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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Melancholia



(Der Text enthält einige Spoiler, andererseits schaden solche bei einem Film wie Melancholia wohl nicht so sehr, zumindest ist das meine Einschätzung.)


Die Unausweichlichkeit des Todes gehört zu den wenigen wirklichen Gewißheiten im Leben, eine Gewißheit, der die Menschen sich auf sehr unterschiedliche Weise stellen. Die meisten flüchten sich in Verdrängung, andere leben in ständiger Angst vor dem Tod, einige sehnen ihn herbei.
Die Unausweichlichkeit des Todes ist auch ein zentrales Thema von Melancholia, Lars von Triers neuestem Film, wobei der Film sogar noch weiter geht und nicht allein vom individuellen Tod handelt, sondern vom Ende der Welt, dem Untergang der Menschheit, wobei die Apokalypse am Ende jedoch in einem sehr privaten Rahmen gezeigt wird - und das ist auch sehr sinnvoll, denn für jeden einzelnen von uns ist der Moment des Todes tatsächlich der Untergang der ganz privaten, eigenen Welt, der Innenwelt, die letztlich für uns die einzig reale ist.
Melancholia beginnt mit einem visionären, (über)stilisierten Prolog, der zugleich schon auf das Ende des Films verweist und so auch schon den Schatten des Todes auf den ersten Teil des Films wirft, der zunächst ein reines Familiendrama zu sein scheint. In diesen Anfangsminuten findet sich bereits eine Fülle an visuellen Motiven, die bereits aus anderen Filmen von Triers vertraut sind (wobei ich noch nicht mal so viele kenne), und dazu ertönt Richard Wagners Musik zu Tristan und Isolde - die wohl bestmögliche Musikwahl, denn Wagners Tristan ist nicht so sehr ein Liebesrausch, sondern eher ein Todesrausch, in dem die Sehnsucht nach dem Erlöschen und Zerfließen der Welt jederzeit spürbar ist.
Auf den Prolog folgen die beiden Hauptteile, die nach den Schwestern Justine und Claire benannt sind, aber ebensogut die Überschriften "Todessehnsucht" und "Todesangst" tragen könnten. Beides macht der Film erfahrbar. Der erste Teil zeigt ein Hochzeitsfest, das sich zur Katastrophe entwickelt, und die Qualen, die dieses Fest für die depressive Justine bedeutet: hier finden sich Anklänge an Vinterbergs Das Fest (und auch Lars von Trier gehörte ja mal der Dogma-Bewegung an). Schon diese erste Hälfte ist für sich sehr stark und führt einen Alptraum aus beengenden Familienverhältnissen (und den Zwängen einer immer eisiger werdenden Arbeitswelt) vor, wobei die durchweg großartig agierenden Schauspieler (dabei ragt Kirsten Dunsts Leistung sicher heraus) entscheidend zum Gelingen beitragen.
Im zweiten Teil nimmt dann die Bedrohung durch den sich nähernden Planeten Melancholia immer mehr Raum ein. Er soll zwar die Erde verfehlen, doch Justine ahnt, daß es anders sein wird (eine wissenschaftliche Randbemerkung: wenn tatsächlich ein so großer Planet einen Spaziergang durch das innere Sonnensystem vollführen würde, müßte er die Erde gar nicht treffen, um die Menschheit auszulöschen, denn seine Gravitation würde zu Bahnstörungen führen, die letztlich zum selben Ergebnis führten - dies aber wirklich nur als Nebenbemerkung, denn letztlich ist Lars von Triers Variante vielleicht wissenschaftlich ziemlich ungenau, aber dafür auch eindeutig poetischer). Während Claire im Angesicht der Katastrophe immer mehr in Verzweiflung verfällt (und ihr oberschlauer Mann John sich lieber gleich in den Selbstmord flüchtet, als er erkennt, was geschieht), empfindet Justine das heraufziehende Weltende eher als Erlösung. Vielen Äußerungen Claires in diesen letzten Stunden begegnet sie mit boshaftem Zynismus - und doch ist es am Ende Justine, die Claire und vor allem deren kleinem Sohn Leo die Kraft zu geben vermag, die letzten Momente in einer zwei nicht schützenden, aber doch tröstlichen Geborgenheit zu verbringen - eine Geborgenheit, die unserer Welt wohl den wenigsten Sterbenden vergönnt ist. Und so ist dieses Ende eben auch niederschmetternd und befreiend zugleich. Visuell ist dieses Weltende (und sein langes) Vorspiel von großer Schönheit, wenn etwa ein Himmel zu sehen ist, an dem es zwei Monde zu geben scheint oder wenn am Ende der Planet des Untergangs riesenhaft am Himmel erscheint. Möglicherweise ist Melancholia Lars von Triers bester Film; um so bedauerlicher, daß der Regisseur selbst durch sein außergewöhnlich dämliches Auftreten bei der Pressekonferenz in Cannes vielleicht nicht dem Werk selbst, aber der Rezeption, die dieses erfährt, so einiges an Schaden zugefügt hat.




Gar nichts lese ich davon, weil ich den Film erst Donnerstag sehe!
Aber du weißt, dass von Trier mein Liebling ist und ich nicht gespannter sein könnte...
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Komme gerade frisch aus dem Kino und bin noch immer sehr angetan von diesem elegisch-romantischen Bilderrausch.
Für mich ist Melancholia in erster Linie ein Film über das Justines Depression und das Erstarken einer solchen Person in einer für den gesunden Menschen vollkommen hilflosen Situation. Von Trier findet fortrefflich elegische Bilder um dieses schwermütige Gefühl von Ohnmacht greifbar zu machen.
Wie ich übrigens finde fügt sich Justine ganz fantastisch in den Reigen der anderen "Frauenfiguren" von Triers.
Würde allerdings nicht so weit gehen und sagen, dass es sein bester Film ist. Für mich ist das definitiv immer noch "Breaking the Waves" ! Aber darüber läßt sich ja streiten und ja ich schätze Herrn Trier auch sehr sogar :-)

Hoffe, Du nimmst mir das jetzt nicht übel, dass ich soviel von meinem Senf in Deinem Eintrag hinterlassen hab :-)
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@Short Cuts: Der Senf stört mich nicht im geringsten, ich bin im Gegenteil froh darüber, daß mein Geschreibsel mal jemandem einen Kommentar wert gewesen ist.
Deine Einschätzung scheint mir von meiner gar nicht so weit entfernt zu sein: Justines Depression hält letztlich den Film zusammen und stellt die eigentliche Verbindung zwischen den beiden Teilen, Familienfest und dem Warten auf den Untergang, her.
Mit dem "besten Film" habe ich mich wohl recht weit aus dem Fenster gelehnt, ich hätte eher schreiben sollen: " der beste, den ich bisher gesehen habe" - wäre immer noch eine durchaus gewagte Äußerung, aber auf alle Fälle passender, weil meine Lücken im Gesamtwerk doch noch sehr groß sind. Insofern eine unglücklich gewählte Formulierung, die sich aber auch daraus erklärt, daß der Film bei mir wirklich eingeschlagen hat und mich auch jetzt noch in meinen Gedanken enorm beschäftigt. Und er hat bei mir eine enorme Vielfalt von Gefühlen ausgelöst, während die meisten Filme es kaum schaffen, auch nur ein intensives Gefühl bei mir zu erzeugen.
Was Justine und die Trierschen Frauengestalten betrifft, stimme ich übrigens zu, soweit mir seine Filme bekannt sind.

@jackIII: Klar ist mir Deine Vorliebe bekannt, wir kennen uns nun ja doch recht gut (oder zumindest unsere filmischen Interessen). Ich bin schon gespannt, was Du zu "Melancholia" sagen wirst.
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MELANCHOLIA ist ja noch irgendwie viel mehr, schwer zu fassen, aber kurz:
irgendwie eine Ergänzung, eine Außenansicht von ANTICHRIST - die Depressionen mal von weiterer Entfernung betrachtet...?
Was für ein Film, bin völlig sprachlos...
Wohl der beste des Jahres (oder TREE OF LIFE, aber schon eher dieser hier, weil er absolut makellos ist), und so überdimensional groß und gleichzeitig intim klein.

Habe eine Szene nicht verstanden bzw nicht erkennen können: Als Justine in ihrem Zimmer die Bücher (?) austauscht, was tauscht sie da genau? Was legt sie offen?


Für mich ist von Trier einer der größten Regisseure überhaupt, und das sage ich nicht nur, weil er zu meinen Lieblingen gehört. DANCER IN THE DARK, EPIDEMIC, IDIOTEN - das sind sehr spezielle Filme, die ich zwar alle liebe, aber die vielleicht zu sehr in einer Nische liegen. Aber sonst?
BREAKING THE WAVES, DOGVILLE, THE ELEMENT OF CRIME, EUROPA, ANTICHRIST, MELANCHOLIA - die sind doch allesamt inhaltlich und inszenatorisch auf einer Ebene mit den ganz, ganz großen. I'm talking Kubrick & co...
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Du bist also von dem Film ähnlich überwältigt wie ich - was ich eigentlich auch so erwartet hatte. Mein Filmtagebucheintrag ist auch sicher alles andere als erschöpfend, sondern nur ein Versuch, meine ersten Eindrücke, meine Gefühle und Gedanken, an denen ich nach dem Kinobesuch übervoll war, zu bündeln. Und obwohl ich oben so viel geredet habe, bin ich letztlich auch völlig sprachlos.
Ich stimme natürlich zu: der beste Film des Jahres, für mich recht eindeutig vor "Tree of Life", den ich zwar auch großartig fand, aber gerade so (soll heißen: der ist streckenweise schon an der Grenze zum Esoterikkitsch, und wenn Malick sich noch weiter in diese Richtung bewegen sollte, werde ich ihm zukünftig nicht mehr mit Begeisterung folgen können, aber "The Tree of Life" überschreitet diese Grenze zum Glück doch noch nicht und ist alles in allem schon ein Spitzenfilm, doch eben nicht so absolut makellos wie "Melancholia", da bin ich ganz Deiner Meinung). Der beste Film des Jahres übrigens auch, wenn ich Tarrs "A Torinoi Lo" mitrechne (Gerngucker wird mir, so wie ich ihn kenne, in diesem Punkt vermutlich nicht folgen wollen...), der auf eine ganz andere Art eine Weltuntergangsvision entwirft.

In einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu ANTICHRIST (da gab es ja auch schon Übereinstimmung zwischen uns, wenn ich an den damaligen kino.ED denke...) sehe ich MELANCHOLIA auch, die beiden Filme sind wie Brüder.

Wenn ich mich an die entsprechende Szene richtig erinnere, dann hat Justine dort vor allem Bilder offengelegt, Bilder, die verschiedene Arten von Leiden zeigen (ich habe es auch nicht so genau gesehen, und die Erinnerung ist etwas verschwommen); ein Bild zeigte wohl auch eine Winterszene (was man als Zeichen für innere Vereisung deuten könnte), dieses Bild war ja auch im Prolog zu sehen, als es schon anfängt, zu verkokeln - leider weiß ich jetzt nicht, ob es sich um dasselbe Gemälde handelt, das auch in Tarkowskis SOLARIS einmal zu sehen, da gab es auch ein Winterbild; möglich wäre es aber, immerhin ist von Trier ja ein großer Bewunderer Tarkowskis.

Und fraglos ist von Trier ein wirklich großer Regisseur, vielleicht der größte von denen, die gerade "voll im Saft" stehen, um es etwas salopp zu sagen, womit ich sagen will: diejenigen der noch lebenden Regisseure, die man höher stellen kann sind eigentlich schon eher zu den Altmeistern zu rechnen, wenn ich etwa an Lynch denke.
Ich tat mich ja mit DOGVILLE eher schwer, finde dafür aber DANCER IN THE DARK großartig - aber das sind dann letztlich unterschiedliche Wertungen und Gewichtungen innerhalb des Gesamtwerks. Bei MELANCHOLIA jedenfalls sind wir jedenfalls auf der gleichen Wellenlänge. Der Film beschäftigt mich immer noch, ich glaube, so hat von den aktuellen Filmen seit Jahren schon keiner mir bei mir so eingeschlagen. Ü-ber-ra-gend.
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A Torinoi Lo ist notiert, hatte vorher noch nichts davon gehört.

Schöner Ausdruck, dass ANTICHRIST und MELANCHOLIA wie Brüder sind, da würde ich zustimmen.
Bin auch immer noch hingerissen vom Kinobesuch: Diese Szene, in der Claire entdeckt, dass ihr Mann sich umgebracht hat, ist von so einer Wucht... besser kann man das nicht inszenieren. Wie Claire da im Pferdestall hockt und gar nichts sagt, realisiert, dass es das jetzt war. Das hätte man auch ganz anders, plakativer machen können, und hätte somit an Effekt verloren.

Die Bilder-Szene Justines: Danke für die Aufklärung, ja, so etwas würde Sinn ergeben. Mal sehen, ob man irgendwo rausbekommt, was das genau für Bilder waren. Die Tarkowski-Sache finde ich sehr spannend. Muss mich bei Tarkowski endlich mal vorarbeiten, habe ja kürzlich SOLARIS im Kino gesehen und war mehr als begeistert.


Bzgl. Triers Werk: Finde DANCER IN THE DARK auch groß, aber etwas sperrig in der Aufmachung... kam also mit DOGVILLE viel eher klar (nicht unbedingt auch mit MANDERLAY....), aber das sind Nuancen. Hast du schon eine Idee, welchen Film von ihm du als nächstes sehen möchtest? Mir fehlt nur noch seine GEISTER-Serie...
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Ich will auch nicht mehr daruf rumreiten, aber einfach an diejenigen, die so hin und weg vom Film sind, die Frage nach dem spezifischen Sinn der Trier'schen Shaky Cam fragen... es mag Teil seines Stils sein, das erklärt aber nicht, welchen spezifischen Sinn dieses formalästhetische Mittel hier eigentlich hat. Grundsätzlich würde es mich wohl gar nicht so interessieren und ich würde den Film wegen seiner schaurig-schönen Traurigkeit feiern, wäre er mir nicht im wahrsten Sinne des Wortes so auf den Magen geschlagen. (Da war nur noch CLOVERFIELD im Kino schlimmer.)
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@jack: Tarrs "Turiner Pferd" habe ich bei der Berlinale gesehen, zusammen mit Gerngucker übrigens. Filmästhetisch absolute Spitzenklasse (mit sehr langen Einstellungen), aber super-melancholisch und vergleichsweise handlungsarm.Für mich war's eher ein Respekt-Film als einer, den ich richtig lieben würde, aber ich kann schon nachvollziehen, daß da viele ins Schwärmen geraten.
Soviel nur zu Bela Tarrs Film.

Die von Dir erwähnte Szene ist sehr stark, aber es gibt ja ohnehin so viele starke Szenen; mir hat es ja auch gerade der Schluß besonders angetan - sehr intensiv fand ich ich aber den Moment am Anfang des zweiten Teils, wenn Justine nicht in der Lage ist, in die Badewanne einzusteigen. Da gibt es so viele eindringliche Augenblicke...

Bei Tarkowski kennst Du Dich noch nicht so aus? Ich kenne tatsächlich alle seine Langfilme, wobei er zu meinen Haßlieben zählt: "Solaris" und "Andrej Rubljow" finde ich herausragend, seine letzten beiden mag ich dagegen gar nicht - aber Tarkowskis Filme wirken auf alle Fälle nach und dringen ins Unterbewußtsein ein, selbst dann, wenn sie einem nicht gefallen - ist schon ein Großer des Kinos.

Was ich dagegen als nächsten Film von Triers sehen will, kann ich gar nicht so genau sagen - das lasse ich ein wenig auf mich zukommen. Tatsächlich sind meine Lücken nämlich so groß, daß es schon nicht mehr feierlich ist, da gibt es noch unheimlich viel nachzuholen. Mal sehen, wann die erste Gelegenheit kommt.

@bekay: Ich hatte schon Deinen Filmtagebucheintrag gelesen, will mich aber ungern in Vermutungen über den Sinn der Handkamera verlieren; ich kann nur sagen, daß es mich hier überhaupt nicht gestört hat, obwohl mir Geruckel, Gewackel und ganz besonders auch Schnittgewitter schnell mal auf die Nerven gehen können. City of God etwa war ein Film, den ich ganz furchtbar fand, weil ich einfach schon Augen- und Kopfschmerzen beim Zuschauen bekam. Aber mit der Kamera in "Melancholia" hatte ich gar keine Probleme, äußerst schade natürlich, daß Dir dadurch der Film offenbar gründlich verdorben worden ist. Die Erfahrung kenne ich auch, nur eben von ganz anderen Filmen.
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bekay,
hm, ich kann nachvollziehen, dass man das als störend empfindet, würde aber nicht sagen, dass es ohne Zweck ist.
meine Empfindungen dazu: nach diesem übergroßen Beginn mit wie in Stein gemeißelten Bildern, die so weit wie es im modernen Kino nur möglich ist entfernt sind von der Handkamera, befinden wir uns, obwohl in kosmisch größtmöglichem Zusammenhang, dann doch auf der Erde, und vor allem auf einer Ebene mit den Figuren. Wir sind Beobachter, wissen nicht genau wohin wir sehen sollen, überall passieren Dinge und alles wollen wir sehen... unser Auge huscht, authentisch wie im Leben selbst, von links nach rechts, erkennt Nuancen hier und da...

Vielleicht geht es hauptsächlich um diesen Kontrast. Melancholia - der Planet - ist überdimensional groß, und wir hier, auf der Erde, sind nur Zuschauer, ein Teil des Gesamten, das sich da auch abspielt.



sam,
Tarkowski wird erforscht. Werde dann Bericht erstatten!
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Ich habe übrigens ein wenig Recherche betrieben, und siehe da, ich hatte recht: bei dem Bild, das ich meinte, handelt es sich um "Die Jäger im Schnee" von Pieter Bruegel dem Älteren, das tatsächlich auch schon in "Solaris" zu sehen war. Wohl kaum ein Zufall!

EDIT: Bei der Suche nach den übrigen Bildern bin ich gerade auf das hier

http://tinyurl.com/6hn8rbj

gestoßen. Da scheint jemand richtig gründlich gesucht zu haben.
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Ich kann deinem FTB-Eintrag zu "Melancholia" fast komplett zustimmen. Deine längeren Auslassungen decken sich zum Teil mit den viel kürzer gefassen Sätzen, die ich gerade in meinem FTB hinterlassen habe. Die Figur von Justine, die den wunderbaren Beinamen Tante Stahlbrecher trägt, ist großartig angelegt und gespielt, so wie Lars van Trier häufiger (bzw. fast immer) starke Frauenpersönlichkeiten ins Zentrum seiner Filme stellt und dabei regelmäßig seine Schauspielerinnen verschleißt. Mal schauen, ob es zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Kirsten Dunst kommen wird.
An welcher Stelle in van Triers Filmographie sich "Melancholia" einfinden wird, vermag ich noch gar nicht genau zu bestimmen. Ganz oben rangieren da bei mir derzeit "Dogville" und "Dancer in the Dark", dahinter würde ich momentan die beiden letzten Depressions-Filme (für mich eher Schwestern als Brüder) stellen, dann "Breaking the Waves", "Idioten" usw. Ganz hinten dann die Zumutung "The Boss of it all". Mir fehlt ebenfalls nur noch die Geisterserie.
Auch über die Positionierung von "Melancholia" im diesjährigen Filmjahr habe ich noch gar nicht nachsinniert und will es derzeit auch noch gar nicht. Aber da Du es ansprichst und richtig vermutest. An "A Torinoi Lo" kommt wohl auch Lars von Trier nicht vorbei. Beide Filme sind sind in der Tat ähnlicher als gedacht. Beide erzählen eine Apokalypse aus einer intimen privaten Sicht, an einem streng vom Rest der Außenwelt abgeschirmten Platz. Die Unabwendbarkeit des Untergangs ist beiden Filmen gemein, ebenso die beeindruckende Stilsicherheit und formale Konsequenz durch die Filmemacher, wobei mir da halt dann doch die Handschrift von Bela Tarr noch etwas mehr Staunen und Begeisterung abringt. Obwohl seit der Sichtung auf der Berlinale einige Monate ins Land gegangen sind, thront das Turiner Pferd nach wie vor majestätisch nicht nur über diesem Jahr, sondern überstrahlt auch vieles der letzten Jahre.
Aber auch "Melancholia" ist ganz groß, so erschreckend düster und gleichzeitig so traumhaft schön, dass ich ihn gern noch einmal ansehen möchte.

Von den in der Bibliothek schnell aufgeschlagenen Gemälden im ersten Teil hatte ich nur Bruegels "Jäger im Schnee" erkannt, wie du inzwischen auch herausgefunden hast. Eine vom Winter erstarrte Landschaft, in der die Menschen fern und klein sind und stattdessen aus der Vogelperspektive der Blick auf das gesamte geworfen wird. Ein Bild das mehrfach dem Tenor von "Melancholia" entspricht. Mir fällt gerade auf, wie passend es ist, das vereiste Winterbild letztlich verbrennen zu lassen, wie auch die Depression von Justine ihrer Erlösung weicht und die Erstarrung von ihr fällt. War dieses Bild echt auch in "Solaris" zu sehen? Ist mir gerade entfallen.
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Schön, mal wieder was von Dir zu lesen! Und gegen weitgehende Übereinstimmung habe ich auch nichts einzuwenden...
Die Bemerkung, daß "Antichrist" und "Melancholia" wohl eher Schwestern als Brüder seien, ist natürlich nicht unberechtigt, wenn man die jeweiligen Hauptfiguren betrachtet. Ich hatte die männliche Form vor allem gewählt, weil der Film ja auch den männlichen Artikel hat, zumindest im Deutschen. Aber letztlich ging es mir ohnehin nur um das Geschwisterbild, und das, finde ich, paßt gut.
Das mit der höheren Wertschätzung für Tarr hatte ich mir ja schon gedacht, da ist es bei mir eben genau umgekehrt: "Melancholia" überstrahlt für mich eben das meiste der letzten Jahre. Im Grunde genommen sogar alles.
"Jäger im Schnee" ist definitiv in "Solaris" zu sehen, bloß mit den genauen Zeitpunkten bin ich mir nicht ganz sicher. Ich glaube, kurz nach Snauts Geburtstags"feier", und am Ende, kurz vor dem Schlußbild, auch noch mal. Da bin ich mir jetzt nicht ganz sicher, ich müßte "Solaris" noch mal sehen, um das präziser sagen zu können.
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Ein gewohnt guter Text. Mir hat der Film zwar gefallen, aber nicht
begeistert. Das liegt wohl darin, dass die Todessehnsucht die
hier zelebriert wird, nicht meines ist. Außerdem verbinde ich damit
Sachen, die mir übel aufstoßen. Und zwar die germanische Todesmystik, wie sie von Wagner beschworden und von den Nazis quasi zur Vollendung gebracht wurde. Ich wäre auch nicht
überrascht, wenn von Triers Nazi-Sager, so bewusst provokant er
auch war, genau darauf anspielt.

Ich fand nicht nur Dunst und Gainsbourg, sondern auch ihre Eltern (Rampling, Hurt) schauspielerisch grandios. So wie der
Justine-Teil schon für sich genommen ein grandioses Gesellschaftspanorama bietet.
Ich denke, dass die "Wackelkamera" Authentizität vermitteln soll.
So unter dem Motto "mitten drin, statt nur dabei". Für mich, der
eigentlich hektische, schnell geschnittene Filme nicht mag, hat das
sehr gut funktioniert.
Wie auch schon andere ausgeführt haben, sind Antichrist, und
Melancholia Geschwister. Melancholia führt dazu, dass ich nun
einen (noch) besseren von Antichrist habe, weil ich erst jetzt
erkenne, dass dieser Film über Lebensverneinung ein optimistisches
Ende hat.
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"einen (noch) besseren EINDRUCK" soll das natürlich heißen.
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