Zurück vom Filmfest Cottbus. Die Qualität der Filme war gemischter als sonst, ein ums andere Mal wandelten sich neugierig machende Titel in mittlere Enttäuschungen, während sich woanders ganz unverhofft Überraschungen zeigten.
Der Feind (Dejan Zecevic, Serbien-Montenegro)
Mein persönlich stärkstes Filmerlebnis, ein atmosphärisch ungeheuer dichter, ja gespenstischer Gänsehaut-Kriegsthriller. Wenige Stunden nach Kriegsende öffnet eine serbische Einheit eine Kellerwand und befreit einen tagelang eingeschlossenen und befremdlich unversehrten Mann, der zu ihrem zynischen, diabolisch kommentierenden Begleiter wird. Es ist, als hätten sie den leibhaftigen Satan befreit. Die Stimmung im Minenbeseitigungs-Trupp beginnt zu brodeln, Mißtrauen, Angst und der Tod treten zwischen die Männer. Der Film ist ein klaustrophobisches Kammerspiel auf einem durchweg hohen Spannungsniveau, geradlinig ohne Schnörkel erzählt, eine schockierende, symbolgeladene Kriegsaufarbeitung, die man nicht so leicht vergisst.
Wenn das Samenkorn nicht stirbt (Sinisa Dragin, Rumänien)
Ein rumänischer und ein serbischer Vater auf der Suche nach ihren verschollenen Kindern irren auf ihren Odysseen über den Balkan umher, ganz beiläufig kreuzen sich mehrfach ihre Wege und treffen am Ende inmitten der Donau wieder aufeinander, wo sich die tragikomischen Gegenwartsgeschichten mit einer wunderbar mythisch überhöhten Legende über eine einst über das Land gezogene und im Fluss versunkene Kirche verbinden. Gerade diese mehrfach eingewobene historische Geschichte (die ein wenig an "Fitzcaraldo" erinnert) bildet einen sehr schönen poetischen, staunenswerten Kontrast zu den dramatischen wie grotesken Wirren des Alltags, durch den sich die Protagonisten in der Gegenwart kämpfen müssen.
Jelena (Andrej Swjagintsev, Russland)
Der dritte Spielfilm des derzeit vielleicht besten russischen Nachwuchsregisseurs ("The Return") spielt diesmal nicht in einem archaischen Nirgendwo, sondern vornehmlich im Moskauer Haus eines reichen Mannes, der von seiner Frau Jelena geliebt und umsorgt wird. Durch die gutsituierte Ehe ist Jelena in der Lage, auch die Familie ihres nichtsnutzigen Sohnes aus erster Ehe durchzubringen. Eine bedenklich übertriebene Mutterliebe treibt Jelena in die Enge, als ihr Mann dies nicht mehr unterstützen möchte. Swjagintev zeigt sich auch in diesem zeitgenössischen Drama als meisterhafter Regisseur, die Bilder zweier gegensätzlicher Lebenswelten sind atmosphärisch toll fotografiert und ganz sparsam aber ungeheuer wirkungsvoll ist eine mehrfach auf- und abschwellende Musik eingesetzt, die die Spannung enorm anfacht. Im Zentrum des Filmes steht die zweifelhafte Heldin Jelena, die unglaublich gut von Nadezhda Markina gespielt wird. Einziges Manko von "Jelena" ist vielleicht wie schon bei "The Banishment", dass die Geschichte fast ein wenig zu klein für so einen großartig inszenierten Film ist.
Personalausweis (Ondrej Trojan, Tschechien/Slowakai)
Diese Coming of Age Geschichte war für mich eine ganz wunderbare Überraschung. Vier Schulfreunde werden Mitte der 1970er Jahre langsam erwachsen und der tragikomische Film fängt ganz leicht und unbeschwert die Sorgen, Nöte und Freuden der Jungs zwischen Schulbank, Familie und den neu winkenden "Freiheiten" als junge Erwachsene ein. Regisseur Ondrej Trojan weiß wovon er erzählt, denn er war selbst in besagter Zeit so alt wie seine Helden. Er weiß seine Geschichte sowohl mit sehr viel Humor und nostalgischem Charme auszugestalten und damit (nicht nur) meine Sympathie zu gewinnen, wie auch den Ernst, Ängste und Repressalien dieser Ära einzubinden. Trojan verrät seine Figuren nie und weiß immer wieder zu überraschen, vergisst am Ende nur ein, zwei lose Fäden von Nebenfiguren zu Ende zu knüpfen. Ein beherzter Film für ein dankbares Publikum, ganz angenehm mitten auf einem Festival.
Außerdem habe ich gesehen:
Zaster (Konstantin Buslov, Russland)
Mainstreamige Komödie über die Jagd nach einem Geldkoffer, der mehrfach seinen (unrechtmäßigen) Besitzer wechselt. Eine gewalttätige Odyssee durch ein modernes kapitalistisches Russland. Hat mir nix gegeben.
Der Jäger (Bakur Bakuradze, Russland)
Der triste Alltag eines Bauern wird aufgebrochen, als er sich ganz allmählich in eine andere Frau verliebt und ihn in Entscheidungsnot bringt. Der Film verrinnt unendlich langsam und zäh. Ein interessanter Ansatz, leider als übertriebene Geduldsprobe verpackt.
Salz Weiß (Keti Machavariani, Georgien)
Drei einsame Menschen treffen als mittellose "Glücksritter" in einem Ferienort am Schwarzen Meer aufeinander, verweilen kurz und driften wieder auseinander auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück und einer besseren Zukunft. Ganz unaufgeregt erzählt und inszeniert, hat mir gefallen.
Sonnige Tage (Nariman Turebayev, Kasachstan)
Die Abwärtsspirale eines jungen arbeitslosen Mannes, der bis zu seinem 30. Geburtstag alles verlieren wird. Ein sehr träge erzählter und bedrückender Film mit diversen Regiefehlern, durch den ich mich gequält habe.
Crulic (Anca Damian, Rumänien/Polen)
Eine nüchtern erzählte Rekonstruktion über den Tod eines zweifelhaft verurteilten und aus Protest in Hungerstreik getretenen Mannes. Eine wahre Geschichte, visuell in (nahezu beliebig) vielen Animationsstilen umgesetzt. Das lag mir nur wenig, zudem ich von der Unschuldigkeit des Mannes bis zuletzt nicht wirklich überzeugt wurde.
Rotes Eis. Saga über die Chanten von Ugra (Oleg Fesenko, Russland)
Kaum an historischen Hintergründen oder an seinen Figuren interessierter Actionfilm, in dem die Sowjetarmee mit sozialistischem Erziehungsauftrag auf das ursprünglich lebende Volk der Chanten trifft. Zuviel Kamerafahrten, Schnitte, Action und Effekte, ein total verschenkter Stoff mit nur wenigen wirklich guten Einzelszenen, die das Potential bei einer sensibleren Inszenierung hervorblitzen ließen.
Asche und Blut (Fanny Ardant, Frankreich/Rumänien/Portugal)
Fanny Ardant debütiert hier als Drehbuchautorin und Regisseurin, schwebt allerdings mehr als "Künstlerin" über ihrem recht ambitioniert klingenden Projekt und verschenkt das Potential ihres Blutrachedramas durch eine unkonzentrierte, zum Abschweifen neigende Erzählung und Inszenierung. Schade. Meine größte Enttäuschung des Festivals.
Ich heiße Ki (Leszek Dawid, Polen)
Eine humorbewusste Alltagsgeschichte über eine temperamentvolle und recht anstrengende junge alleinerziehende Frau, die sich auf ihre unangepasste Weise durch das Leben schlägt und für ihre Mitmenschen immer wieder zur Belastungsprobe wird. Leichtfüßig, gewitzt, charmant. Hat mir sehr gefallen. Nur begegnen möchte ich der echten Ki auch nicht.
Portrait im Zwielicht (Angelina Nikonova, Russland)
Eine vergewaltigte Frau nimmt auf ungewöhnliche Weise Rache an ihrem Peiniger, indem sie ihn zu therapieren versucht. Der Film ist schon recht gut gemacht und konzentriert erzählt und verdichtet, aber die Motivation der Frau blieb mir fremd und fragwürdig und somit auch die Aussage des Filmes, der zur Selbsterniedrigung aufzurufen scheint.
Der Feind (Dejan Zecevic, Serbien-Montenegro)
Mein persönlich stärkstes Filmerlebnis, ein atmosphärisch ungeheuer dichter, ja gespenstischer Gänsehaut-Kriegsthriller. Wenige Stunden nach Kriegsende öffnet eine serbische Einheit eine Kellerwand und befreit einen tagelang eingeschlossenen und befremdlich unversehrten Mann, der zu ihrem zynischen, diabolisch kommentierenden Begleiter wird. Es ist, als hätten sie den leibhaftigen Satan befreit. Die Stimmung im Minenbeseitigungs-Trupp beginnt zu brodeln, Mißtrauen, Angst und der Tod treten zwischen die Männer. Der Film ist ein klaustrophobisches Kammerspiel auf einem durchweg hohen Spannungsniveau, geradlinig ohne Schnörkel erzählt, eine schockierende, symbolgeladene Kriegsaufarbeitung, die man nicht so leicht vergisst.
Wenn das Samenkorn nicht stirbt (Sinisa Dragin, Rumänien)
Ein rumänischer und ein serbischer Vater auf der Suche nach ihren verschollenen Kindern irren auf ihren Odysseen über den Balkan umher, ganz beiläufig kreuzen sich mehrfach ihre Wege und treffen am Ende inmitten der Donau wieder aufeinander, wo sich die tragikomischen Gegenwartsgeschichten mit einer wunderbar mythisch überhöhten Legende über eine einst über das Land gezogene und im Fluss versunkene Kirche verbinden. Gerade diese mehrfach eingewobene historische Geschichte (die ein wenig an "Fitzcaraldo" erinnert) bildet einen sehr schönen poetischen, staunenswerten Kontrast zu den dramatischen wie grotesken Wirren des Alltags, durch den sich die Protagonisten in der Gegenwart kämpfen müssen.
Jelena (Andrej Swjagintsev, Russland)
Der dritte Spielfilm des derzeit vielleicht besten russischen Nachwuchsregisseurs ("The Return") spielt diesmal nicht in einem archaischen Nirgendwo, sondern vornehmlich im Moskauer Haus eines reichen Mannes, der von seiner Frau Jelena geliebt und umsorgt wird. Durch die gutsituierte Ehe ist Jelena in der Lage, auch die Familie ihres nichtsnutzigen Sohnes aus erster Ehe durchzubringen. Eine bedenklich übertriebene Mutterliebe treibt Jelena in die Enge, als ihr Mann dies nicht mehr unterstützen möchte. Swjagintev zeigt sich auch in diesem zeitgenössischen Drama als meisterhafter Regisseur, die Bilder zweier gegensätzlicher Lebenswelten sind atmosphärisch toll fotografiert und ganz sparsam aber ungeheuer wirkungsvoll ist eine mehrfach auf- und abschwellende Musik eingesetzt, die die Spannung enorm anfacht. Im Zentrum des Filmes steht die zweifelhafte Heldin Jelena, die unglaublich gut von Nadezhda Markina gespielt wird. Einziges Manko von "Jelena" ist vielleicht wie schon bei "The Banishment", dass die Geschichte fast ein wenig zu klein für so einen großartig inszenierten Film ist.
Personalausweis (Ondrej Trojan, Tschechien/Slowakai)
Diese Coming of Age Geschichte war für mich eine ganz wunderbare Überraschung. Vier Schulfreunde werden Mitte der 1970er Jahre langsam erwachsen und der tragikomische Film fängt ganz leicht und unbeschwert die Sorgen, Nöte und Freuden der Jungs zwischen Schulbank, Familie und den neu winkenden "Freiheiten" als junge Erwachsene ein. Regisseur Ondrej Trojan weiß wovon er erzählt, denn er war selbst in besagter Zeit so alt wie seine Helden. Er weiß seine Geschichte sowohl mit sehr viel Humor und nostalgischem Charme auszugestalten und damit (nicht nur) meine Sympathie zu gewinnen, wie auch den Ernst, Ängste und Repressalien dieser Ära einzubinden. Trojan verrät seine Figuren nie und weiß immer wieder zu überraschen, vergisst am Ende nur ein, zwei lose Fäden von Nebenfiguren zu Ende zu knüpfen. Ein beherzter Film für ein dankbares Publikum, ganz angenehm mitten auf einem Festival.
Außerdem habe ich gesehen:
Zaster (Konstantin Buslov, Russland)
Mainstreamige Komödie über die Jagd nach einem Geldkoffer, der mehrfach seinen (unrechtmäßigen) Besitzer wechselt. Eine gewalttätige Odyssee durch ein modernes kapitalistisches Russland. Hat mir nix gegeben.
Der Jäger (Bakur Bakuradze, Russland)
Der triste Alltag eines Bauern wird aufgebrochen, als er sich ganz allmählich in eine andere Frau verliebt und ihn in Entscheidungsnot bringt. Der Film verrinnt unendlich langsam und zäh. Ein interessanter Ansatz, leider als übertriebene Geduldsprobe verpackt.
Salz Weiß (Keti Machavariani, Georgien)
Drei einsame Menschen treffen als mittellose "Glücksritter" in einem Ferienort am Schwarzen Meer aufeinander, verweilen kurz und driften wieder auseinander auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück und einer besseren Zukunft. Ganz unaufgeregt erzählt und inszeniert, hat mir gefallen.
Sonnige Tage (Nariman Turebayev, Kasachstan)
Die Abwärtsspirale eines jungen arbeitslosen Mannes, der bis zu seinem 30. Geburtstag alles verlieren wird. Ein sehr träge erzählter und bedrückender Film mit diversen Regiefehlern, durch den ich mich gequält habe.
Crulic (Anca Damian, Rumänien/Polen)
Eine nüchtern erzählte Rekonstruktion über den Tod eines zweifelhaft verurteilten und aus Protest in Hungerstreik getretenen Mannes. Eine wahre Geschichte, visuell in (nahezu beliebig) vielen Animationsstilen umgesetzt. Das lag mir nur wenig, zudem ich von der Unschuldigkeit des Mannes bis zuletzt nicht wirklich überzeugt wurde.
Rotes Eis. Saga über die Chanten von Ugra (Oleg Fesenko, Russland)
Kaum an historischen Hintergründen oder an seinen Figuren interessierter Actionfilm, in dem die Sowjetarmee mit sozialistischem Erziehungsauftrag auf das ursprünglich lebende Volk der Chanten trifft. Zuviel Kamerafahrten, Schnitte, Action und Effekte, ein total verschenkter Stoff mit nur wenigen wirklich guten Einzelszenen, die das Potential bei einer sensibleren Inszenierung hervorblitzen ließen.
Asche und Blut (Fanny Ardant, Frankreich/Rumänien/Portugal)
Fanny Ardant debütiert hier als Drehbuchautorin und Regisseurin, schwebt allerdings mehr als "Künstlerin" über ihrem recht ambitioniert klingenden Projekt und verschenkt das Potential ihres Blutrachedramas durch eine unkonzentrierte, zum Abschweifen neigende Erzählung und Inszenierung. Schade. Meine größte Enttäuschung des Festivals.
Ich heiße Ki (Leszek Dawid, Polen)
Eine humorbewusste Alltagsgeschichte über eine temperamentvolle und recht anstrengende junge alleinerziehende Frau, die sich auf ihre unangepasste Weise durch das Leben schlägt und für ihre Mitmenschen immer wieder zur Belastungsprobe wird. Leichtfüßig, gewitzt, charmant. Hat mir sehr gefallen. Nur begegnen möchte ich der echten Ki auch nicht.
Portrait im Zwielicht (Angelina Nikonova, Russland)
Eine vergewaltigte Frau nimmt auf ungewöhnliche Weise Rache an ihrem Peiniger, indem sie ihn zu therapieren versucht. Der Film ist schon recht gut gemacht und konzentriert erzählt und verdichtet, aber die Motivation der Frau blieb mir fremd und fragwürdig und somit auch die Aussage des Filmes, der zur Selbsterniedrigung aufzurufen scheint.