Griechenland trotzt seiner Krise. Zumindest sehr erfolgreich in seinem Filmschaffen, was schon alleine eine Bewunderung wert ist, in Zeiten so knapper Kassen und fehlenden Förderungen so ein junges, wagemutiges, auftstrebendes Kino der finanziellen Misere des Landes entgegen zu setzen.
Im Lauf der letzten Wochen konnte ich insgesamt 5 Vertreter des “Neuen griechischen Kino” ansehen, die natürlich keine neue Novuelle Vage oder dergleichen ausmachen, sondern denen einfach nur gemein ist, dass sie Zeugnis eines kreativen, energiereichen, gestaltungs- und selbstbewussten jungen Kinos aus Griechenland sind. Zwei der Filme, “Attenberg” und “Alpen” haben hierzulande sogar einen deutschen Kinostart dank Rapid Eye Movie. “Kynodontas – Dogtooth”, einer der “Auslöser”-Filme der aktuellen Welle, startete bei uns auf DVD und war kürzlich im öffentlich-rechtlichen TV zu sehen. Die anderen beiden Filme konnte ich dank der engagierten Reihe im Berliner Arsenal sehen.
Attenberg
(Athina Rachel Tsangari, 2010)
http://www.attenberg.info/
“Attenberg” ist eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte – mehr eine Erweckung oder Erlösung statt ein Heranwachsen. Eine junge Frau muss sich auf den bevorstehenden Tod ihres Vaters vorbereiten und sich von ihm als einzigen emotionalen Bezugspunkt lösen. Er zwingt sie, sich mit der Vergänglichkeit des Seins zu beschäftigen. Tiefere Gefühle und Liebe sind ihr fremd, das Leben kennt sie hauptsächlich aus den Naturdokumentationen von Sir Richard Attenborough (den sie “Attenberg” nennt). Ihre beste Freundin lehrt sie das Küssen und an der Seite eines (sich ihr “zur Verfügung stellenden”) Ingenieurs erprobt sie ihr spätes sexuelles Erwachen. Anfangs sehr unbedarft, rational motiviert und sämtliche Erotik erstickend, lernt sie es, sich dem anderen anzuvertrauen, ihre Gefühle zu entdecken und ihnen zu folgen. Ihr gelingt der Schritt vom nüchternen Nachahmen zu echtem Begehren, sie befreit sich aus ihren emotional-geblockten Fesseln. Das Leben löst den Tod ab.
Athina Rachel Tsangari überrascht mit diesem erzählerisch wie formal jungen und ungestümen Stück Kino, formt eine zärtliche Lebensbekräftigung und ein Stück Rebellion gegen alte Blockaden, die es zu überwinden gilt, geht so feinfühlig wie tabulos mit der sexuellen Erweckungsgeschichte um. Am schönsten empfand ich die Szenen, in der die Freundinnen sich vogelartig in synchronen tänzerischen Laufschritten üben. Die hatten etwas sehr magisches an sich, wie ein Zwischenschritt von der Tier- in die Menschenwelt.
Kynodontas – Dogtooth
(Yorgos Lanthimos, 2009)
http://www.dogtooth.gr/
“Dogtooth” beschreibt einen absurden Mikrokosmos, eine hermetisch abgeschlossene Welt, in der drei nun schon erwachsene Kinder leben, ohne die Welt da draußen jenseits des unüberwindlichen Zaunes zu kennen. Ihre Eltern halten sie gefangen, meinen sie vor dem Leben des 21. Jahrhunderts schützen zu müssen. Telefon, Computer, Meer, Autobahn – das gibt es einfach alles nicht. Alles was nicht im Haus oder Garten existiert, ist tabu und verschiedene Begriffe erhalten hier eine völlig neue (falsche) Bedeutung. Dadurch hat sich bei den Sprösslingen eine völlig verschobene Lebens- und Wertevorstellung entwickelt. In ihrer Langeweile ergehen sie sich in Mutproben, Doktorspielen, Selbstverletzungen und Entdeckung des eigenen Körpers.
Lanthimos erzählt seine Geschichte absolut konsequent. Sie ist grotesk und erschreckend zugleich, ein unheimliche, subtile Horrorvision, die sich langsam entfaltet. Die drei jungen Darsteller stellen sich ganz in den Dienst der Erzählung und entblättern ihre Figuren bis auf die Haut. Denen sind Scham, Respekt und Liebe fremd, ihr Intellekt begreift nicht, was ihm vorenthalten wird.
Alpeis - Alpen
(Yorgos Lanthimos, 2011)
http://www.alpsfilm.gr/
“Alpen” beschreibt wie auch schon der Vorgängerfilm “Dogtooth” eine abgeschlossene, klinische Welt. Einer der Protagonisten meint, die Alpen sind ein Gebirge, das alle anderen ersetzen kann, aber nicht selbst durch ein anderes. Deshalb werden die “Alpen” zum Namen ihrer fast sektenartigen vierköpfigen Gruppe, die in die Rollen verstorbener Menschen schlüpfen. Sie übernehmen die zurückgebliebenen Hüllen von Toten, um diese den Hinterbliebenen zu bewahren. Es ist ein gefühlloser, pietätloser Akt, ein schlechtes Nachspielen von alten Erinnerungen mit Verkleidung und leiernd aufgesagten Dialogen. Wem die Kontrolle über seine Rolle entgleitet, wird in der Gruppe hart bestraft. Was aber, wenn jemand die falschen Leben aus Mangel eines eigenen bald als seine vermeintlich “echten” übernimmt, und bald die Unterschiede und Grenzen nicht mehr wahrnehmen kann?
Lanthimos geht dieser Frage nach und löst eine seine Figuren in diesem Dilemma auf. Er entblättert auch sie, wie schon die Kinder in “Dogtooth”. “Alpen” ist nach seinem Vorgängerfilm weniger überraschend, aber nicht minder zielstrebig im Verunsichern und Auflösen moralisch-ethischer Grenzen.
Hora Proelefsis – Homeland
(Syllas Tzoumerkas, 2011)
http://www.homelandfilm.gr/
“Homeland” ist zum einen eine Familiengeschichte, die drei Generationen miteinander verbindet, und zum anderen ein Stimmungsbild des aktuellen, krisengeschüttelten Griechenlands. So wie draußen auf den Straßen Demonstrationen, Aufstände und Krawalle herrschen, so geraten die Familienmitglieder emotional heftig aneinander. Mitunter meint man, die Erschütterungen in der Familie sind die ursprünglichen und jene draußen sind nur deren Nachbeben. Geschwister ringen mit- und gegeneinander, deren Kinder kreiseln zwischen Eifersucht und Selbstaufgabe, ein pflegebedürftiger Großvater vegetiert wortlos an der Spitze des Klans. Eine alte innerfamiliäre Adoption hat tiefe Wunden bis ins Heute geschlagen. Nicht alle Zusammenhänge und Hintergründe vermochte ich zu verstehen, vieles ging in den schnellen engl. UT unter. Und gerade auch deshalb hat sich der Film tief in meiner Wahrnehmung verhakt, hat mich noch tagelang beschäftigt, weil er Fragen hinterließ.
Der Film ist schnell geschnitten, kurze Sequenzen, viele Ebenen, Ortswechsel und Zeitsprünge wechselten sich schnell ab und erschwerten mir das Zurechtfinden in der emotional aber immer wirkungsvoll berührenden Geschichte.
Tungsten
(Yorgos Georgopoulos, 2011)
http://www.tungsten.gr/
Den formal stärksten Eindruck hat “Tungsten” bei mir hinterlassen. Der Film ist elektrisierendes digitales Kino in schwarzweiß, das sehr dicht an der aktuellen griechischen Gesellschaft dran ist. Drei Geschichten werden parallel erzählt, abwechselnd montiert und miteinander verkettet: ein Jobvermittler, der um seine Freundin kämpft, ein Fahrscheinkontrolleur, der von der Last seiner Schulden erdrückt wird und zwei desillusionierte Jugendliche, die sich aus Langeweile mit pakistanischen Einwanderern anlegen. Immer wieder flackern drohend Lichter oder der Strom fällt ganz aus und beeinflusst den Lauf der Geschichten und verschiebt die Position der Protagonisten im “Machtgefüge”. Die aktuelle Krise ist auch eine Energiekrise und Georgopoulos integriert dies als gestalterisches Mittel: immer wieder ruckelt der Film aufgrund von Fehlbildern, die Montage springt häufig in der Zeit zurück und wiederholt das Geschehen aus einer anderen Perspektive. Im Fall von “Tungsten” verbinden sich spannende Einzelgeschichten, eine gestalterisch bewusste Bildsprache und eine tolle aufreibende Musik. Ein Film wie ein explosives Gemisch. Hat mir sehr imponiert.
Alle 5 gesehenen Filme fand ich sehr gelungen, zum Teil sogar herausragend gut.
Ich hätte gern noch mehr Filme dieser griechischen Reihe gesehen, auch “Knifer”, “Black Field” und “Strella” klangen in der kurzen Beschreibung des Programmheftes sehr gut.
Im Lauf der letzten Wochen konnte ich insgesamt 5 Vertreter des “Neuen griechischen Kino” ansehen, die natürlich keine neue Novuelle Vage oder dergleichen ausmachen, sondern denen einfach nur gemein ist, dass sie Zeugnis eines kreativen, energiereichen, gestaltungs- und selbstbewussten jungen Kinos aus Griechenland sind. Zwei der Filme, “Attenberg” und “Alpen” haben hierzulande sogar einen deutschen Kinostart dank Rapid Eye Movie. “Kynodontas – Dogtooth”, einer der “Auslöser”-Filme der aktuellen Welle, startete bei uns auf DVD und war kürzlich im öffentlich-rechtlichen TV zu sehen. Die anderen beiden Filme konnte ich dank der engagierten Reihe im Berliner Arsenal sehen.
Attenberg
(Athina Rachel Tsangari, 2010)
http://www.attenberg.info/
“Attenberg” ist eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte – mehr eine Erweckung oder Erlösung statt ein Heranwachsen. Eine junge Frau muss sich auf den bevorstehenden Tod ihres Vaters vorbereiten und sich von ihm als einzigen emotionalen Bezugspunkt lösen. Er zwingt sie, sich mit der Vergänglichkeit des Seins zu beschäftigen. Tiefere Gefühle und Liebe sind ihr fremd, das Leben kennt sie hauptsächlich aus den Naturdokumentationen von Sir Richard Attenborough (den sie “Attenberg” nennt). Ihre beste Freundin lehrt sie das Küssen und an der Seite eines (sich ihr “zur Verfügung stellenden”) Ingenieurs erprobt sie ihr spätes sexuelles Erwachen. Anfangs sehr unbedarft, rational motiviert und sämtliche Erotik erstickend, lernt sie es, sich dem anderen anzuvertrauen, ihre Gefühle zu entdecken und ihnen zu folgen. Ihr gelingt der Schritt vom nüchternen Nachahmen zu echtem Begehren, sie befreit sich aus ihren emotional-geblockten Fesseln. Das Leben löst den Tod ab.
Athina Rachel Tsangari überrascht mit diesem erzählerisch wie formal jungen und ungestümen Stück Kino, formt eine zärtliche Lebensbekräftigung und ein Stück Rebellion gegen alte Blockaden, die es zu überwinden gilt, geht so feinfühlig wie tabulos mit der sexuellen Erweckungsgeschichte um. Am schönsten empfand ich die Szenen, in der die Freundinnen sich vogelartig in synchronen tänzerischen Laufschritten üben. Die hatten etwas sehr magisches an sich, wie ein Zwischenschritt von der Tier- in die Menschenwelt.
Kynodontas – Dogtooth
(Yorgos Lanthimos, 2009)
http://www.dogtooth.gr/
“Dogtooth” beschreibt einen absurden Mikrokosmos, eine hermetisch abgeschlossene Welt, in der drei nun schon erwachsene Kinder leben, ohne die Welt da draußen jenseits des unüberwindlichen Zaunes zu kennen. Ihre Eltern halten sie gefangen, meinen sie vor dem Leben des 21. Jahrhunderts schützen zu müssen. Telefon, Computer, Meer, Autobahn – das gibt es einfach alles nicht. Alles was nicht im Haus oder Garten existiert, ist tabu und verschiedene Begriffe erhalten hier eine völlig neue (falsche) Bedeutung. Dadurch hat sich bei den Sprösslingen eine völlig verschobene Lebens- und Wertevorstellung entwickelt. In ihrer Langeweile ergehen sie sich in Mutproben, Doktorspielen, Selbstverletzungen und Entdeckung des eigenen Körpers.
Lanthimos erzählt seine Geschichte absolut konsequent. Sie ist grotesk und erschreckend zugleich, ein unheimliche, subtile Horrorvision, die sich langsam entfaltet. Die drei jungen Darsteller stellen sich ganz in den Dienst der Erzählung und entblättern ihre Figuren bis auf die Haut. Denen sind Scham, Respekt und Liebe fremd, ihr Intellekt begreift nicht, was ihm vorenthalten wird.
Alpeis - Alpen
(Yorgos Lanthimos, 2011)
http://www.alpsfilm.gr/
“Alpen” beschreibt wie auch schon der Vorgängerfilm “Dogtooth” eine abgeschlossene, klinische Welt. Einer der Protagonisten meint, die Alpen sind ein Gebirge, das alle anderen ersetzen kann, aber nicht selbst durch ein anderes. Deshalb werden die “Alpen” zum Namen ihrer fast sektenartigen vierköpfigen Gruppe, die in die Rollen verstorbener Menschen schlüpfen. Sie übernehmen die zurückgebliebenen Hüllen von Toten, um diese den Hinterbliebenen zu bewahren. Es ist ein gefühlloser, pietätloser Akt, ein schlechtes Nachspielen von alten Erinnerungen mit Verkleidung und leiernd aufgesagten Dialogen. Wem die Kontrolle über seine Rolle entgleitet, wird in der Gruppe hart bestraft. Was aber, wenn jemand die falschen Leben aus Mangel eines eigenen bald als seine vermeintlich “echten” übernimmt, und bald die Unterschiede und Grenzen nicht mehr wahrnehmen kann?
Lanthimos geht dieser Frage nach und löst eine seine Figuren in diesem Dilemma auf. Er entblättert auch sie, wie schon die Kinder in “Dogtooth”. “Alpen” ist nach seinem Vorgängerfilm weniger überraschend, aber nicht minder zielstrebig im Verunsichern und Auflösen moralisch-ethischer Grenzen.
Hora Proelefsis – Homeland
(Syllas Tzoumerkas, 2011)
http://www.homelandfilm.gr/
“Homeland” ist zum einen eine Familiengeschichte, die drei Generationen miteinander verbindet, und zum anderen ein Stimmungsbild des aktuellen, krisengeschüttelten Griechenlands. So wie draußen auf den Straßen Demonstrationen, Aufstände und Krawalle herrschen, so geraten die Familienmitglieder emotional heftig aneinander. Mitunter meint man, die Erschütterungen in der Familie sind die ursprünglichen und jene draußen sind nur deren Nachbeben. Geschwister ringen mit- und gegeneinander, deren Kinder kreiseln zwischen Eifersucht und Selbstaufgabe, ein pflegebedürftiger Großvater vegetiert wortlos an der Spitze des Klans. Eine alte innerfamiliäre Adoption hat tiefe Wunden bis ins Heute geschlagen. Nicht alle Zusammenhänge und Hintergründe vermochte ich zu verstehen, vieles ging in den schnellen engl. UT unter. Und gerade auch deshalb hat sich der Film tief in meiner Wahrnehmung verhakt, hat mich noch tagelang beschäftigt, weil er Fragen hinterließ.
Der Film ist schnell geschnitten, kurze Sequenzen, viele Ebenen, Ortswechsel und Zeitsprünge wechselten sich schnell ab und erschwerten mir das Zurechtfinden in der emotional aber immer wirkungsvoll berührenden Geschichte.
Tungsten
(Yorgos Georgopoulos, 2011)
http://www.tungsten.gr/
Den formal stärksten Eindruck hat “Tungsten” bei mir hinterlassen. Der Film ist elektrisierendes digitales Kino in schwarzweiß, das sehr dicht an der aktuellen griechischen Gesellschaft dran ist. Drei Geschichten werden parallel erzählt, abwechselnd montiert und miteinander verkettet: ein Jobvermittler, der um seine Freundin kämpft, ein Fahrscheinkontrolleur, der von der Last seiner Schulden erdrückt wird und zwei desillusionierte Jugendliche, die sich aus Langeweile mit pakistanischen Einwanderern anlegen. Immer wieder flackern drohend Lichter oder der Strom fällt ganz aus und beeinflusst den Lauf der Geschichten und verschiebt die Position der Protagonisten im “Machtgefüge”. Die aktuelle Krise ist auch eine Energiekrise und Georgopoulos integriert dies als gestalterisches Mittel: immer wieder ruckelt der Film aufgrund von Fehlbildern, die Montage springt häufig in der Zeit zurück und wiederholt das Geschehen aus einer anderen Perspektive. Im Fall von “Tungsten” verbinden sich spannende Einzelgeschichten, eine gestalterisch bewusste Bildsprache und eine tolle aufreibende Musik. Ein Film wie ein explosives Gemisch. Hat mir sehr imponiert.
Alle 5 gesehenen Filme fand ich sehr gelungen, zum Teil sogar herausragend gut.
Ich hätte gern noch mehr Filme dieser griechischen Reihe gesehen, auch “Knifer”, “Black Field” und “Strella” klangen in der kurzen Beschreibung des Programmheftes sehr gut.
Von den anderen Filmen reizt mich HORA PROELEFSIS am meisten, aba im Moment habe ich keine Möglichkeit ihn zu sehen.
KYNODONTAS habe ich mir notiert. Bei Gelegenheit werde ich nach der DVD Ausschau halten (letztes Jahr habe ich total übersehen dass der Film bei uns veröffentlicht wurde...).