Jahresrückblick 2012:
Im Rampenlicht von “The Artist”
Anfang 2012 verzauberte mich eine kleine Hommage an die Stummfilmära: “The Artist”, selbst schwarzweiß, im Bildformat 4:3, nahezu stumm, mit Zwischentiteln und begleitender Musik und von einem Wandel im Kino erzählend. Ganz klar stellte er sich auf die Seite des zu Ende gehenden Stummfilmzeitalters, das vom Tonfilm bedroht wurde. Nostalgie statt Fortschritt. “The Artist” gewann damit nicht nur meine Sympathien und viele Auszeichnungen sondern sollte auch das nunmehr zurückliegende Kinojahr prägen. Jetzt zum Jahreswechsel 2012/2013 hört und liest man viel über das atemberaubende 3D von “Life of Pi” und die doppelte Bildanzahl beim “Hobbit” für noch schärfere Bilder und dergleichen. Wir sind erneut mitten drin in einer technischen Revolution im Kino. Ob wir das brauchen, sei dahin gestellt.
Ungeachtet dessen hat sich das Kinojahr 2012 wohl so häufig wie nie zuvor auf seine alten Zeiten besonnen. Unglaublich viele schwarzweiße, reduziert erzählte, stumme bis wortkarge Filme kamen ins Kino und wussten sich eindrucksvoll zu behaupten. Bela Tarrs große Handwerkskunst “Das Turiner Pferd” hat zum Glück noch seinen deutschen Kinostart bekommen: radikaler konnte er seinen letzten Film nicht machen und nicht nur mit der Welt des Kinos abrechnen. Miguel Gomes’ “Tabu” nähert sich noch mehr den alten Gestaltungsmitteln an. Er erinnert unter Umkehrung der Kapitel an Murnaus “Tabu”, und Gomes’ Rückkehr ins Paradies wird zu einem wundervollen kommentierten Stummfilm. “Tabu” hatte bereits zur Berlinale meinen Respekt errungen, aber erst jetzt nach der zweiten entspannteren Sichtung im Kino offenbarte sich meine ganze Verehrung für diese aus der Zeit gefallene Filmkunstperle. Das Schwarzweiß nahmen auch andere Filmemacher auf: “Sudoeste – Southwest”, ein extrem breitwandiges Monochrom-Panorama über einen mythischen Kreislauf des Lebens, die mit wenigen Graustufen arbeitende Adaption der Graphic Novel von “Alois Nebel”, das aufregend verzahnte Gegenwartsdrama “Tungsten” im aktuellen Griechenland auch der Energiekrise, der brasilianische “Rat Fever”, der trotz des Verzichtes auf Farbe die Leinwand ungeheuer vital aufzuladen weiß, oder ganz andersartig der leichtfüßige und charmante Hauptstadtfilm “Oh Boy”. Auch der Verzicht auf Sprache inspirierte dieses Jahr die Filmemacher: aus “Holidays on the sea” und “Die Fee” wurden originelle und kurzweilige kleine Filme, die an Tati und Keaton erinnerten. Andere Filmemacher wählten einen Weg der Reduktion: z.B. “Martha Marcy May Marlene” besitzt die Optik eines leicht verblichenen Diafilmes, “Small Town Murder Songs” ordnet sich ganz der unspektakulären Welt seiner Mennonitengemeine unter, Haneke formt seinen “Liebe” nach einem letzten Ausbruch zum stillen Kammerspiel. Und selbst Sam Mendes schickt in “Skyfall” den berühmtesten Agenten des Kinos zu seinen Wurzeln zurück und besinnt sich wieder auf die zuletzt arg vernachlässigten Figuren an der Seite des verletzbaren James Bond.
Das Kino hat sich also auch ohne den unaufhaltsamen technischen Fortschritt sehr reich an Gestaltungswillen präsentiert.
K I N O S T A R T S . 2 0 1 2
01. Das Turiner Pferd – A Torinoi Lo (Bela Tarr, Ungarn)
02. Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld (Miguel Gomes, Portugal)
03. We need to talk about Kevin (Lynne Ramsay, UK)
04. Martha Marcy May Marlene (Sean Durkin, USA)
05. Im Nebel – V tumane (Sergej Loznitsa, Russland/Ukraine/Weißrussland/Deutschland)
06. Moonrise Kingdom (Wes Anderson, USA)
07. Barbara (Christian Petzold, Deutschland)
08. Amour – Liebe (Michael Haneke, Frankreich/Österreich)
09. Das Leben gehört uns – La guerre est déclarée (Valerie Donzelli, Frankreich)
10. Shame (Steve McQueen, UK)
Runners up: Miss Bala (Gerardo Naranjo, Mexiko), Drive (Nicolas Winding Refn, USA), Attenberg (Athina Rachel Tsangari, Griechenland), Dame, König, As, Spion (Tomas Alfredson, UK), King of Devils Island (Marius Holst, Norwegen), Small Town Murder Songs (Ed Gass-Donnelly, Kanada)
F E S T I F A L F I L M E . 2 0 1 2
01. Alois Nebel (Tomas Lunak, Tschechien)
02. Czak a szel – Just the Wind (Benedek Fliegauf, Ungarn)
03. Terraferma (Emanuele Crialese, Italien)
04. Sudoeste – Southwest (Eduardo Nunes, Brasilien)
05. Tungsten (Yorgos Georgopoulos, Griechenland)
06. Dupa dealuri – Jenseits der Hügel (Cristian Mungiu, Rumänien)
07. Tepenin Ardi – Beyond the Hill (Emin Alper, Türkei/Griechenland)
08. Ete Bolory – Wenn doch nur jedermann (Natalya Belyauskene, Armenien/Russland)
09. Meteora (Spiros Stathoulopoulos, Griechenland)
10. Avalon (Axel Petersen, Schweden)
Im Rampenlicht von “The Artist”
Anfang 2012 verzauberte mich eine kleine Hommage an die Stummfilmära: “The Artist”, selbst schwarzweiß, im Bildformat 4:3, nahezu stumm, mit Zwischentiteln und begleitender Musik und von einem Wandel im Kino erzählend. Ganz klar stellte er sich auf die Seite des zu Ende gehenden Stummfilmzeitalters, das vom Tonfilm bedroht wurde. Nostalgie statt Fortschritt. “The Artist” gewann damit nicht nur meine Sympathien und viele Auszeichnungen sondern sollte auch das nunmehr zurückliegende Kinojahr prägen. Jetzt zum Jahreswechsel 2012/2013 hört und liest man viel über das atemberaubende 3D von “Life of Pi” und die doppelte Bildanzahl beim “Hobbit” für noch schärfere Bilder und dergleichen. Wir sind erneut mitten drin in einer technischen Revolution im Kino. Ob wir das brauchen, sei dahin gestellt.
Ungeachtet dessen hat sich das Kinojahr 2012 wohl so häufig wie nie zuvor auf seine alten Zeiten besonnen. Unglaublich viele schwarzweiße, reduziert erzählte, stumme bis wortkarge Filme kamen ins Kino und wussten sich eindrucksvoll zu behaupten. Bela Tarrs große Handwerkskunst “Das Turiner Pferd” hat zum Glück noch seinen deutschen Kinostart bekommen: radikaler konnte er seinen letzten Film nicht machen und nicht nur mit der Welt des Kinos abrechnen. Miguel Gomes’ “Tabu” nähert sich noch mehr den alten Gestaltungsmitteln an. Er erinnert unter Umkehrung der Kapitel an Murnaus “Tabu”, und Gomes’ Rückkehr ins Paradies wird zu einem wundervollen kommentierten Stummfilm. “Tabu” hatte bereits zur Berlinale meinen Respekt errungen, aber erst jetzt nach der zweiten entspannteren Sichtung im Kino offenbarte sich meine ganze Verehrung für diese aus der Zeit gefallene Filmkunstperle. Das Schwarzweiß nahmen auch andere Filmemacher auf: “Sudoeste – Southwest”, ein extrem breitwandiges Monochrom-Panorama über einen mythischen Kreislauf des Lebens, die mit wenigen Graustufen arbeitende Adaption der Graphic Novel von “Alois Nebel”, das aufregend verzahnte Gegenwartsdrama “Tungsten” im aktuellen Griechenland auch der Energiekrise, der brasilianische “Rat Fever”, der trotz des Verzichtes auf Farbe die Leinwand ungeheuer vital aufzuladen weiß, oder ganz andersartig der leichtfüßige und charmante Hauptstadtfilm “Oh Boy”. Auch der Verzicht auf Sprache inspirierte dieses Jahr die Filmemacher: aus “Holidays on the sea” und “Die Fee” wurden originelle und kurzweilige kleine Filme, die an Tati und Keaton erinnerten. Andere Filmemacher wählten einen Weg der Reduktion: z.B. “Martha Marcy May Marlene” besitzt die Optik eines leicht verblichenen Diafilmes, “Small Town Murder Songs” ordnet sich ganz der unspektakulären Welt seiner Mennonitengemeine unter, Haneke formt seinen “Liebe” nach einem letzten Ausbruch zum stillen Kammerspiel. Und selbst Sam Mendes schickt in “Skyfall” den berühmtesten Agenten des Kinos zu seinen Wurzeln zurück und besinnt sich wieder auf die zuletzt arg vernachlässigten Figuren an der Seite des verletzbaren James Bond.
Das Kino hat sich also auch ohne den unaufhaltsamen technischen Fortschritt sehr reich an Gestaltungswillen präsentiert.
K I N O S T A R T S . 2 0 1 2
01. Das Turiner Pferd – A Torinoi Lo (Bela Tarr, Ungarn)
02. Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld (Miguel Gomes, Portugal)
03. We need to talk about Kevin (Lynne Ramsay, UK)
04. Martha Marcy May Marlene (Sean Durkin, USA)
05. Im Nebel – V tumane (Sergej Loznitsa, Russland/Ukraine/Weißrussland/Deutschland)
06. Moonrise Kingdom (Wes Anderson, USA)
07. Barbara (Christian Petzold, Deutschland)
08. Amour – Liebe (Michael Haneke, Frankreich/Österreich)
09. Das Leben gehört uns – La guerre est déclarée (Valerie Donzelli, Frankreich)
10. Shame (Steve McQueen, UK)
Runners up: Miss Bala (Gerardo Naranjo, Mexiko), Drive (Nicolas Winding Refn, USA), Attenberg (Athina Rachel Tsangari, Griechenland), Dame, König, As, Spion (Tomas Alfredson, UK), King of Devils Island (Marius Holst, Norwegen), Small Town Murder Songs (Ed Gass-Donnelly, Kanada)
F E S T I F A L F I L M E . 2 0 1 2
01. Alois Nebel (Tomas Lunak, Tschechien)
02. Czak a szel – Just the Wind (Benedek Fliegauf, Ungarn)
03. Terraferma (Emanuele Crialese, Italien)
04. Sudoeste – Southwest (Eduardo Nunes, Brasilien)
05. Tungsten (Yorgos Georgopoulos, Griechenland)
06. Dupa dealuri – Jenseits der Hügel (Cristian Mungiu, Rumänien)
07. Tepenin Ardi – Beyond the Hill (Emin Alper, Türkei/Griechenland)
08. Ete Bolory – Wenn doch nur jedermann (Natalya Belyauskene, Armenien/Russland)
09. Meteora (Spiros Stathoulopoulos, Griechenland)
10. Avalon (Axel Petersen, Schweden)