......ist und bleibt mein liebster Hitchcock.
Ob es der beste Film aller Zeiten ist, wie das British Film Institute behauptet, maße ich mir nicht an zu beurteilen. Ein durchweg perfekter Film ist er für mich nicht. Ich finde die Nonnen-Nummer im Turm ganz zum Schluss immer noch zu schnell und...ja...doch...lächerlich, der Einstieg dauert mir immer noch zu lange, wenn er sich auch längst nicht mehr so hinzieht, wie in der deutschen Fassung. Jimmy Stewart ist im Englischen um einiges jünger, kindlicher, jungenhafter, kecker, dabei aber auch treudoofer, was seine Figur um einiges glaubwürdiger und seinen Wahnsinn schleichender, unerwarteter werden lässt. Hach, überhaupt Stewart: was für ein phä-no-me-na-ler Schauspieler! Eine wirklich durchgehende Lust, ihm zuzuschauen! Es heißt ja, wenn Hitchcock eine Figur erzählen wollte, die er gerne gewesen wäre, nahm er Cary Grant, wenn er jemanden brauchte, der so war wie er, James Stewart (deshalb bekommt dieser auch in jedem Hitchcock irgendein Handycap (hier die Höhenangst)). In beiden Fällen eine phantastische Wahl, denn während Grant mit 50 Lenzen auf dem Buckel lattenstramm in der Polizeiwache saß, seine Mama anrief und dabei immer noch purer Sex war ("North by Northwest"), genügten bei Stewart, welcher ja eigentlich auch keine Vogelscheuche war, minimalste Gesten, um aus ihm den linkischen Losertypen zu machen, als den sich die Figur aber gar nicht sieht. Wie er da versucht, lässig an eine Vitrine zu lehnen, bald darauf wieder wie ziellos durch den Raum irrt, sich dann hinsetzt und die Beine übereinanderschlägt, dabei aber doch nur wie das missglückte Zitat eines coolen Menschen wirkt, das ist einfach brillant. So gesehen hat mir die Exposition dann doch Freude bereitet, zumal mit der Figur von Stewarts Freundin mal wieder gezeigt wird, wie weit Hitch auch inhaltlich seiner Zeit voraus war. Eine derart modern wirkende Frauenfigur könnte man in so ziemlich jeden heutigen Film einbauen, und keine Sau würde merken, dass sie aus einem Werk von vor einem halben Jahrhundert stammt. Und wunderschön gefilmt ist das Ganze natürlich von Beginn an, der Zoomeffekt, den Hitchcock hier erfand und der bis heute in jedem zwanzigsten Film benutzt wird, ist hier nur die Spitze des Eisbergs. Bilder die sich einbrennen, aber sowas von. Der optisch schönste, suggestivste Hitchcock, wobei an letzteres Attribut überhaupt nur die Dalí-Traumsequenz in "Ich kämpfe um dich" ranzureichen vermag.
Nützt aber nichts, zu lang ist der Anfang trotzdem.
Aber dann! Wie James Stewarts Blick zum allerersten Mal auf Kim Novak wandert, diese Kamerafahrt auf ihren Rücken, wie sie aufsteht und sich alle Farben im Raum verändern! Wer das aufgeblasen findet, versteht einen feuchten Fick von Liebe, von großem Kino ganz zu schweigen. Ab dem Wassersprung vor der Golden Gate-Bridge bin ich dann endgültig wieder voll dabei (nicht nur, weil Roger Ebert kürzlich eine spannende Bemerkung bzw. Begründung dafür ablieferte, warum Novak sich in genau diesem Moment in Stewart verliebt), gehe mit Stewart mit, während mein Hirn vollkommen automatisch ausklammert, dass ich noch nie so wirklich auf Kim Novak stand und sogar immer wieder vergisst, dass ich eigentlich genau weiß, was hier gespielt wird. Ersteres wird zum einen durch die liebenden Augen Stewarts verklärt, zum anderen durch Novaks meisterhaftes Spiel - wie sie eine Rolle spielt, dabei immer wieder echte Emotionen durchkommen lässt und irgendwann selbst nicht mehr zu wissen scheint, welche Gefühlswelt in ihr nun real ist und welche nicht, das ist schon ganz großes Kino, und irgendwann himmelt man sie dann doch auch wieder genauso an wie bei der/den Sichtung/en zuvor -, Letzteres setzt eigentlich erst wieder so richtig bei der alten Mexikanerkapelle ein. Es ist mir fast peinlich, es zu sagen, aber mir fiel heute zum allerersten Mal auf, dass sie ihm, nachdem sie aus dem Pferdestall gerannt ist, bis zum Sprung zum ersten Mal durchgehend die Wahrheit sagt.
Es folgen der Schmerz, die Wiedergeburt, die Obsession und die vergeigte Katharsis, alles das wird in der zweiten Hälfte abgehandelt und in dieser zweiten Hälfte finde ich alles (bis auf das erwähnte Bimmelbammel in den letzten drei Sekunden) einfach nur phantastisch, mitreißend, emotional überschwemmend. Ich stehe ja zu meiner Behauptung, dass "Vertigo" für mich der drittbeste Liebesfilm ist. Er erzählt eine verdammte Menge über die Liebe, nur eben nicht über die Aspekte, die viele für interessant halten und die ich in der Kunst zumeist nicht so prickelnd finde. Ich kenne keinen Film, der derart poetisch, derart wuchtig die destruktive Kraft von Amor eingefangen hat wie "Vertigo" (gut, von mir aus noch die Schwimmbadszene in "Let the right one in" (wer kichert hier? Ich mein das ganz ernst!)). Seine Bildsprache für Liebeskummer, Nichtwahrhabenwollen bis hin zur Verleugnung und dem verzweifelten Versuch, Vergangenes zurückzuholen, geht mir noch jedes Mal mittendurch - wobei hier natürlich das Perverse ist, dass sich der Liebeskummer eigentlich wirklich nicht lohnen würde, das Nichtwahrhabenwollen und die Verleugnung hier absolut ihre Berechtigung hätten und das der Versuch von Erfolg gekrönt worden wäre, hätte es Stewart dabei belassen und nicht noch versucht, die Zeit zurückzuholen, in der er ein schwindelfreier (!) Schnüffler (!) war. Ja, doch, Wahnsinnsstreifen. Freue mich schon auf die nächste Begegnung in ein, zwei Jahren.
D.C.L.
P.S. Die Farben! Erwähnte ich die Farben? Nein, gell? Also: die Farben!
hach...