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Gernguckers Filmtagebuch





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Perfect Sense



Aktuell kaum Zeit für Kino, aber einen Film habe ich dann doch (schon letzte Woche) gesehen, der zugleich meine Jahresliste kräftig durcheinander wirbelt:

Perfect Sense (David Mackenzie)

Kaum zu glauben, dass der Regisseur einer Obergurke wie "Stellas Versuchung" jetzt einen Film ablieferte, der mich derartig beeindruckt hat und der viel seiner (vermutlich) exzellenten Romanvorlage zu verdanken hat. "Perfect Sense" erzählt eine Apokalypse, lässt die Menschheit auf ihren Untergang zusteuern und schafft es dabei, uns keinen falschen Heldenmut und oder ein glorreiches Happy End zuzumuten, sondern erzählt an allen vom effektösen Hollywoodkino ausgetretenen Genrekonventionen vorbei. Das warum und wieso interessiert überhaupt nicht, sondern das wie. Und er hält uns einen irritierend schönen Spiegel vor, aus dem Häßlichkeit herausschaut. Wie jeden Tag x-mal in den Nachrichten zu verfolgen, geschehen unfassbare Unglücke und Katastrophen, aber nach einem kurzen Pusch schwindet das Interesse schlagartig wieder und wir lernen uns wieder aufzurichten und mit einer Welt zu arrangieren, die wieder ein bißchen kaputter und ärmer geworden ist. Der Autor Aakeson stellte an den Schluss seiner sehr klug konstruierten und nachhaltigen Erzählung eine so berührende wie ausweglose Horrorvision. Und Mackenzie filmt diesen Niedergang in einem passenderweise sinnlichen Tonfall, rückt ein sich hoffnungsvoll findendes wie aneinander reibendes Liebespaar ins Zentrum (intensiv: McGregor meets Green), durch deren Augen wir die kommenden Verluste erleben. Unter seiner Regie wird der Film zu einem stilvollen, sich nach Romantik sehnenden aber dann wehrlos ergebenden Bilderrausch.
Ein Film der berührt, mitnimmt und schockiert, der einen lieben und leiden lässt. Respekt!




Ich denke, das ist ein Film über die Besinnung auf das Wesentliche, das das Menschsein ausmacht. Und wohl auch ein Film, der zu Bescheidenheit mahnt. Denn schließlich wird der Mensch hier als sehr machtlos gegenüber den Kräften der Natur dargestellt.
Was ich sagen will: Ein Film wider dem Größenwahn und dem Werteverlust in der multimedialen, industrialisierten und globalisierten Welt. So kann man es zumindest interpretieren.

Die wiederholten Szenen, in denen Normalität einkehrt und die Leute sich mit dem kontinuierlichen Verlust arrangieren, fand ich wie Du ganz stark. Ich denke das ist eine Metapher für Oberflächlichkeit und den Drang des Menschen, Unangenehmes auszublenden.

Was mir sehr gut gefiel, war die filmische Umsetzung. Der hypnotisierende und hoch emotionale Bilderrausch und vor allem das Ausbleiben von Bildern (schwarze Leinwand) und das Ausbleiben von Ton, um Sinnesverlust greifbar zu machen, waren schon recht beeindruckend, fand ich.
Der Film implodiert am Ende ja regelrecht zu einem Nichts. Schade nur dass das etwas aufgeweicht wurde durch das Voice Over.

Am besten gefiel mir aber natürlich Eva Green. Beste junge Schauspielerin, die wo gibt. Punkt.
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Deinem ersten Absatz kann ich nur zustimmen. Das sehe ich ähnlich. Selten war eine globale Katastrophe im Film weiter von einer hoffnungsspendenden Rettungsmöglichkeit entfernt als hier. Der Mensch wurde in seine Schranken gewiesen, ein lästiger und unverfrorener Parasit, dessen sich die Erde entledigt.

Die meines Erachtens stärkste Szene wurde im Film selbst nicht gezeigt, sondern entstand erst nachher in meinem Kopf: Ein hilflos schreiendes Baby in Berlin, kaum auf der Welt, schon dem Tod geweiht. Der letzte Hoffnungsfunke. Umsonst.

Das Voice Over über dem Finale passte für mich, bzw. empfand ich es nicht als störend. Die Menschheit versucht sich ein verzweifeltes letztes Mal aufzurichten. Doch die Bilder sind bereits am Ende. Zurück bleibt eine namenlose (innere) Stimme, die ungehört bleibt.

Ich bekomme gerade schon wieder eine Gänsehaut ...

Eva Green kenne ich sonst nur noch aus "Die Träumer". Das reicht mir noch nicht für eine Bestätigung deiner Meinung aus.
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Ja, OK, wenn man das als innere Stimme deutet, ergibt es natürlich Sinn.

Das mit dem Baby war in der Tat sehr stark. Am Besten gefielen mir aber wohl die sehr intim gestalteten Szenen der Zweisamkeit zwischen McGregor und Eva Green.
Mitunter am Besten gefiel mir auch die Sequenz mit dem Fress-Flash, wo jeder alles Essbare in sich hinein gestopft hat. Mal abgesehen davon dass das ein etwas zu plakatives Sinnbild für den hemmungslosen Ressourcenverbrauch der Menschheit ist (falls es denn eins sein soll), fand ich das absolut surreal und psychedelisch umgesetzt.

Ebenfalls die ständigen Einschübe mit den grandiosen Naturbildern (Lawinen, Tiere, etc.) fand ich sehr atmosphäre- und bedeutungsfördernd.

Hm, ja eigentlich gefiel mir fast alles an diesem Film. Bis auf die ekeligen Fische natürlich. Ich könnte den Film glatt noch mal sehen, lan.

Zu Eva Green empfehle ich:

http://www.amazon.de...24131993&sr=8-1

Toller psychotischer Film aus dem UK. Widmet sich vielleicht nicht so großen Themen wie PERFECT SENSE, ist aber auch sehr sehr stark.

P.S.: Ich würde ja noch "Casino Royale" und "Kingdom of Heaven" empfehlen, aber die sind für Deinen Geschmack vielleicht zu mainstreamig.
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Ubaldo Terzani sagte am 17. Dezember 2011, 15:42:

Hm, ja eigentlich gefiel mir fast alles an diesem Film. Bis auf die ekeligen Fische natürlich. Ich könnte den Film glatt noch mal sehen, lan.

Geht mir genau so. Unbedingt einer meiner besten Filme des Jahres. Das wurde mir in den letzten Tagen immer deutlicher. Und ich werde ihn auch noch einmal sehen. Unbedingt im Kino.


Ubaldo Terzani sagte am 17. Dezember 2011, 15:42:

Zu Eva Green empfehle ich: http://www.amazon.de...24131993&sr=8-1 Toller psychotischer Film aus dem UK. Widmet sich vielleicht nicht so großen Themen wie PERFECT SENSE, ist aber auch sehr sehr stark. P.S.: Ich würde ja noch "Casino Royale" und "Kingdom of Heaven" empfehlen, aber die sind für Deinen Geschmack vielleicht zu mainstreamig.

Mit deinem PS hast Du sicher recht. Das sollte nicht mein Metier sein. Aber "Kingdom of Heaven" wollte ich ohnehin mal anschauen, da der von verschiedenen Seiten sehr gelobt bzw. respektierend bewertet wurde.
"Cracks" ist vorgemerkt aber momentan für mich nicht erreichbar. Vielleicht kommt ja eine DVD-VÖ auch auf dem deutschen Markt. Kennst Du eigentlich "Womb"? Den hab ich sowohl beim Festival als auch im Kino ausgelassen.
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Den kontrovers rezipierten "Womb" kenne ich freilich auch. Der Film wird aufgrund seiner Handlungsebene (absonderliche Klon-Geschichte) ja teilweise recht heftig kritisiert (auch hier im Forum im "kurzkommentare"-Thread vor einiger Zeit). Dabei ist diese Klon-Geschichte mehr oder weniger Mittel zum Zweck. Denn es geht in Wahrheit nämlich um die Notwendigkeit und Akzeptanz von Vergänglichkeit und Sterblichkeit; obwohl es sich um einen tragischen Film handelt, ist er auf semantischer Ebene also durchaus trostspendend und versöhnlich.

Zudem -- absonderliche Klon-Geschichte hin oder her -- sieht man hier ein gutes psychologisches Drama über das Dilemma einer Frau, die unter großer Trauer und großem Schmerz eine unreflektierte Entscheidung getroffen hat und nun im übertragenen Sinne mit den Geistern klarkommen muss, die sie einst rief, was ihren Schmerz letztendlich nur noch verstärkt. Und der Film ist auch das Drama eines jungen Mannes, der auf schmerzliche Weise von seiner Identität verwirrt ist und mit ihr kämpft.

Mir gefiel auch dass der Film im Gegensatz zu anderen Gentechnik-Dystopien sehr reduziert ist: ein Haus am Meer (sehr universelle und zeitlose Location), weitgehend nur 2 Personen, fertig.

Die Inszenierung dieses Dramas fand ich auch bereichernd (zumindest größtenteils): Ein Setting, das gleichermaßen schön und morbid ist, kunstvolle und beschauliche, oft statisch wirkende Bildkompositionen, bläulich kühle Farbgestaltung, retardiertes Pacing.
Ein sehr guter atmosphärischer Rahmen also für dieses psychologische Kammerspiel.

Allerdings, na ja: Der Film wirkt in manchen Szenen arg über-inszeniert und einfach …artsy-fartsy, leider. An manchen Stellen wären weniger bedeutungsschwangere Bilder angebracht gewesen, fand ich.

Von diesen paar Momenten abgesehen hat mir WOMB aber gefallen -- sowohl erzählerisch als auch filmisch und atmosphärisch. Und Eva Green spielt die zerbrechende Frau einfach *phänomenal* und ergreifend, lan. Sie ist hier sogar noch besser als in "Perfect Sense".
Ob der Film Dir gefallen würde, weiß ich nicht. Wie gesagt: Er polarisiert und spaltet die Gemüter. Trotzdem: Angucken schadet ja nicht, und angucken würde ich auch empfehlen. :)
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Danke für deine Einschätzung. "Womb" gibt es ja bereits als Leih-DVD. Ich werde ihn bei Gelegenheit anschauen. Schon der Hinweis auf die Bilder und Atmosphäre klingen für mich interessant genug.
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Gerngucker
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