arbeitet ganz spiel- und erzählfreudig mit den sich daraus ergebenden Möglichkeiten, die Frau das halbe Jahr erneut durchleben und -leiden zu lassen, und sinniert darüber, ob sie nun "wissend" das eigene Schicksal und das der anderen, vor allem ihrer besten Freundin (zum Niederknien: Fritzi Haberlandt), beeinflussen kann oder nicht. Ein interessanter sehenswerter Film, der mich dennoch ein wenig unbefriedigt zurückgelassen hat und leider im Schatten seines Trailers bleibt.


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Filmfest Cottbus 2011


Zurück vom Filmfest Cottbus. Die Qualität der Filme war gemischter als sonst, ein ums andere Mal wandelten sich neugierig machende Titel in mittlere Enttäuschungen, während sich woanders ganz unverhofft Überraschungen zeigten.


Der Feind (Dejan Zecevic, Serbien-Montenegro)
Mein persönlich stärkstes Filmerlebnis, ein atmosphärisch ungeheuer dichter, ja gespenstischer Gänsehaut-Kriegsthriller. Wenige Stunden nach Kriegsende öffnet eine serbische Einheit eine Kellerwand und befreit einen tagelang eingeschlossenen und befremdlich unversehrten Mann, der zu ihrem zynischen, diabolisch kommentierenden Begleiter wird. Es ist, als hätten sie den leibhaftigen Satan befreit. Die Stimmung im Minenbeseitigungs-Trupp beginnt zu brodeln, Mißtrauen, Angst und der Tod treten zwischen die Männer. Der Film ist ein klaustrophobisches Kammerspiel auf einem durchweg hohen Spannungsniveau, geradlinig ohne Schnörkel erzählt, eine schockierende, symbolgeladene Kriegsaufarbeitung, die man nicht so leicht vergisst.

Wenn das Samenkorn nicht stirbt (Sinisa Dragin, Rumänien)
Ein rumänischer und ein serbischer Vater auf der Suche nach ihren verschollenen Kindern irren auf ihren Odysseen über den Balkan umher, ganz beiläufig kreuzen sich mehrfach ihre Wege und treffen am Ende inmitten der Donau wieder aufeinander, wo sich die tragikomischen Gegenwartsgeschichten mit einer wunderbar mythisch überhöhten Legende über eine einst über das Land gezogene und im Fluss versunkene Kirche verbinden. Gerade diese mehrfach eingewobene historische Geschichte (die ein wenig an "Fitzcaraldo" erinnert) bildet einen sehr schönen poetischen, staunenswerten Kontrast zu den dramatischen wie grotesken Wirren des Alltags, durch den sich die Protagonisten in der Gegenwart kämpfen müssen.

Jelena (Andrej Swjagintsev, Russland)
Der dritte Spielfilm des derzeit vielleicht besten russischen Nachwuchsregisseurs ("The Return") spielt diesmal nicht in einem archaischen Nirgendwo, sondern vornehmlich im Moskauer Haus eines reichen Mannes, der von seiner Frau Jelena geliebt und umsorgt wird. Durch die gutsituierte Ehe ist Jelena in der Lage, auch die Familie ihres nichtsnutzigen Sohnes aus erster Ehe durchzubringen. Eine bedenklich übertriebene Mutterliebe treibt Jelena in die Enge, als ihr Mann dies nicht mehr unterstützen möchte. Swjagintev zeigt sich auch in diesem zeitgenössischen Drama als meisterhafter Regisseur, die Bilder zweier gegensätzlicher Lebenswelten sind atmosphärisch toll fotografiert und ganz sparsam aber ungeheuer wirkungsvoll ist eine mehrfach auf- und abschwellende Musik eingesetzt, die die Spannung enorm anfacht. Im Zentrum des Filmes steht die zweifelhafte Heldin Jelena, die unglaublich gut von Nadezhda Markina gespielt wird. Einziges Manko von "Jelena" ist vielleicht wie schon bei "The Banishment", dass die Geschichte fast ein wenig zu klein für so einen großartig inszenierten Film ist.

Personalausweis (Ondrej Trojan, Tschechien/Slowakai)
Diese Coming of Age Geschichte war für mich eine ganz wunderbare Überraschung. Vier Schulfreunde werden Mitte der 1970er Jahre langsam erwachsen und der tragikomische Film fängt ganz leicht und unbeschwert die Sorgen, Nöte und Freuden der Jungs zwischen Schulbank, Familie und den neu winkenden "Freiheiten" als junge Erwachsene ein. Regisseur Ondrej Trojan weiß wovon er erzählt, denn er war selbst in besagter Zeit so alt wie seine Helden. Er weiß seine Geschichte sowohl mit sehr viel Humor und nostalgischem Charme auszugestalten und damit (nicht nur) meine Sympathie zu gewinnen, wie auch den Ernst, Ängste und Repressalien dieser Ära einzubinden. Trojan verrät seine Figuren nie und weiß immer wieder zu überraschen, vergisst am Ende nur ein, zwei lose Fäden von Nebenfiguren zu Ende zu knüpfen. Ein beherzter Film für ein dankbares Publikum, ganz angenehm mitten auf einem Festival.


Außerdem habe ich gesehen:

Zaster (Konstantin Buslov, Russland)
Mainstreamige Komödie über die Jagd nach einem Geldkoffer, der mehrfach seinen (unrechtmäßigen) Besitzer wechselt. Eine gewalttätige Odyssee durch ein modernes kapitalistisches Russland. Hat mir nix gegeben.

Der Jäger (Bakur Bakuradze, Russland)
Der triste Alltag eines Bauern wird aufgebrochen, als er sich ganz allmählich in eine andere Frau verliebt und ihn in Entscheidungsnot bringt. Der Film verrinnt unendlich langsam und zäh. Ein interessanter Ansatz, leider als übertriebene Geduldsprobe verpackt.

Salz Weiß (Keti Machavariani, Georgien)
Drei einsame Menschen treffen als mittellose "Glücksritter" in einem Ferienort am Schwarzen Meer aufeinander, verweilen kurz und driften wieder auseinander auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück und einer besseren Zukunft. Ganz unaufgeregt erzählt und inszeniert, hat mir gefallen.

Sonnige Tage (Nariman Turebayev, Kasachstan)
Die Abwärtsspirale eines jungen arbeitslosen Mannes, der bis zu seinem 30. Geburtstag alles verlieren wird. Ein sehr träge erzählter und bedrückender Film mit diversen Regiefehlern, durch den ich mich gequält habe.

Crulic (Anca Damian, Rumänien/Polen)
Eine nüchtern erzählte Rekonstruktion über den Tod eines zweifelhaft verurteilten und aus Protest in Hungerstreik getretenen Mannes. Eine wahre Geschichte, visuell in (nahezu beliebig) vielen Animationsstilen umgesetzt. Das lag mir nur wenig, zudem ich von der Unschuldigkeit des Mannes bis zuletzt nicht wirklich überzeugt wurde.

Rotes Eis. Saga über die Chanten von Ugra (Oleg Fesenko, Russland)
Kaum an historischen Hintergründen oder an seinen Figuren interessierter Actionfilm, in dem die Sowjetarmee mit sozialistischem Erziehungsauftrag auf das ursprünglich lebende Volk der Chanten trifft. Zuviel Kamerafahrten, Schnitte, Action und Effekte, ein total verschenkter Stoff mit nur wenigen wirklich guten Einzelszenen, die das Potential bei einer sensibleren Inszenierung hervorblitzen ließen.

Asche und Blut (Fanny Ardant, Frankreich/Rumänien/Portugal)
Fanny Ardant debütiert hier als Drehbuchautorin und Regisseurin, schwebt allerdings mehr als "Künstlerin" über ihrem recht ambitioniert klingenden Projekt und verschenkt das Potential ihres Blutrachedramas durch eine unkonzentrierte, zum Abschweifen neigende Erzählung und Inszenierung. Schade. Meine größte Enttäuschung des Festivals.

Ich heiße Ki (Leszek Dawid, Polen)
Eine humorbewusste Alltagsgeschichte über eine temperamentvolle und recht anstrengende junge alleinerziehende Frau, die sich auf ihre unangepasste Weise durch das Leben schlägt und für ihre Mitmenschen immer wieder zur Belastungsprobe wird. Leichtfüßig, gewitzt, charmant. Hat mir sehr gefallen. Nur begegnen möchte ich der echten Ki auch nicht.

Portrait im Zwielicht (Angelina Nikonova, Russland)
Eine vergewaltigte Frau nimmt auf ungewöhnliche Weise Rache an ihrem Peiniger, indem sie ihn zu therapieren versucht. Der Film ist schon recht gut gemacht und konzentriert erzählt und verdichtet, aber die Motivation der Frau blieb mir fremd und fragwürdig und somit auch die Aussage des Filmes, der zur Selbsterniedrigung aufzurufen scheint.


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Ein umfangreicheres FTB-Update


Die letzten Wochen waren bei mir aus verschiedenen Gründen wieder mal verdammt zeitlich eng bemessen. Besserung ist (noch) nicht in Sicht. Trotzdem hab ich seit meinem letzten Eintrag hier einige Filme gesehen, die an dieser Stelle mit ein paar kurzen Worten bedacht seien.

"Ein Mensch kommt auf die Welt" ist eine zutiefst tragische und wichtige Aufarbeitung der letzten Kriegstage aus einer lokalen italienischen Sicht. Der Film erstickt des häufigeren an seinem schweren Thema und will nicht die Ehre gewinnen, die ihm gebühren müsste. Dennoch überzeugt das Drama in einigen sehr bewegenden Momenten und durch seine kleine Kinderdarstellerin. Giorgio Diritti erzählt wie auch schon in seinem sehr guten "Der Wind zieht seinen Weg" über eine dörfliche Region, dessen einfachen Bewohner und archaische Landschaft, über das Festhalten an Tradition und Altem und den Einfall fremder Störungen.

"The Guard" ist herrlich komisches, respektloses, so bitterböses wie unterhaltsames Kino, an dessen vorderster Front ein umwerfender Brendan Gleeson als unverwüstlicher, vorbildfreier Cop in der irischen Provinz steht. Sehr symathiegewinnend.

"Über uns das All" ist ein sehr reifes, stilsicheres und gedankenanregendes Debüt, das mit Doppelungen und Wiederholungen spielt und die Frage stellt, wie fremd uns doch unser nächster Mensch sein kann und ob sich ein Leben nach einem Bruch einfach so fortsetzen lassen kann. Erneut eine tolle Sandra Hüller in einer Figur, die neben sich steht.

"Vergiss dein Ende" ist ein gut gespieltes und in einzelnen Momenten überzeugendes Kammersiel, das zeigt, wie Menschen im Umfeld eines Alzheimerkranken straucheln, sich über die permanente Anstrengung selbst erschöpfen und sich neu ausrichten und motivieren müssen. Recht unaufgeregt erzählt und mit tollen Darstellern besetzt, thematisch passend recht gut geschnitten aber das große "Aha" am Ende blieb für mich aus, ohne genau sagen zu können, was mir fehlte. Vielleicht hat Andreas Kannengießer seine Protagonisten nur ein wenig zu zeitig verlassen?

"Melancholia" ist ein großartiger Film. Ein Planet, der einem anderen Planeten begegnet, spiegelt die Depression einer jungen Frau trefflich wider und wird schließlich zu ihrer Erlösung. Der Vorspann ist ein ästhetisches Meisterwerk zum Verlieben, der Bruch in das "Fest"-Kapitel (schöne Remineszenz an den ersten Dogma-Film) mit seiner lebendig-nervösen Kamera war schon echt krass. Auch das Timing des Hochzeitskapitels (gefühlt etwas zu lang und detailliert) will mir als kleinere Schwäche erscheinen. Aber letztlich ist der Makel bedeutungslos, denn der gegensätzliche Wandel der Schwestern im zweiten Kapitel ist erneut meisterhaft und das Finale einfach gewaltig. Da will ich gern einige Kompromisse in der Logik zurückstecken hinter die umwerfende metaphorische Bedeutung.

"Cold Fish" hat mich nach meiner großen Faszination für "Love Exposure" sehr ernüchtert, ja gar mittelschwer verstört, da ich nahezu blind in den Film gegangen bin und selbst die Synopsis nur unskeptisch überflogen hatte. Sion Sono erzählt eine perfide, blutige und groteske Geschichte, einen mörderischen Amoklauf. Weniger brilliant und ästhetisiert wie "Geständnisse" und in einzelnen Szenen eher ein Lehrfilm für angehende Metzger ... Je blutiger und grotesker der Film wurde, um so mehr rückte ich von ihm ab. Nicht wirklich meine Baustelle. Dem dritten Teil von Sonos Trilogie werde ich wohl viel vorsichtiger begegnen.

"Bombay Diaries" verbindet einen sehr überschaubaren und miteinander verbundenen Figuren-Mikrokosmos mit dem Porträt einer Stadtansicht der Millionenmetropole, arbeitet viel mit (wirklich tollen) Fotografien sowie mit abgespielten Videoaufzeichnungen. Am Ende scheut sich der Nichtbollywood-Film mit seiner Menage-o-trois vor einem gewagten, nicht standesgemäßen Happy End sondern sucht seine Auflösung innerhalb traditioneller (Kasten-)Schranken. Auch insgesamt gesehen ist der Film ein bißchen zu wohlgefällig, ich fand ihn aber dennoch recht gut.

"Tyrannosaur" löst endlich das Versprechen ein, welches der Trailer von "Biutiful" am Jahresanfang versprach und das der zugehörige Film nicht halten konnte. Ein Sturm erfasst die Leinwand, befreit die Dinosaurier der einfachen englische Straße und entfesselt eine schmerzhafte Liebesgeschichte, die sich kein bißchen Schönheit gönnt und nicht davor zurückschreckt, richtig weh zu tun. Mit voller Wucht prallen hier Menschen aufeinander, auf der Straße, im Pub oder abgeschirmt hinter den Hausfassaden. Peter Mullan und Olivia Colman offenbaren eine beeindruckende Leistung unter ihrem Schauspieler-Regisseur Paddy Considine, der weiß was eine figurenstarke Geschichte bedeutet. Saustarkes Kino!

"Aftershock" war in China ein großer kommerzieller Erfolg, beginnt im Erdbeben von Tangshan 1976 eine äußerst tragische Geschichte, die sich dann über Jahrzehnte als kleine Familiensaga fortspinnt. Die Geschichte ist stark und berührend, leider will die Inszenierung diese immer wieder übertrumpfen und so wechseln sich sehr gute mit unnötig übersteigerten Szenen ab. Hinzu kommen Details in der Erzählung, die mich immer wieder zweifeln und das Drama nicht ganz wohlbehalten ins Finale einlaufen ließen. Einmal fühlte ich mich durch das Vorenthalten einer erwarteten Szene betrogen, ein anderes Mal suchte ich vergeblich nach der Notwendigkeit einer anderen Szene, andere wiederum erschienen sehr konstruiert.

"Cirkus Columbia" erzählt von den Tagen der Umwälzung in Bosnien vor Kriegsausbruch. Danis Tanovic beginnt mit einer sehr privaten, tragikomischen Geschichte und bringt eine längst entzweite Familie wieder zusammen. Das neue Glück der einen zerstört das mühsam errungene der anderen. In den jeweiligen Neuanfängen liegen Arroganz oder stille Würde. Allmählich und sehr sensibel flechtet Tanovic die wachsende politische Unruhe in den Lebenslauf seiner Figuren ein und fängt das Bild eines Landes vor schmerzhaften Veränderungen ein, aus dem das Karussell des titelgebenden Zirkus wie ein sehnsüchtiger Hoffnungsschimmer herausragt und nach dem Frieden nach dem Krieg Ausschau hält. Hat mir sehr gefallen.

Weiter geht es wohl demnächst mit Almodovar ...


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Albanisch-kosovarische Filmtage


Medeni Mesec (Goran Paskaljevic)
Kukumi (Isa Qosja)
Amnistia (Bujar Alimani)
Lindje, Perëndim, Lindje (Gjergj Xhuvani)

Die kurze albanisch-kosovarische Filmreihe wurde mit dem Albanien-Beitrag der Doku-Serie "Balkan Express" eröffnet, der auf das Leben im Umbruch vor allem in der aufstrebenden Metropole Tirana verweist, auf das auch einige Filme der Reihe Bezug nahmen. Vom alten traditionsgeprägten Albanien, wo der Alltag im Hochland vom streng regelnden Kanun beherrscht wird, war kaum noch etwas zu spüren.
Mag es nur am anderen Blickwinkel auf das Land liegen, oder hat sich hier tatsächlich bereits ein Generationswechsel vollzogen?

"Medeni Mesec" ("Flitterwochen") ist die erste Koproduktion zwischen Serbien und Albanien und vereint zwei parallel erzählte Geschichten über jeweils ein junges Paar, in deren Familien sich alte und moderne Lebensweisen und Ansichten vermischen und Konflikte nähren. Beide Paare brechen aus ihrem Land auf, um in ein anderes europäisches (westlicheres) Land zu gehen. Beide Handlungsstränge sind nahezu spiegelbildlich angeordnet und verdeutlichen so, dass das Leben, seine Herausforderungen und Probleme in beiden Ländern die gleichen sind. Das zwischen den Nationen liegende politisch umstrittene Kosovo wird auf absurde Weise beiden Paaren bei der Einreise in die anderen Länder zum Verhängnis. Somit ist "Medeni Mesec" um Neutralität und Entspannung bemüht und politisch sehr korrekt, zurück bleibt jedoch eine für meinen Geschmack zu offensichtlich konstruierte Geschichte.

"Kukumi" ist eine stille weil dialogarme Geschichte, die im Kosovo des Jahres 1999 spielt, als die UN-Truppen die Kontrolle im Land übernehmen. Trotz des ernsten Hintergrundes ist es ein sehr schöner und eigentümlich betörender kleiner Film, nicht zuletzt durch seine tollen Bilder, seine eindringliche Musik und eine sehr stimmige Inszenierung. In einer Art kreisförmiges Roadmovie entdecken drei Psychiatrie-Insassen auf unverhofftem Freigang ihre Heimat im Umbruch. Sie stolpern als gewitzte Glücksritter durch ein karges, verlassenes Land und entdecken (mehrsinnig) ihre neue Freiheit. Um sie herum flüchten Menschen oder nähren die Hoffnung auf Demokratie oder versuchen ihr Kapital aus der neuen Situation zu schlagen, während KFOR-Panzer durchs Land rollen. In gewissem Sinn könnte man das Abenteuer Freiheit der drei Figuren als eigenwillige Menage-a-trois beschreiben.

"Amnistia" ("Amnestie") erzählt zunächst parallel von einer Frau und einem Mann, die ihre jeweiligen Ehepartner im Gefängnis von Tirana besuchen, bis sich beide begegnen und ihre Geschichten sich zu einer verzahnen. Wie bei "In the mood for love" lernen sich hier eine Frau und ein Mann äußerst zag- und schamhaft kennen, während die abwesenden (inhaftierten) Ehepartner gesichtslos bleiben. Beiläufig klagt der Film die Zustände im Land an, wie zum Beispiel in jener ausdrucksstarken Szene, in der die Frau an einer endlos langen Besucherschlange am Gefängnis vorbei geht. Stärker bezieht er den Konflikt zwischen Tradition und Moderne ein, indem er dem sich heimlich findenden Paar einen sittenstrengen Schwiegervater der Frau gegenüberstellt, der sie aus ihrem Dorf in die Stadt fliehen lässt. Sie alle sind in ihrer Weise Gefangene und eine Amnestie gebiert und zerstört Hoffnungen gleichermaßen. "Amnistia" ist ein gut gespieltes, leises und formal konzentriertes Drama, das mir sehr gefallen hat.

"Lindje, Perëndim, Lindje" ("Der letzte Sprint") beschwört den albanischen Nationalstolz in Form eines tragikomischen Roadmovies. Albanien erhält nach Jahren endlich wieder eine Einladung zu einem internationalen Radrennen. Während sich ein Team von Amateuren, offensichtlich zum Verlieren verdammt, per Schiff auf den Weg macht, stürtzt in der Heimat das politische System zusammen. Der Umbruch macht sie zu Vergessenen und das Rennen rückt in weite Ferne. Per Rad machen sie sich auf den Weg in die Heimat die es so nicht mehr gibt. Der Film gibt sich gewitzt und lokalpatriotisch, sympathisiert mit seinen Figuren, schwächelt ein wenig beim Erzählen durch Weglassen von Hintergrund. Ganz nett, mehr nicht.


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Le Havre


Le Havre (Aki Kaurismäki)

In seiner optimistischeren Grundstimmung, seinen hellen farbigen Bildern, dem Nähren von Hoffnung ist "Le Havre" auf den ersten Blick gar kein richtig typischer Film von Kaurismäki. Und dennoch ist er es: ein mit leichter Lakonie erzählter freudloser Überlebenskampf des kleinen Mannes. "Le Havre" ist dabei wie eine Remineszenz an das ganze Werk des Finnen und überstrahlt dessen Repertoire der Tristesse als eine Art modernes Märchen, in dem Wunder tatsächlich möglich scheinen und ich gern an sie glauben wollte. Obwohl der Film in Frankreich spielt wie einst "Das Leben der Boheme" und eine späte Fortsetzung dessen sein könnte, ist "Le Havre" voll mit bekannten Gesichtern aus dem Kaurismäki-Universum. Allen voran verzaubert wie so oft Kati Outinen in ihrer (Neben-)Rolle. Wenn sie am Tisch sitzt und plötzlich zusammensinkt, bricht es einem das Herz. Fast ohne Dialog weiß man sofort um ihr Leid und ihre Resignation vor dem Unabwendbaren.
Ich habe "Le Havre" sehr gern gesehen.





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Gerngucker
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