Mein letzter Eintrag liegt schon eine ganze Weile zurück. Verschiedene Faktoren (gute ausgefüllte Zeit, fehlende Motiviation, etc.) haben mich vom Schreiben weiterer FTB-Beiträge abgehalten, was nicht heißt, dass ich in den letzten Wochen und Monaten keine Filme gesehen hätte.
Ich nutze die Gelegenheit, um hier kurz über mein erstes Halbjahr 2013 zurückzublicken.
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Im regulären Kinoprogramm gab es wenige Highlights. Am meisten ragt da derzeit für mich die „Paradies“-Trilogie von Ulrich Seidl heraus. Ich habe da alle drei Teile sehr gemocht und Ulrichs demontierenden, schonungslosen Blick auf eine Art Menschenzoo sehr fasziniert verfolgt. Während die Mutter in Kenia grotesk Zuneigung zu erzwingen versucht und die Tante auf ihrem Glaubenskreuzzug verbitterte Fronten schafft und beide in ihrem Sein unrettbar festgefahren scheinen und sich nicht mehr selbst reflektieren können, ist es die Tochter in ihrem Diätcamp, die sich ihrer absurden Situation bewusst ist, sich als ganz normal pubertierende Jugendliche erweist und Hoffnung auf Veränderung hinterlässt.
Neben dieser Trilogie gab es nur wenig richtig Überzeugendes. Dazu gehört unbedingt der Berlinale-Sieger „Mutter und Sohn“, ein Blick auf die moderne kapitalistische Gesellschaft Rumäniens, ein Porträt einer selbstbewussten Frau, die einen Niedergang im positiven Sinne erlebt, und die Selbstbefreiung eines erwachsenen Sohnes von seiner Übermutter. Sehr gemocht habe ich auch Sarah Polleys zweiten Film „Take this Waltz“, erneut ein sehr reifes Werk mit viel Gespür für Rhythmus, Musik und Gefühle, ein bittersüßer melancholischer Liebesfilm, sehr fein in warmen und lichtdurchfluteten Bildern und mit einem starken Soundtrack eingefangen. Michelle Williams ist wieder einmal richtig großartig. Auf Polleys autobiographisch veranlasste Dokumentation „Stories we tell“ bin ich schon sehr neugierig.
Zwei weitere große Liebesgeschichten runden meine bisher vorzeigbare Kinoausbeute des ersten Halbjahres ab: „Der Geschmack von Rost und Knochen“ mit seinen mit großem Körpereinsatz kollidierenden Liebenden und der hemmungslos bewegende „The Broken Circle“.
Abgesehen von diesen Filmen gab es natürlich noch einige weitere recht sehenswerte Filme wie „Sightseers“, „Die Jagd“, „Lincoln“, „I, Anna“ oder „Stoker“. Aber auch viele sehr enttäuschende Filme, zu denen „Mitternachtskinder“, „Nachtzug nach Lissabon“, „Der Tag wird kommen“, „Papadopoulos und Söhne“, „Der große Gatsby“, „The Place beyond the Pines“ oder „Promised Land“ gehören.
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Abseits vom Kino habe ich meinen stärksten Filmeindruck des Jahres gewonnen, als ich in einer Freundesrunde endlich Fritz Langs monumentalen Zweiteiler „Die Nibelungen“ gesehen habe, den ich schon eine ganze Zeit vor mir hergeschoben hatte. Ich war von der Erhabenheit und epischen Größe dieses Stummfilmes echt geplättet. Die Inszenierung und die Filmmusik waren sehr sehr stark. Sehr schön waren auch die kleinen Trickeffekte anzuschauen und die Perfektion bis hin zur Ausgestaltung der Initialen der Zwischentitel.
Im Heimkino habe ich mich mit Sichtung von 5 Langfilmen an den geheimnisvollen Magier Apichatpong Weerasethakul und seine meditativen Erzählungen, Geister und Seelenwanderungen näher herangetastet und vor allem „Tropical Maladay“ und „Uncle Boonmee“ gemocht.
Mein größtes diesjähriges Erforschungsobjekt ist aber niemand geringeres als Alfred Hitchcock. Momentan habe ich seine britische Phase abgeschlossen. Von seinen 10 Stummfilmen, meist noch nicht die für ihn typischen Suspense-Stoffe, kenne ich nun 7 Werke und schätze da vor allem „The Ring“, „The Lodger“ und „Blackmail“. Letzteren rechne ich persönlich noch den Stummfilmen zu (ich habe auch zuerst die Stummfilmfassung geschaut), Truffaut zählt ihn bereits zu den Tonfilmen, da Hitchcock durch den Nachdreh einiger Szenen ein zweite Fassung mit Ton schuf. Bei den Tonfilmen aus Hitchcocks britischem Schaffen kenne ich nun 9 von 13 Filmen und meine Favoriten sind da „Eine Dame verschwindet“, „Mord – Sir John greift ein“ und „Jung und unschuldig“. In der zweiten Jahreshälfte werde ich bald mit „Rebecca“ starten, um meine Kenntnis über Hitchcocks amerikanische Produktionen zu vervollständigen und zu intensivieren.
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Von der diesjährigen Berlinale hatte ich schon separat und ausführlich berichtet. Meine Festivallieblinge waren dort „Gloria“ (im August im Kino!), „W Imie … - In the Name of“, „Das merkwürdige Kätzchen“, „Fynbos“, „Uroki Garmonii“, „Oben ist es still“, „Soguk“ und „Before Midnight“, mit dem Linklater, Delpy und Hawke eine sehr wunderbare Trilogie beschlossen haben, mit der so keiner je gerechnet hatte.
Kürzlich weilte ich auch auf dem Filmfest München. Einen direkten Überflieger gab es auch hier wieder nicht, aber meine größten Sympathien gehörten letztlich jenem Film, den ich zuvor auch mit den größten Erwartungen auf meine Agenda setzte: „Blancanieves“ (Pablo Berger) eine spanische Schneewittchen-Hommage in Form eines Stummfilmes, der seine Heldin in der Stierkampfarena der bösen Stiefmutter aussetzt. Ich habe dieses ironiebewusste Spielen mit dem Grimmschen Märchenstoff sehr in seiner Erzählung als auch seiner Form sehr genossen.
Sehr stark hat mir auch „Salvo“ (Fabio Grassadonia, Antonio Piazza) gefallen, in dem ein Mafiakiller auf eine blinde Frau trifft und ihr buchstäblich die Augen öffnet. Die Annäherung (vor allem die erste halbe Stunde) ist großes Spannungskino a la Leone, so wie der Film selbst nach Motiven eines Western funktioniert.
Die größten Überraschungen für mich selbst waren zwei Filme, die ich anfangs etwas skeptisch in meine Planung aufnahm, die aber dann formal sehr überzeugend waren: „Museum Hours“ (Jem Cohen) und „Only God Forgives“ (Nicolas Winding Refn). Ersterer schärft zunächst in einem Museum den Blick des Zuschauers für Details, Kompositionen und Blickführung und entlässt diesen bewussteren Blick dann in eine Außenwelt. Die neue Zusammenarbeit von Winding Refn und Gosling ist in seiner Gestaltung noch stylischer und aufreibender als „Drive“ es schon war, hält jedoch auch deutlich mehr Szenen von Gewalt bereit. Als weiterer sehr gut gestalteter Film sei noch „Good Luck, Sweetheart“ (Daniel Aragao) genannt, der in eindrucksvollen und mitunter sehr bedächtigen Schwarzweiß-Bildern von der modernen brasilianischen Großstadt aufs Land und damit zu den Wurzeln seiner Figuren zurückblendet.
Drei weitere Lieblinge von mir sind „El Ultimo Elvis“ (Armando Bo), der den Spuren eines Elvis-Imitators beim bedingungslosen Nacheifern seines Idols folgt, „Kinderwald“ (Lise Raven), der eine deutsche Einwandererfamilie begleitet, deren Kinder in den Wäldern von Pennsylvania verschwinden, und „Kapringen“ (Tobias Lindholm) über ein von Piraten gekapertes Schiff sowohl aus dem Blickwinkel der Geißeln als auch der Verhandlungspartner in der Heimat.
Dies soll als Aufzählung von Filmen genügen. Ich habe noch einige weitere gute Filme sehen können, erfreulich viel mehr gute als schlechte. Als große leere Blase entpuppte sich am Ende leider „Soldate Jeanette“ (Daniel Hoesl), der mich aufgrund seines Trailers sehr neugierig gemacht hatte. Und mit dem Alterswerk von Alejandro Jodorowsky „La Danza de la Realidad“ konnte ich auch nur wenig anfangen, zu unentschlossen und abgehoben pendelte der mir zwischen Vater- und Sohn-Perspektive und durch persönliche Auftritte des Regisseurs in seinem Film fühlte ich mich mitunter peinlich bedrängt.
Zum Schluss sei hier nur noch eine der wunderbarsten Szene vom Filmfest gefeiert: ein Vater schaut ein Aufklärungsvideo von Rosa von Praunheim mit sich selbst darin. Regisseur Axel Ranisch („Dicke Mädchen“), die neue Independent-Ikone Heiko Pinkowski und Entdeckung Frithjof Gawenda machen „Ich fühl mich Disco“ zu einem herrlich ungebändigten Kinostück zwischen all den schweren Festival-Stoffen.
Ich nutze die Gelegenheit, um hier kurz über mein erstes Halbjahr 2013 zurückzublicken.
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Im regulären Kinoprogramm gab es wenige Highlights. Am meisten ragt da derzeit für mich die „Paradies“-Trilogie von Ulrich Seidl heraus. Ich habe da alle drei Teile sehr gemocht und Ulrichs demontierenden, schonungslosen Blick auf eine Art Menschenzoo sehr fasziniert verfolgt. Während die Mutter in Kenia grotesk Zuneigung zu erzwingen versucht und die Tante auf ihrem Glaubenskreuzzug verbitterte Fronten schafft und beide in ihrem Sein unrettbar festgefahren scheinen und sich nicht mehr selbst reflektieren können, ist es die Tochter in ihrem Diätcamp, die sich ihrer absurden Situation bewusst ist, sich als ganz normal pubertierende Jugendliche erweist und Hoffnung auf Veränderung hinterlässt.
Neben dieser Trilogie gab es nur wenig richtig Überzeugendes. Dazu gehört unbedingt der Berlinale-Sieger „Mutter und Sohn“, ein Blick auf die moderne kapitalistische Gesellschaft Rumäniens, ein Porträt einer selbstbewussten Frau, die einen Niedergang im positiven Sinne erlebt, und die Selbstbefreiung eines erwachsenen Sohnes von seiner Übermutter. Sehr gemocht habe ich auch Sarah Polleys zweiten Film „Take this Waltz“, erneut ein sehr reifes Werk mit viel Gespür für Rhythmus, Musik und Gefühle, ein bittersüßer melancholischer Liebesfilm, sehr fein in warmen und lichtdurchfluteten Bildern und mit einem starken Soundtrack eingefangen. Michelle Williams ist wieder einmal richtig großartig. Auf Polleys autobiographisch veranlasste Dokumentation „Stories we tell“ bin ich schon sehr neugierig.
Zwei weitere große Liebesgeschichten runden meine bisher vorzeigbare Kinoausbeute des ersten Halbjahres ab: „Der Geschmack von Rost und Knochen“ mit seinen mit großem Körpereinsatz kollidierenden Liebenden und der hemmungslos bewegende „The Broken Circle“.
Abgesehen von diesen Filmen gab es natürlich noch einige weitere recht sehenswerte Filme wie „Sightseers“, „Die Jagd“, „Lincoln“, „I, Anna“ oder „Stoker“. Aber auch viele sehr enttäuschende Filme, zu denen „Mitternachtskinder“, „Nachtzug nach Lissabon“, „Der Tag wird kommen“, „Papadopoulos und Söhne“, „Der große Gatsby“, „The Place beyond the Pines“ oder „Promised Land“ gehören.
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Abseits vom Kino habe ich meinen stärksten Filmeindruck des Jahres gewonnen, als ich in einer Freundesrunde endlich Fritz Langs monumentalen Zweiteiler „Die Nibelungen“ gesehen habe, den ich schon eine ganze Zeit vor mir hergeschoben hatte. Ich war von der Erhabenheit und epischen Größe dieses Stummfilmes echt geplättet. Die Inszenierung und die Filmmusik waren sehr sehr stark. Sehr schön waren auch die kleinen Trickeffekte anzuschauen und die Perfektion bis hin zur Ausgestaltung der Initialen der Zwischentitel.
Im Heimkino habe ich mich mit Sichtung von 5 Langfilmen an den geheimnisvollen Magier Apichatpong Weerasethakul und seine meditativen Erzählungen, Geister und Seelenwanderungen näher herangetastet und vor allem „Tropical Maladay“ und „Uncle Boonmee“ gemocht.
Mein größtes diesjähriges Erforschungsobjekt ist aber niemand geringeres als Alfred Hitchcock. Momentan habe ich seine britische Phase abgeschlossen. Von seinen 10 Stummfilmen, meist noch nicht die für ihn typischen Suspense-Stoffe, kenne ich nun 7 Werke und schätze da vor allem „The Ring“, „The Lodger“ und „Blackmail“. Letzteren rechne ich persönlich noch den Stummfilmen zu (ich habe auch zuerst die Stummfilmfassung geschaut), Truffaut zählt ihn bereits zu den Tonfilmen, da Hitchcock durch den Nachdreh einiger Szenen ein zweite Fassung mit Ton schuf. Bei den Tonfilmen aus Hitchcocks britischem Schaffen kenne ich nun 9 von 13 Filmen und meine Favoriten sind da „Eine Dame verschwindet“, „Mord – Sir John greift ein“ und „Jung und unschuldig“. In der zweiten Jahreshälfte werde ich bald mit „Rebecca“ starten, um meine Kenntnis über Hitchcocks amerikanische Produktionen zu vervollständigen und zu intensivieren.
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Von der diesjährigen Berlinale hatte ich schon separat und ausführlich berichtet. Meine Festivallieblinge waren dort „Gloria“ (im August im Kino!), „W Imie … - In the Name of“, „Das merkwürdige Kätzchen“, „Fynbos“, „Uroki Garmonii“, „Oben ist es still“, „Soguk“ und „Before Midnight“, mit dem Linklater, Delpy und Hawke eine sehr wunderbare Trilogie beschlossen haben, mit der so keiner je gerechnet hatte.
Kürzlich weilte ich auch auf dem Filmfest München. Einen direkten Überflieger gab es auch hier wieder nicht, aber meine größten Sympathien gehörten letztlich jenem Film, den ich zuvor auch mit den größten Erwartungen auf meine Agenda setzte: „Blancanieves“ (Pablo Berger) eine spanische Schneewittchen-Hommage in Form eines Stummfilmes, der seine Heldin in der Stierkampfarena der bösen Stiefmutter aussetzt. Ich habe dieses ironiebewusste Spielen mit dem Grimmschen Märchenstoff sehr in seiner Erzählung als auch seiner Form sehr genossen.
Sehr stark hat mir auch „Salvo“ (Fabio Grassadonia, Antonio Piazza) gefallen, in dem ein Mafiakiller auf eine blinde Frau trifft und ihr buchstäblich die Augen öffnet. Die Annäherung (vor allem die erste halbe Stunde) ist großes Spannungskino a la Leone, so wie der Film selbst nach Motiven eines Western funktioniert.
Die größten Überraschungen für mich selbst waren zwei Filme, die ich anfangs etwas skeptisch in meine Planung aufnahm, die aber dann formal sehr überzeugend waren: „Museum Hours“ (Jem Cohen) und „Only God Forgives“ (Nicolas Winding Refn). Ersterer schärft zunächst in einem Museum den Blick des Zuschauers für Details, Kompositionen und Blickführung und entlässt diesen bewussteren Blick dann in eine Außenwelt. Die neue Zusammenarbeit von Winding Refn und Gosling ist in seiner Gestaltung noch stylischer und aufreibender als „Drive“ es schon war, hält jedoch auch deutlich mehr Szenen von Gewalt bereit. Als weiterer sehr gut gestalteter Film sei noch „Good Luck, Sweetheart“ (Daniel Aragao) genannt, der in eindrucksvollen und mitunter sehr bedächtigen Schwarzweiß-Bildern von der modernen brasilianischen Großstadt aufs Land und damit zu den Wurzeln seiner Figuren zurückblendet.
Drei weitere Lieblinge von mir sind „El Ultimo Elvis“ (Armando Bo), der den Spuren eines Elvis-Imitators beim bedingungslosen Nacheifern seines Idols folgt, „Kinderwald“ (Lise Raven), der eine deutsche Einwandererfamilie begleitet, deren Kinder in den Wäldern von Pennsylvania verschwinden, und „Kapringen“ (Tobias Lindholm) über ein von Piraten gekapertes Schiff sowohl aus dem Blickwinkel der Geißeln als auch der Verhandlungspartner in der Heimat.
Dies soll als Aufzählung von Filmen genügen. Ich habe noch einige weitere gute Filme sehen können, erfreulich viel mehr gute als schlechte. Als große leere Blase entpuppte sich am Ende leider „Soldate Jeanette“ (Daniel Hoesl), der mich aufgrund seines Trailers sehr neugierig gemacht hatte. Und mit dem Alterswerk von Alejandro Jodorowsky „La Danza de la Realidad“ konnte ich auch nur wenig anfangen, zu unentschlossen und abgehoben pendelte der mir zwischen Vater- und Sohn-Perspektive und durch persönliche Auftritte des Regisseurs in seinem Film fühlte ich mich mitunter peinlich bedrängt.
Zum Schluss sei hier nur noch eine der wunderbarsten Szene vom Filmfest gefeiert: ein Vater schaut ein Aufklärungsvideo von Rosa von Praunheim mit sich selbst darin. Regisseur Axel Ranisch („Dicke Mädchen“), die neue Independent-Ikone Heiko Pinkowski und Entdeckung Frithjof Gawenda machen „Ich fühl mich Disco“ zu einem herrlich ungebändigten Kinostück zwischen all den schweren Festival-Stoffen.