Berlinale 2012
Den WETTBWERB empfand ich dieses Jahr als recht ansprechend, zumindest kann ich das übermeine Auswahl an gesehenen Filmen sagen. Über den Gewinner des Goldenen Bären bin ich ein wenig überrascht, denn den Film der Taviani-Brüder hatte ich als einen der ersten aussortiert.
"Czak a szel - Just the Wind" (Bence Fliegauf; Ungarn) ist aufreibendes, atmosphärisch dichtes Kino, das die Roma-Morde und den unterschwelligem Rassismus im Ungarn 2008 thematisiert. Tolle Kamera, die sich an die Fersen seiner Figuren heftet und dabei unglaublichen Suspense erzeugt und auf hohem Niveau hält.
"Tabu" (Miguel Gomes; Portugal) ist formal außergewöhnliche Schwarzweiß-Kunst, besonders in der zweiten Hälfte nah dran am (kommentierten) Stummfilm. Hat mir sehr imponiert. Murnaus gleichnamigen Klassiker kenne ich leider nicht. Um den werde ich mich demnächst bemühen. Achja - die Kinoszenen mit Pilar waren natürlich ganz wunderbar.
"Meteora" (Spiros Stathoulopoulos; Griechenland) hat mir ebenfalls gefallen, eine universelle Liebesgeschichte, die sich trotz Verbot ans Licht bricht. Sehr gelungen waren die ikonenartigen Animationen, weniger gut war die digitale Kamera, die besonders die Totalen recht kontrastlos und verschwommen einfing und damit der großartig archaischen Landschaft nicht gerecht wurde (was vermutlich an den fehlenden finanziellen Mitteln lag).
"Captive" (Brillante Mendoza; Frankreich/Philippinnen) zeigt in rastlosen 120 Minuten eine Entführungsgeschichte aus dem Jahr 2001, fängt das wilde Durcheinander, die ständig hereinbrechenden Kampfsituationen und Hinterhalte, die Gefahren des Dschungels, willkürlichen Tod und eine unberechenbare Symbiose zwischen Rebellen und Opfern in packenden Szenen, Bildern und Geräuschen ein.
"Kebun binatang - Postcards from the Zoo" (Edwin; Indonesien) erinnert in der ersten Hälfte an eine Art "Amelie" in Indonesien, schafft poetisches und magisches Kino. Mit der zweiten Hälfte verliert er sich ein wenig, der Zauber der Inszenierung hält leider nicht bis zum Ende. Er lässt seine Protagonistin zwar am Ende heimkehren, aber narrativ war mir die Handlung ein wenig dürftig, vor allem da die Magie der Bilder zwischenzeitlich nachließ.
Außer Konkurrenz lief "Jin lin Shi San Chai - The Flowers of War" (Zhang Yimou; China) - ein allzu pathetisches Nationalepos, das sich einer bewegenden historischen Geschichte annimmt, aber diese arg rührselig aufbereitet. Zhang Yimou rührt und rührt ohne Unterlass. Zwischendurch blitzten immer wieder starke Bilder (einfallendes Licht in die Kirche) und damit das große Plus des Filmes auf. Leider überinszeniert er aber die Bilder von Krieg, Tod und übersteigertem Heldentum. Zum Glück endet der Film rechtzeitig und ersparte mir ein womöglich unerträgliches Finale. Hatte Zhang Yimou mit "Riding alone a Thousand of Miles" noch den chinesischen-japanischen Schulterschluss gesucht, so zeichnet er hier ein arg eindimensionales Bild der Kriegsparteien. Schade.
Meine Auswahl aus dem PANORAMA-Programm erwies sich als ausgesprochen durchwachsen.
"Parada" (Srdjan Dragojevic; Serbien etc.) ist ein wunderbarer Publikumsfilm trotz, bzw. gerade wegen seines queeren Themas und seinem humorvollen Umgang mit bestehenden Vorurteilen und Klischees. Habe mich sehr amüsiert und unterhalten gefühlt. Sehr schön war auch die symbolische Wiedervereinigung der ex-jugoslawischen Staaten - ein Abbild des auch gesellschaftlich aktuell einsetzenden Dialoges. Außerdem: schon allein, wie der Film solche Klassiker wie "Ben Hur" und "Die glorreichen Sieben" entzaubert, ist das Ansehen wert.
"Highway" (Deepak Rauniyar; Nepal/USA) vollbringt einen Brückenschlag zwischen ländlich-einfachem Leben und (einer so von mir nicht erwarteten) Moderne der Großstadt. Unvermittelt wird aus dem gewitzten Roadmovie eine Art "Short Cuts" in Nepal, das die Insassen eines Überland-Busses mit den Menschen in der Metropole und viele wieder untereinander in Verbindung setzt. Leider hab ich in der so nicht erwarteten Komplexität den Überblick über die Figuren verloren und hab den Film und seine Teilstücke zuletzt nicht ganz zusammen bekommen.
"The Woman who brushed off her Tears" (Teona Strugar Mitevska; Mazedonien) erzählt von zwei sehr unterschiedlichen Frauen, die in ihrer Not auf sich allein gestellt werden. Nur beschwerlich findet die Kamera einen direkten Blick auf die Figuren. Eine kann den Tod des Sohnes und die mögliche Schuld ihres Mannes nicht verwinden, die andere versucht aus dem Gefängnis eines rückständigen muslimischen Landlebens auszubrechen. Am Schluss führt die Erzählung beide Frauen zusammen und sorgt überraschend für eine "gemeinsame" Lösung ihrer Probleme.
"Kuma" (Umut Dag; Österreich) führt eine junge türkische Frau aus ihrer Heimat fort und bettet sie in eine Familie in Österreich ein, in welcher der Schein mehrfach trügt. "Kuma" erzählt vom Weg der jungen Frau bei der Integration in ein schwieriges Umfeld und über ihre Sehnsucht einer Selbstverwirklichung, die gegen die Traditionen verstößt und den Zorn der anderen auf sie lenkt. Am Ende fehlte mir eine deutlichere Aussage des Filmes. Das Plädoyer für Toleranz fiel etwas halbherzig aus.
"Die Wand" (Julian Roman Pölsler; Österreich) ist für Liebhaber des Romanes sicher genau der Film, den sie erwarten mögen: Eine Bebilderung von geschriebenen Worten. Sicher gibt es nicht viele Möglichkeiten, die sciencefiction-artige Geschichte einer unfreiwilligen Eremitin auf die Leinwand zu übertragen. Die Gedanken der Frau sind ein unablässiger Monolog als Offstimme, der den Film leider zu einer Art angestrengtem Vorlesekino macht, welches seine schönen Bilder dann doch immer der Literatur und seinen philosophischen Gedanken unterordnet. Zu wenig für Kino.
"Xingu" (Cao Hamburger; Brasilien) lässt schon durch seine mit Förderern überfüllten Vorcredits erahnen: hier folgt pompöses, wichtiges, aufklärerisches "National Geographic"-Kino. Drei Brüder, die im brasilianischen Urwald auf Indios treffen, deren Lebensweise studieren und fortan bei ihnen leben, werden zu Gutmenschen und Helden stilisiert, die bald den Kampf um den Erhalt des Lebensraumes der Indios führen. Schade um den interessanten, aber sehr simpel heruntergebrochenen Stoff, der sicher ein Publikum verdient. Die Inszenierung war zudem unangemessen pathetisch. Die Bilder und die Musik sind gut aber permanent zu groß für einen Film, der eigentlich selbstloses Engagement zeigen wollte.
Die vier Filme aus dem FORUM luden allesamt zu intensiver Auseinandersetzung ein.
"Tepenin Ardi - Beyond the Hill" (Emin Alper; Türkei/Griechenland) inszeniert einen Mikrokosmos an Figuren in einer kargen Gebirgslandschaft, eingefangen in tollen Cinemascope-Bildern. Zwischen die Menschen bricht sich bald Gewalt ihre Bahn, drohend werden die Blicke auf den unsichtbaren Feind, jene Nomaden auf der anderen Seite des Berges, geworfen und bald mobil gegen sie gemacht. Das stille eindringliche Drama spielt mit seinen Figuren, ihren Ansichten und Vorurteilen, vollendet sich zu einer sehr schönen Parabel, die dem Film dennoch seine Geheimnisse belässt. Hat mir sehr gefallen.
"Avalon" (Axel Petersen; Schweden) zeigt in seinem stimmungsvollen Film drei Menschen, für die die Zeit stehen geblieben ist und die sich als altgewordene Junggesellen in ihrem verantwortungslosen Partyleben feiern und dies zu ihrer Bestimmung gemacht haben. "Avalon" zeigt, wie sie mit ihrem realen Umfeld überfordert sind und sich stattdessen in ihre Wunschwelt ohne Sorgen zurückziehen, um selbstvergessen abzufeiern. Vor allem die Partyszenen sind sehr stimmig und schön inszeniert, die Bilder und Musik sind überzeugend genug, um selbst in diese andere Welt hinübergleiten zu wollen.
"Paziraie Sadeh - Modest Reception" (Mani Haghighi; Iran) lässt uns mit seinen quälenden Protagonisten durch einen rückständigen Landstrich reisen. Ein Mann und eine Frau verteilen wahllos an einfache Menschen Geld und werden zugleich zu moralischen Verbrechern. Sie spielen "Funny Games" mit ihren "Beschenkten", die das blanke Zuschauen schier unerträglich machen. Erst mit etwas Abstand zur soeben erlebten filmischen Tortur tritt die Kritik an der bestehenden Kluft zwischen Arm und Reich hervor. Der Film ist eine echte Belastungsprobe, die jedoch zur Auseinandersetzung mit seinen Figuren zwingt.
"Toata lumea din familia noastra - Everybody in our family" (Radu Jude; Rumänien) schließt sich ein wenig an den zuvor genannten Film an. Hier ist es ein Mann, der bei der Familie seiner Ex auftaucht, um die gemeinsame Tochter zu einem Ausflug abzuholen, sich dort aber in ein gewalttätiges Familiendrama verrennt, das bald keinen Ausweg für den Protagonisten mehr offen lässt. Der Alltag einer Patchworkfamilie wird zur bitterbösen Farce, ein Kleinkrieg in den vier Wänden. Die Intensität der Handlung steigt mit dem Adrenalinspiegel seiner Figuren. Leider ermüdet der keine Grenzen kennende Film dann doch auf Dauer ein wenig, der Blick auf die Figuren weitet sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr.
Außerdem habe ich einen jener Filme aus Kambodscha der 1960er Jahre gesehen, von denen nur wenige während des Krieges erhalten geblieben sind. "Peov Chouk Sor" ist ein farbenprächtiges, simples Märchen, das eine Himmelstochter und einen einfachen Erdenmenschen zusammenführt. Eine sehr schöne Entdeckung, allerdings mit einem arg unökonomischen Ende, das mich im wahrsten Sinne des Wortes leiden ließ. Der recht gute Film "Das Haus am Fluss" (Ein Wiedersehen mit Katrin Sass, Corinna Harfouch und anderen in jüngeren Jahren) lief in der Reihe zu Ehren des Filmstudios Babelsberg, "Magyarorszag 2011" eine Sammlung von 11 Kurzfilmen, die ungarische Filmemacher ohne Geld gedreht haben, um auf die aktuelle missliche (politische wie kulturelle) Lage ihrer Heimat hinzuweisen. Die gelungenste Idee zeigte einen Kurzfilm, der nur aus Vorspann und Abspann besteht, zwischen denen nur schwarze Leinwand herrscht, und Altmeister Miklos Jancso bringt es in seinem Beitrag auf den Punkt: "Hier kann man keine Filme drehen, hier kann man nur schreien". Im Anschluss an die Kurzfilme gab es ein ganz interessantes Podiumsgespräch mit Produzent Bela Tarr und Bence Fliegauf, der einen der Kurzfilme beisteuerte. Zu meinem emotionalen Höhepunkt der diesjährigen Berlinale wurde erwartungsgemäß die Sondervorstellung von "Trilogie: Die Erde weint" zu Ehren des verstorbenen Theo Angelopoulos. Dieter Kosslick, aber vor allem Angelopoulos' langjähriger Co-Autor und Freund, Petros Markaris, berichteten bewegend über den Verstorbenen. Der Film selbst, den ich natürlich schon kannte, ist ein eindrucksvolles Zeugnis, was sowohl Angelopoulos Verankerung seiner Filme in die Historie des eigenen Landes und der Mythologie der Griechen angeht als auch die Inszenierung in langen Einstellungen und Kamerafahrten, in der sich mitunter ohne Schnitt verschiedene Zeiten in einem Bild vereinen.
Einen Überflieger wie in den vergangenen Jahren ("La Teta Asustada", "Winter's Bone" oder "The Turin Horse") hatte ich dieses Mal nicht, ich bin aber ganz zufrieden mit den von mir gesehenen Filmen. Am meisten möchte ich da "Tepenin Ardi", "Czak a szel" und "Tabu" hervorheben.
Den WETTBWERB empfand ich dieses Jahr als recht ansprechend, zumindest kann ich das übermeine Auswahl an gesehenen Filmen sagen. Über den Gewinner des Goldenen Bären bin ich ein wenig überrascht, denn den Film der Taviani-Brüder hatte ich als einen der ersten aussortiert.
"Czak a szel - Just the Wind" (Bence Fliegauf; Ungarn) ist aufreibendes, atmosphärisch dichtes Kino, das die Roma-Morde und den unterschwelligem Rassismus im Ungarn 2008 thematisiert. Tolle Kamera, die sich an die Fersen seiner Figuren heftet und dabei unglaublichen Suspense erzeugt und auf hohem Niveau hält.
"Tabu" (Miguel Gomes; Portugal) ist formal außergewöhnliche Schwarzweiß-Kunst, besonders in der zweiten Hälfte nah dran am (kommentierten) Stummfilm. Hat mir sehr imponiert. Murnaus gleichnamigen Klassiker kenne ich leider nicht. Um den werde ich mich demnächst bemühen. Achja - die Kinoszenen mit Pilar waren natürlich ganz wunderbar.
"Meteora" (Spiros Stathoulopoulos; Griechenland) hat mir ebenfalls gefallen, eine universelle Liebesgeschichte, die sich trotz Verbot ans Licht bricht. Sehr gelungen waren die ikonenartigen Animationen, weniger gut war die digitale Kamera, die besonders die Totalen recht kontrastlos und verschwommen einfing und damit der großartig archaischen Landschaft nicht gerecht wurde (was vermutlich an den fehlenden finanziellen Mitteln lag).
"Captive" (Brillante Mendoza; Frankreich/Philippinnen) zeigt in rastlosen 120 Minuten eine Entführungsgeschichte aus dem Jahr 2001, fängt das wilde Durcheinander, die ständig hereinbrechenden Kampfsituationen und Hinterhalte, die Gefahren des Dschungels, willkürlichen Tod und eine unberechenbare Symbiose zwischen Rebellen und Opfern in packenden Szenen, Bildern und Geräuschen ein.
"Kebun binatang - Postcards from the Zoo" (Edwin; Indonesien) erinnert in der ersten Hälfte an eine Art "Amelie" in Indonesien, schafft poetisches und magisches Kino. Mit der zweiten Hälfte verliert er sich ein wenig, der Zauber der Inszenierung hält leider nicht bis zum Ende. Er lässt seine Protagonistin zwar am Ende heimkehren, aber narrativ war mir die Handlung ein wenig dürftig, vor allem da die Magie der Bilder zwischenzeitlich nachließ.
Außer Konkurrenz lief "Jin lin Shi San Chai - The Flowers of War" (Zhang Yimou; China) - ein allzu pathetisches Nationalepos, das sich einer bewegenden historischen Geschichte annimmt, aber diese arg rührselig aufbereitet. Zhang Yimou rührt und rührt ohne Unterlass. Zwischendurch blitzten immer wieder starke Bilder (einfallendes Licht in die Kirche) und damit das große Plus des Filmes auf. Leider überinszeniert er aber die Bilder von Krieg, Tod und übersteigertem Heldentum. Zum Glück endet der Film rechtzeitig und ersparte mir ein womöglich unerträgliches Finale. Hatte Zhang Yimou mit "Riding alone a Thousand of Miles" noch den chinesischen-japanischen Schulterschluss gesucht, so zeichnet er hier ein arg eindimensionales Bild der Kriegsparteien. Schade.
Meine Auswahl aus dem PANORAMA-Programm erwies sich als ausgesprochen durchwachsen.
"Parada" (Srdjan Dragojevic; Serbien etc.) ist ein wunderbarer Publikumsfilm trotz, bzw. gerade wegen seines queeren Themas und seinem humorvollen Umgang mit bestehenden Vorurteilen und Klischees. Habe mich sehr amüsiert und unterhalten gefühlt. Sehr schön war auch die symbolische Wiedervereinigung der ex-jugoslawischen Staaten - ein Abbild des auch gesellschaftlich aktuell einsetzenden Dialoges. Außerdem: schon allein, wie der Film solche Klassiker wie "Ben Hur" und "Die glorreichen Sieben" entzaubert, ist das Ansehen wert.
"Highway" (Deepak Rauniyar; Nepal/USA) vollbringt einen Brückenschlag zwischen ländlich-einfachem Leben und (einer so von mir nicht erwarteten) Moderne der Großstadt. Unvermittelt wird aus dem gewitzten Roadmovie eine Art "Short Cuts" in Nepal, das die Insassen eines Überland-Busses mit den Menschen in der Metropole und viele wieder untereinander in Verbindung setzt. Leider hab ich in der so nicht erwarteten Komplexität den Überblick über die Figuren verloren und hab den Film und seine Teilstücke zuletzt nicht ganz zusammen bekommen.
"The Woman who brushed off her Tears" (Teona Strugar Mitevska; Mazedonien) erzählt von zwei sehr unterschiedlichen Frauen, die in ihrer Not auf sich allein gestellt werden. Nur beschwerlich findet die Kamera einen direkten Blick auf die Figuren. Eine kann den Tod des Sohnes und die mögliche Schuld ihres Mannes nicht verwinden, die andere versucht aus dem Gefängnis eines rückständigen muslimischen Landlebens auszubrechen. Am Schluss führt die Erzählung beide Frauen zusammen und sorgt überraschend für eine "gemeinsame" Lösung ihrer Probleme.
"Kuma" (Umut Dag; Österreich) führt eine junge türkische Frau aus ihrer Heimat fort und bettet sie in eine Familie in Österreich ein, in welcher der Schein mehrfach trügt. "Kuma" erzählt vom Weg der jungen Frau bei der Integration in ein schwieriges Umfeld und über ihre Sehnsucht einer Selbstverwirklichung, die gegen die Traditionen verstößt und den Zorn der anderen auf sie lenkt. Am Ende fehlte mir eine deutlichere Aussage des Filmes. Das Plädoyer für Toleranz fiel etwas halbherzig aus.
"Die Wand" (Julian Roman Pölsler; Österreich) ist für Liebhaber des Romanes sicher genau der Film, den sie erwarten mögen: Eine Bebilderung von geschriebenen Worten. Sicher gibt es nicht viele Möglichkeiten, die sciencefiction-artige Geschichte einer unfreiwilligen Eremitin auf die Leinwand zu übertragen. Die Gedanken der Frau sind ein unablässiger Monolog als Offstimme, der den Film leider zu einer Art angestrengtem Vorlesekino macht, welches seine schönen Bilder dann doch immer der Literatur und seinen philosophischen Gedanken unterordnet. Zu wenig für Kino.
"Xingu" (Cao Hamburger; Brasilien) lässt schon durch seine mit Förderern überfüllten Vorcredits erahnen: hier folgt pompöses, wichtiges, aufklärerisches "National Geographic"-Kino. Drei Brüder, die im brasilianischen Urwald auf Indios treffen, deren Lebensweise studieren und fortan bei ihnen leben, werden zu Gutmenschen und Helden stilisiert, die bald den Kampf um den Erhalt des Lebensraumes der Indios führen. Schade um den interessanten, aber sehr simpel heruntergebrochenen Stoff, der sicher ein Publikum verdient. Die Inszenierung war zudem unangemessen pathetisch. Die Bilder und die Musik sind gut aber permanent zu groß für einen Film, der eigentlich selbstloses Engagement zeigen wollte.
Die vier Filme aus dem FORUM luden allesamt zu intensiver Auseinandersetzung ein.
"Tepenin Ardi - Beyond the Hill" (Emin Alper; Türkei/Griechenland) inszeniert einen Mikrokosmos an Figuren in einer kargen Gebirgslandschaft, eingefangen in tollen Cinemascope-Bildern. Zwischen die Menschen bricht sich bald Gewalt ihre Bahn, drohend werden die Blicke auf den unsichtbaren Feind, jene Nomaden auf der anderen Seite des Berges, geworfen und bald mobil gegen sie gemacht. Das stille eindringliche Drama spielt mit seinen Figuren, ihren Ansichten und Vorurteilen, vollendet sich zu einer sehr schönen Parabel, die dem Film dennoch seine Geheimnisse belässt. Hat mir sehr gefallen.
"Avalon" (Axel Petersen; Schweden) zeigt in seinem stimmungsvollen Film drei Menschen, für die die Zeit stehen geblieben ist und die sich als altgewordene Junggesellen in ihrem verantwortungslosen Partyleben feiern und dies zu ihrer Bestimmung gemacht haben. "Avalon" zeigt, wie sie mit ihrem realen Umfeld überfordert sind und sich stattdessen in ihre Wunschwelt ohne Sorgen zurückziehen, um selbstvergessen abzufeiern. Vor allem die Partyszenen sind sehr stimmig und schön inszeniert, die Bilder und Musik sind überzeugend genug, um selbst in diese andere Welt hinübergleiten zu wollen.
"Paziraie Sadeh - Modest Reception" (Mani Haghighi; Iran) lässt uns mit seinen quälenden Protagonisten durch einen rückständigen Landstrich reisen. Ein Mann und eine Frau verteilen wahllos an einfache Menschen Geld und werden zugleich zu moralischen Verbrechern. Sie spielen "Funny Games" mit ihren "Beschenkten", die das blanke Zuschauen schier unerträglich machen. Erst mit etwas Abstand zur soeben erlebten filmischen Tortur tritt die Kritik an der bestehenden Kluft zwischen Arm und Reich hervor. Der Film ist eine echte Belastungsprobe, die jedoch zur Auseinandersetzung mit seinen Figuren zwingt.
"Toata lumea din familia noastra - Everybody in our family" (Radu Jude; Rumänien) schließt sich ein wenig an den zuvor genannten Film an. Hier ist es ein Mann, der bei der Familie seiner Ex auftaucht, um die gemeinsame Tochter zu einem Ausflug abzuholen, sich dort aber in ein gewalttätiges Familiendrama verrennt, das bald keinen Ausweg für den Protagonisten mehr offen lässt. Der Alltag einer Patchworkfamilie wird zur bitterbösen Farce, ein Kleinkrieg in den vier Wänden. Die Intensität der Handlung steigt mit dem Adrenalinspiegel seiner Figuren. Leider ermüdet der keine Grenzen kennende Film dann doch auf Dauer ein wenig, der Blick auf die Figuren weitet sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr.
Außerdem habe ich einen jener Filme aus Kambodscha der 1960er Jahre gesehen, von denen nur wenige während des Krieges erhalten geblieben sind. "Peov Chouk Sor" ist ein farbenprächtiges, simples Märchen, das eine Himmelstochter und einen einfachen Erdenmenschen zusammenführt. Eine sehr schöne Entdeckung, allerdings mit einem arg unökonomischen Ende, das mich im wahrsten Sinne des Wortes leiden ließ. Der recht gute Film "Das Haus am Fluss" (Ein Wiedersehen mit Katrin Sass, Corinna Harfouch und anderen in jüngeren Jahren) lief in der Reihe zu Ehren des Filmstudios Babelsberg, "Magyarorszag 2011" eine Sammlung von 11 Kurzfilmen, die ungarische Filmemacher ohne Geld gedreht haben, um auf die aktuelle missliche (politische wie kulturelle) Lage ihrer Heimat hinzuweisen. Die gelungenste Idee zeigte einen Kurzfilm, der nur aus Vorspann und Abspann besteht, zwischen denen nur schwarze Leinwand herrscht, und Altmeister Miklos Jancso bringt es in seinem Beitrag auf den Punkt: "Hier kann man keine Filme drehen, hier kann man nur schreien". Im Anschluss an die Kurzfilme gab es ein ganz interessantes Podiumsgespräch mit Produzent Bela Tarr und Bence Fliegauf, der einen der Kurzfilme beisteuerte. Zu meinem emotionalen Höhepunkt der diesjährigen Berlinale wurde erwartungsgemäß die Sondervorstellung von "Trilogie: Die Erde weint" zu Ehren des verstorbenen Theo Angelopoulos. Dieter Kosslick, aber vor allem Angelopoulos' langjähriger Co-Autor und Freund, Petros Markaris, berichteten bewegend über den Verstorbenen. Der Film selbst, den ich natürlich schon kannte, ist ein eindrucksvolles Zeugnis, was sowohl Angelopoulos Verankerung seiner Filme in die Historie des eigenen Landes und der Mythologie der Griechen angeht als auch die Inszenierung in langen Einstellungen und Kamerafahrten, in der sich mitunter ohne Schnitt verschiedene Zeiten in einem Bild vereinen.
Einen Überflieger wie in den vergangenen Jahren ("La Teta Asustada", "Winter's Bone" oder "The Turin Horse") hatte ich dieses Mal nicht, ich bin aber ganz zufrieden mit den von mir gesehenen Filmen. Am meisten möchte ich da "Tepenin Ardi", "Czak a szel" und "Tabu" hervorheben.
Ich bin auch schon mit meinem eigenen Berlinale-Kommentar beschäftigt und hoffe, ich schaffe es noch heute abend, in meinem Filmtagebuch unterzubringen.