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Gernguckers Filmtagebuch





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Jahresrückblick 2011



Jahresrückblick 2011

Mein diesjähriger großer Favorit "A Torinoi Lo - The Turin Horse" von Bela Tarr war bislang leider nur auf Festivals zu entdecken, doch man darf zur Zeit auf einen baldigen Kinostart hoffen.
"A Torinoi Lo" ist ein Meisterwerk! Ein ästhetisches Kunstwerk in empfindlichem Schwarzweiß, sparsam in Dialog und Handlung, ganz dicht am Stummfilm dran. Ein Bela Tarr eben und so konsequent und stilvollendet wie kaum zuvor. Er beschreibt eine zeit- und raumlose Apokalypse, in der das Leben erstirbt. Der zweieinhalbstündige Film besteht aus lediglich 30 Sequenzen, jede für sich eine Meisterleistung an Kamerabewegung und Lichttechnik, viele von ihnen mit der immergleichen melancholischen Musik untermalt. Das verlangt zugegebenermaßen sehr viel Geduld vom Zuschauer ab, die man dem ungarischen Autorenfilmer einfach zugestehen muss. Bela Tarr durchquert, erforscht und öffnet seinen Raum, so dass ich mich bald mitten in der Bauernhütte wähnte und dem voranschleichenden Niedergang machtlos beiwohnte. Mit großen, staunenden Augen (fest auf die Leinwand gerichtet, um keine Sekunde zu verpassen) wurde ich Zeuge, wie der Alltag der Bauern mit ihren banalen, sich stoisch wiederholenden Ritualen, sich immer weiter verdichtete. Und besonders die mit der Musik unterlegten Szenen, die mitunter oft minutenlang das immergleiche zeigen, gehören zu den großartigsten des Filmes. Szenen, die keine Worte der Beschreibung finden und mich einmal mehr sprachlos machten.
Leider ist das vermutlich Bela Tarrs letzter Film, der selbst bekundete, mit diesem Niedergang der Welt ein standesgemäßes Ende seiner Regisseurslaufbahn geschaffen zu haben. Und leider muss ich ihm da auch noch zustimmen, denn "A Torinoi Lo" ist in der Tat eine Art kompromissloser Endpunkt.



K I N O F I L M E


01. Perfect Sense (David Mackenzie, UK)
02. Halt auf freier Strecke (Andreas Dresen, Deutschland)
03. Winter's Bone (Debra Granik, USA)
04. Melancholia (Lars von Trier, Dänemark)
05. Pina - Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren 2D (Wim Wenders, Deutschland)
06. Tyrannosaur (Paddy Considine, UK)
07. Nader und Simin (Ashgar Farhadi, Iran)
08. Midnight in Paris (Woody Allen, USA)
09. Brownian Movement (Nanouk Leopold, Niederlande)
10. Le Havre (Aki Kaurismäki, Finnland)

Runners up: Und dann der Regen, Schlafkrankheit, Der Gott des Gemetzels, Cirkus Columbia, Der Name der Leute, Another Year, Angele und Tony, Die Haut in der ich wohne, Incendies

Dazu seien noch 5 Filme erwähnt, die sich in diesem Jahr auf die ein oder andere Art besonders herausgestellt und zumindest teilweise meine Achtung gewonnen haben.

I Killed My Mother (Xavier Dolan, Kanada)
Mad Circus (Alex de la Iglesia, Spanien)
Die Mühle und das Kreuz (Lech Majewski, Polen)
The Tree of Life (Terrence Malick, USA)
Vier Leben (Michaelangelo Frammartino, Italien)


In stillem Gedenken an unseren einstigen Community-Preis von kino.de gibt es noch einige Listen für die mir wichtigsten unserer üblichen Kategorien. Kürzer gefasst als sonst, vielleicht etwas weniger gut überlegt.

Beste Regie:
1. David Mackenzie ("Perfect Sense")
2. Andreas Dresen ("Halt auf freier Strecke")
3. Wim Wenders ("Pina")
4. Lars von Trier ("Melancholia")
5. Nanouk Leopold ("Brownian Movement")

Bestes Drehbuch:
1. Kim Fupz Aakeson ("Perfect Sense")
2. Woody Allen ("Midnight in Paris")
3. Asghar Farhadi ("Nader und Simin")
4. Ulrich Köhler ("Schlafkrankheit")
5. Debra Granik/Anne Rosellini/Daniel Woodrell ("Winter's Bone")

Beste Kamera:
1. Emmanuel Lubezki ("The Tree of Life")
2. Lech Majewski/Adam Sikora ("Die Mühle und das Kreuz")
3. Manuel Alberto Claro ("Melancholia")
4. Kiko de la Rica ("Mad Circus")
5. Matthew Libatique ("Black Swan")

Bester Darsteller:
1. Peter Mullan ("Tyrannosaur")
2. Sean Penn ("Cheyenne")
3. Christopher Plummer ("Beginners")
4. Pierre Bokma ("Schlafkrankheit")
5. Colin Firth ("The King's Speech")

Beste Darstellerin:
1. Sandra Hüller ("Brownian Movement" und "Über uns das All")
2. Clotilde Hesme ("Angele und Tony")
3. Kirsten Dunst ("Melancholia")
4. Jennifer Lawrence ("Winter's Bone")
5. Olivia Colman ("Tyrannosaur")

Bestes Darstellerensemble:
1. Another Year
2. Halt auf freier Strecke
3. Nader und Simin
4. Der Gott des Gemetzels
5. Le Havre

Größte Enttäuschung:
1. Bibliotheque Pascal
2. Biutiful
3. Poll
4. The Tree of Life
5. Der Albaner

Zelluloidverschwender:
1. The Tree
2. An einem Samstag
3. Auf brennender Erde
4. Mr. Nice
5. Four Lions




F E S T I V A L F I L M E


01. A Torinoi Lo - The Turin Horse (Bela Tarr, Ungarn)
02. Neprijatelj - Der Feind (Dejan Zecevic, Serbien/Montenegro)
03. Amnistia - Amnesty (Bujar Alimani, Albanien)
04. El Premio - The Prize (Paula Markovitch, Mexico)
05. Medianeras (Gustavo Taretto, Argeninien)
06. Obcansky Prukaz - Personalausweis (Ondrej Trojan, Tschechien/Slowakei)
07. Elena - Jelena (Andrej Tswjagintsev, Russland)
08. Daca Bobul Nu Moare - Wenn das Samenkorn nicht stirbt (Sinisa Dragin, Rumänien)
09. Ki - Ich heiße Ki (Leszek Dawid, Polen)
10. Shanzha shu zhi Lian - Under the Hawthorn Tree (Zhang Yimou, China)




A Torinoi Lo kann ich nirgendwo auftreiben, leider. Auf (Import)-DVD gibt es ihn scheinbar nicht, zumindest kann ich ihn nicht finden. :( Dabei will ich den Film unbedingt sehen, seitdem Du (und ich glaube Sambo) ihn auf kino.de empfohlen habt.

Na ja, irgendwann wird er dem deutschen Zuschauer schon zugänglich sein. Immerhin ist der Film eine deutsche Co-Produktion.

Zumindest habe ich Nader und Simin mittlerweile endlich sehen können. :)

Schöne Top 10 übrigens, Gerni, auch wenn ich persönlich anders platziert habe. Aber sowohl in Deinen Top 10 als auch in Deinen Runners Up finden sich viele Filme, die auch mich begeistert haben.

Guten Rutsch. Ubaldo geht jetzt vorglühen. :D
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"A Torinoi Lo" soll ab 15. März 2012 im deutschen Kino starten.
Das sagt zumindest die Website von Basis Film.
http://www.basisfilm...ite3.php?id=279.
Allerdings gab es bereits schon angekündigte Starttermine für November 2011 und Januar 2012, so dass ich selbst noch nicht ganz sicher bin, ob nun dieser Termin gehalten wird. Ich hoffe es. Denn ich will den Film unbedingt bald wiedersehen.

Bis dahin: Mach's gut bis nächstes Jahr.
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Offenbar geht es uns beiden recht ähnlich, was den jeweiligen Favoriten des anderen betrifft (wobei sich das ja schon lange abgezeichnet hat, insofern finde ich hier nur die Bestätigung). Ich mache ja kein Geheimnis draus, daß das "Turiner Pferd" mich zwar schon beeindrucken, aber nicht vollauf begeistern konnte - dafür gab es mir einfach zu viel an Wiederholungen in dem Film, die mich nicht so sehr sprachlos machten, sondern meine Geduld arg strapazierten und manchmal auch überstrapazierten. Sicherlich ein bemerkenswertes Werk (besonders die Kamera habe ich ja noch mal eigens in meinem Jahresrückblick erwähnt), aber bei mir dann doch nur ein "Respektfilm".
(Die Untergangsstimmung des Films paßt allerdings sehr gut zur Lage der Kulturschaffenden in Ungarn unter der unsäglichen Orban-Regierung mit ihrer Zweidrittelmehrheit. Möge sie in den tiefsten Orkus fahren!)
Dir scheint es wiederum mit "Melancholia" zumindest im Ansatz zu ähnlich gegangen zu sein.

Die größte Differenz tut sich zwischen uns sicher bei "The Tree of Life" auf, der bei Dir zu den Enttäuschungen gehört, während ich ihn - wenn auch mit leichten Abstrichen - so großartig fand, daß er zu meinen Favoriten des Jahres gehört.

Bei den Festivalfilmen scheint mir "Under the Hawthorne Tree" ja sogar noch besser als Dir gefallen zu haben - was ja insofern bemerkenswert ist, weil Du ja eigentlich der größere Zhang-Liebhaber von uns bist. :)
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Wobei mein leichtes Mäkeln an Melancholia kaum etwas zu bedeuten hat, da ich ihn immerhin noch ganz dicht an meine Spitze gesetzt habe. Die Plätze 2-5 sind ohnehin alle sehr tagesformabhängig platziert. Ich habe zwar unter den Kinofilmen mit "Perfect Sense" eine deutliche Nummer 1, aber bei Platz 2 war ich mir sehr unsicher, wem da die größte Ehre gebührt. Im Moment war das halt Andreas Dresen mit seinem bewegenden Krebs-Drama. Auch die Plätze 6-8 sind dann wieder nahezu austauschbar untereinander.
"The Tree of Life" ist in der Tat einer der Filme, mit denen ich in diesem Jahr nicht so richtig umzugehen weiß. Ich habe ihn sowohl bei den teilweise bemerkenswerten Filmen sowie als Topfavoriten in der Kamera-Sparte platziert, wie auch unter den Enttäuschungen genannt.

Dass der Zhang-Film nur auf dem letzten Platz der Festivalliste landete, hat eher damit zu tun, dass mir im Moment die Cottbusfilme präsenter sind als die der Berlinale. Auf der Festivalliste sind am ehesten die ersten beiden Filme mit größerer Sicherheit gesetzt, bei den Plätzen 3-10 habe ich dann nicht mehr so genau überlegt, auf welchem Platz ein Film nun kommt sondern eher welche Filme in der Liste vertreten sein sollen.
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@ Gerngucker
Du hast doch bestimmt noch Deine komplette Liste der gesehenen Filme ( >100 ? ), oder? Ich werde noch Perfect Sense nachholen, bezweifle aber, dass der noch irgend etwas durcheinander bringt.
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Wann sagte am 31. Dezember 2011, 20:42:

@ GernguckerDu hast doch bestimmt noch Deine komplette Liste der gesehenen Filme ( >100 ? ), oder? Ich werde noch Perfect Sense nachholen, bezweifle aber, dass der noch irgend etwas durcheinander bringt.

Ich hoffe, "Perfect Sense" bringt noch etwas durcheinander. Bei mir war es so. ;-)


Ansonsten hier meine Ausbeute 2011 (>100):

A Torinoi Lo - The Turin Horse; Abendland (der von Kelemen nicht die aktuelle Doku); Abgebrannt; Aftershock; Alles koscher!; Alles, was wir geben mussten; Almanya - Willkommen in Deutschland; Amnistia - Amnesty; An einem Samstag; Angele und Tony; Another Year; Asche und Blut; Atmen; Auf brennender Erde; Beginners; Belgrad Radio Taxi; Bessere Zeiten; Biutiful; Black Swan; Blue Valentine; Bombay Diaries; Brownian Movement; Cheyenne - This must be the Place; Cirkus Columbia; Cold Fish; Crulic; Das Blaue vom Himmel; Das Hausmädchen; Das Labyrinth der Wörter; Das Lied in mir; Das Schmuckstück; Der Albaner; Der Feind; Der Gott des Gemetzels; Der Jäger; Der Mann, der über Autos sprang; Der Name der Leute; Die anonymen Romantiker; Die Einsamkeit der Primzahlen; Die Haut, in der ich wohne; Die Jungfrauenbrücke; Die Mühle und das Kreuz; Die Vaterlosen; Die verlorene Zeit; Ein Sommersandtraum; Ein Tick anders; Eine dunkle Begierde; Eine vernünftige Lösung; Either Way; El Premio - The Prize; Fenster zum Sommer; Four Lions; Geständnisse; Giulia geht abends nie aus; Halt auf freier Strecke; Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (2); Herzensbrecher; Hi-So; I Killed My Mother; Ich heiße Ki; Ich reise allein; In einer besseren Welt; Incendies - Die Frau, die singt; Jelena; Kleine wahre Lügen; Kukumi; L'uomo che verra - Ein Mensch kommt in die Welt; Le Havre; Lindje, Perendim, Lindje - Der letzte Sprint; Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod; Majki - Mothers; Man Chu - Late Autumn; Margin Call - Der große Crash; Medeni Mesec - Honeymoons; Medianeras; Meek's Cuttoff; Melancholia; Midnight in Paris; Mr. Nice; Nader und Simin - Eine Trennung; Odem - Lipstikka; On the Ice - Auf dem Eis; Our Grand Despair; Perfect Sense; Personalausweis; Picco; Pina - Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren (2D + 3D im Vergleich); Poll; Portrait im Zwielicht; Rotes Eis. Saga über die Chanten von Ugra; Salz Weiß; Sarahs Schlüssel; Schlafkrankheit; Shanzha Shu Zhi Lian - Under The Hawthorn Tree; Small World; Sonnige Tage; Source Code; State of Violence; Submarine; Swansong - Story of Occi Byrne; The Bang Bang Club; The Dynamiter; The Forgiveness of Blood; The Green Wave; The Guard - Ein Ire sieht schwarz; The Help; The King's Speech; The Tree; The Tree of Life; The Way Back; Thor; True Grit; Tyrannosaur; Über uns das All; Un homme qui crie - Ein Mann der schreit; Und dann der Regen; Vergiss dein Ende; Vier Leben; Vor dem Regen; Was du nicht siehst; Wenn das Samenkorn nicht stirbt; Wer ist Hanna?; White Night Wedding - Brudguminn; Willkommen bei den Rileys; Winter's Bone; Zaster

Ich hoffe, ich hab nix vergessen. War doch gar nicht so wenig, wie ich dachte.
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Schöne Ausbeute; ich hab viele der Filme selbst gesehen. Meine persönliche Jahresausbeute 2011 veröffentliche ich aber nicht denn die Liste ist so lang dass es peinlich ist
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Die letzten beiden Kinostart-Top-Ten-Filme gefallen mir am besten und sind auch bei mir recht weit oben dabei, die ersten beiden hingegen habe ich leider versäumt. Interessant bei den Festivalfilmen, dass AMNESTY doch ziemlich stark dabei ist, war bei mir ja auch ein gelungener Berlinale-Abschluss in der Wiederholungsvorstellung am Tag danach, ist aber dann doch knapp an einer hinteren Listenerwähnung vorbei gerutscht, weil er in der Nachwirkung dann doch weniger präsent blieb als andere Konkurrenten. Schade auch, dass der Kinostart von TURIN HORSE jetzt doch erst im Frühjahr 2012 ist, den hätte ich gern noch ein zweites Mal im Kino gesehen, nachdem die recht übermüdete Berliner Erstsichtung bei mir trotz durchaus intensivem Erlebnis es nicht ganz einfach machte zu entscheiden, wo genau der bei mir vorerst rangiert, gerade ansichts dicht gedrängter, nicht minder eindrucksvoller Konkurrenz. Ungeachtet von detaillierteren Platzierungsfragen jedoch fraglos ein in seiner sturen Konsequenz und harschen Unwirtlichkeit relativ singulärer Film.
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Da du eher für formal ausdrucksstark erzählende Filme zu haben bist (zumindest ist das mein Eindruck) sollte dir sehr feine "Perfect Sense" mehr liegen als das Improvisationskunststück "Halt auf freier Strecke". Eine direkte Empfehlung auszusprechen, wage ich mir allerdings nicht. Unsere aktuellen Filmgeschmäcker lassen sich schwerlich vergleichen, da es nur wenige gemeinsame Schnittmengen gibt.
"Amnesty" hatte ich ja auf der Berlinale ausgelassen, sah aber dann eine zweite Chance innerhalb einer albanisch-kosovarischen Filmreihe winken. Hab ich sofort genutzt, weil die Zeit gerade günstig dafür stand. Nachdem ich bereits in zwei andere "albanische" Filme größere Hoffnungen gesetzt hatte und enttäuscht worden war ("The Forgiveness of Blood", "Der Albaner"), war es dann ganz unverhofft "Amnesty", der das junge aufstrebende europäische Land mit seinen vielen Konflikten am besten auf der Leinwand präsentierte. Der wollte weniger als die anderen, erreichte aber mehr. Im Vordergrund stand die persönliche Geschichte der beiden Protagonisten, nur unterschwellig wurden die gesellschaftlichen Aspekte eingebettet.
Auf den Kinostart von "Turin Horse" lauere ich auch schon ganz versessen. Ich war zur Berlinale fit, empfangsbereit und fasziniert genug, um ihn sofort ins Herz zu schließen und einfach nur grenzenlos zu staunen.
Dass Du "Tyrannosaur" oder "Midnight in Paris" nicht sonderlich mochtest, hatte ich in deinem Blog schon gelesen. Wie schaut es aber zum Beispiel mit "Pina" aus. Gesehen? Gemocht? Verdrängt?
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